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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 13.12.2000
Aktenzeichen: 4 W 4247/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 485
Rechtschutzbedürfnis für selbstständiges Beweisverfahren

1. Das Rechtsschutzbedürfnis für ein selbstständiges Beweisverfahren fehlt nicht schon dann, wenn das Bestehen des damit verfolgten Anspruchs unwahrscheinlich erscheint, sondern allenfalls dann, wenn die Sach- und Rechtslage völlig klar und eindeutig ist, so dass bei vernünftiger Betrachtung keinerlei Streit aufkommen kann.

2. Ein vorausgegangener Abgeltungs-Vergleich lässt das Rechtsschutzbedürfnis für das selbstständige Beweisverfahren jedenfalls dann nicht entfallen, wenn sich eine Vertragspartei auf die Unwirksamkeit öder Anpassungsbedürftigkeit des Vergleichs beruft.

3. Unzulässig ist das selbstständige Beweisverfahren, sofern der Beweisantrag keine konkreten Tatsachen beschreibt, sondern auf einen Ausforschungsbeweis hinaus läuft (konkret: Stellungnahme des Sachverständigen "zur Frage der Statik des gesamten Gebäudes").


4 W 4247/00 4 OH 49/00 LG Regensburg

Nürnberg, den 13.12.2000

In Sachen

Beschluss:

Tenor:

I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts Regensburg vom 9. August 2000 aufgehoben, soweit er die Anordnung eines selbstständigen Beweisverfahrens zu den Beweisthemen in Nrn. 1, 2 und 4 des Antrags vom 2. Juni 2000 in der Fassung vom 17. Juli 2000 abgelehnt hat.

II. Die neue Entscheidung über die in I bezeichneten Anträge - nach Maßgabe der in den nachfolgenden Beschluss-Gründen dargelegten Rechtsauffassung des Senats - wird dem Landgericht Regensburg übertragen.

III. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

IV. Der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt 20.000 DM.

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig (§ 567 ZPO). Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung an das Landgericht Regensburg (§ 575 ZPO).

I.

1) Das Landgericht hat die Anordnung eines selbstständigen Beweisverfahrens abgelehnt, weil die Antragstellerin kein rechtliches Interesse an der Beweissicherung habe. Zur Begründung beruft sich das Landgericht auf die Abfindungsvereinbarung vom 14. Januar 2000. Diese lasse den Schluss zu, dass mit der Zahlung des von der Landesgewerbeanstalt vorgeschlagenen Betrages alle Schäden, auf die sich das Gutachten bezog, abgegolten seien. Damit seien auch die Schäden, um deretwillen die Antragstellerin ein selbstständiges Beweisverfahren anstrebe, erledigt, sodass kein Raum für einen weiteren Schadensersatzanspruch der Antragstellerin bestehe.

Der Prognose, dass die Antragstellerin unter keinen rechtlichen Gesichtspunkten von der Antragsgegnerin eine weitere Entschädigung verlangen kann, vermag sich der Senat zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht anzuschließen. Die Antragstellerin trägt Gesichtspunkte vor, die es nicht von vornherein als aussichtslos erscheinen lassen, der Abfindungsvereinbarung vom 14. Januar 2000 nur eine begrenzte Reichweite beizumessen: Auch Vergleiche schaffen keinen Zustand, an dem unter keinen Umständen gerüttelt werden könnte und der ein für allemal unverrückbar feststünde. Das ergibt sich bereits aus § 779 BGB, wonach ein Vergleich unter bestimmten, wenn auch engen Voraussetzungen unwirksam sein kann. Speziell bei Abfindungsvereinbarungen könnte nach Treu und Glauben eine Anpassung des Vergleichs in Betracht kommen, sofern beide Parteien von irrigen Vorstellungen über den Schadensumfang ausgegangen sind (Palandt-Heinrichs, BGB, 59. Aufl., § 242 Rn 153). Darüber hinaus steht im konkreten Fall die Anfechtung des Vergleichs im Raum, unter anderem wegen (angeblich) arglistiger Täuschung (vgl. Schreiben der Antragstellerin vom 7. September 2000).

Ob die Einwendungen der Antragstellerin gegen einen umfassenden Abfindungsvergleich am Ende Erfolg haben werden, kann dahin stehen. Dies wird, falls sich die Meinungsverschiedenheiten nicht anderweitig erledigen, notfalls in einem eventuellen Rechtsstreit zu entscheiden sein. Jedenfalls ist es nicht Aufgabe eines selbstständigen Beweisverfahrens, diese rechtlichen Vorfragen zu klären oder die Würdigung der zwischen den Beteiligten umstrittenen Sach- und Rechtslage vorwegzunehmen (vgl. zur Rechtslage Zöller-Herget, ZPO, 22. Aufl., § 485 Rn. 7a; Werner-Pastor, Der Bauprozeß, 9. Auflage, Rn 34 ff.). Dies wäre allenfalls dann zulässig, wenn die Sach- und Rechtslage völlig eindeutig wäre und bei vernünftiger Betrachtung keinerlei Streit aufkommen ließe. So liegt der Fall hier aber nicht, unabhängig davon, ob man der (je nach Standpunkt versehentlichen oder bewussten) Bezugnahme auf die 1993-er Kanalverlegung den hohen Stellenwert beimisst, den ihr die Antragstellerin beizumessen scheint.

2) Unzulässig ist selbstständige Beweisverfahren jedoch, soweit der Sachverständige in seinem Gutachten "zu der Frage der Statik des gesamten Gebäudes" Stellung nehmen soll (Nr. 3 des Antrags). Das angegebene Beweisthema lässt keine konkreten "Tatsachen" erkennen, zu denen Beweis erhoben werden soll (§ 487 Nr. 2 ZPO), sondern läuft in seiner allgemein gehaltenen Formulierung auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinaus (vgl. hierzu Werner-Pastor, aaO., Rn. 54/56).

Sollten die von der Antragstellerin unter Beweis gestellten Mängel und Schäden darauf zurückzuführen sein, dass durch die Baumaßnahmen die Standsicherheit des Gebäudes beeinträchtigt wurde, so wären die in diesem Zusammenhang auftauchenden statischen Gesichtspunkte ohnehin bereits von der Aufgabenstellung zu den übrigen (zulässigen) Beweisthemen erfasst.

II.

Der Senat hält es für zweckmäßig, die Auswahl des Sachverständigen, die Festsetzung des Auslagenvorschusses und die endgültige Formulierung des Beschlusses dem für die Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens primär zuständigen Gericht zu überlassen. Gemäß § 575 ZPO hat er daher die Entscheidung über die noch offenen Anträge dem Landgericht übertragen.

III.

1) Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, auch nicht über die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Wenn und solange ein Hauptsacheprozess im Raum steht, bleibt die Entscheidung über eine eventuelle Erstattung von Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens grundsätzlich der Kostenfestsetzung im Hauptsacheprozess vorbehalten. Eine dem Beweisantrag stattgebende Entscheidung enthält deshalb in der Regel, keine Kostenentscheidung (OLG Hamm, MDR 2000, 790; Zöller-Herget, aaO., § 490 Rn 5; § 91 Rn 13 "Selbstständiges Beweisverfahren"; Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO, 59. Aufl., § 91 Rn 193; Thomas-Putzo, 22. Aufl., § 494 a Rn 5; Werner-Pastor, aaO., Rn 123 ff.). Ob die den gesamten Antrag ablehnende Entscheidung des Landgerichts Regensburg eine Kostenentscheidung hätte enthalten dürfen oder gar müssen (vgl. Zöller-Herget; aaO., § 91 Rn 13 "Selbstständiges Beweisverfahren"; Thomas-Putzo, aaO. Rn 6; Werner-Pastor, aaO., Rn 135), kann dahin stehen, da die vollständige Ablehnung des Beweisantrags durch die Beschwerdeentscheidung überholt ist.

Für die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat diese Rechtslage zur Folge, dass auch insoweit eine gerichtliche Entscheidung im Augenblick nicht veranlasst ist. Denn wenn in der angefochtenen Entscheidung selbst nicht über die Kosten zu entscheiden ist, dann unterbleibt eine Kostenentscheidung auch im Beschwerdeverfahren (Zöller-Gummer, aaO., § 575 Rn 39; Thomas-Putzo, aaO. § 575 Rn 6; Musielak/Ball, ZPO, § 575 Rn 8; Stein-Jonas-Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 575 Rn 11; Wieczorek-Steiner, ZPO, 3. Aufl., § 97 Rn 13; jedenfalls für die erfolgreiche Beschwerde im selbstständigen Beweisverfahren wohl auch Zöller-Herget, aaO. § 490 Rn 5).

Einer isolierten Teilkostenentscheidung hinsichtlich derjenigen Mehrkosten, die dem erfolglosen Teil der Beschwerde zuzuordnen sind, steht schon der Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung entgegen.

2) Der Wert des Beschwerdegegenstandes richtet sich nach dem Interesse der Beschwerdeführerin (§ 3 ZPO). Im Hinblick auf den von ihr veranschlagten Mindestschaden (S. 3 der Beschwerde) beziffert ihn der Senat auf 20.000 DM.

Ende der Entscheidung

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