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Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 30.01.2003
Aktenzeichen: 8 U 2761/02
Rechtsgebiete: VVGT, AKB


Vorschriften:

VVG § 61
AKB § 12 Nr. 1 II e
AKB § 13 Nr. 1
1. Dem Versicherungsnehmer stehen keine Ansprüche aus einer Kfz-Versicherung zu, wenn er grob fahrlässig einen Versicherungsfall herbeigeführt hat.

2. Das Überfahren einer Rotlicht zeigenden Ampel beinhaltet wegen der besonderen Gefahrenträchtigkeit einen besonders groben Verstoß gegen die Regeln des Straßenverkehrs.

3. Der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit entfällt nicht schon deshalb, weil möglicherweise nur für kurze Zeit (Augenblicksversagen) die gebotene Aufmerksamkeit außer Acht gelassen worden ist.


8 U 2761/02

Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES ENDURTEIL

In Sachen

wegen Forderung,

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht..., den Richter am Oberlandesgericht... und den Richter am Landgericht... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30. Januar 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom ... wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 511, 517, 520 Abs. 2 ZPO).

Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin stehen keine Ansprüche aus der bei der Beklagten abgeschlossenen Kfz-Versicherung (nach §§ 12 Nr. 1 II. e, 13 Nr. 1 AKB) zu, denn die Beklagte ist wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles durch die Klägerin gemäß § 61 VVG von der Verpflichtung zur Leistung befreit.

1. Die Klägerin ist, wie von ihr in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am ... zugestanden (§ 288 ZPO) und im Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom gleichen Tag bindend festgestellt (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), bei Rotlicht über die Kreuzung der ...straße in ... mit der von rechts einmündenden ...straße gefahren und dabei mit einem aus dieser Straße kommenden Fahrzeug kollidiert.

2. Durch das Nichtbeachten des Rotlichtes (§ 37 Abs. 2 Zi. 1 (7) StVO) hat die Klägerin den Verkehrsunfall grob fahrlässig herbeigeführt.

Grob fahrlässig handelt derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt durch ein subjektiv unentschuldbares Fehlverhalten in objektiv ungewöhnlich hohem Maße außer Acht lässt, das heißt, wer das nicht beachtet, was in der konkreten Situation jedem hätte einleuchten müssen.

a) Objektiv ist das Überfahren einer Rotlicht zeigenden Ampel wegen der besonderen Gefahrenträchtigkeit nach ständiger Rechtsprechung ein schwerwiegender Verkehrsverstoß, da es zu den wichtigsten Grundregeln im Straßenverkehr gehört, Lichtsignale von Verkehrsampeln strikt zu befolgen. Die Nichtbeachtung eines Rotlichtes beinhaltet deshalb einen besonders groben Verstoß gegen die Regeln des Straßenverkehrs (BGH VersR 92, 1085).

b) Da das Überfahren einer Kreuzung insbesondere bei rotem Ampellicht hohe Gefahren in sich birgt und deshalb an die Aufmerksamkeit des Kraftfahrers im Bereich einer Ampel-geregelten Kreuzung besonders hohe Anforderungen zu stellen sind, rechtfertigt die Tatsache, dass ein Kraftfahrer die auf Rot geschaltete Ampel unbeachtet gelassen hat, den Schluss darauf, dass er auch subjektiv unentschuldbar gehandelt hat (BGH a.a.O.).

Derjenige, der sich in objektiver Hinsicht grob fehlverhalten hat, ist (demnach) gehalten, im einzelnen besondere Umstände in seiner Person darzulegen, die diesen Verstoß in einem milderen Licht erscheinen lassen; denn schwerwiegende Sorgfaltsverstöße, die objektiv als grober Pflichtverstoß zu bezeichnen sind, können allenfalls durch das Hinzutreten besonderer Umstände im subjektiven Bereich von dem Vorwurf grober Fahrlässigkeit entlastet werden.

Nach Sachlage sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die im vorliegenden Fall einen milderen Schuldvorwurf rechtfertigen könnten: Die Verkehrssituation, die die Klägerin beim Herannahen an die Kreuzung und die Lichtzeichenanlage vorfand, war klar und eindeutig. Bei der Unfallstelle handelt es sich um eine übersichtliche Kreuzung: die Nürnberger Straße verläuft an dieser Stelle in Fahrtrichtung der Klägerin gerade. Der Klägerin, die sich auf dem Heimweg befand, war bekannt, dass die Kreuzung durch eine Ampelanlage geregelt war. Es ist nicht ersichtlich, dass die Sichtverhältnisse eingeschränkt waren; die am ... um 21.45 Uhr bestehende Dämmerung machte das Rotlicht besonders erkennbar. Dass die Klägerin dennoch die rote Ampel nicht beachtet hat, lässt sich nur damit erklären, dass sie die gesamte Gelbphase nicht mitbekommen, die Ampel also nicht im Auge behalten oder überhaupt nicht beachtet hat. Dies ist aber ein Fehlverhalten eines Kfz-Führers, das als subjektiv unentschuldbar gewertet werden muss (OLG Köln, VersR 90, 848).

Es kann die Klägerin also nicht entlasten, dass sie nach ihrem Vortrag in der "ersten Rotlichtsekunde" in die Kreuzung einfuhr. Der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit entfällt nicht schon deshalb, weil die Klägerin möglicherweise nur für kurze Zeit (Augenblicksversagen) die gebotene Aufmerksamkeit außer Acht ließ. Diesbezüglich hat der BGH mittlerweile klargestellt, dass ein Augenblicksversagen allein noch kein Grund ist, den Schuldvorwurf der groben Fahrlässigkeit herabzustufen, wenn die objektiven Merkmale der groben Fahrlässigkeit gegeben sind (BGH VersR 92, 1085).

3. Soweit sich die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auf die Entscheidung des BGH vom 29.01.2003, Az.: IV ZR 173/01, beruft, übersieht sie, dass in dem dort entschiedenen Fall besondere Umstände in der Person des Klägers vorlagen, die den Vorwurf eines auch subjektiv unentschuldbaren Verhaltens entfallen lassen konnten. Der zitierten Entscheidung des BGH, die sich auf das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 11.05.2001 (VersR 2001, 1276) bezieht, lag ein Sachverhalt zugrunde, bei dem der Versicherungsnehmer zunächst vor einer roten Ampel angehalten hatte; nachdem er einen Arbeitskollegen in einem neben ihm stehenden Auto gegrüßt und den Blick wieder nach vorne gerichtet hatte, glaubte er irrigerweise eine Umschaltung auf Grünlicht zu erkennen und fuhr in die Kreuzung ein.

Derartige besondere Umstände sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.

4. Soweit die Klägerin in der Berufungsbegründung nunmehr erstmals vorträgt, sie habe sich während dieser Fahrt in einer psychischen Ausnahmesituation befunden, weil sich kurz vor Antritt der Fahrt ihr damaliger Lebensgefährte von ihr getrennt hatte, kann dies in der Berufungsinstanz keine Berücksichtigung finden. Nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO ist neues Vorbringen nur zuzulassen, wenn es im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden ist, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht. Es ist nicht dargetan und ersichtlich, dass die Klägerin in der ersten Instanz diesen ihr bekannten Sachverhalt nicht vorbringen konnte.

5. Die Berufung der Klägerin war demzufolge mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind.



Ende der Entscheidung

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