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Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 22.12.2000
Aktenzeichen: 6 U 2402/00
Rechtsgebiete: BGB
Vorschriften:
BGB § 823 Abs. 1 |
Bei Glatteis kann ein Fußgänger grundsätzlich nicht damit rechnen, daß der Gehweg am Gehsteigrand gestreut ist.
Stürzt ein Fußgänger in diesem Bereich, spricht deshalb nach dem ersten Anschein die Vermutung nicht für eine Verletzung der Verkehrkehrssicherungspflicht.
Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES ENDURTEIL
6 U 2402/00 1 O 222/00 LG Weiden
Verkündet am 22. Dezember 2000
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In Sachen
hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. und die Richter am Oberlandesgericht und aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17. November 2000
für Recht erkannt:
Tenor:
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Weiden vom 19.5.2000 abgeändert.
II. Die Klage wird abgewiesen.
III. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V. Die Beschwer des Klägers wird auf DM 25.000,- festgesetzt.
Beschluß:
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 25.000,- DM festgesetzt.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Berufung des Beklagten ist begründet, denn der Kläger kann für die am 30.11.1998 erlittenen Sturzverletzungen vom Beklagten keinen Schadenersatz verlangen, weil der Kläger den Beweis nicht erbracht hat, daß ein Verstoß des Beklagten gegen die Verkehrssicherungspflicht schadensursächlich war (§ 823 BGB).
1. Der Kläger hat allerdings nachgewiesen, daß er infolge Eisglätte auf dem Gehweg vor dem Anwesen des Beklagten zu Fall gekommen ist. Auf die Entscheidungsgründe des Ersturteils wird Bezug genommen.
2. Der Senat geht ferner davon aus, das dem Beklagten als Eigentümer des anliegenden Hausgrundstücks für diesen Gehweg die allgemeine Verkehrssicherungspflicht oblag. Denn die Stadt B hatte durch die Verordnung vom 13.12.1996 die ihr obliegende Streupflicht in zulässiger Weise auf die Grundstücksanlieger abgewälzt (§ 9 der Verordnung; Art. 51 Abs. 5 BayStrWG; vgl. Palandt/Thomas, BGB, 59. Aufl., § 823 Rnr. 129; Zeitler, BayStrWG § 51 Rnr. 100; BGH NJW 67, 246).
3. Die Verkehrssicherungspflicht erforderte am Unfalltag auch ein Streuen mit abstumpfenden Mitteln, da Eisglätte durch überfrierenden Regen herrschte. Nach dem Gutachten des Deutschen Wetterdiensts, das Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Senat war, waren die Niederschläge am Morgen zwischen 6.00 Uhr und 9.30 Uhr bis auf kaum meßbare Werte zurückgegangen. Deshalb ist davon auszugehen, daß ein Streuen gegen 7.00 Uhr sowohl zumutbar als auch wirkungsvoll gewesen wäre.
4. Dahinstehen kann, ob der Beklagte an diesem Morgen -wie er behauptet und unter Beweis stellt- gestreut hat, da seine Streupflicht jedenfalls nicht den Gehwegrand, an dem sich nach der Klageschrift und der eigenen Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung der Sturz ereignet hatte, betraf.
a) Bei Glatteisunfällen sind allerdings die Regeln über den Anscheinsbeweis anwendbar, wenn der Verletzte innerhalb der zeitlichen Grenzen der Streupflicht zu Fall gekommen ist. In einem solchen Fall spricht nach dem ersten Anschein eine Vermutung dafür, daß es bei Beachtung der Vorschriften über die Streupflicht nicht zu den Verletzungen gekommen wäre, daß sich also in dem Unfall gerade diejenige Gefahr verwirklicht hat, deren Eintritt die Schutzvorschriften verhindern wollten (vgl. BGH JR 84, 247).
b) Die Regeln können aber keine Anwendung finden, wenn der Verletzte an einer Stelle gestürzt ist, an der mit einer Streuung nicht zu rechnen ist, weil sich die Streupflicht auf diesen Bereich nicht erstreckt.
So ist es hier:
Der Kläger hatte sein Postauto am rechten Straßenrand geparkt, ist an der Straßenseite ausgestiegen und um das Heck des Fahrzeugs herumgegangen, um zur rechten Seitentür zu gelangen. Dabei ist er zu Fall gekommen. Dies war im Bereich des Bordsteinrandes.
An dieser Stelle muß der Beklagte aber nicht streuen, auch wenn es in der Verordnung der Stadt B heißt, die Sicherungsfläche sei die Gehbahn (§ 11 der Verordnung) und wenn damit die ganze Gehsteigbreite gemeint wäre. Die Verkehrssicherungspflicht kann dem Anlieger nämlich nur im Rahmen des Zumutbaren übertragen werden (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH NJW 72, 903; NJW 75, 444). Das bedeutet, daß bei Gehwegen ohne besondere Verkehrsbedeutung -also in Fällen wie hier- unabhängig von der Formulierung der Verordnung nicht der Gehweg in voller Breite zu streuen ist, sondern nur ein Streifen, der es zwei Fußgängern gestattet, vorsichtig aneinander vorbeizukommen, also ein Streifen von 1 m bis 1,20 m Breite (vgl. OLG Bamberg NJW 75, 1787 m.w.N.). Damit ist allerdings keine Bestimmung getroffen, an welcher Stelle dieser Streifen zu streuen ist. Ausgangspunkt ist ja, daß es sich um Fußgängerverkehr handelt, der sich entlang der Straße bewegt. Der Fußgänger wird sich deshalb an die Gehbahn halten, die gestreut ist.
Allerdings ist bei einem Gehweg von ca. 2,40 m Breite wie vorliegend in der mündlichen Verhandlung aufgrund des von den Parteien als richtig erkannten Fotos -mit eingelegtem Maßstab ersichtlich- ein Streuen entlang des Gehwegrandes nicht sachgerecht und nicht zu erwarten, da ein Begegnungsverkehr zwischen Fußgängern am Gehsteigrand eine unzumutbare Gefahrenerhöhung durch die Bordsteinkante bedeuten würde. Dies hat zur Folge, daß jedenfalls in diesem Bereich mit einer Gehwegstreuung nicht zu rechnen war, die Regeln des Anscheinsbeweises sich deshalb nicht auf diesen Bereich erstrecken.
Es kann auch nicht die Forderung erhoben werden, der Kläger hätte von seiner Haustür quer bis zum Gehsteig einen Fußweg für parkende Kraftfahrer streuen müssen. Solche Regeln gelten nur für Bushaltestellen und Überwege (vgl. BGH DB 67, 1553).
Damit ist nicht erwiesen daß eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch den Beklagten ursächlich für den Unfall war. Auf die Frage der Schadenshöhe und eines etwaigen Mitverschuldens des Klägers kommt es deshalb nicht mehr an.
II.
Nebenentscheidungen:
Kosten: § 91 ZPO.
Vollstreckbarkeit: § 708 Nr. 10 ZPO.
Beschwer: § 546 Abs. 2 ZPO.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 546 Abs. 1 ZPO.
Ende der Entscheidung
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