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Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 19.02.2008
Aktenzeichen: 7 UF 739/07
Rechtsgebiete: ZPO, SGB XII


Vorschriften:

ZPO § 114
ZPO § 115 Abs. 3
SGB XII § 90 Abs. 2 Nr. 2
SGB XII§ 90 Abs. 2 Nr. 9
1. Auch Kapitalvermögen, das der Altersvorsorge dient, ist im Rahmen der Prozesskostenhilfe als Vermögen grundsätzlich einzusetzen, soweit es nicht gemäß § 115 Abs. 3 S. 2 ZPO, § 90 Abs. 2 Nr. 2 SGB XII als stattlich gefördertes Altersvorsorgevermögen (Riester-Rente) geschützt ist.

2. Deshalb stellt eine Kapitallebensversicherung, deren Wert das Schonvermögen nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII i. V. mit § 115 Abs. 3 S. 2 ZPO übersteigt, grundsätzlich, auch wenn sie für eine (zusätzliche) Altersvorsorge bestimmt ist, prozesskostenhilferechtlich relevantes Vermögen dar.


7 UF 739/07

Nürnberg, den 19.2.2008

In der Familiensache

erläßt das Oberlandesgericht Nürnberg, 7. Zivilsenat und Senat für Familiensachen, durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluss:

Tenor:

1. Der Antrag des Beklagten, ihm für die Durchführung des Berufungsverfahrens gegen das Endurteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Nürnberg vom 23.05.2007 Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Der Beklagte begehrt Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Berufung gegen das Endurteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Nürnberg vom 23.05.2007, mit dem er zur Zahlung von Trennungs- und Kindesunterhalt verurteilt wurde. Er macht geltend, er sehe sich nicht in der Lage, die Kosten des Rechtsmittelverfahrens aus eigenen Mitteln aufzubringen. Der berufstätige Beklagte (Nettoeinkommen 2.565 €) bezieht eine monatliche "Compensation" des US-amerikanischen Staates in Höhe von 1.511,00 US-Dollar. Zudem hat er eine Kapitallebensversicherung. Aus dem auf Nachfrage vorgelegten Beleg der Sparkassen-Versicherung beträgt deren Rückkaufswert zum 01.02.2008 12.722,00 €. Die Lebensversicherung wurde im Juli 1990 mit einer Versicherungssumme von 50.000 DM abgeschlossen. Sie läuft bis 01.07.2022. Der Beklagte macht geltend, die Lebensversicherung (mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung) sei als zusätzliche Altersversorgung abgeschlossen worden. Das Ablaufdatum sei so gewählt, dass die Versicherung mit seiner Lebensarbeitszeit im 65. Lebensjahr ende. Eine vergleichbare Versicherung sei auch für die Klägerin abgeschlossen worden. Er habe außer bei der Social Security USA nur Rentenanwartschaften bei der Deutschen Rentenversicherung, keine betriebliche Altersversorgung.

II.

Dem Beklagten kann Prozesskostenhilfe für die Berufung gegen das Endurteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 23.05.2007 nicht gewährt werden, weil er nicht bedürftig im Sinne der §§ 114, 115 ZPO ist. Es kann dahinstehen, ob die "Compensation" als Einkommen zu berücksichtigen ist, da der Beklagte gemäß § 115 Abs. 3 ZPO einzusetzendes Vermögen in Form einer Kapitallebensversicherung hat. Deren Rückkaufswert von 12.722,00 € übersteigt das zu belassende Schonvermögen von 2.600,00 € zuzüglich 256,00 € für jede Person, die von der nachfragenden Partei überwiegend unterhalten wird. Der Einsatz der Lebensversicherung ist dem Beklagten zuzumuten, da sie vorzeitig aufgelöst, verkauft oder beliehen werden kann.

1. Eine Kapitallebensversicherung bzw. deren (Rückkaufs-)Wert stellt Vermögen dar und ist deshalb grundsätzlich einzusetzen. Ob dies auch dann der Fall ist, wenn die Lebensversicherung der (zusätzlichen) Altersvorsorge dient, wird in der Literatur und Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet. So hat z. B. das OLG Frankfurt (FamRZ 2006, 135) entschieden, dass eine Lebensversicherung jedem anderen Vermögenswert, welcher ebenfalls eine hinreichende Altersvorsorge sichern soll, gleichsteht und deshalb deren Einsatz regelmäßig gemäß § 115 Abs. 2 S. 1 ZPO unzumutbar ist (so auch Zöller/Philippi, ZPO, 26. Aufl., § 115 Rn. 59).

Dagegen vertritt die wohl überwiegende Meinung die Auffassung, eine Lebensversicherung müsse verwertet werden, bevor die Allgemeinheit in Form von Prozesskostenhilfe in Anspruch genommen wird. Dies gelte auch dann, wenn sie der Alterssicherung diene, da auch ein solches Kapitalvermögen einzusetzen ist, soweit es nicht gemäß § 115 Abs. 3 S. 2 ZPO, § 90 Abs. 2 Nr. 2 SGB XII als staatlich gefördertes Altersvorsorgevermögen (Riester-Rente) geschützt ist. Unverwertbarkeit komme nur dann in Betracht, wenn die Verwertung im Einzelfall eine unzumutbare Härte § 115 Abs. 3 ZPO, § 90 Abs. 3 S. 2 SGB XII darstellt (vgl. z. B. OLG Brandenburg FamRZ 2006, 1174; OLG Zweibrücken OLGR Zweibrücken 2008, 11; OLG Nürnberg FamRZ 2006, 1284; 2007, 1338; Musielak/Fischer, ZPO, 5. Aufl. § 115 Rn. 48; ausführlich zum Meinungsstand: OLG Brandenburg im Beschluss vom 08.01.2008, 9 UF 2077/07 - juris).

Der Senat schließt sich dieser Auffassung an. Gemäß § 115 Abs. 3 S. 2 ZPO, § 90 Abs. 2 Nr. 2 SGB XII muss nur Kapital, das der zusätzlichen Altersvorsorge i. S. des § 10a oder Abschnitts XI des Einkommenssteuergesetztes dient, nicht eingesetzt werden, wenn seine Ansammlung staatlich gefördert wurde. Daraus folgt, dass eine nicht geförderte Altersvorsorge grundsätzlich zur Finanzierung eines Prozesses heranzuziehen ist. Auch aus der Anerkennung zusätzlicher Altersvorsorgeaufwendungen in Unterhaltsverfahren durch den Bundesgerichtshof (BGHZ 163, 84 = FamRZ 2005, 1817) kann nicht abgeleitet werden, dass eine Lebensversicherung, die einer zusätzlichen Altersvorsorge dienen soll, nicht einzusetzendes Vermögen im Sinne des § 115 Abs. 3 ZPO darstellt (vgl. OLG Nürnberg FamRZ 2006, 1284; 2007, 1338; siehe aber OLG Stuttgart FamRZ 2006, 1850).

Nur wenn die Verwertung unzumutbar ist, kann sie nicht verlangt werden. Ob eine unzumutbare Härte vorliegt, muss im Einzelfall entschieden werden, wobei es u. a. auf den Wert der Versicherung, den möglichen Verlust durch die Verwertung und die sonstige Altersversorgung des Betroffenen ankommt. Hierbei ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass eine Verwertung nicht zwingend die Auflösung der Lebensversicherung bedingt, sondern z. B. auch eine Beleihung in Betracht kommt. Wie das OLG Brandenburg im Beschluss vom 08.01.2008 (a. a. O. unter Hinweis auf das OLG Stuttgart) darstellt, besteht bei Lebensversicherungen grundsätzlich die Möglichkeit, ein Policendarlehen auf sie aufzunehmen, also ein Darlehen, dessen Rückzahlung erst bei Vertragsablauf fällig wird und bei dem der Partei außer der Zinsbelastung keine Verluste entstehen.

2. Dem Beklagten kann es zugemutet werden, seine Lebensversicherung zur Finanzierung des Prozesses heranzuziehen. Die im Berufungsverfahren anfallenden Kosten sind im Verhältnis zum Rückkaufswert relativ gering. Die Gebühren des Prozessbevollmächtigten im Berufungsverfahren betragen bei dem angegebenen Streitwert von 14.460 € 1.909,71 € (1,6 x 566,00 € + 1,2 x 566,00 € + 20,00 € + 304,91 € [MWSt.]). An Gerichtskosten kommen maximal 968,00 € (4 x 262,00 €) hinzu.

Auch die Altersversorgung des Beklagten ist bei den Kosten nicht gefährdet. Ihm bleiben vom Rückkaufswert 9.844,29 € (12.722 € - 1.909,71 € - 968,00 €). Außerdem hat er zum einen Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung, deren Höhe er zwar nicht mitgeteilt hat. Angesichts seines Alters und seines Einkommens ist aber zu erwarten, dass er bis zum Renteneintrittsalter noch Anwartschaften in nicht unerheblicher Höhe erzielen kann. Darüber hinaus hat er eine zusätzliche Versorgung durch den US-amerikanischen Staat aus seiner früheren Tätigkeit als Berufssoldat. Auch wenn diese bereits jetzt gezahlte "Compensation" wegen erlittener Gesundheitsschäden nach seinem Vorbringen gemäß amerikanischem Recht weder gepfändet noch unterhaltsrechtlich berücksichtigt werden darf, kann sie bei der Frage der unzumutbaren Härte nicht unberücksichtigt bleiben.

III.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen vor, da die Frage, ob und unter welchen Bedingungen Vermögen i. S. des § 115 ZPO in Form einer Kapitallebensversicherung einzusetzen ist, grundsätzliche Bedeutung hat und diese Entscheidung von der des OLG Frankfurt vom 27.07.2005 - 5 WF 141/05 - (FamRZ 2006, 135) abweicht (§ 574 Abs. 3 i. V. mit Abs. 2 ZPO).

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