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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 02.02.2004
Aktenzeichen: 8 U 110/03
Rechtsgebiete: BGB, RBerG


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 2
RBerG Art. 1 § 1 Abs. 1 Nr. 2
RBerG Art. 1 § 5 Nr. 1
1. Wer als Berater für einen Verbraucherclub ohne die Erlaubnis nach Art. 1 § 1 Abs. 1 Nr. 2 Rechtsberatungsgesetz einen Versicherungsnehmer berät und zur Änderung des bestehenden Versicherungsverhältnis veranlasst, haftet diesem für den hierdurch entstehenden Schaden gem. § 823 Abs. 2 BGB.

2. Die Beratung eines Versicherungsnehmers über die Änderung seines Versicherungsvertrages steht nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Tätigkeit als Verbraucher- oder Konsumberater gem. Art. 1 § 5 Nr. 1 Rechtsberatungsgesetz.

3. Die Besorgung von Rechtsangelegenheiten desjenigen Versicherers, in dessen Interesse ein Agent tätig wird, verstößt nicht gegen das Rechtsberatungsgesetz (vgl. BGH, MDR 79, 909; OLG München, VersR 94, 1467).

Veranlasst ein Agent jedoch den Versicherungsnehmer eines anderen Versicherers, den dort bestehenden Versicherungsvertrag zu ändern, so steht diese Beratung nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Geschäft des Gewerbebetriebes des diesen Versicherer nicht vertretenden Agenten.


Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES ENDURTEIL

8 U 110/03

Verkündet am 02. Februar 2004

In Sachen

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Endmann und die Richter am Oberlandesgericht Rebhan und Mußstein aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12. Januar 2004

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 26.11.2002 abgeändert.

Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche Schäden, die aus der Beitragsfreistellung der Lebensversicherung der A L AG, R S (Versicherungsnummer) entstehen, zu ersetzen.

II. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 2/3, der Beklagte 1/3 zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Beschluß:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird bis zur teilweisen Klagerücknahme auf EUR 132.000.00, danach auf EUR 44.000,00 festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin unterhielt seit 19.04.1993 bei der A L AG jedenfalls die Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Seit Dezember 1994 war die als selbstständige Physiotherapeutin tätige Klägerin an Krebs erkrankt. Im Herbst 2000 wurde die Klägerin Mitglied des VC-V e.V.. Auf Grund eines Kostensenkungs- und Versorgungsplans trat der Beklagte, der eine Erlaubnis als Versicherungsberater im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 RBerG nicht besaß, für den VC-V e.V. mit der Klägerin in Verbindung. In Kenntnis der Erkrankung der Klägerin beriet er sie über die Auflösung des bestehenden Lebensversicherungsvertrages mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung bei der A, worauf die Klägerin diesen Versicherungsvertrag beitragsfrei stellte. Der Abschluß einer Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung bei anderen Versicherungsgesellschaften scheiterte ebenso wie ein Wiederaufleben des Versicherungsvertrages mit der A Durch die Beitragsfreistellung des Lebensversicherungsvertrages ist der Klägerin Schaden in noch nicht bezifferbarer Höhe mindestens aber in einer Größenordnung von EUR 165.000,00 entstanden.

Die Klägerin behauptet, der Beklagte sei ihr gegenüber als Spezialist für Versicherungsfragen aufgetreten und habe die Klägerin dahingehend beraten, daß trotz ihrer schwerwiegenden Erkrankung der Abschluß einer Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung bei anderen Gesellschaften problemlos möglich sei.

Sie hat beantragt,

festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche Schäden, die aus der Beitragsfreistellung der Lebensversicherungen der A L, AG, R, S (Versicherungsnummern und) entstehen, zu ersetzen.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Er trägt vor, eindeutig als Vertreter des V mit der Klägerin in Verbindung getreten zu sein. Die Risiken einer Vertragsaufhebung habe er nicht verharmlost. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat trug er - von der Klägerin widersprochen - vor, Versicherungsvertreter der W-V gewesen zu sein.

Das Erstgericht hat mit Endurteil vom 26.11.2002 die Klage abgewiesen. Es geht davon aus, daß zwischen den Parteien ein Beratungsvertrag nicht zustandegekommen sei und die Voraussetzungen für die Eigenhaftung des Beklagten nicht vorliegen.

Gegen dieses ihr am 11.12.2002 zugestellte Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Klägerin.

Sie wiederholt im wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen und beantragt zuletzt nach Rücknahme der Klage hinsichtlich der Versicherungsverträge mit der A L AG unter den Nummern ... und ..., festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche Schäden, die aus der Beitragsfreistellung der Lebensversicherung der A L AG, R S entstehen, zu ersetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das Ersturteil für zutreffend. Eine Stellungnahme des Beklagten auf den rechtlichen Hinweis des Senats, wonach sich möglicherweise eine Haftung des Beklagten aus § 823 Abs..2 BGB i. V. m. § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 RBerG ergeben könnte, ist nicht erfolgt.

Es ist kein Beweis erhoben worden. Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, die Sitzungsniederschrift vom 12.01.2004 sowie auf die gewechselten Schriftsätze mit Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die zulässige (§§ 511 ff. ZPO) Berufung der Klägerin hat - soweit die Klage nicht wirksam zurückgenommen wurde - in der Sache Erfolg. Die Klage ist zulässig, da die Klägerin ein berechtigtes Interesse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO daran hat, daß die Ersatzpflicht des Beklagten für die der Klägerin entstehenden, noch nicht bezifferbaren Schäden, die sich aus der Beitragsfreistellung des Lebensversicherungsvertrages ergeben, festgestellt wird.

II.

Die Klage ist begründet. Der Beklagte haftet gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 b RBerG auf Ersatz desjenigen Schadens, der der Klägerin infolge der ohne Erlaubnis erteilten Beratung hinsichtlich der Änderung des bestehenden Lebensversicherungsvertrages mit der A entsteht.

1. § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 a RBerG ist Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB (Chemnitz/Johnigk, RBerG, 11. Aufl. 2003, § 1 RBerG Rn. 214). Das Rechtsberatungsgesetz dient nicht nur dem Schutz der Allgemeinheit und der Rechtspflege. Wesentlicher Zweck ist, den Rechtssuchenden vor Nachteilen und Schäden zu schützen, die ihm dadurch entstehen können, daß er in Unkenntnis der ihm dadurch drohenden Gefahren seine Rechtsangelegenheiten in die Hand von Personen legt, die unzuverlässig sind oder nicht die erforderliche Sachkunde besitzen (BGH NJW 55, 42).

2. Der geschäftsmäßig, da in Gewinnerzielungsabsicht handelnde Beklagte hat die Klägerin ohne die hierfür erforderliche Erlaubnis, die nur nach Nachweis entsprechender Sachkunde zu erteilen ist, zu besitzen, bei der Änderung des bestehenden Versicherungsvertrages mit der A beraten und dadurch gegen § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 a RBerG verstoßen. Dieser Verstoß erfolgte schuldhaft. Der Beklagte hätte sich über die für ihn geltendenen rechtlichen Bestimmungen unterrichten müssen, wenn er Dritte über die Änderung bestehender Versicherungsverträge beriet.

Welchen Inhalt das Beratungsgespräch zwischen den Parteien hatte, ob insbesondere der Beklagte die Risiken einer Vertragsstillegung heruntergespielt hat, kann dahinstehen; einer Beweiserhebung bedurfte es insoweit nicht. Für die Haftung des Beklagten ist vielmehr allein entscheidend, daß er die Klägerin hinsichtlich der Änderung des bestehenden Versicherungsvertrages beriet, ohne die hierfür erforderliche Erlaubnis zu besitzen.

Auch der ursächliche Zusammenhang zwischen der ohne Erlaubnis erfolgten Beratung und dem Vermögensschaden der Klägerin ist zu bejahen; er liegt bereits dann vor, wenn die Befolgung des Schutzgesetzes eine größere Sicherheit gegen den Eintritt des tatsächlich eingetretenen Schadens geboten hätte (Palandt-Thomas, BGB, 63. Aufl., § 823 BGB Anm. 58).

3. Der Haftung des Beklagten steht § 5 Nr. 1 RBerG - die Voraussetzungen des § 5 Nr. 2 bis 4 RBerG sind offensichtlich nicht gegeben - nicht entgegen.

Die Beratung der Klägerin über die Abänderung des Versicherungsvertrages mit der Allianz erfolgte nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem (konkreten) Geschäft des Gewerbebetriebes des Beklagten.

Hintergrund der als Ausnahmeregelung eng auszulegenden (Chemnitz/Johnigk, a.a.O., § 5 RBerG Rn. 503) Vorschrift des § 5 Nr. 1 RBerG, ist, daß bestimmte Berufe ohne gleichzeitige rechtliche Beratung sachgerecht nicht ausgeübt werden können (Chemnitz/Johnigk, a.a.O., § 5 RBerG Rn. 501, grundlegend BGHZ 47, 364, 368; 70, 13 ff., 15). Die Vorschriften des Rechtsberatungsgesetzes sollen die Ausübung solcher Berufe nicht unmöglich machen oder wesentlich erschweren, bei denen die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten so eng mit der eigentlichen Berufstätigkeit verbunden ist, daß diese sinnvoll nur bei gleichzeitiger Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten ausgeübt werden kann. Zu denken ist insoweit etwa an die rechtliche Beratung durch einen Architekten über baurechtliche Vorschriften oder die Ausarbeitung eines Wohnraummietvertrages durch den Wohnungsmakler (Chemnitz/Johnigk, a.a.O., § 5 RBerG Rn. 541 bis 544; BGHZ 70, 12 ff., 14).

a) Ob der - von der Klägerin bestrittene - Vortrag des Beklagten, er sei als vertraglich gebundener Versicherungsvertreter der W-V (Agent) aufgetreten, prozessual berücksichtigungsfähig ist und zutrifft, kann dahinstehen. Dieser Vortrag - als berücksichtigungsfähig und zutreffend unterstellt - führt nicht zum Ausschluß der Anwendbarkeit der Vorschriften des Rechtsberatungsgesetzes nach § 5 Nr. 1 RBerG. Die Tätigkeit des Agenten ist durch das Vermitteln von Versicherungsverträgen für einen (oder wenige) Versicherer, von denen der Agent eine Vergütung erhält, geprägt (Schimikowski, Versicherungsvertragsrecht, 2. Aufl., Rn. 113 ff.). Die Beratung des Kunden durch den Agenten bzgl. derjenigen Versicherungsverträge, die mit dem vom Agenten vertretenen Versicherer geschlossen wurden oder geschlossen werden sollen, ist durch das Berufsbild des Agenten gedeckt und verstößt nicht gegen § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 a RBerG. Anders ist es bei Verträgen, die der Kunde mit einem Versicherer geschlossen hat, der vom Agenten nicht vertreten wird. Soweit eine Änderung dieses Vertrages im Räume steht, ist die Beratung durch den Agenten vom Berufsbild des Versicherungsagenten nicht mehr gedeckt. Dies ergibt sich aus der beschriebenen für das Berufsbild des Agenten typischen Bindung an einen Versicherer. So wurde die Besorgung von Rechtsangelegenheiten desjenigen Versicherers, in dessen Interesse der Agent tätig wird, nicht als Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz angesehen (BGH, MDR 79, 909; OLG München, VersR. 94, 1467).

e) Trat der Beklagte jedoch nicht als Agent der W-V sondern entsprechend den Angaben in der von ihm verwendeten Visitenkarte als Verbraucherberater des VC-Clubs auf, so ist § 5 Nr. 1 RBerG ebenfalls nicht anwendbar. Aus den Schreiben des VC-V e.V. an die Klägerin geht hervor, daß die Leistungen dieses Clubs neben der Vermittlung günstiger Einkaufsmöglichkeiten die individuelle Konsumberatung umfassen. Konsum- oder Verbraucherberatung betrifft ein weites Spektrum von Beratungstätigkeiten hinsichtlich zahlreicher wirtschaftlicher Belange des Verbrauchers. Mit der Ausübung einer solchen Tätigkeit als Verbraucher- oder Konsumberater ist die Beratung gerade in Versicherungsangelegenheiten nicht in dem oben beschriebenen Sinn eng verbunden (LG Hannover, NJW 87, 3013 zum "Finanzberater").

Ob bei Versicherungsmaklern, die im Gegensatz zu Versicherungsagenten ausschließlich im Interesse der sie vergütenden Kunden tätig werden, § 5 Nr. 1 RBerG anwendbar wäre (OLG Karlsruhe, NJW 88, 838; Prölss-Martin, VVG, 26. Aufl., Anhang §§ 43 bis 48, Rn. 13 f.; Chemnitz/Johnigk, a.a.O., Rn. 545), kann dahinstehen. Als Versicherungsmakler in diesem Sinne aufgetreten zu sein, trägt auch der Beklagte nicht vor.

III.

Es war deshalb festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle Schäden zu ersetzen, die sich aus der Beitragsfreistellung der Lebensversicherung bei der A mit der Versicherungsnummer entstehen.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 97 Abs. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, hat die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Insoweit ging der Senat mangels anderer Angaben von der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit der im ursprünglichen Klageantrag aufgeführten Versicherungsverträge aus.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 709 S. 2, 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

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