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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 01.06.2001
Aktenzeichen: 6 U 93/01
Rechtsgebiete: BGB, StVG, BayRDG


Vorschriften:

BGB § 839 Abs. 2
StVG § 7
StVG § 18 Abs. 1
BayRDG Art. 18
1. Verursacht der Führer eines Rettungswagens einen Verkehrsunfall, so kann er -- da er ein öffentliches Amt ausübte -- nicht persönlich in Anspruch genommen werden. Dies gilt auch für seine Haftung als Kraftfahrzeugführer gem. StVG.

2. Der verschuldensabhängige Anspruch ist gegen den Staat zu richten, nicht gegen die freiwillige Hilfsorganisation (hier: J U e.v.), von der die Fahrt durchgeführt wurde.

3. Die Hilfsorganisation kann allerdings als Halterin des Rettungswagens unmittelbar gemäß § 7 StVG in Anspruch genommen werden.


Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES ENDURTEIL

In Sachen

hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht und aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 1. Juni 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung des Beklagten zu 1) wird das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 28. November 2000 dahin abgeändert, daß die Klage abgewiesen wird, soweit sie sich gegen den Beklagten zu 1) richtet.

II. Die Berufungen der Beklagten zu 2) und 3) und die Berufung des Klägers werden zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger die Hälfte der Gerichtskosten und seiner eigenen außergerichtlichen Kosten, sowie 30 % der außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) und 3) und in voller Höhe die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1).

Die übrigen Kosten tragen die Beklagten zu 2) und 3) als Gesamtschuldner.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V. Die Beschwer des Klägers beträgt 5.705,-- DM, die der Beklagten zu 2) und 3) beträgt 13.288,30 DM.

Beschluß:

Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 18.993,30 DM.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten zu 1) ist begründet, da er nicht persönlich haftet. Die übrigen Berufungen sind unbegründet.

I.

Der Beklagte zu 1) hat den streitgegenständlichen Verkehrsunfall fahrlässig verschuldet. Er war unter Inanspruchnahme von Sonderrechten gemäß § 35 Abs. 5 a StVO mit seinem Rettungswagen in die Kreuzung der Straße "A" mit der S. S. bei Rotlicht eingefahren und hatte dem von rechts kommenden bei Grünlicht in die Kreuzung einfahrenden Kläger die Vorfahrt genommen, so wie es das Erstgericht in den Entscheidungsgründen unter I dargestellt hat.

1. Entgegen der Auffassung des Erstgerichts haftet er allerdings hierfür nicht, da ihm das Haftungsprivileg des § 839 Abs. 2 BGB zur Seite steht, denn er hat in Ausführung eines öffentlichen Amtes gehandelt. Ob ein bestimmtes Verhalten einer Person als Ausübung eines öffentlichen Amtes anzusehen ist, bestimmt sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs danach, ob die eigentliche Zielsetzung, in deren Sinn die Person tätig wurde, hoheitlicher Tätigkeit zuzurechnen ist, und ob bejahendenfalls zwischen dieser Zielsetzung und der schädigenden Handlung ein so enger äußerer und innerer Zusammenhang besteht, daß die Handlung ebenfalls noch als dem Bereich hoheitlicher Tätigkeit angehörend angesehen werden muß. In Fällen, in denen es um die Amtshaftung für eingeschaltete Hilfspersonen geht, ist darauf abzustellen, ob die Tätigkeit der Hilfspersonen unmittelbar in den hoheitlichen Aufgabenbereich, der haftenden Körperschaft fällt (vgl. BGH NJW 91, 2954). Dies ist bei Hilfspersonen/die im rettungsdienstlichen Einsatz tätig sind, gegeben, wenn dieser Rettungsdienst öffentlich-rechtlich organisiert ist.

Dies ist in Bayern der Fall:

Der Rettungsdienst ist öffentlich-rechtlich organisiert (Art. 18 des Bay. Rettungsdienstgesetzes (BayRDG). Die eingerichteten Rettungsleitstellen lenken die Einsätze des Rettungsdienstes und können den im Rettungsdienst tätigen Personen Weisungen erteilen (Art. 20 Abs. 3 S. 1 und 2 BayRDG). Die Kosten Von Anschaffungen werden vom Staat erstattet (Art. 23 Abs. 1 BayRDG). Die Rettungsdienstbereiche und der Standort der Rettungsleitstellen werden vom Staatsministerium des Inneren durch Rechtsverordnung bestimmt (Art. 18 Abs. 2 BayRDG). Diese vom BGH (vgl. a.a.O.) aufgestellten Kriterien gelten damit auch für das Bundesland Freistaat Bayern (vgl. auch BGH NJW 93, 1526). Liegen diese Voraussetzungen vor, so handelt auch ein Mitarbeiter einer freiwilligen. Hilfsorganisation in Ausübung eines Amtes, wenn dieser die Durchführung der Aufgaben des Rettungsdienstes übertragen ist (vgl. BGH a.a.O.). Diese Umstände liegen hier vor. Der Beklagte zu 2) J U e.V. ist eine der beauftragten freiwilligen Hilfsorganisationen (Art. 19 Abs. 1 Nr. 4 BayRDG).

Dieses Haftungsprivileg zu Gunsten des Beklagten zu 1; gilt auch, soweit er nach dem Straßenverkehrsgesetz (§ 18 StVG) haftet, da auch diese Haftung des Kfz-Führers von dessen Verschulden abhängt (vgl. BGH NJW 92, 2884).

Haftende Körperschaft ist damit allerdings nicht der Beklagte zu 2) (vgl. BGH NJW 97, 2109). Der Beklagte zu 2) haftet aber als Halter gemäß § 7 StVG. Denn für die Halterhaftung gilt das Haftungsprivileg des § 839 nicht (vgl. BGH NJW 92, 2884).

II.

Soweit die Haftung der Beklagten zu 2) und 3) gegeben ist (vgl. § 7, 17 StVG, § 3 PflVG), teilt der Senat die Auffassung des Erstgerichts, daß der Beklagte zu 1) den Verkehrsunfall fahrlässig verschuldet hat, daß aber eine Mithaftung des Klägers zumindest aus Betriebsgefahr besteht. Auch die Haftungsverteilung von 70 % zu 30 % zu Lasten der Beklagten entspricht der Sach- und Rechtslage. Der Senat nimmt deshalb auf Ziffer I der Entscheidungsgründe des Ersturteils vollinhaltlich Bezug.

Die Inanspruchnahme der Sonderrechte beim Rettungsdienst entband den Beklagten zu 1) zwar von der Verpflichtung, die StVO-Vorschriften einzuhalten. (§ 35 Abs. 5 a StVO). Er durfte deshalb bei Rotlicht in die Kreuzung einfahren. Damit war ihm aber eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer nicht gestattet. Es ist in der Rechtsprechung vielmehr allgemein anerkannt, daß der Fahrer das ihm eingeräumte Sonderrecht nur in Anspruch nehmen darf, wenn er sich davon überzeugt hat, daß die übrigen Verkehrsteilnehmer freie Bahn geschaffen, seine Absicht erkannt und sich hierauf eingestellt haben. Insbesondere zum Überfahren einer für ihn "Rot" anzeigenden Lichtzeichenanlage ist der Fahrer eines bevorrechtigten Fahrzeugs nur dann berechtigt, wenn er sich vergewissert hat, daß die anderen Verkehrsteilnehmer die Kreuzung freihalten werden. Im vorliegenden Fall einer weiträumigen Kreuzung, die von dem von rechts kommenden Kläger nach links hin schwer einsehbar war, mußte deshalb der Beklagte zu 1) vor dem Einfahren in den Fahrbahnbereich des von rechts kommenden Klägers noch einmal anhalten (vgl. OLG Braunschweig NZV 90, 198 m.w.N.).

III.

Nebenentscheidungen:

Kosten: § 92, 97 ZPO.

Vollstreckbarkeit: § 708 Nr. 10 ZPO

Beschwer: § 546 Abs. 2 ZPO.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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