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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 12.06.2006
Aktenzeichen: 5 W 980/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 406 Abs. 1
Ein Sachverständiger kann wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn er für sein Gutachten einen bestimmten Geschehensablauf als praktisch ausgeschlossen behandelt, obwohl ihm das Gericht eigens aufgegeben hat, bei seiner gutachtlichen Stellungnahme von einer diesen Geschehensablauf bestätigenden Zeugenaussage auszugehen.
5 W 980/06

Nürnberg, den 12.6.2006

In Sachen

erläßt das Oberlandesgericht Nürnberg, 5. Zivilsenat, durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluss:

Tenor:

I. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Landgerichts Regensburg vom 10. Januar 2005 abgeändert.

II. Die Ablehnung des Sachverständigen Prof. Dr. T wegen der Besorgnis der Befangenheit wird für begründet erklärt.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt im vorliegenden, am 23. Oktober 2000 begonnenen Verfahren als Rechtsnachfolgerin ihres im Lauf des Rechtsstreits verstorbenen Vaters Schadensersatz, weil der Beklagte ihrer Meinung nach am 7. Februar 1999 als diensthabender Notarzt aufgrund unzureichender Untersuchung ihres über stärkste Kopfschmerzen klagenden Vaters ein Aneurysma der Gehirngrundschlagader übersehen habe. Am Folgetag sei es deshalb zu massiven Gehirnblutungen gekommen.

Das Landgericht hörte am 25. Oktober 2001 die Ehefrau des damaligen Klägers im Beisein des Sachverständigen als Zeugin zum Ablauf des fraglichen Arzttermins vom 7. Februar 1999 an. Dabei antwortete die Zeugin auf entsprechende Fragen des Sachverständigen ausweislich der Sitzungsniederschrift: "Die Kopf-beweglichkeit hat Herr W nicht getestet."

Mit Beschluss vom 8. November 2001 ordnete das Landgericht sodann die Erholung eines schriftlichen Gutachtens zu der Frage an, ob der Beklagte den damaligen Kläger aufgrund des sich ihm bietenden Symptombildes in eine Klinik einweisen hätte müssen. Zugleich wurde dem Sachverständigen aufgegeben in seinem Gutachten von den Angaben der Zeugin L auszugehen.

Gleichwohl führte der Sachverständige in seinem Gutachten vom 2. März 2002 zunächst aus: "Strittig ist, ob die Nackenbeweglichkeit (Meningismus) geprüft worden ist." Später heißt es dann im Gutachten: "In der Situation eines Patienten mit starken Kopfschmerzen, ist die Suche nach einem erhöhten Blutdruck, ... und ... die Abklärung einer Nackensteife so fundamental, dass man davon ausgehen muss, dass sie in einer standardisierten Untersuchung quasi automatisch durchgeführt werden. ". Dies ist mit Sicherheit jedem praktizierenden Arzt, der bei Notfallversorgung tätig wird, bekannt."

Nach Eingang des Gutachtens forderte das Landgericht die Parteien auf, etwaige Einwendungen gegen das Gutachten bis spätestens 8. April vorzubringen. Mit Schriftsatz vom 4. April 2002, eingegangen am 5. April 2002, lehnte der damalige Kläger daraufhin den Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung machte er vor allem geltend, der Sachverständige setze sich mit seinem schriftlichen Gutachten in Widerspruch zu seinen mündlichen Äußerungen am Ende des Termins vom 25. Oktober 2001. Damals habe er gesagt, wenn er seinem Gutachten die Aussage der Zeugin L zugrundelege, müsse er von einem Behandlungsfehler ausgehen. Obwohl das Gericht ihm ausdrücklich aufgegeben habe, von der Aussage der Zeugin L auszugehen, komme er nun im schriftlichen Gutachten zu dem Ergebnis, eine Sorgfaltswidrigkeit liege nicht vor. Auch nehme der Sachverständige unzulässigerweise eine rechtliche Würdigung vor, wenn er trotz der Aussage der Zeugin L die Frage als strittig behandle, ob der Beklagte die Nackenbeweglichkeit untersucht habe.

Der Sachverständige nahm zu dem Ablehnungsgesuch mit Schreiben vom 10.04.2002 wie folgt Stellung: "Ich ... halte es für unsinnig, auf die verschiedenen Vorwürfe der Rechtsanwälte K einzugehen. Insbesondere ist mir nicht erinnerlich, dass ich mich bereits in der Verhandlung vom 25.10.2001 hinsichtlich der Ergebnisse meines Gutachtens geäußert haben soll." Dabei übersah der Sachverständige offensichtlich, dass er sich bereits mit Schreiben vom 13. März 2001 zu einem vorprozessual eingeholten Gutachten gegenüber dem Landgericht Regensburg wie folgt geäußert hatte: "Auf Seite 9 des Gutachtens von Herrn Prof. G führt dieser aus: "Wenn man die Aussage der Ehefrau als absolut gegeben ansieht, muss man ... einen eindeutigen Behandlungsfehler ... annehmen." ... Dieser Meinung kann ich mich nach Durchsicht der Akten voll anschließen."

Mit Beschluss vom 10. Januar 2005, auf den Bezug genommen wird, wies das Landgericht das Ablehnungsgesuch zurück. Aus der Aussage im Gutachten, es sei streitig, ob die Nackenbeweglichkeit vom Beklagten geprüft worden sei, ergebe sich" keine Voreingenommenheit des Sachverständigen. Gegen diesen am 19. Januar 2005 zugestellten Beschluss legt die Klägerin am 31. Januar 2005 sofortige Beschwerde ein, der das Landgericht mit Beschluss vom 20. April 2006 nicht abhalf.

II.

Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist zulässig (§ 406 Abs. 5, §§ 567 ff. ZPO) und hat auch in der Sache Erfolg.

1. Das Ablehnungsgesuch ist rechtzeitig gestellt, weil es innerhalb der vom Gericht gesetzten Äußerungsfrist eingegangen ist.

Ergibt sich der Ablehnungsgrund erst aus dem Inhalt des Gutachtens, so ist er unverzüglich, d. h. innerhalb einer angemessenen Überlegungszeit ab Kenntniserlangung geltend zu machen. Die der Partei zuzubilligende Überlegungszeit ist dabei in der Regel nicht kürzer als die vom Gericht nach § 411 Abs. 4 ZPO gestellte Stellungnahmefrist (BGH NJW 2005, 1869; Thomas/Put zo/Reichold, ZPO, 27. Auflage, § 406 Rdnr. 7).

2. Das Ablehnungsgesuch ist auch begründet.

a) Nach § 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Insoweit genügt jede Tatsache, die ein auch nur subjektives Misstrauen der Partei in die Unparteilichkeit des Sachverständigen vernünftigerweise rechtfertigen kann (BGH NJW 1975, 1363; Zöl-ler/Greger, ZPO, 25. Auflage, § 406 Rdnr. 8).

Ein solches Misstrauen kann sich anerkanntermaßen u. a. aus dem Umgang des Sachverständigen mit dem Prozessstoff und dem daraus vom Gericht abgeleiteten Gutachtensauftrag ergeben. So waren Ablehnungsgesuche erfolgreich, weil der Sachverständige den Eindruck erweckt hatte, er halte eine streitige Behauptung zu Lasten einer Partei für erwiesen (OLG München NJW 1992, 1569) oder er schenke den Angaben des Gegners mehr Glauben (OLG Nürnberg VersR 2001, 391). Auch gegenüber Sachverständigen, die gegen richterliche Weisungen verstießen, ihre Befugnisse überschritten (§ 404 a ZPO) oder vom Beweisbeschluss abwichen, waren Ablehnungsgesuche erfolgreich (OLG Bamberg MedR 1993, 351; OLG München OLGR 1997, 10; OLG Celle NJW-RR 2003, 135; Zöller/Greger, a. a. O., Thomas/Putzo/Reichold, a. a. O. Rdnr. 2).

b) Das Verhalten des Sachverständigen Prof. Dr. T erfüllt mehrere der in der Rechtsprechung als Grundlage für eine Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit anerkannten Kriterien.

Prof. Dr. T hat sich bei seinem Gutachten nicht an den Beweisbeschluss gehalten. Er hat entgegen der ausdrücklichen Vorgabe des Gerichts seinem Gutachten nicht die Aussage der Zeugin L zugrundegelegt. Auch wenn die entscheidende Frage nach der Prüfung der Beweglichkeit des Kopfes zwischen den Parteien streitig ist, hätte der Sachverständige, der darüber hinaus deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass er den Angaben des Beklagten mehr Glauben schenkt als denen des damaligen Klägers, den Vorgaben des Gerichts Folge leisten müssen.

Selbst ohne die ausdrückliche Anweisung des Gerichts, dem Gutachten die Aussage der Zeugin L zu Grunde zu legen, wäre zumindest nach einer Beweisaufnahme die lapidare Feststellung des Sachverständigen, bestimmte Fragen seien (immer noch) streitig, nicht unproblematisch. Denn es ist allein Sache des Gerichts, zu entscheiden, ob die Beweisaufnahme zu einer Aufklärung geführt hat oder ob Beweislastregeln den maßgeblichen Sachverhalt bestimmen. Hat sich das Gericht, wie im vorliegenden Fall, aber ausdrücklich auf eine bestimmte Tatsachengrundlage festgelegt, ist eine Veränderung des so definierten Gutachtensauftrags durch den Sachverständigen gänzlich unvertretbar.

Der Sachverständige Prof. Dr. T begab sich hier auf das nach § 286 ZPO allein dem Gericht vorbehaltene Gebiet der Beweiswürdigung und überschritt damit die Grenzen seines Auftrags erheblich. Zwar zog er die Glaubwürdigkeit der Zeugin L nicht unmittelbar in Zweifel, er leugnete aber mit einer Begründung, die vereinfacht ausgedrückt darauf hinaus lief, ein Notfallarzt mache keine solchen gravierenden Fehler, die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage. Der Sachverständige ist zwar nicht gehalten, Zeugenaussagen, deren Inhalt aus seiner fachlichen Sicht nicht zutreffen kann oder doch gänzlich unwahrscheinlich ist, kommentarlos hinzunehmen. Er hat etwaige Bedenken dieser Art aber dem Gericht zu unterbreiten und kann den Inhalt seines Auftrags nicht eigenmächtig verändern. Es ist dann allein Sache des Gerichts, ob es auf Grund der Hinweise des Sachverständigen seine Beweiswürdigung korrigiert.

Der Sachverständige Prof. Dr. T. veränderte die tatsächliche Grundlage seines Gutachtens im weiteren Verlauf seiner Ausführungen jedoch noch weiter zu Lasten der Klägerin. Indem er es für praktisch ausgeschlossen erklärte, dass der Beklagte die streitige Untersuchung unterlassen haben könne, war er beim Gegenteil des ihm vom Gericht zur Begutachtung aufgegebenen Sachverhalts angelangt. Hatte ihm das Landgericht Regensburg aufgetragen, die Aussage der Zeugin L und damit die Nichtdurchführung der Prüfung der Kopfbeweglichkeit seiner wissenschaftlichen Beurteilung zu Grunde zu legen, so ging er letztlich davon aus, dass diese Prüfung routinemäßig stattgefunden hatte, weil ihre Unterlassung grob fehlerhaft gewesen wäre.

Es ist unter diesen Umständen nicht überraschend, dass der Sachverständige am Ende seines Gutachtens zu dem Ergebnis kam, der Beklagte habe nicht sorgfaltswidrig gehandelt.

Da dem Sachverständigen, wie u. a. sein oben erwähntes Schreiben vom 13. März 2001 zeigt, die zentrale Bedeutung der Aussage der Zeugin L für den Prozessausgang bewusst war, liegen nach Überzeugung des Senats gewichtige Gründe für ein mehr als nur subjektives Misstrauen der Klägerin gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen vor.

Die Ausführungen des Sachverständigen zur Bedeutung der Prüfung der Kopfbeweglichkeit erinnern im Übrigen an Formulierungen, mit denen der Bundesgerichtshof den "groben Behandlungsfehler" umschreibt (BGH NJW 1999, 802; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 4. Auflage., Anm. B 252 m. w. N.). Wenn der Sachverständige Prof. Dr. T insoweit Recht hat und wenn die Aussage der Zeugin L richtig ist, dann spricht viel dafür, dass dem Beklagten ein schwerwiegender Befunderhebungsfehler unterlaufen ist. Diese Frage braucht jedoch im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht entschieden zu werden.

Nebenentscheidungen sind nicht veranlasst, da die Beschwerde erfolgreich ist.

Ende der Entscheidung

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