Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 29.09.2005
Aktenzeichen: 5 W 1834/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 42
ZPO § 406 Abs. 1
Die Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen ist gerechtfertigt, wenn das beklagte Land wegen einer fehlerhaften medizinischen Behandlung in einer von ihm getragenen Universitätsklinik in Anspruch genommen wird, und der Gutachter dem medizinischen Fachbereich einer anderen Universität desselben Landes als wissenschaftlicher Mitarbeiter angehört.
5 W 1834/05

Nürnberg, den 29.9.2005

In Sachen

erläßt das Oberlandesgericht Nürnberg, 5. Zivilsenat, durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluss:

Tenor:

I. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 1. August 2005 abgeändert.

II. Die Ablehnung der Sachverständigen Dr. B, Dr. P und Dipl.-Phys. Dr. S wegen der Besorgnis der Befangenheit wird für begründet erklärt.

Die weitergehende Beschwerde der Klägerin wird als unzulässig verworfen.

III. Für das Beschwerdeverfahren wird keine Gebühr erhoben.

Gründe:

I.

Die am 16. April 1989 geborene Klägerin verlangt mit ihrer am 9. Februar 1999 eingereichten Klage vom Beklagten als Träger des Klinikums der F, Schadensersatz. Sie behauptet, im Zusammenhang mit einer am 29. April 1992 durchgeführten Herzoperation durch ein dabei eingesetztes Diathermiegerät Verbrennungen am Hinterkopf erlitten zu haben, die zu schweren Hirnschädigungen geführt hätten. Der Beklagte bestreitet u. a., dass die bei der Klägerin unstreitig vorhandenen Hirnschädigungen durch das Diathermiegerät ausgelöst worden sein können.

Im Termin vom 17. Juni 1999 einigten sich die Parteien darauf, zunächst einen Sachverständigen aus dem Bereich der Physik oder der Rechtsmedizin mit der Klärung der Frage zu beauftragen, ob rein theoretisch die Möglichkeit einer strombedingten Schädigung der Klägerin bestehe. Mit Beschluss vom 20. September 1999 beauftragte das Erstgericht dementsprechend den Leiter des Instituts für Rechtsmedizin der L, Herrn Prof. Dr. E mit der Beantwortung dieser Frage. Dieses Gutachten ging am 6. Dezember 2000 beim Landgericht ein. Es war jedoch in wesentlichen Teilen von dem am Institut des Sachverständigen Prof. Dr. E als Akadem. Rat tätigen Arzt Dr. P und dem ebenfalls dort beschäftigten Dipl.-Phys. Dr. S sowie dem als Akadem. Oberrat am Institut für Neuropathologie beschäftigten Facharzt Dr. B erarbeitet worden. Unter anderem deswegen kam es in der Folgezeit zu langwierigen Auseinandersetzungen um die von der Klägerin behauptete Befangenheit der beteiligten Sachverständigen und Richter.

Mit Verfügung vom 24. Juni 2005 kündigte das Landgericht an, es wolle die genannten Personen für einzelne Teilbereiche "ad personam" zu Sachverständigen ernennen und gab der Klägerin Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen. Die Klägerin widersprach dieser Absicht und lehnte die drei neu zu bestellenden Gutachter mit der Begründung als befangen ab, diese seien beim Beklagten beschäftigt.

Mit Beschluss vom 1. August 2005 genehmigte das Erstgericht unter Berufung auf § 4 04 Abs. 1, § 4 07 a Abs. 2 ZPO die Zuziehung der Sachverständigen Dr. P, Dr. B und Dipl.-Phys. Dr. S für Teilbereiche des Gutachtensauftrags und wies zugleich das Ablehnungsgesuch der Klägerin zurück. Gegen diesen ihr am 8. August 2005 zugestellten Beschluss richtet sich die am 22. August 2005 beim Landgericht eingegangene sofortige Beschwerde.

II.

Die sofortige Beschwerde ist unzulässig, soweit sie sich gegen die nachträgliche Ernennung der Dres. B, P und Dipl.-Phys. S zu Sachverständigen wendet, da es sich bei dem angefochtenen Beschluss insoweit um einen nicht selbstständig anfechtbaren Beweisbeschluss handelt (Zöller/Greger, ZPO, 25. Auflage, § 3 55 Rdnr. 7 und § 3 58 Rdnr. 4; Musielak/Stadler, ZPO, 4. Auflage, § 358 Rdnr. 3).

Im übrigen ist das Rechtsmittel zulässig (§ 406 Abs. 5 ZPO) und hat auch in der Sache Erfolg.

1. Das Ablehnungsgesuch ist nicht verspätet.

Nach § 406 Abs. 2 ZPO ist der Ablehnungsantrag spätestens zwei Wochen nach Verkündung des Beschlusses über die Ernennung des Sachverständigen zu stellen. Ernannt wurden die von dem Gesuch betroffenen Sachverständigen aber erst durch den Gerichtsbeschluss vom 1. August 2005.

Vorher hatten sie zwar ihr Spezialwissen zu dem Gutachten beigesteuert, waren dabei aber nur im Auftrag des Gerichtsgutachters Prof. Dr. E, nicht im Auftrag des Gerichts selbst tätig. Hilfskräfte des Sachverständigen können aber selbst nicht abgelehnt werden (OLG Zweibrücken MDR 1986, 417; Musielak/Huber, a. a. O., § 406 Rdnr. 2; Zöller/Greger, a. a. O., § 406 Rdnr. 2 und § 404 Rdnr. 1 a).

Bedenken gegen die Zulässigkeit des Ablehnungsantrags könnten eher unter dem Gesichtspunkt erhoben werden, dieser sei zu früh angebracht worden. Da die Klägerin mit ihrem Rechtsmittel jedoch dargetan hat, dass sie an dem Antrag festhält, hält der Senat das Ablehnungsgesuch für wirksam. Das Erstgericht hat hierüber auch in Form des Nichtabhilfebeschlusses bereits- entschieden.

2. Das Ablehnungsgesuch hat Erfolg, auch wenn der Senat selbst keinen Zweifel an der Unparteilichkeit der Sachverständigen hat. Denn es kommt insoweit nicht auf die Sicht des Gerichts an, sondern auf die der Partei.

Für die Ablehnung eines Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit genügt jede Tatsache, die bei dieser ein auch nur subjektives Misstrauen in die Unparteilichkeit des Sachverständigen vernünftigerweise rechtfertigen kann (BGH NJW 1975, 1363; NJW-RR 1987, 893; Zöller/Greger, a. a. O., Rdnr. 8). Lediglich bloße subjektive oder unvernünftige Gedankengänge der Antragstellerin würden ausscheiden (Musielak/Huber, a. a. O., Rdnr. 4).

Ein derartiger objektiver Grund, der geeignet ist in den Augen der Klägerin Zweifel an der Unparteilichkeit der Sachverständigen hervorzurufen, liegt nach Überzeugung des Senats hier in dem Beschäftigungsverhältnis der Sachverständigen zum Beklagten.

a) Es entspricht in der zivilprozessualen Rechtsprechung und Literatur seit jeher allgemeiner Meinung, dass die Besorgnis der Befangenheit gegenüber Arbeitnehmern einer Partei in der Regel berechtigt ist. Dieser Grundsatz wird, soweit die Frage besonders angesprochen wird, auch auf beamtete Kochschullehrer erstreckt (OLG München MDR 2002, 291; OLG Köln OLGR 2000, 16; OLG Hamburg MDR 1983, 412; Zöller/Greger, a. a. O.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 63. Auflage, § 406 Rdnr. 6, 8; Musielak/Huber, a. a. O., Rdnr. 7; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 26. Auflage, § 406 Rdnr. 2; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Auflage, § 406 Rdnr. 10; MünchKomm-ZPO/Damrau, ZPO, 2. Auflage, § 406 Rdnr. 5; Wieczorek, ZPO, 2. Auflage, § 406 Anm. A III a 1; Jessnitzer/Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 11. Auflage, Rdnr. 155; Müller, Der Sachverständige im gerichtlichen Verfahren, 3. Auflage, Rdnr. 229). Auch das Bundessozialgericht (NJW 1993, 3022) und der Bundesfinanzhof (NV 1989, 121) vertreten die Auffassung, Angehörige der Versorgungs- bzw. der Finanzverwaltung könnten in einschlägigen Verfahren wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.

Der Senat schließt sich dieser Auffassung, wie sie insbesondere in der sorgfältig begründeten Entscheidung des Arzthaftungssenats des Oberlandesgerichts München vom 21. Juni 2001 dargelegt ist, für die hier gegebene Konstellation an.

Die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, die eine Ablehnung eines Bediensteten der beklagten Körperschaft nur dann für gerechtfertigt hält, wenn er der Behörde angehört, deren Bescheid im jeweiligen gerichtlichen Verfahren überprüft werden soll (BVerwG NVwZ 1999, 184) überzeugt nicht. Sie berücksichtigt nicht genügend, dass es um die subjektive Sicht einer Partei geht. Diese wird sich kaum für die Zuordnung des als Sachverständigen tätigen Beamten zu einer bestimmten Behörde interessieren; aus ihrer nachvollziehbaren Sicht begutachtet auf den Streitfall bezogen ein Beschäftigter des beklagten F die Arbeit eines anderen Beschäftigten des selben F.

Der Arbeitsbereich der vom vorliegenden Ablehnungsgesuch betroffenen Gutachter hat auch inhaltliche Berührungspunkte mit dem Prozessgegenstand. Denn sie gehören wie die Ärzte, um deren angebliche Fehler es im Rechtsstreit geht, medizinischen Fakultäten bayerischer Universitäten an. Mit dem Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst haben alle auch die selbe vorgesetzte Behörde. Verschiedentlich vorgeschlagene Einschränkungen des oben erwähnten Grundsatzes (vgl. Leipold, a. a. O., Fn 40; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a. a. O.) spielen daher für die Entscheidung hier keine Rolle.

b) Die Besorgnis der Klägerin ist gerade deswegen nachvollziehbar, weil es sich hier um einen Arzthaftungsprozess handelt. In solchen Verfahren kommt es häufig, etwa bei der Frage, ob ein (grober) Behandlungsfehler vorliegt, auf Nuancen an, bei denen eine ungerechtfertigte Zurückhaltung oder verdeckte Rücksichtnahme durch die Prozessbeteiligten nur schwer zu erkennen ist (OLG München, a. a. O.). Die Patientenseite ist in besonderem Maße darauf angewiesen, dass der gutachtende Arzt sich nicht in sachlich nicht gebotener Weise von Verständnis und Rücksichtnahme für den ärztlichen Kollegen leiten lässt. Diese heikle Konstellation sollte daher von Bindungen und Loyalitäten, wie sie durch ein Dienst- und Beschäftigungsverhältnis geschaffen werden, möglichst freigehalten werden.

Es besteht auch keinerlei Notwendigkeit, in Arzthaftungsprozessen gegen den F Sachverständige zu beauftragen, die in dessen Diensten stehen.

Denn nicht nur an ... Universitäten, sondern auch an Krankenhäusern mit z. B. kommunalen oder kirchlichen Trägern sind hochqualifizierte Ärzte tätig, die als Gutachter in Betracht kommen. Diese Möglichkeit sollte dann auch genutzt werden.

Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zu den ebenfalls beim F beschäftigten Richtern.

Deren Zuständigkeit ergibt sich zwingend aus dem Gesetz. Sie können nicht ersetzt werden. Im übrigen sind sie von Verfassungswegen in ganz anderer Weise als die hier betroffenen wissenschaftlichen Mitarbeiter der L unabhängig.

c) Nach allem hält der Senat das Ablehnungsgesuch der Klägerin für gerechtfertigt und regt trotz der schon jetzt außergewöhnlich langen Prozessdauer an, einen neuen Gutachtensauftrag an einen außerhalb B tätigen Sachverständigen zu vergeben, der selbst Ober die nötige Sachkenntnis zur Beantwortung der Frage nach der Möglichkeit einer Schädigung des Gehirns der Klägerin durch ein Diathermiegerät verfügt, den Gutachtensauftrag daher selbst erfüllen und auf die teilweise mit Belegen aus der wissenschaftlichen Literatur gestützten Einwendungen der Klägerin eingehen kann.

Die Kostenentscheidung beruht darauf, dass das Rechtsmittel im wesentlichen Erfolg hat.

Ende der Entscheidung

Zurück