Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 02.02.2005
Aktenzeichen: 6 U 3751/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 166 Abs. 1
BGB § 241 Abs. 2
BGB § 280
BGB § 311 Abs. 2
Der Verkäufer eines Grundstücks ist verpflichtet, den Käufer darüber zu unterrichten, daß sich im Boden große Erdtanks befinden, welche die Grundstücksnutzung behindern können.

Unterläßt es eine juristische Person, das vorhandene Wissen über solche Erdtanks aktenmäßig festzuhalten und das aktenmäßige Wissen vor einem Grundstücksverkauf abzurufen, ist die unterbliebene Unterrichtung des Käufers über die bauliche Altlast als arglistig anzusehen.


Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES ENDURTEIL

6 U 3751/03

Verkündet am 2. Februar 2005

In Sachen

hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Postler, den Richter am Oberlandesgericht Breitinger und die Richterin am Oberlandesgericht Bayerlein aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22. Dezember 2004

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts Weiden vom 2.9.2003 abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 768.409,83 EUR zu zahlen nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16.12.2004 und Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 681.325,52 EUR vom 26.4.2003 bis 15.12.2004, Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Anwesens W, B-P-S 33, vorgetragen im Grundbuch des Amtsgerichts W für W Band 221 Blatt 7922, sowie Zug um Zug gegen Abtretung etwaiger Ansprüche des Klägers gegen das Finanzamt W auf Rückerstattung gezahlter Grunderwerbssteuer.

II. Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche darüber hinausgehenden Schäden zu ersetzen, die aus der Rückabwicklung des Kaufvertrags betreffend das Anwesen W, B-P-S 33, resultieren.

III. Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

IV. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Beschluß:

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 868.409,83 EUR (768.409,83 EUR + 100.000 EUR) festgesetzt.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Rückabwicklung eines Kaufvertrags über ein Grundstück. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Zuchtverband für Fleckvieh in der O, Abteilung N war Eigentümer eines bebauten Grundstücks in der Innenstadt von W. Er unterhielt dort seit etwa 1957 eine Tankanlage für den Eigenverbrauch, die aus einem unterirdisch im Hof eingebauten Behälter für 3000 Liter Benzin und einer oberirdisch angebrachten Zapfapparatur bestand. Im Erdreich des Hofes befand sich ferner ein Tank für 13000 Liter Heizöl.

Etwa im Jahr 1969 wurden beide Tanks stillgelegt. Sie verblieben im Boden.

Im Jahr 1991 wurde der Zuchtverband für Fleckvieh in der O, Abteilung N, aufgelöst. Ebenfalls aufgelöst wurde ein solcher Zuchtverband, Abteilung S. Vermögen, Personal und sachliche Einrichtungen der beiden Verbände gingen auf den Beklagten über, der zur gleichen Zeit gegründet wurde.

Der Beklagte verkaufte das Grundstück mit Vertrag vom 23. Januar 1996 an den Kläger. Eine Haftung für Sachmängel wurde ausgeschlossen. Der Beklagte versicherte jedoch, daß ihm verborgene Mängel nicht bekannt seien.

Mit Anwaltsschreiben vom 27.8.2001 teilte der Kläger dem Beklagten mit, er habe mittlerweile von der früher auf dem Grundstück betriebenen Tankstelle erfahren. Da ihm dieser Umstand verschwiegen worden sei, fechte er den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung an und fordere Wandelung.

Der Kläger hat den Beklagten auf Zahlung von 681.325,52 EUR Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des verkauften Grundstücks in Anspruch genommen. Seine Klage hat das Landgericht Weiden mit Endurteil vom 2.9.2003 abgewiesen. Es hat Arglist auf Seiten des Beklagten verneint. Der Zeuge W, der zum Zeitpunkt des Verkaufs 1. Vorsitzender des Beklagten war und für diesen bei der Beurkundung auftrat, habe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nichts, von den Erdtanks und der früheren Eigenverbrauchstankstelle gewußt. Eine Zusicherung ins Blaue hinein hinsichtlich verborgener Mängel habe der Zeuge nicht abgegeben, da er sich ausreichend informiert habe. Arglist könne auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Wissenszurechnung bejaht werden, weil man zum Zeitpunkt der Stillegung der beiden Tanks für die Altlastenproblematik weniger als heute sensibilisiert gewesen sei, weshalb damals kein Anlaß bestanden habe, das Wissen um die frühere Tankstelle und die im Boden verbliebenen Tanks dauerhaft zu speichern.

Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerechte Berufung des Klägers, der nunmehr einen Betrag von 768.409,83 EUR und die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für weitergehenden Schaden begehrt.

Der Kläger behauptet, daß der Boden des Grundstücks durch Öl und Benzin verunreinigt sei; zumindest bestehe der Verdacht einer durch den früheren Tankstellenbetrieb und die im Erdreich verbliebenen Behälter verursachten Bodenkontamination, was schon für sich allein einen Sachmangel darstelle. Sowohl hierüber als auch über die Existenz der Tanks überhaupt habe er vor Abschluß des Kaufvertrags aufgeklärt werden müssen.

Die unterbliebene Aufklärung sei dem Beklagten schon deshalb anzulasten, weil der Zeuge W ohne ausreichende Erkundigung und ins Blaue hinein zugesichert habe, daß dem Beklagten keine verborgenen Mängel bekannt seien. Selbst wenn der Zeuge nichts von der Existenz der Erdtanks und der früheren Tankstelle gewußt haben sollte, sei dem Beklagten arglistiges Verschweigen vorzuwerfen, da noch schriftliche Unterlagen über die frühere Nutzung vorhanden gewesen seien. Zumindest komme man nach den Grundsätzen über die Wissenszurechnung zur Bejahung von Arglist.

Im Rahmen der Rückabwicklung könne der Kläger die Differenz zwischen den für das Grundstück getätigten Aufwendungen (bis Anfang Dezember 2004: 1.199.414,96 EUR) und den erzielten Einnahmen (bis Anfang Dezember 2004: 431.005,13 EUR) verlangen. Bis zu der tatsächlichen Rückabwicklung sei mit weiteren Verlusten zu rechnen. Daß der Kläger von 1996 bis 2002 durch den Erwerb des Grundstücks einkommenssteuerliche Vorteile von insgesamt 15.072,82 EUR gehabt habe, könne außer Betracht bleiben, weil damit zu rechnen sei, daß bei einer Rückabwicklung eine zusätzliche Steuer von mehr als 23.000,-- EUR anfalle.

Der Kläger stellt folgenden Antrag:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 768.409,83 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus 681.325,52 EUR ab Klageerhebung, aus 87.084,31 EUR ab Zustellung des Schriftsatzes vom 10.12.2004 zu bezahlen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Anwesens B-P-S 33, W, vortragen im Grundbuch des Amtsgerichts W für W, Band 221, Blatt 7922.

2. Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche darüber hinausgehenden Schäden zu ersetzen, die aus der Rückabwicklung des Kaufvertrages des Anwesens B-P-S 33, W vorgetragen im Grundbuch des Amtsgerichts W für W, Band 221, Blatt 7922, resultieren.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen und die Klage hinsichtlich der in 2. Instanz vorgenommenen Erweiterung abzuweisen.

Er beruft sich auf den vereinbarten Gewährleistungsausschluß. Außerdem liege kein Mangel vor, da keine Bodenkontamination bestehe, die Erdtanks ordnungsgemäß stillgelegt worden seien und ihr Vorhandensein die Grundstücksnutzung nicht beeinträchtige.

Arglist könne dem Beklagten nicht vorgeworfen werden, da dieser erstmals, durch das Anfechtungsschreiben vom 27.8.2001 von der Angelegenheit erfahren habe. Noch vorhandene Unterlagen seien nicht ohne weiteres greifbar gewesen. Der Zeuge W habe sich vor dem Verkauf durch eine Ortsbesichtigung und Erholung eines Wertgutachtens ausreichend über den Zustand des Grundstücks informiert.

Zahlungsansprüche könne der Kläger im übrigen nur in Höhe der Kosten für die Beseitigung etwa vorhandener Mängel erheben.

Beweis ist in 2.Instanz nicht erhoben worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Verhandlungsprotokolle vom 2.9.2003 (Bl.60-67 d.A.), 27.10.2004 (Bl.121-124 d.A.) sowie 22.12.2004 (Bl.155-158 d.A.), das angefochtene Urteil (Bl.69-76 d.A.) und die gewechselten Schriftsätze samt deren Anlagen,

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist weitgehend begründet. Der Kläger kann vom Beklagten die begehrte Summe verlangen. Neben der im Klageantrag bereits berücksichtigten Rückabwicklung der Übertragung des Grundstücks hat er dem Beklagten allerdings noch etwaige Ansprüche auf Erstattung von Grunderwerbssteuer abzutreten. Der Feststellungsantrag ist zulässig und begründet.

I.

Auf den Sachverhalt sind die bis 31.12.2001 geltenden bürgerlich-rechtlichen Vorschriften anzuwenden (Art.229 § 5 EGBGB).

II.

Der Kläger kann wegen Verschuldens beim Vertragsschluß Rückabwicklung des Kaufvertrags beanspruchen.

1. Der Beklagte wäre verpflichtet gewesen, den Kläger bei den Verkaufsverhandlungen darüber aufzuklären, daß im Hof des Grundstücks zwei große Erdtanks belassen worden waren.

Das Vorhandensein der Behälter im Boden war für einen Kaufinteressenten nicht erkennbar. Unabhängig von der Frage einer Kontamination des Erdreichs war allein schon die Existenz der Erdtanks ein zu offenbarender Umstand, weil die Grundstücksnutzung dadurch behindert werden, kann und die Entfernung teuer und aufwendig wäre. Eben im Hinblick auf die Kosten hat der Rechtsvorgänger des Beklagten ja auch davon abgesehen, die nicht mehr benötigten Tanks ausbauen zu lassen. Bereits die Existenz solcher "baulichen" Altlasten ist ein Umstand, auf den ein Kauf Interessent hinzuweisen ist (vgl. BGH NJW-RR 89, 650 und OLG Köln ZIP 00, 1486).

2. Daß der Kläger über das Vorhandensein der Erdtanks nicht informiert wurde, begründet den Vorwurf arglistigen Verschweigens durch den Beklagten.

Dabei ist nicht ausschlaggebend, daß dem Zeugen Vorgeschichte nicht bekannt war und beim Beklagten vorhandene Unterlagen über die frühere Grundstücksnutzung nicht ohne weiteres greifbar waren. Der Beklagte muß sich nämlich nach den Grundsätzen über die Wissenszurechnung (vgl. BGH Z 132, 30 und BGH NJW 01, 359) so behandeln lassen, als habe der Zeuge W Kenntnis über die Existenz der Erdtanks gehabt. Bereits zum Zeitpunkt der Stillegung der Tanks war klar, daß deren Vorhandensein Bedeutung erlangen konnte, sei es bei künftigen baulichen Maßnahmen, aber auch schon bei der Verlegung von Leitungen im Hof. Damit wäre die Beklagte gehalten gewesen, das vorhandene Wissen aktenmäßig so zu speichern, daß es im Bedarfsfall verfügbar gemacht werden konnte. Weiterhin wäre vom Zeugen W zu erwarten gewesen, daß er sich aus Anlaß des Verkaufs nicht nur oberflächlich durch Besichtigung und Wertgutachten über das Objekt informiert, sondern auch das beim Beklagten gespeicherte Aktenwissen abruft. Hätte er das getan, wäre ihm bei einer ordnungsgemäßen Organisation die eine Aufklärungspflicht begründende Vorgeschichte bekannt geworden. Das muß sich der Beklagte zurechnen lassen. Daß der Beklagte selbst erst 1991 gegründet wurde, ändert daran nichts, weil er Personal und Sachmittel des Vorgängerverbands übernommen hat.

3. Es ist davon auszugehen, daß der Kläger den Kaufvertrag nicht so wie geschehen abgeschlossen hätte, falls bei den Verkaufsgesprächen von den stillgelegten Erdtanks die Rede gewesen wäre. Die Verletzung vorvertraglicher Sorgfaltspflichten war damit ursächlich für den Vertragsabschluß.

4. Durch den Grundstückskauf ist dem Kläger ein Schaden entstanden. Das Geschäft war für ihn wirtschaftlich nachteilig, weil die vorhandenen negativen Umstände in die Bemessung des Kaufpreises nicht eingeflossen sind. Das mit dem Vorhandensein der Erdtanks verbundene Risiko wurde ohne Ausgleich auf den Kläger verlagert.

5. Aufgrund des ihm danach zustehenden Schadensersatzanspruchs kann der Kläger verlangen, so gestellt zu werden, als ob er den für ihn nachteiligen Vertrag nicht geschlossen hätte.

Er kann daher Erstattung des Kaufpreises und seiner sonstigen Aufwendungen beanspruchen, muß sich aber andererseits die erlangten Vorteile anrechnen lassen und das Grundstück zurückgeben (vgl. BGH-LM Nr. 47 zu § 123 BGB). Dem entsprechen die Schadensberechnung des Klägers und die gestellten Anträge mit der Einschränkung, daß der Kläger als weitere Gegenleistung den Anspruch auf Erstattung der Grunderwerbssteuer abzutreten hat. Die vom Kläger angesetzten Rechnungspositionen betreffen Aufwendungen, die bei der Ermittlung des Schadens zu berücksichtigen sind; die Zahlungsvorgänge als solche bestreitet der Beklagte nicht.

Erlangte Vorteile bei der Einkommenssteuer muß sich der Kläger nicht schadensmindernd anrechnen lassen. Er hat die Schadensersatzleistung zu versteuern, wie die mit Schriftsatz vom 17.11.2004 vorgelegte Verfügung der OFD Frankfurt deutlich macht. Damit unterbleibt eine Anrechnung der zunächst erzielten Steuervorteile (vgl. BGH Z 74, 114); umgekehrt wird der Kläger bei einer künftigen Abrechnung die auf eine Schadensersatzleistung anfallende Einkommenssteuer nicht dem Beklagten anlasten können. Einen etwa bestehenden Anspruch auf Rückerstattung der Grunderwerbssteuer muß der Kläger an den Beklagten abtreten (vgl. BGH NJW 93, 1703).

Die geschuldete Summe ist gemäß § 291 BGB. zu verzinsen.

6. Da bis zu einer tatsächlichen Rückabwicklung mit weiteren Verlusten des Klägers zu rechnen ist, war auch die begehrte Feststellung zu treffen.

III.

Nebenentscheidungen: §§ 92 Abs. 2, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die in § 543 ZPO bezeichneten Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

Zurück