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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 27.11.2001
Aktenzeichen: 4 W 3813/01
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 319
ZPO § 103
1. Eine Berichtigung nach § 319 ZPO kommt nur dann in Betracht, wenn der zu berichtigende Fehler lediglich bei der Verlautbarung des Willens, nicht jedoch, wenn er bereits bei der Willensbildung unterlaufen ist.

2. Übergehen von Streitstoff stellt einen Fehler bei der Willensbildung dar und ist deshalb einer Berichtigung nicht zugänglich.

3. Wird ein zur Kostenfestsetzung angemeldeter Posten versehentlich übergangen, kann er auch noch nach Rechtskraft des fehlerhaften Kostenfestsetzungsbeschlusses im Wege der Nachliquidation festgesetzt werden.


4 W 3813/01

Nürnberg, den 27.11.2001

In Sachen

gegen

wegen Forderung,

erläßt das Oberlandesgericht Nürnberg, 4. Zivilsenat, durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluss

Tenor:

I. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Landgerichts Amberg vom 17. Oktober 2001 aufgehoben.

II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beklagte.

III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens beträgt 57.559,30 DM.

Gründe:

I.

Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist zulässig (§ 319 Abs. 3 ZPO; diese Vorschrift ist auf Beschlüsse entsprechend anwendbar; vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 22. Aufl., § 329 Rn 39, § 319 Rn 3 m.w.N.).

II.

Das Rechtsmittel ist auch begründet.

Zwar hält es der Senat - ebenso wie das Landgericht - nach Lage der Dinge für durchaus erwägenswert, dem Beklagten die Möglichkeit einzuräumen, die im ursprünglichen Kostenfestsetzungsbeschluss übersehenen Gerichtskosten des selbstständigen Beweisverfahrens 24 OH 660/93 LG Amberg auch noch nachträglich geltend zu machen. Der verfahrensrechtliche Weg hierzu führt jedoch nicht - wie geschehen - über die Berichtigung, sondern allenfalls über die Nachliquidation.

1) Eine Berichtigung nach § 319 ZPO wäre dann angezeigt gewesen, wenn der zu korrigierende Fehler dem Rechtspfleger lediglich bei der Verlautbarung seines Willens unterlaufen wäre und nicht bereits bei der Willensbildung (hM; vgl. BGH NJW 1985, 742; RGZ 23, 399 ff.; Stein-Jonas-Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 319 Rn 5; Zöller-Vollkommer, aaO, § 319 Rn 4; MüKo-Musielak, ZPO, 2. Aufl., § 319 Rn 4 ff. m.w.N., auch der Gegenmeinung; offen gelassen BGHZ 127, 74 ff). Eine fehlerhafte Willensbildung, etwa durch Übergehen von Streitstoff, kann nicht nach § 319 ZPO korrigiert werden (Zöller-Vollkommer, aaO., m.w.N.).

a) An einem Auseinanderfallen von Willensbildung und Willensverlautbarung, wie es für § 319 ZPO erforderlich wäre, fehlt es hier. Der Rechtspfleger hatte im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 16. August 2000 dem Beklagten nichts abgeschlagen, was er ihm eigentlich hätte zusprechen wollen. Vielmehr ging der Rechtspfleger irrtümlich davon aus, dass dem Beklagten im vorausgegangenen Beweisverfahren keinerlei Gerichtskosten entstanden waren. Das Nicht-Ansetzen (vermeintlich) nicht angefallener Gerichtskosten war daher folgerichtig und aus Sicht des Rechtspflegers zwingend.

Bei Lichte betrachtet fallen somit das Ergebnis seiner Willensbildung (dem Beklagte entstanden im selbstständigen Beweisverfahren überhaupt keine - infolgedessen auch keine erstattungsfähigen - Gerichtskosten) und der Inhalt des Kostenfestsetzungsbeschlusses (der Beklagte erhält von der Klägerin für das selbstständige Beweisverfahren keine Gerichtskosten erstattet) nicht auseinander, sondern stehen miteinander im Einklang.

b) Unabhängig davon hätte das Bewusstsein, dass der Beklagte im selbstständigen Beweisverfahren Gerichtskosten aufzuwenden hatte, nicht zwangsläufig zur Folge haben müssen, diese Kosten der Klägerin des Hauptverfahrens zu überbürden. Hierfür wäre vielmehr ein weiterer wesentlicher Zwischenschritt erforderlich gewesen, nämlich eine Abwägung, ob und in welchem Umfang sich der Gegenstand des Hauptsacheverfahrens und derjenige des selbstständigen Beweisverfahrens deckten. Dass man hierüber durchaus unterschiedlicher Meinung sein kann, belegt der Einwand der Klägerin in der Beschwerdebegründung, wonach beide Verfahren verschiedene Gegenstände betrafen (hier Vergütungs- und Behinderungsersatzansprüche, dort Gewährleistungsansprüche). Diese Einschätzung der Klägerin mag im Ergebnis abzulehnen sein, - gerade um diese Frage rechtsverbindlich zu klären, bedarf es aber erst eines gerichtlichen Abwägungs- und Entscheidungsprozesses.

Mit der Erkenntnis allein, dass der Beklagte im selbstständigen Beweisverfahren entgegen der ursprünglichen Annahme des Rechtspflegers sehr wohl Gerichtskosten aufzuwenden hatte, hätte somit die Erstattungsfähigkeit sämtlicher Gerichtskosten noch keineswegs festgestanden.

Insoweit unterscheidet sich die vorliegende Sachlage wesentlich von den in § 319 ZPO angeführten Schreib- und Rechenfehlern sowie ähnlichen "offenbaren" Unrichtigkeiten, bei denen sich schon aus der Entscheidung heraus ohne weiteres ableiten lässt, was das Gericht in Wirklichkeit gemeint hatte oder wie es ohne das ihm unterlaufene Missgeschick entschieden hätte.

2) Eine nachträgliche Ergänzung (§ 321 ZPO) des Kostenfestsetzungsbeschlusses ist ebenfalls nicht mehr möglich, da die zweiwöchige Antragsfrist längst abgelaufen ist.

3) Mit der Feststellung, wonach es bei dem rechtskräftigen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 16. August 2000 (vorerst) sein Bewenden hat, muss jedoch hinsichtlich der Gerichtskosten für das selbstständige Beweisverfahren noch nicht das letzte Wort gesprochen sein Der Beklagte kann vielmehr versuchen, diese Kosten im Wege der Nachfestsetzung geltend zu machen.

Eine solche "Nachliquidation" ist trotz rechtskräftiger Kostenfestsetzung grundsätzlich möglich (BVerfG NJW 1995, 1886), und zwar nicht nur für nachträglich bekannt gewordene oder vom Antragsteller übersehene Kosten, sondern darüber hinaus auch für bereits angemeldete Kosten, die das Gericht bei seiner Kostenfestsetzung übersehen oder übergangen hat (OLG München, AnwBl 1988, 248 f. = Rpfleger 1987, 262; Zöller-Herget, aaO., §§ 103, 104 Rn. 21 "Nachliquidation"; MüKomm-Belz, aaO., § 104 Rn 31; Musielak-Wolst, ZPO, § 104 Rn. 41; Thomas-Putzo, ZPO, 23. Aufl., § 103 Rn 18, § 104 Rn 24).

Die Rechtskraft des Beschlusses oder die Selbstbindung des Gerichts (§ 318 ZPO) stünden einer solchen Nachfestsetzung nur dann entgegen, wenn das Gericht über die Erstattung der angemeldeten Gerichtskosten bereits entschieden, im konkreten Fall sie also bewusst abgelehnt hätte (dann aber wäre auch für eine "Berichtigung" kein Raum). Sollte hingegen das Landgericht den Posten "Gerichtskosten im außergerichtlichen Beweisverfahrens" schlicht übergangen haben, weil es der Meinung war, beim erstattungsberechtigten Beklagten seien gar keine solchen Kosten angefallen und das Problem ihrer Erstattungsfähigkeit stelle sich daher nicht, dann würde es gerade an einer gerichtlichen Entscheidung fehlen, an die das Landgericht gebunden sein könnte.

Über Zulässigkeit und Erfolg einer Nachliquidation im konkreten Fall ist jedoch nicht im Rahmen des vorliegenden Beschwerdeverfahrens gegen den angefochtenen Berichtigungsbeschluss zu befinden. Die Entscheidung über einen eventuellen Nachfestsetzungsantrag obläge vielmehr zunächst dem Landgericht in einem eigenen Nachliquidations-Verfahren. Das gilt sowohl für die Frage, ob unter den gegebenen Umständen der Beklagte seine Beweisverfahrens-Gerichtskosten überhaupt noch nachträglich anmelden kann, als auch für weitere Frage, in welcher Höhe sie im Rahmen der Kostenfestsetzung des Hauptsacheprozesses zu berücksichtigen sind.

III.

1) Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Gerichtsgebühren fallen nach Nr. 1953 KV ohnehin nicht an.

2) Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens entspricht dem Betrag der geltend gemachten Gerichtskosten im selbstständigen Beweisverfahren.

Ende der Entscheidung

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