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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 29.11.2001
Aktenzeichen: Ws 1109/01
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 67 d Abs. 3
StGB § 67 d Abs. 3S. 1
StGB § 67 d Abs. 2
StGB § 62
1. § 67 d Abs. 3 n.F. StGB ist verfassungsgemäß und findet auch auf sog. "Altfälle" Anwendung.

2. Auch wenn die Sicherungsverwahrung nach 10 Jahren nicht für erledigt erklärt wird, kann die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung auszusetzen sein.


Ws 1109/01

Nürnberg, den 29. Nov. 2001

In der Maßregelvollzugssache

wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.;

hier: sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Erledigungserklärung der Sicherungsverwahrung,

erläßt der Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluß:

Tenor:

I. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth wird der Beschluß der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing vom 16.08.2001 dahin abgeändert, daß die mit Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 06.09.1988 (Az. 7 KLs 226 Js 13027/86) angeordnete Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach Ablauf von 10 Jahren nicht für erledigt erklärt, aber mit Wirkung ab dem 06.12.2001 zur Bewährung ausgesetzt wird.

II. Die Belehrung über die Bedeutung der Aussetzung der Unterbringung zur Bewahrung, der erteilten Weisungen und über die Strafbarkeit eines Weisungsverstoßes wird dem Leiter der Justizvollzugsanstalt Straubing übertragen.

III. Die Kosten beider Beschwerdeverfahren hat der Verurteilte zu tragen.

Gründe:

I.

... wurde mit Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 06.09.1988 i.V.m. dem Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 12.11.1987 wegen eines Vergehens der gefährlichen Körperverletzung in Tatmehrheit mit zwei rechtlich zusammentreffenden Verbrechen der versuchten räuberischen Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren 9 Monaten verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet.

Die 7. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth gelangte in dem Urteil vom 06.09 1988 aufgrund einer Gesamtwürdigung seiner Persönlichkeit, seiner früher verübten Straftaten und der abzuurteilenden Tat zu dem Ergebnis, daß er infolge eines durch Anlage erworbenen Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer körperlich schwer geschädigt werden, für die Allgemeinheit gefährlich ist und führte hierzu u.a. aus.

"Die Gefährlichkeit des Angeklagten und damit das Bedürfnis nach verstärkter Sicherung vor seinen Gewalttaten ergibt sich aus den tatsächlichen Feststellungen der genannten rechtskräftigen Verurteilungen vom 19.03.1973 (LG München) und vom 02.12.1980 (LG Nürnberg-Fürth).

Lag der ersten Verurteilung zugrunde, daß er, um einem ihm lästig gewordenen Türken zu vertreiben, diesen mit 5 Schüssen aus einer Pistole wobei 4 trafen und schwere Verletzungen verursachten niederstreckte so lag der zweiten Verurteilung zugrunde, daß er aus nichtigem Anlaß mit brutaler Gewalt einem 32-jährigen Gast einer Wirtschaft ein Bierglas so heftig ins Gesicht druckte daß dieser sein rechtes Augenlicht auf Dauer verlor.

Eine gleichgelagerte kriminelle Betätigung aus nichtigem Anlaß liegt auch der hier abzuurteilenden Tat zugrunde. Denn lediglich weil seine "Eltern" wegen fehlender Geldmittel sich weigerten dem Angeklagten 1000,- DM auszuhändigen, schlug er mit einem dickwandigen Glas auf den Hinterkopf seines Stiefvaters ein, wobei dieser nicht unerheblich verletzt wurde. ...Darauf, daß sich die hier zur Verurteilung anstehende letzte Tat im engsten Familienverband abgespielt hat, kommt es nicht entscheidend an. Denn auch die Gefahr künftiger Übergriffe im sozialen Nahbereich genügt zur Feststellung der ungünstigen Prognose."

Nach vollständiger Verbüßung der Freiheitsstrafe bis 11.10.1990, befand er sich ab 12.10.1990 in Sicherungsverwahrung. Mit Beschluß der 3. auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing vom 16.06.1995 wurde er mit Wirkung ab 30.06.1995 in den Vollzug der Maßregel der Unterbringung in ein psychiatrisches Krankenhaus mit dem Ziel der Durchführung einer Betäubungsmitteltherapie überwiesen, die mit Beschluß der Strafvollstreckungskammer vom 14.09.1998 aufgehoben wurde (Aufenthalt im Bezirkskrankenhaus S vom 11.07.1995 bis 20.12.1998). Seit 21.12.1998 befindet er sich wieder in Sicherungsverwahrung, die zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten 2 Wochen wegen am 18.03.1994 begangener vorsätzlicher Körperverletzung eines Strafgefangenen und der Beleidigung dreier Vollzugsbeamter vom 01.03.1999 bis 14.06.1999 unterbrochen war. 10 Jahre der Maßregel sind seit 24.01.2001 vollzogen.

Im gegenständlichen Erledigungsverfahren hat sich die Justizvollzugsanstalt S mit Stellungnahme vom 14.07.2000 gegen eine Erledigterklärung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ausgesprochen.

Nach Erholung von schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. vom 10.03.2000, 18.09.2000 und ergänzender Stellungnahme vom 05.01.2001 hatte die Strafvollstreckungskammer mit Beschluß vom 22.01.2001 die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht für erledigt erklärt und die weitere Vollstreckung der Sicherungsverwahrung noch nicht zur Bewährung ausgesetzt. Diese Entscheidung hob der Senat auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten mit Beschluß vom 28.02.2001 auf und verwies das Verfahren zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens, an die Strafvollstreckungskammer zurück Das Gericht horte den Sachverständigen Prof. Dr. und den Verurteilten mündlich an.

Mit Beschluß vom 16.08.2001 erklärte die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing die mit Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 06.09.1988 angeordnete Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach Ablauf von 10 Jahren für erledigt. In den Ziffern 2-4 setzte sie die Dauer der gesetzlich eintretenden Führungsaufsicht auf 5 Jahre fest, unterstellte den Verurteilten für die Dauer der Führungsaufsicht der Aufsicht und Leitung des für seinen jeweiligen Wohnsitz zuständigen hauptamtlichen Bewährungshelfers und erteilte ihm verschiedene Weisungen.

Gegen diesen am 30.08.2001 zugestellten Beschluß hat die Staatsanwaltschaft mit dem beim Landgericht Regensburg mit Sitz in Straubing am 31.08.2001 eingegangenen Schreiben vom 30.08.2001 sofortige Beschwerde eingelegt und diese mit Schreiben vom 19.09.2001 begründet. Da nach Einschätzung des Sachverständigen in der mündlichen Anhörung die Ursache des Hangs zur Begehung gravierender Straftaten, die leichte Kränkbarkeit des Verurteilten mit überschießendem Reagieren weiterhin fortbestehe, sei die Angabe der Rückfallwahrscheinlichkeit mit weniger als 50 % vorsichtig geschätzt, jedoch bei weitem noch ausreichend, eine positive Gefahrenprognose zu stützen, die eine naheliegende, konkrete Gefahr eines Rückfalls nicht erfordere.

Die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht beantragt, den Beschluß vom 16.08.2001 aufzuheben und die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung nicht für erledigt zu erklären.

Hierzu sowie zur Stellungnahme der JVA S vom 17.09.2001 und dem Bericht des Bewährungshelfers vom 17.10.2001 haben sich der Verurteilte und sein Verteidiger geäußert. Nach Hinweis des Senats, daß im Falle des Erfolges des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft die Aussetzung der weiteren Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zur Bewahrung in Betracht kommen könne, haben sich dagegen sowohl der Verurteilte als auch die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Nürnberg ausgesprochen.

II.

Auf die zulässige sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist der Beschluß der Strafvollstreckungskammer dahingehend abzuändern, daß die mit Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 06.09.1998 angeordnete Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach Ablauf von 10 Jahren nicht für erledigt erklärt wird (§ 67 d Abs. 3 S. 1 StGB). Die weitere Vollstreckung der Sicherungsverwahrung ist aber nach § 67 d Abs. 2 StGB ab 06.12.2001 zur Bewahrung auszusetzen. Da in diesem Fall auch mit der Aussetzung Führungsaufsicht eintritt (§ 67 d Abs. 2 S. 2 StGB hat es bezüglich der Ziffern 2-4 des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer vom 16.08.2001 sein Bewenden.

Entgegen den vom Verurteilten vorgebrachten verfassungsrechtlichen Einwendungen halt der Senat (vgl. auch Beschlüsse vom 12.09 2000 - Ws 623/00; vom 19.02.2001 - Ws 81/01) in Übereinstimmung mit der Strafvollstreckungskammer (vgl. auch Beschluß vom 16.05.2000 - StVK 190/84) § 57 d Abs. 3 n.F. für verfassungsgemäß. Zwar war nach der bis zum 31.1.1998 geltenden Vorschrift des § 67 d Abs. 1 StGB a.F. eine zum ersten Mal in der Sicherungsverwahrung untergebrachte Person spätestens nach 10 Jahren im Vollzug der Maßregel zwingend aus dieser zu entlassen und konnte der Untergebrachte deshalb bis zu diesem Zeitpunkt darauf vertrauen, Anfang 2001 aus der Unterbringung entlassen zu werden. Durch das "Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten" vom 26.1.1998 wurde die Höchstfrist von 10 Jahren für die erste Anordnung der Sicherungsverwahrung mit sofortiger Wirkung gestrichen und kann nach § 67 d Abs. 3 StGB n.F. das Gericht die Unterbringung nur dann noch für erledigt erklären wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte infolge seines Hanges schwerwiegende Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. In der amtlichen Begründung des Gesetzes vom 26.1.1998 (Bundesdrucksache 13/9062, Seite 12 zu Art. 1 a EGStGB) wurde zutreffend die Auffassung vertreten, daß an den Rückwirkungsschutz bei § 67 d StGB nicht diesselben hohen Anforderungen wie bei § 66 Abs. 3 StGB n.F zu stellen sind, da diese Neuregelungen nicht die Anordnung, sondern allein die Dauer der Sicherungsverwahrung betreffen. Der Gesetzgeber hat die bislang vorgesehene Beschränkung der ersten Sicherungsverwahrung auf 10 Jahre auch für Altfälle aufgehoben (amtliche Begründung a.a.O Seite 7, linke Spalte), da es mit den berechtigten Sicherheitsinteressen der Bevölkerung nicht in Einklang zu bringen ist einen Straftäter zwingend nach Ablauf von 10 Jahren aus der Sicherungsverwahrung zu entlassen, auch wenn seine hochgradige Gefährlichkeit fortbesteht. Um aber solche Verlängerungen der Sicherungsverwahrung über 10 Jahre hinaus auf die unabweisbar notwendigen Falle zu beschränken, wurde eine gesonderte gerichtliche Überprüfung angeordnet und kann die Sicherungsverwahrung über 10 Jahre hinaus nur vollstreckt werden, wenn die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte infolge seines Hanges Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Der Senat hat sich in dem Beschluß vom 12.09.00 der Meinung der Strafvollstreckungskammer in dem Beschluß vom 16.05.00 (a.a.O.) angeschlossen, daß mit diesen eng gefaßten Voraussetzungen für eine Aufrechterhaltung der Sicherungsverwahrung über 10 Jahre hinaus der Gesetzgeber die berechtigten Interessen der Betroffenen insbesondere ihr Recht auf persönliche Freiheit und Entfaltungsfreiheit in Abwägung zu den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit und dem Recht potentieller Opfer auf körperliche Unversehrtheit und Leben ausreichend berücksichtigt hat. Ob sich Art. 103 Abs. 2 GG auch auf Maßregeln der Sicherung und Besserung erstreckt und der Wegfall der zeitlichen Begrenzung einer ersten Sicherungsverwahrung einen Untergebrachten in Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt, hat das Bundesverfassungsgericht bislang nicht entschieden. Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat mit Beschluß vom 02.05.2001 (2 BVR 571/01) die Verfassungsbeschwerde des Verurteilten gegen den Beschluß des Senats vom 28 02.2001 (Ws 200/01), den Beschluß des Landgerichts Regensburg vom 22.01.2001 (StVK 40/89) nicht zur Entscheidung angenommen und in den Gründen darauf hingewiesen daß die Beurteilung der verfassungsrechtlichen Frage des Verstoßes der rückwirkenden Neuregelung des § 67 d Abs. 1 StGB (i.V.m. § 2 Abs. 6 StGB) gegen Art. 103 Abs. 2 GG oder gegen Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG i.V.m. dem Rechtstaatsprinzip des Grundgesetzes offen aber im Ausgangsverfahren nur dann entscheidungserheblich ist, wenn die Fachgerichte bei erneuter Prüfung der Sache nicht zu dem Ergebnis gelangen, daß die Sicherungsverwahrung zu beenden sei.

Die Strafvollstreckungskammer hat unter auszugsweiser Wiedergabe der schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. vom 10.03.2000 und 18.09.2000 sowie seiner ergänzenden Stellungnahme vom 05.01.2001 und der Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt S vom 20.10.1999 und 14.07.2000 festgestellt, daß bei dem Verurteilten grundsätzlich noch die Gefahr besteht, daß er infolge seines Hanges erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. In diese Würdigung hat es auch das Vorleben des Verurteilten mit den o.g. schwerwiegenden Straftaten (Urteile des LG München I vom 19.03.1973 und des LG Nürnberg-Fürth vom 02.12.1980) sowie den der gegenständlichen Verurteilung zugrundeliegenden Straftaten einbezogen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die diesbezüglichen Ausführungen der Strafvollstreckungskammer (Ziffer II Seite 4 - 7, 1. Abs.) Bezug genommen. Aufgrund der ausführlichen, nachvollziehbaren, schriftlichen Äußerungen des Sachverständigen Prof. Dr. steht fest, daß noch die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte infolge seines Hanges erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Der Sachverständige hat mehrmals, u.a. in dem Gutachten vom 18.09.2000 darauf hingewiesen, daß bei dem Untergebrachten neben einem hohen Aggressionspotential außerdem eine massive Aggression gegen seine soziale Umgebung bestehe und eine Enthemmung durch Alkohol und Drogen das Unrechtsbewußtsein aufheben und das gefährliche Aggressionspotential ungehemmt freisetzen könne. Zwar gebe es derzeit für einen Drogenmißbrauch keinerlei Anhaltspunkte, aber diese Gefahr sei nicht ganz auszuschließen, falls die Angaben des Verurteilten über einen Drogenmißbrauch im Bezirkskrankenhaus S (siehe Gutachten vom 10.03.2000, Seite 22, letzter Absatz bis 25 vorletzter Absatz) zutrafen. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, daß der Sicherungsverwahrte am 18.03.1994 in Anwesenheit eines Betriebsbeamten aus Verärgerung dem Strafgefangenen gegen dessen Geschlechtsteil gezielt einen schmerzhaften Stoß mit dem Knie oder dem Fuß versetzt hat (Urteil des AG Regensburg vom 07.09.1994 - 21 Ds 133 Js 91848/94) und er ausweislich der Grunde des noch nicht rechtskräftigen Urteils des AG Regensburg vom 13.12.2000 gegenüber dem Amtsrichter in der Hauptverhandlung erklärt hat er werde bei sich bietender Gelegenheit Rauschgift erwerben und konsumieren. Aus einer Gesamtschau aller zu berücksichtigenden Kriterien ergibt sich deshalb, daß der Untergebrachte als Hangtäter für die Allgemeinheit gefährlich ist, weil die Wahrscheinlichkeit besteht, daß er auch in Zukunft erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden (Schönke-Schröder-Stree, StGB, 26. Aufl., § 67 d Rn. 13; v. § 61, Rn. 9 f). Deshalb kann die Sicherungsverwahrung noch nicht nach § 67 d Abs. 3 S. 1 StGB für erledigt erklärt werden.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund der Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. vom 02.08.2001. Dabei hat der Sachverständige erklärt es lasse sich nicht annehmen, daß es mit großer Wahrscheinlichkeit insbesondere zu Körperverletzungen durch den Verurteilten komme. Eher liege eine geringe Wahrscheinlichkeit von weniger als 50 % vor. Es bestehe eine leichte Kränkbarkeit des Verurteilten mit überschießendem Reagieren. Deshalb sei anfangs eine beschützende Umgebung erforderlich, um das Risiko weiter zu verringern. Straftaten, durch die Opfer schwer geschädigt werden, seien auch unter Berücksichtigung der massiven Vorstrafen wegen des inzwischen fortgeschrittenen Alters des Verurteilten licht zu erwarten. Diese Prognose sei unabhängig von einer Heimunterbringung des Verurteilten auch wenn er diese für 1 bis 2 Jahre für unabdingbar halte, um das Risiko weiter zu verringern. Damit hat der Sachverständige nicht nur seine schriftlichen Gutachten relativiert, sondern auch verdeutlicht, daß einerseits noch die Gefahr der Begehung erheblicher Straftaten besteht, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, aber zum anderen dies nicht mehr zu erwarten sei. Damit sind zwar die Voraussetzungen des § 67 d Abs. 3 S. 1 StGB nicht gegeben aber die des § 67 d Abs. 2 StGB. Die Erwartung i.S.d. § 67 d Abs. 2 StGB bedeutet nämlich nicht die Gewißheit oder Sicherheit, daß keine rechtswidrigen Taten mehr begangen werden. Vielmehr läßt sie ein gewisses Risiko der Fehlprognose zu (Schönke-Schröder-Stree, aaO, § 67 d Rn. 7; § 56 Rn. 15).

Der erfahrene Sachverständige Prof. Dr., der den Verurteilten aufgrund der Explorationen vom 27.01.00 und 25.08.00 kennt ist zu der Erkenntnis gelangt, daß trotz der bei dem Verurteilten bestehenden anlagebedingten Gefährlichkeit für die Allgemeinheit keine weiteren erheblichen Straftaten zu erwarten sind, weil der Verurteilte gelernt habe, Konfliktsituationen bereits im Ansatz zu erkennen und rechtzeitig den Rückzug anzutreten. Deshalb kann zwar die Sicherungsverwahrung nicht für erledigt erklärt werden sie muß aber unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) und der eng gefaßten Voraussetzungen für eine Aufrechterhaltung der Sicherungsverwahrung über 10 Jahre hinaus ausgesetzt und dem 58-jährigen Verurteilten die Chance eingeräumt werden, sich zu bewahren.

Es kommt deshalb nicht auf die von Fischer (in Tröndle/Fischer StGB, 50 Aufl., § 67 d Rn. 6 c) vertretene Meinung an, daß die Vollstreckung der Unterbringung dann zur Bewährung auszusetzen ist wenn bei einem Untergebrachten nur noch die bloße Möglichkeit aber keine mit Gründen belegbare Wahrscheinlichkeit neuer Straftaten mehr besteht (aA S - S - Stree aaO §§ 67 d Rn. 13; 66 Rn. 35; v. 61 Rn. 9).

Der Senat hält die im Beschluß der Strafvollstreckungskammer vom 16.08.2001 getroffenen Anordnungen bzgl. der auch nach § 67 d Abs. 2 S. 2 StGB kraft Gesetzes eintretenden Führungsaufsicht für diesen Fall für erforderlich, weshalb es bei den Anordnungen gem. Ziffer 2-4 sein Bewenden hat. Da trotz der Stellungnahmen der JVA S vom 17.09.2001 und des Berichtes des Bewährungshelfers vom 17.10.2001 der Verurteilte und sein Verteidiger im Beschwerdeverfahren ausdrücklich erklärt haben, daß der Verurteilte der ihm gem. Ziffer 4 a des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer auferlegten Weisung Folge leisten wolle, ist diese infolge seiner Zustimmung aufrechtzuerhalten (Tröndle/Fischer aaO, § 68 b Rn. 13). Um weiterer Mißverständnissen vorzubeugen, ist der Verurteilte darauf aufmerksam zu machen, daß der Bewährungshelfer ihn auch anweisen kann sich bei den vom Bewährungshelfer genannten Wohnheimen zu bewerben und vorzustellen. Es muß auch in seinem Interesse liegen daß er dabei erkläre er sei mit einer diesbezüglichen Weisung des Gerichts deshalb ausdrücklich einverstanden gewesen, weil er schon längere Zeit vor seiner Entlassung bemüht war, für sich einen Rennplatz zu finden. Der Verurteilte wird nochmals eindringlich darauf hingewiesen, daß der Verstoß auch gegen eine derartige Weisung zum Aussetzungswiderruf nach § 67 g Abs. 1 Nr. 2 StGB führen kann (vgl. Tröndle/Fischer aaO, § 68 b Rn. 13 a.E). In Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Prof. Dr. hält der Senat als flankierende Maßnahme die Heimunterbringung des Verurteilten zunächst für unbedingt erforderlich, so daß es in diesem Zusammenhang völlig unermeßlich ist, daß der Sachverständige unabhängig von einer Heimunterbringung zu seiner bei der Anhörung vom 02.08.2001 gestellten Prognose gekommen ist. Der Senat verkennt nicht, daß sich der Verurteilte widersprüchlich verhält, indem er einerseits seine Zustimmung zu einer Heimunterbringung und seine diesbezüglichen bisherigen Bemühungen betont, andererseits darauf hinweise, daß der Gutachter seine Gefährlichkeit grundsätzlich gering eingeschätzt habe, auch wenn keine Unterbringung in einem Heim für Strafentlassene erfolge. Wegen des Verhaltens des Verurteilten sah sich der Senat zu den klarstellenden Hinweisen veranlaßt.

Die Übertragung der Belehrung über die Bedeutung der Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung, der erteilten Weisungen und über die Strafbarkeit eines Weisungsverstoßes auf den Leiter der Justizvollzugsanstalt S beruht auf §§ 463 Abs. 3; 454 Abs. 4 StPO.

Da die Staatsanwaltschaft mit ihrem Rechtsmittel auf Nichterledigterklärung der Sicherungsverwahrung Erfolg hatte und sich auch der Verurteilte einer Aussetzung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung widersetzte, besteht keine Veranlassung, die Kosten einschließlich der notwendigen Auslagen des Verurteilten für beide Rechtsmittel der Staatskasse teilweise aufzuerlegen, sondern diese hat der Verurteilte zu tragen (§§ 473 Abs. 1; 4 StPO).

Ende der Entscheidung

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