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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 27.04.2004
Aktenzeichen: 7 WF 792/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 178 Abs. 2
ZPO § 180
Eine Ersatzzustellung nach § 180 ZPO durch Einlegen des zuzustellenden Schriftstücks in den Briefkasten ist in analoger Anwendung des § 178 Abs. 2 ZPO unwirksam, wenn der Briefkasten vom Zustellungsempfänger und vom Prozessgegner gemeinsam benutzt wird.
7 WF 792/04

Nürnberg, den 27.04.2004

In der Familiensache

erläßt das Oberlandesgericht Nürnberg, 7. Zivilsenat und Senat für Familiensachen, durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluß:

Tenor:

I. Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners vom 01.03.2004 wird der Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Nürnberg vom 29.01.2004 (Az.: 157 FH 198/03), aufgehoben.

Das Verfahren wird an das Amtsgericht - Familiengericht - Nürnberg zurückverwiesen.

II. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren beträgt 14.154,00 Euro.

Gründe:

I.

Die Parteien sind getrenntlebende Eheleute und Eltern der drei minderjährigen Kinder A A, geb. ... 1986, B A, geb. ... 1988, und Y A, geb. ... 1990. Beide Parteien wohnen im Anwesen H in N.

Am 31.10.2003 hat der Antragsteller, vertreten durch seine Verfahrensbevollmächtigten, beim Amtsgericht - Familiengericht - Nürnberg beantragt, den Unterhalt, den die Antragsgegnerin für die drei minderjährigen Kinder zu zahlen hat, im vereinfachten Verfahren auf 150 % gemäß den Altersstufen der Regelbetrag-Verordnung ab 01.09.2003 festzusetzen. Mit Beschluß vom 29.01.2004 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Nürnberg dem Antrag entsprochen. Sowohl der Antrag als auch der Beschluß wurden der Antragsgegnerin am 13.12.2003 bzw. 30.01.2004 im Wege der Ersatzzustellung gemäß § 180 ZPO durch Einlegen des zuzustellenden Schriftstückes in den Briefkasten zugestellt. Die Zustellungsaufträge enthielten in beiden Fällen keinen Hinweis darauf, daß eine Ersatzzustellung an den Antragsteller ausgeschlossen ist.

Mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 01.03.2004, bei Gericht eingegangen am 01.03.2004, hat die Antragsgegnerin sofortige Beschwerde gegen den Beschluß vom 29.01.2004 eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der abgelaufenen Beschwerdefrist beantragt. Zur Begründung ist im wesentlichen ausgeführt, daß die Antragsgegnerin keinesfalls ein Einkommen von 5.000 Euro habe. Es fehle sowohl hinsichtlich des Antrages als auch hinsichtlich des angefochtenen Beschlusses an einer ordnungsgemäßen Zustellung, da diese Schriftstücke durch Einlegen in den gemeinsam genutzten Hausbriefkasten in den Besitz des Antragstellers gelangt und ihr nicht ausgehändigt worden seien. Zumindest rechtfertige dieses Verhalten des Antragstellers die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Insoweit beruft sich die Antragsgegnerin zur Glaubhaftmachung auf eine eidesstattliche Versicherung vom 01.03.2004.

II.

Die sofortige Beschwerde ist statthaft (§ 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Die sofortige Beschwerde ist auch form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 569 ZPO). Denn die am 29.01.2004 vorgenommene Ersatzzustellung durch Einlage des zuzustellenden Schriftstückes in den gemeinsamen Briefkasten der Parteien ist gemäß § 178 Abs. 2 ZPO unwirksam. Zwar wird im älteren Schrifttum überwiegend die Auffassung vertreten, daß eine Ersatzzustellung durch Niederlegung nicht ausgeschlossen sei, wenn die zu hinterlassende Mitteilung durch Einwurf in den gemeinsamen Briefkasten geschieht (vgl. Stein/Jonas-Roth, ZPO, 21. Auflage, § 185 ZPO Rdnr. 1; Wenzel in: Münch.Komm. zur ZPO, 2. Auflage, § 185 ZPO Rdnr. 1). Auch hat es die Rechtsprechung für zulässig erachtet, eine Ersatzzustellung in der Form vorzunehmen, daß die schriftliche Mitteilung über die Niederlegung einem in der Nachbarschaft wohnenden Angehörigen des Prozeßgegners ausgehändigt wird (OLG Celle, Nds.Rpfl. 89, 294). Diese Literatur und Rechtsprechung ist jedoch zu § 185 ZPO a.F. ergangen. Das Zustellungsrecht ist durch das Zustellungsreformgesetz vom 25.06.2001 völlig neu geordnet worden. Nach § 185 ZPO a.F. ("verbotene Ersatzzustellung") hatte die Zustellung an eine der in den §§ 181, 183, 184 Abs. 1 bezeichneten Personen zu unterbleiben, wenn die Person an dem Rechtsstreit als Gegner der Partei, an welche die Zustellung erfolgen soll, beteiligt ist. Eine Ersatzzustellung durch Einlegen des zuzustellenden Schriftstückes in den Briefkasten (jetzt § 180 ZPO) war zum damaligen Zeitpunkt nicht vorgesehen. Aus der enumerativen Aufzählung in § 185 ZPO a.F. hat das OLG Celle geschlußfolgert, daß eine Ersatzzustellung durch Niederlegung in der Form zulässig ist, daß das Schriftstück bei einer amtlichen Stelle niedergelegt wird und eine schriftliche Mitteilung hierüber am Ort der versuchten Zustellung hinterlassen wird (§ 182 ZPO a.F. entsprechend nunmehr § 181 ZPO). Anders als früher in § 185 ZPO ist die verbotene Ersatzzustellung jetzt nicht mehr in einer gesonderten Bestimmung enthalten. § 178 ZPO enthält nunmehr in Absatz 1 unter Nummern 1. bis 3. eine Aufzählung der Personen, denen ein Schriftstück im Wege der Ersatzzustellung zugestellt werden kann, wenn der Zustellungsempfänger selbst nicht angetroffen wird. In § 178 Abs. 2 ZPO ist bestimmt, daß die Zustellung an eine der in Absatz 1. bezeichneten Personen unwirksam ist, wenn diese an dem Rechtsstreit als Gegner der Person, der zugestellt werden soll, beteiligt ist. Das neuere Schrifttum vertritt daher überwiegend die Auffassung, daß ein Einwurf in einen gemeinschaftlichen Briefkasten zweier oder mehrerer Prozeßgegner unzulässig ist (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 62. Auflage, § 178 Rdnr. 28; Zöller-Stöber, ZPO, 24. Auflage, § 180 ZPO Rdnr. 3 in Verbindung mit § 179 ZPO Rdnr. 1). Beide Kommentarstellen berufen sich insoweit auf eine Entscheidung des Landgerichts Fulda (RPfl, 87, 27), die allerdings ebenfalls noch zu § 185 ZPO a.F. ergangen ist. In dieser Entscheidung ist eingehend und überzeugend dargelegt, daß der Schutzzweck des § 185 ZPO a.F. eine weite Auslegung und damit auch eine entsprechende Anwendung auf die Ersatzzustellung nach § 182 ZPO a.F. gebietet. Dieser nunmehr herrschenden Meinung tritt der Senat bei.

Nach der eidesstattlichen Versicherung der Antragsgegnerin wurden ihr der Antrag und der Beschluß frühestens am Freitag, den 20.02.2004, vom Antragsteller ausgehändigt. Der Zustellungsmangel kann daher frühestens ab diesem Zeitpunkt als geheilt angesehen werden (§ 189 ZPO). Bei Einlegung der sofortigen Beschwerde am 01.03.2004 war daher die Notfrist des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO noch nicht abgelaufen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist daher gegenstandslos.

Das Rechtsmittel hat auch in der Sache zumindest vorläufig Erfolg.

Nachdem der Antragsgegnerin der Antrag nicht wirksam zugestellt worden ist, und sie auch sonst nicht anderweitig vor der Entscheidung davon Kenntnis erhielt, beruht der Beschluß vom 29.01.2004 auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs. Zwar kann sich die Antragsgegnerin im vereinfachten Verfahren gemäß § 648 ZPO nur auf bestimmte Einwendungen berufen und insbesondere nicht allgemein eine beschränkte Leistungsfähigkeit geltend machen. Aus den Akten .../03 des Amtsgerichts N ergibt sich, daß die Antragsgegnerin neben der sofortigen Beschwerde im vorliegenden Verfahren vorsorglich auch Abänderung des Beschlusses vom 29.01.2004 beantragt hat und sich dort ausdrücklich darauf beruft, daß sie mit den Kindern zusammenlebe und Naturalunterhalt leiste und deswegen grundsätzlich nicht barunterhaltspflichtig sei. Aus diesen Akten ergibt sich ferner, daß an dem Tag, an dem der Antrag im vorliegenden Verfahren bei Gericht einging, beim Familiengericht im Scheidungsverfahren ein Termin stattfand, in dem sowohl beide Parteien als auch die jeweiligen Verfahrensbevollmächtigten anwesend waren. Unter diesen Umständen spricht einiges dafür, daß sich der Antragsteller den Titel im vorliegenden Verfahren "erschlichen" hat. Im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes für die Antragsgegnerin ist es daher geboten, das erstinstanzliche Verfahren nachzuholen, damit die Antragsgegnerin Gelegenheit hat, etwaige Einwendungen gegen eine Unterhaltsfestsetzung im vereinfachten Verfahren umfassend und abschließend vorzubringen.

Ende der Entscheidung

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