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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 27.07.2000
Aktenzeichen: 8 U 1411/00
Rechtsgebiete: AKB, WG


Vorschriften:

AKB § 2 b Abs. 1 e
AKB § 2 b Abs. 2 S. 1
AKB § 7 I Abs. 2
WG § 6 Abs. 1
WG § 6 Abs. 2
AKB §§ 2 b Abs. 1 e, 2 b Abs. 2 S. 1, 7 I Abs. 2; WG § 6 Abs. 1 und 2

Verletzt der Versicherungsnehmer Obliegenheiten nach § 2 b Abs. 1 e AKB (Fahren unter Alkoholeinfluß) und anschließend nach § 7 1 Abs. 2 AKB (Verletzung der Aufklärungspflicht durch Unfallflucht), so ist die Regreßbefugnis des Versicherers auf den Betrag von 10.000 DM begrenzt. Der Versicherer kann vom Versicherungsnehmer nicht für jede Obliegenheitsverletzung jeweils 10.000 DM (vorliegend 20.000 DM) verlangen.


Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES ENDURTEIL

8 U 1411/00 2 O 9838/99 LG Nürnberg-Fürth

verkündet am 27. Juli 2000

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In Sachen

wegen Feststellung,

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 13. Juli 2000

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 28. Februar 2000 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Beschwer der Beklagten beträgt 10.000,00 DM.

Beschluß

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 10.000,00 DM festgesetzt.

Tatbestand:

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

(Im Berufungsverfahren hat keine Beweisaufnahme stattgefunden).

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, §§ 511 ff. ZPO.

II.

In der Sache selbst hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.

Der Senat ist mit dem Landgericht der Auffassung, daß die Beklagte gegen den Kläger nicht wegen zweier selbständiger Obliegenheitsverletzungen (vor und nach dem Versicherungsfall) Regreß in Höhe von insgesamt 20.000,00 DM verlangen kann. Ihr steht vielmehr lediglich die Regreßbefugnis aus §§ 2 b Abs. 1 e AKB, 6 Abs. 1 und z VVG zu. Diese ist jedoch gemäß § 2 b Abs. 2 Satz 1 AKB auf den Betrag von 10.000,00 DM begrenzt.

Die darüber hinaus - formell - verletzte Obliegenheit aus § 7 I Abs.. 2 Satz 2 AKB ist demgegenüber subsidiär und führt - jedenfalls im Streitfall - zu keiner Erhöhung der Regreßgrenze.

Nach Auffassung des Senats ist danach zu differenzieren, ob die konkurrierenden Obliegenheiten die gleiche Stoßrichtung haben und dasselbe Interesse des Versicherers schützen sollen.

Im einzelnen gilt folgendes:

1. Bei der dem Versicherungsnehmer vertraglich auferlegten Obliegenheit aus § 2 b Abs. 1 e AKB, die dieser vor dem Versicherungsfall zu erfüllen hat, handelt es sich um eine Obliegenheit zur Verhütung einer Gefahrerhöhung im Sinne der §§ 6 Abs. 2, 32 VVG. (vgl. Feyock/Jacobsen/Lemor, Kraftfahrtversicherung, RZ 3 zu § 2 b AKB; Weyers, Versicherungsvertragsrecht, 2. Aufl., RZ 548). Diese Obliegenheit ist deshalb als eine Spezialregelung gegenüber den §§ 23 ff. VVG anzusehen und verdrängt deshalb die gesetzlichen Vorschriften über die Gefahrerhöhung (vgl. BGH VersR 97, 921; Jacobsen, a.a.O., RZ 75 zu § 2 b AKB; Weyers, a.a.O., RZ 548).

Ebenso wie die gesetzlichen Vorschriften über die Gefahrerhöhung bezweckt deshalb diese Obliegenheit und deren Sanktion die Vermeidung einer nachträglich eingetretenen Äquivalenzstörung (vgl. BGH VersR 79, 73; Römer/Langheld, VVG, Rz. 3 zu § 23 f VVG; Prölss/Martin, 26. Aufl., Rz. 1 zu § 23 VVG). Der Versicherer kalkuliert in der Regel eine Erhöhung der bei Abschluß des Versicherungsvertrags bestehenden Gefahr nicht in seine Prämie ein. Er soll deshalb auch für eine durch die Gefahrerhöhung eintretende Verwirklichung des übernommenen Risikos in diesem Falle nicht haften (vgl. Langheld, a.a.O.; Weyers, a.a.O., Rz. 504 f).

Dieser Zweck wird rechtstechnisch durch die Normierung der Leistungsfreiheit in §§ 2 b Abs. 1 e, 6 Abs. 1 und 2 VVG erreicht.

2. In die gleiche Richtung zielt aber die Schutzfunktion des § 7 I Abs. 2 Satz 2 AKB in den Fällen, in denen -wie hier- die Ermittlung eines mit dem Versicherungsfall im Zusammenhang stehenden Leistungsausschlusses in Frage steht Zweck der Aufklärungsobliegenheit aus § 7 I Abs. 2 Satz 2 AKB ist es, dem Versicherer die sachgerechte Prüfung der Voraussetzung seiner Leistungspflicht nach Grund und Höhe zu ermöglichen. Dazu gehört auch die Feststellung solcher mit dem Schadensereignis zusammenhängender Tatsachen, aus denen sich eine Leistungsfreiheit des Versicherers (Leistungsausschluß) ergeben kann (vgl. BGH VersR 87, 657; 98, 228; 2000, 222).

Selbst bei eindeutiger Haftungslage besteht deshalb insoweit ein schutzwürdiges Aufklärungsinteresse des Versicherers. In der Kaskoversicherung geht es dem Versicherer in erster Linie darum zu prüfen, ob er nach § 61 VVG von der Verpflichtung zur Leistung frei ist, weil der Versicherungsnehmer den Unfall durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit für den Unfall ursächlich war.

Aber auch in der -wie hier- Kfz-Haftpflichtversicherung besteht wegen möglicher Leistungsfreiheiten nach § 2 b Abs. 1 e AKB 95 ein Interesse des Versicherers daran, die Person des Fahrers und dessen Alkoholisierung festzustellen (vgl. BGH VersR 2000, 222). Deshalb besteht der Zweck der Aufklärungsobliegenheit im wesentlichen darin, den Versicherungsnehmer auch zu zwingen, an der Aufklärung des Sachverhalts auch insoweit mitzuwirken, als es um Tatsachen geht, die zum Verlust des Versicherungsschutzes wegen einer beim Unfall begangenen Obliegenheitsverletzung führen können (vgl. BGH VersR 77, 272; 2000, 222).

Verletzt der Versicherungsnehmer schuldhaft (vorsätzlich oder grob fahrlässig, § 6 Abs. 3 VVG) diese Obliegenheit, so wird der Versicherer in gleicher weise leistungsfrei, wie wenn die Aufklärungsbemühung des Versicherers zur Feststellung des tatsächlichen Leistungsausschlusses aus § 6 Abs. 1 und 2 VVG geführt hätte. Zum Nachteil des Versicherungsnehmers wird damit also das Bestehen eines derartigen Leistungsausschlusses fingiert.

Mit dieser Regelung wird der Versicherer sogar insoweit bessergestellt, daß die bloße Möglichkeit einer Obliegenheitsverletzung beim Versicherungsfall ausreicht, da eine solche gerade wegen der Verletzung der Aufklärungspflicht nicht mehr festgestellt werden kann.

Damit bezweckt die Aufklärungsobliegenheit -ebenso wie die Obliegenheiten aus § 2 b Abs. 1 AKB- den Schutz des Interesses des Versicherers, für eine durch die Gefahrerhöhung ertretende Verwirklichung des übernommenen Risikos nicht haften zu müssen. Beide Rechtsinstitute haben somit denselben Schutzzweck, sie sollen diesen lediglich in unterschiedlicher Weise verwirklichen und damit vollumfänglich absichern. Daraus folgt zugleich, daß die dem Versicherungsnehmer insoweit angedrohten Sanktionen nicht doppelt angesetzt werden können:

Wird -wie im Streitfall- die beim Versicherungsfall begangenene Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers nachträglich trotz einer Verletzung der Aufklärungspflicht anderweitig ermittelt, so ist mit dem Leistungsausschluß aus §§ 2 b Abs. 1 e AKB; 6 Abs. 1 und 2 VVG das berechtigte Interesse des Versicherers für eine nachträgliche Risikoerhöhung nicht haften zu müssen, voll erfüllt. Den Versicherungsnehmer trifft die Regreß-Haftung bis zu der in § 2 b Abs. 2 normierten Grenze von 10.000,00 DM. Daneben kann jedoch eine nochmalige Regreßhaftung des Versicherungsnehmers gemäß § 7 I Abs. 2 Satz 2, V Abs. 1 und 2 AKB nicht in Betracht kommen. In diesem Falle ist -wie gezeigt- der mit der Aufklärungspflicht erstrebte Schutzzweck bereits erfüllt. Der Versicherer beruft sich dann in rechtsmißbräuchlicher Weise ohne berechtigtes Eigeninteresse auf eine lediglich formale Rechtspositin (vgl. Roth in Münchener Kommentar zum BGB, 3. Aufl., Rz. 546 zu § 242 BGB). Eine doppelte Sanktion wäre zudem mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht mehr zu vereinbaren.

Auch der Umstand, daß der Versicherungsnehmer durch die spätere Unfallflucht Feststellungen des Versicherers zum Zustand des Fahrzeugs und zu dessen Stand nach dem Unfall erschwert, führt im Ergebnis zu keiner anderen Beurteilung. Soweit der Zustand des Fahrzeugs und damit eine mögliche Gefahrerhöhung (s 23 f VVG) im Unfallzeitpunkt unaufgeklärt bleibt, kann dem neben der bereits verwirklichten Obliegenheitsverletzung (Verstoß gegen die Trunkenheitsklausel) kein selbständiges Gewicht beigemessen werden. Es entspricht der herrschenden Meinung, der sich der Senat insoweit anschließt, daß bei mehreren parallel verlaufenden Obliegenheitsverletzungen vor dem Unfall die Regreßsanktion nur einmal anzusetzen ist (vgl. Knappmann, VersR 96, 401; Stamm, VersR 95, 266; Feyock/Jacobsen, a.a.O., Rz. 10 zu § 5 KfzPflVV).

Soweit eine genaue Aufklärung der Unfallsituation und damit eine mögliche Weg-Zeit-Berechnung vereitelt wird, kann sich dies bei Zugrundelegung der sogenannten Relevanz-Rechtsprechung nicht mehr zum Nachteil des Versicherungsnehmers auswirken. In diesem Fall entfällt ein Leistungsausschluß bereits dann, wenn die Obliegenheitsverletzung generell nicht geeignet war, die Interessen des Versicherers zu beeinträchtigen, ohne daß noch ein geringes Verschulden hinzutreten müßte (vgl. BGH VersR 93, 830; Römer/Langheld, VVG, Rz. 39 zu § 6 VVG). An der erforderlichen Relevanz fehlt es jedoch in der Kfz-Haftpflichtversicherung, weil sich im Hinblick auf die Beweislast des beim Unfall geschädigten Dritten die Aufklärungsschwierigkeiten ebensogut zugunsten des Haftpflichtversicherers auswirken können.

In der Kaskoversicherung mag zwar die erschwerte Rückrechnung auf den Unfallzeitpunkt dazu führen, daß ein weiterer Rechtsgrund für den Risikoausschluß aus § 61 VVG nicht mehr sicher ermittelt werden kann (z.B. eine überhöhte Geschwindigkeit im Unfallzeitpunkt). Dies wäre jedoch lediglich ein zusätzlicher, konkurrierender Gesichtspunkt für die Anwendung des § 61 VVG, der nach der geschilderten herrschenden Meinung wiederum nicht kumulativ sanktioniert werden könnte.

Das vom Senat gewonnene Ergebnis läßt sich mit der aus dem Strafrecht bekannten Rechtsfigur der "mitbestraften Nachtat" anschaulich untermauern. Im Strafrecht wird eine spätere -formell erfüllte- Nachtat konsumiert, wenn sie sich in der Auswertung oder Sicherung der durch die Vortat erlangten Position erschöpft, den schon angerichteten Schaden nicht wesentlich erweitert und kein neues Rechtsgut verletzt (vgl. BGH St 6, 67; NStZ 87, 23). Ebenso liegt es aber in dem hier vorliegenden Falle. Wird später die vom Versicherungsnehmer vor dem Versicherungsfall begangene Obliegenheitsverletzung -gleich aus welchem Grund- ermittelt, so wird der vor der späteren Aufklärungspflichtverletzung bereits eingetretene Schaden (Verwirklichung des erhöhten Risikos im Versicherungsfall) nicht erweitert und auch kein neues Rechtsgut verletzt. Die Interessen des Versicherers sind bereits durch den Leistungsausschluß aus § 6 Abs. 1 und 2 VVG ausreichend gewahrt und bedürfen keines weiteren Schutzes.

3. Anders mag die Rechtslage nur in den Fällen zu beurteilen sein, in denen der Versicherungsnehmer durch die spätere Verletzung seiner Aufklärungspflicht ein anderes, gesondertes Interesse des Versicherers verletzt:

Zu denken ist hier etwa an die Fallkonstellation, daß der Versicherungsnehmer einerseits beim Versicherungsfall gegen die Trunkenheitsklausel aus § 2 b Abs. 1 E AKB 95 verstößt und andererseits nach dem Versicherungsfall unzutreffende Angaben über die Schadenshöhe macht. Insoweit haben die beiden Obliegenheitsverletzungen jeweils eine eigene Stoßrichtung und verletzen verschiedene Rechtsgüter des Versicherers. Dies bestätigt ein Blick auf die Regelung in § 6 Abs. 3 Satz 2 VVG, wo bei grob fahrlässiger Verletzung der Obliegenheit ausdrücklich zwischen der Feststellung des Leistungsgrundes und des Leistungsumfangs unterschieden wird. In diesen Fällen läßt sich eine doppelte Sanktion und damit eine Erhöhung der Regreßgrenzen vertreten, weil anderenfalls das Interesse des Versicherers nicht vollumfänglich geschützt wäre.

Im Streitfall liegt jedoch die Sachlage gerade umgekehrt, so daß eine Summierung der Regreßgrenzen nicht in Betracht kommen kann.

4. Da der Kläger bereits einen Regreßanspruch der Beklagten in Höhe von 10.000,00 DM anerkannt hat und insoweit auch bereits Teilanerkenntnisurteil erging, hat das Landgericht die auf eine Verdoppelung der Regreßgrenze gerichtete Widerklage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Das hiergegen gerichtete Rechtsmittel der Beklagten ist somit zurückzuweisen.

III.

Kosten: § 97 Abs. 1 ZPO.

IV.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

V.

Die Festsetzung der Beschwer folgt aus § 546 Abs. 2 ZPO.

VI.

Die Voraussetzungen einer Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 546 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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