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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 03.08.2000
Aktenzeichen: 8 U 465/00
Rechtsgebiete: AUB 61, AUB 688


Vorschriften:

AUB 61 § 1
AUB 61 § 2
AUB 61 § 8 II
AUB 88 § 7 I
Zur Frage eines Unfalles im Sinne der AUB bei einem Bandscheibenvorfall infolge unkontrollierter Eigenbewegung des Versicherungsnehmers.
Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES ENDURTEIL

8 U 465/00 14 O 5092/99 LG Nürnberg-Fürth

Verkündet am 3. August 2000

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In Sachen

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht und aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 13. Juli 2000

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 27. Dezember 1999 wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Beschwer des Klägers beträgt 20.000,00 DM.

Beschluß:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 20.000,00 DM festgesetzt.

Tatbestand:

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung des Klägers ist zulässig, §§ 511 ff. ZPO.

II.

In der Sache selbst hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht in vollem Umfang abgewiesen. Die hiergegen vom Kläger erhobenen Einwendungen greifen nicht durch:

1. Antrag auf Invaliditäts-Zahlung:

Dieser Antrag ist aus keiner der in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen begründet:

a) Anspruch aus §§ 1, 2, 8 II AUB 61; 1, 7 I AUB 88:

Der Senat stimmt insoweit im Ergebnis mit dem Landgericht darin überein, daß ein Anspruch des Klägers auf Invaliditäts-Entschädigung nicht in Betracht kommt:

aa) Zwar ist der Senat abweichend vom Landgericht der Auffassung, daß bei Zugrundelegung der VorfallsSchilderung des Klägers das Vorliegen eines bedingungsgemäßen Unfalls im Sinn der AUB 61/88 nicht verneint werden kann:

Das Landgericht geht allerdings zutreffend davon aus, daß ein Unfall im Sinn der AUB 61/88 nicht bejaht werden kann, wenn der Versicherungsnehmer bei einer Eigenbewegung, die er willensgesteuert ausgeführt hat, infolge der damit verbundenen Kraftanstrengung einen Bandscheibenvorfall erleidet (vgl. Grimm, Unfallversicherung, 3. Aufl., Rdz. 30 zu § 1 AUB 88, m.w.N.).

Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn die vom Versicherungsnehmer intendierte Eigenbewegung infolge des Mitwirkens äußerer Umstände außer Kontrolle gerät und dadurch zu einer Gesundheitsschädigung des Versicherungsnehmers führt (vgl. BGH, RuS 89, 166; OLG Nürnberg, RuS 89, 165; Grimm, a.a.O.). Das gilt insbesondere dann, wenn der Versicherungsnehmer beim Hantieren mit einem schweren Gegenstand deshalb einen Bandscheibenvorfall erleidet, weil dieser Gegenstand plötzlich und unvorhergesehen eine Eigendynamik entfaltet und der Versicherungsnehmer beim "Gegensteuern" aufgrund besonderer Kraftentfaltung die genannte Gesundheitsschädigung erfährt (vgl. OLG Hamm, RuS 96, 330; OLG Frankfurt, VersR 91, 213; OGH, VersR 94, 335; Prölss/Martin/Knappmann, VVG, 26. Aufl., Rdz. 8 zu § 1 AUB 88). Gerade einen derartigen Sachverhalt hat der Kläger aber vorgetragen.

bb) Ob dieser - bestrittene - Sachvortrag zutreffend ist, kann jedoch dahinstehen, da der Kläger jedenfalls die weitere Tatbestandsvoraussetzung, eine hierdurch eingetretene Invalidität, nicht schlüssig vorgetragen hat:

Eine Invalidität in diesem Sinne setzt eine dauernde Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit des Versicherungsnehmers voraus (vgl. Grimm, a.a.O., Rdz. 6 zu § 7 AUB 88; Wussow/Pürckhauer, AUB, 6. Aufl., Rdz. 12 zu § 7 AUB 88). Von einer dauernden Beeinträchtigung wird gesprochen, wenn die Dauer der Beeinträchtigung zwar nicht mit Bestimmtheit abgesehen werden kann, diese aber voraussichtlich länger als 3 Jahre nach dem Unfall andauern wird (vgl. Grimm und Wussow, a.a.O., m.w.N.).

In sachlicher Hinsicht muß die Feststellung eines konkreten, die Leistungsfähigkeit beeinflussenden Gesundheitsschadens und die Aussage hinzukommen, daß dieses Unfallfolge ist (BGH, RuS 95, 397; OLG Frankfurt, RuS 95, 279; Grimm, a.a.O., Rdz. 11 zu § 7 AUB 88).

Gemäß §§ 8 I, 7 I AUB 61/88 ist überdies erforderlich, daß die so umschriebene Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten sein muß. Spätestens am Ende dieses Jahres muß also die oben bezeichnete Prognose getroffen werden können.

Der Kläger hat weder in erster Instanz noch im Berufungsverfahren einen derartigen Sachverhalt ausreichend vorgetragen:

In erster Instanz hat er lediglich ausgeführt, daß er bei dem Unfall vom Oktober 1997 einen Bandscheibenvorfall erlitten habe, deswegen operiert worden sei und sich längere Zeit in der F klinik/B W befunden habe (Klagebegründung vom 22. Juni 1999, Bl. 1 ff. d.A., und Schriftsatz vom 12. November 1999, Bl. 56/57 d.A.). Von einer Invalidität infolge dieses Unfalls, die die obigen Begriffsmerkmale erfüllen würde, ist nicht die Rede.

In der Berufungsinstanz hat der Kläger bei seiner informatorischen Anhörung vor dem Senat vom 13. Juli 2000 erklärt, er habe noch Schmerzen und Beschwerden und könne keine schweren Lasten tragen (Protokoll des Senats, a.a.O., S. 2, Bl. 126 d.A.). Auch damit hat der Kläger die Merkmale einer fristgerecht eingetretenen, bedingungsgemäßen Invalidität nicht ausreichend dargelegt. Es bleibt offen, an welcher konkreten Gesundheitsbeeinträchtigung er noch leidet und inwieweit insoweit bereits am Ende des Unfalljahres die zeitliche Prognose eines Dauerschadens gerechtfertigt war.

Da der Kläger somit die Anspruchsvoraussetzung einer fristgerecht eingetretenen Invalidität nicht ausreichend vorgetragen hat, erweist sich sein Anspruch insoweit als unschlüssig.

b) Auf § 1 Abs. IV AUB 88 vermag der Kläger seinen Anspruch schon deshalb nicht zu stützen, weil die Bandscheibe nicht zu den dort aufgezählten Geweben gehört (vgl. OLG Hamm RuS 95, 79; 98, 128).

c) Ebenso scheidet § 2 Abs. II a AUB 61 als Anspruchsgrundlage aus:

Dieses Bedingungswerk ist von den Parteien noch vor dem Versicherungsfall abbedungen worden (vgl. unten 2 a,).

d) Das Landgericht hat somit im Ergebnis zu Recht die Klage auf Zahlung einer Invaliditäts-Entschädigung abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers ist als unbegründet zurückzuweisen.

2. Anspruch auf Krankenhaustage- und Genesungsgeld:

Auch insoweit ist die Klageabweisung durch das Erstgericht nicht zu beanstanden.

Diesem Klageantrag kann im Hinblick auf den Ausschlußtatbestand des § 2 III Ziff. 2 AUB 88 nicht stattgegeben werden:

a) Im Gegensatz zur Auffassung des Klägers steht der Senat auf dem Standpunkt, daß die AUB 61 (insbesondere § 2 Abs. 2 a AUB 61) im Streitfall keine Anwendung findet:

Insoweit kann dahinstehen ob - wie der Kläger behauptet - der klagegegenständliche Versicherungsvertrag lediglich eine Fortführung eines alten Versicherungsvertrages aus den 80er Jahren, für den die AUB 61 vereinbart gewesen ist, sein sollte. Ausweislich der vorliegenden Vertragsunterlagen sind nämlich selbst bei einer bloßen Vertrags-Fortführung die AUB 88 wirksam in den Versicherungsvertrag einbezogen worden.

Da der Änderungsantrag des Klägers vom 24. Juli 1993 vor dem Stichtag für die Anwendung des § 5 a VVG n.F. (31. Dezember 1994) lag, galt für die Einbeziehung geänderter AVB das alte Recht (vgl. Roemer/Langheid, VVG, Rdz. 29 zu § 5 a VVG n.F.). Für die Einbeziehung neuer AVB genügte demnach im Streitfall der ausdrückliche Hinweis auf die Einbeziehung dieser AVB in den Vertragsunterlagen, ohne daß die Erfordernisse des § 2 Abs. 1 Nr. 1 u. 2 AGBG erfüllt sein mußten (vgl. Roemer, a.a.O.).

Diese Formalien sind hier erfüllt. Das vom Kläger am 24. Juli 1993 unterzeichnete Antragsformular der Beklagten enthielt über dessen Unterschrift den hinreichend deutlichen Hinweis darauf, daß die auf der Rückseite des Antrags aufgeführten Vertragsbedingungen Vertragsbestandteil sein sollten. In diesen Vertragsbedingungen ist aber ausdrücklich die AUB 88 genannt. Mit Zusendung des entsprechenden neuen Versicherungsscheins durch die Beklagte sind somit die AUB 88 wirksam in den Vertrag einbezogen worden.

b) Ist dies aber so, so steht dem Kläger deshalb kein Anspruch auf Krankentage- und Genesungsgeld zu, weil gemäß § 2 III Ziff. 2 AUB 88 Schädigungen infolge Bandscheiben-Vorfällen nur dann unter den Versicherungsschutz fallen, wenn das entsprechende Unfallereignis die überwiegende Ursache dieser Gesundheitsschädigung ist:

Dies hat der darlegungs- und beweispflichtige Kläger nicht schlüssig dargelegt (vgl. hierzu Grimm, a.a.O., Rdz. 101 zu § 2 AUB 88):

Bandscheiben-Vorfälle sind in der Regel durch degenerative Vorschäden des Versicherungsnehmers bedingt. Für diese besteht kein Versicherungsschutz. Beim überwiegenden Mitwirken äußerer, traumatischer Ursachen ist jedoch in der Regel zu erwarten, daß schwere Verletzungen oder Brüche an der Wirbelsäule festzustellen sind (vgl. OLG Oldenburg, RuS 97, 41; OLG Hamm, RuS 98, 128; OLG Schleswig, RuS 95, 119). Ist dies nicht der Fall, so ist davon auszugehen, daß allein die - nicht entschädigungspflichtige - Kraftentfaltung des Versicherungsnehmers als bloße "Gelegenheitsursache" zu dem Bandscheibenvorfall geführt hat (vgl. die vorstehenden Zitate).

So liegt es aber auch bei der vom Kläger gegebenen Unfallschilderung. Danach stellt sich der erlittene Bandscheiben-Vorfall als bloße Folge der besonderen Kraftanstrengung dar, die der Kläger beim Entgegenstemmen gegen das kippende Motorrad aufwenden mußte. Von einer knöchernen Verletzung an der Wirbelsäule als Unfallfolge ist weder in der Klagebegründung noch in dem vorgelegten neurologischen Befund (Dr. M S vom 28. Juli 1997) die Rede.

Bei dieser Sachlage ist das überwiegende Mitwirken einer äußeren traumatischen Ursache nicht feststellbar.

c) Im Hinblick auf den Ausschlußtatbestand in § 2 III Ziff. 2 AUB 88 ist somit auch der Antrag auf Zahlung eines Krankentage- bzw. Genesungsgeldes nicht begründet.

d) Damit erweist sich das Rechtsmittel des Klägers auch insoweit als erfolglos, so daß seine Berufung als unbegründet zurückzuweisen ist.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

IV.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

V.

Die Festsetzung der Beschwer folgt aus § 546 Abs. 2 ZPO.

VI.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 546 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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