Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 22.12.2000
Aktenzeichen: 6 U 3021/00
Rechtsgebiete: BGB, StVO


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 2
StVO § 3 Abs. 1 S. 2
StVO § 25 Abs. 3 S. 1
Zu den Voraussetzungen, wann ein Fußgänger eine Fahrbahn in Etappen überqueren darf.
Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

6 U 3021/00 1 O 207/00 LG Weiden

Verkündet am 22. Dezember 2000

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstele

In Sachen

hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. und die Richter am Oberlandesgericht und aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 8. Dezember 2000

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts Weiden vom 11. Juli 2000 abgeändert und wie folgt neu gefaßt:

1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger 15.000,-- DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit 3. März 2000 und weitere 249,82 DM zu bezahlen.

2. Es wird festgestellt, daß die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche künftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall vom 2. Dezember 1999 zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

3. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung des Klägers und die Berufung der Beklagten werden zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V. Die Beschwer der Parteien liegt unter dem Betrag von 60.000,-- DM.

Beschluß:

Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 25.403,34 DM festgesetzt.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist im wesentlichen begründet, die der Beklagten ist unbegründet. Die Beklagten sind dem Kläger in voller Höhe zum Schadensersatz aus dem Verkehrsunfall vom 2. Dezember 1999 verpflichtet (§ 823 Abs. 1, 249 ff., 847 BGB, § 3 Abs. 1 Ziffer 1 Pflichtversicherungsgesetz).

I.

Der Beklagte hat den Verkehrsunfall vom 2. Dezember 1999 verschuldet. Mit dem Landgericht geht der Senat davon aus, daß der Beklagte den Unfall dadurch verursacht hat, daß er durch nicht den Sichtverhältnissen angepaßte Geschwindigkeit oder Unaufmerksamkeit den Kläger, der als Fußgänger in der Straßenmitte stand und den Verkehr der Gegenfahrbahn abwartete, um die Straße vollends zu überqueren, übersehen und deshalb angefahren hat. Der Senat bezieht sich deshalb insoweit auf die Entscheidungsgründe des Erstgerichts. Im übrigen sprechen für die Bekundung des Klägers über den Hergang des Unfalls auch die eigenen Erklärungen des Beklagten im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht W 6 Js 13591/99 - Blatt 6. Diese Verfahrensakten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Danach hat der Beklagte angegeben, den Kläger erst unmittelbar vor dem Anstoß an der Straßenmitte stehen gesehen zu haben. Der Beklagte hat damit auch den Unfall verschuldet, denn er durfte nur so schnell fahren, daß er innerhalb der überschaubaren Strecke Hindernisse erkennen und vor ihnen anhalten konnte (§ 3 Abs. 1 S. 2 StVO) und er mußte gemäß § 1 StVO seine Aufmerksamkeit der Fahrbahn zuwenden und auch auf querende Fußgänger achten (vgl. BGH NJ'W 53, 1066, BGH VersR 873, BGH NJW 84, 50).

II.

Der Kläger muß sich auch kein Mitverschulden anrechnen lassen.

Er hat die Fahrbahn allerdings nicht in einem Zug überquert, sondern ist zunächst bis zur Mitte gegangen und dann stehengeblieben, um den von rechts kommenden Verkehr abzuwarten. Dort ist er stehend von dem von hinten links herannahenden Beklagtenfahrzeug erfaßt worden. Dieses Fahrzeug war noch nicht in Sicht gewesen, als der Kläger die Fahrbahn betreten und zur Mitte überquert hatte.

Durch dieses Verkehrsverhalten hat der Kläger nicht gegen seine Pflicht verstoßen, die Fahrbahn zügig unter Beachtung des Fahrzeugverkehrs zu überqueren (§ 25 Abs. 3 S. 1 StVO). Denn diese sogenannte Etappenüberquerung ist dem Fußgänger in bestimmten Verkehrssituationen gestattet (vgl. BGH VM 61, 6; BGH VersR 66, 873). Eine solche Situation war im vorliegenden Fall gegeben. Es handelt sich um eine belebte innerörtliche Straße mit Ladengeschäften auf beiden Seiten. Zur Unfallzeit (17.20 Uhr) herrschte abendlicher Berufs- und Geschäftsverkehr; die Straße war an der Unfallstelle durch Peitschenleuchten beleuchtet; sie war durch eine durchbrochene Mittellinie sichtbar in Fahrbahn und Gegenfahrbahn geteilt; Kreuzung oder Fußgängerüberwege waren nicht in der Nähe.

Bei diesen Gegebenheiten kann dem Kläger nicht vorgeworfen werden - da sich von links kein Fahrzeug näherte -, zunächst bis zur Mitte der Fahrbahn gegangen zu sein, um dort das Passieren des Gegenverkehrs abzuwarten und dann die Straße vollends zu überqueren.

Dem steht auch nicht das in NJW 84, 50 veröffentlichte Urteil des BGH entgegen, das sich mit den Pflichten eines Fußgängers beim Überqueren einer 7 m breiten Straße befaßt. Denn in dem dort entschiedenen Fall handelte es sich um eine außenörtliche, an dieser Stelle nicht beleuchtete Straße, bei der mit schnell fahrenden und überholenden Kraftfahrzeugen zu rechnen war, die zudem an dieser Stelle keine querenden Fußgänger erwarten mußten. Außerdem war der Fußgänger dort mit einem von rechts kommenden Kraftfahrzeug kollidiert, das für ihn bei Betreten der Fahrbahn bereits sichtbar war.

Im vorliegenden Fall war das Beklagtenfahrzeug bei Betreten der Fahrbahn nicht sichtbar, es handelte sich um eine innenörtliche, beleuchtete Straße, mit querenden Fußgängern war angesichts der Geschäftslage und Geschäftszeit zu rechnen.

Selbst wenn von einem geringen Mitverschulden des Klägers auszugehen wäre, träte aber dies hier in jedem Fall gegenüber dem Verschulden des Beklagten zurück, der infolge grober Unaufmerksamkeit den Kläger übersehen hatte.

Zur Schadenshöhe

1. Schmerzensgeld:

Der Senat bezieht sich vollinhaltlich auf die Ausführungen des Erstgerichts zum Umfang der Verletzungen und deren Folgen. Da ein Mitverschulden des Klägers nicht angenommen wird, ist der Betrag von 15.000,-- DM als Schmerzensgeld als angemessen zu erachten (§ 287 ZPO).

2. Der vom Erstgericht anerkannte und unstreitige Sachschadensbetrag von 249,82 DM ist in voller Höhe zu leisten.

3. Ebenso erfaßt der gemäß § 256 ZPO gegebene Feststellungsanspruch den gesamten materiellen und immateriellen Zukunftsschaden.

4. Unbegründet ist die Klage - wie schon das Erstgericht ausführt - hinsichtlich der Attestkosten. Diese sind im Kostenfestsetzungsverfahren vor dem Prozeßgericht geltend zu machen. Ein Rechtsschutzbedürfnis für die streitige Klage besteht deshalb insoweit nicht.

III.

Nebenentscheidungen:

Kosten: § 92 Abs. 2, 97 ZPO.

Vollstreckbarkeit: § 708 Nr. 10 ZPO.

Beschwer: § 546 Abs. 2 ZPO.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 546 Abs. 1 ZPO).

Ende der Entscheidung

Zurück