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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 27.11.2003
Aktenzeichen: Ws 1267/03
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 31 Abs. 1 Nr. 6
1. Bei Anhaltung eines in fremder Sprache verfaßten Briefes der Ehefrau des Strafgefangenen sind Feststellungen erforderlich, ob die Absenderin nicht der deutschen Sprache mächtig ist und der Strafgefangene diese fremde Sprache lesen kann.

2. Trifft dies zu, ist zu berücksichtigen, daß der den familiären Kontakt betreffende Briefverkehr Art. 6 I GG berührt.

3. Eine davon zu unterscheidende Frage betrifft die Notwendigkeit der Übersetzung des fremdsprachigen Briefes und der Kostentragung.


Ws 1267/03

Nürnberg, den 27. Nov. 2003

In der Strafvollstreckungssache

des Strafgefangenen

wegen Anhalten eines Briefes;

hier: Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen gemäß § 116 StVollzG,

erläßt der Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluß:

Tenor:

I. Auf die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen ... wird der Beschluß der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts ... vom 01.10.2003 aufgehoben.

II. Das Verfahren wird zur Aufklärung des Sachverhalts und zur erneuten Entscheidung - einschließlich der Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts ... zurückverwiesen.

III. Der Beschwerdewert wird auf 100, EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer, der sich seit 16.07.2001 in Strafhaft befindet, hat mit Schreiben vom 14.08.2003 beantragt, den am 07.08.2003 angehaltenen Brief seiner Ehefrau ... vom 06.08.2003 an ihn auszuhändigen, weil seine Ehefrau russische Staatsangehörige ist und der deutschen Sprache nicht mächtig sei. Auch wenn er nun deutscher Staatsangehöriger sei, beherrsche er als ehemaliger russischer Staatsangehöriger auch die russische Sprache.

Mit Beschluß vom 01.10.2003 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts ... den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen und sich hierzu auf die Entscheidung des Senats vom 05.09.2002 (Ws 1064/02) gestützt. Gegen diesen am 07.10.2003 zugestellten Beschluß hat der Strafgefangene zur Niederschrift des Amtsgerichts ... am 31.10.2003 Rechtsbeschwerde eingelegt, weil die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten sei. Die Strafvollstreckungskammer hätte den Sachverhalt von Amts wegen aufklären und berücksichtigen müssen, daß ihm mit seiner russischen Ehefrau Briefkontakt zustehe.

Die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Nürnberg beantragt, die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen, weil die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung und der ständigen Rechtsprechung des Senats entspreche.

II.

Die statthafte sowie form - und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde (§§ 116 Abs. 1; 118 Abs. 1 StVollzG) ist zulässig, weil es geboten ist, die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung - zu ermöglichen (§ 116 Abs. 1 StVollzG).

Das Schreiben der Ehefrau des Strafgefangenen kann nur dann nach § 31 Abs. 1 Nr. 6 StVollzG angehalten werden, wenn es ohne zwingenden Grund in einer fremden Sprache abgefaßt ist. Ob dies der Fall ist, muß im konkreten Einzelfall von Amts wegen geprüft und festgestellt werden (vgl. OLG Karlsruhe, NStZ 1991, 509). Die Strafvollstreckungskammer hätte deshalb aufklären müssen, ob die in ..., wohnhafte Ehefrau nur der russischen Sprache mächtig und deshalb außer Stande ist, einen Brief in deutscher Sprache an den Strafgefangenen, der nach den Schreiben in diesem Verfahren deutsch lesen und schreiben kann, zu schreiben. Darüber hinaus bedurfte es der Feststellung, ob der Strafgefangene einen in russischer Sprache verfaßten Brief lesen kann und nicht seinerseits gezwungen wäre, sich diesen von einem Mitgefangenen übersetzen zu lassen. Allein die Behauptung des Strafgefangenen, er sei ehemaliger russischer Staatsbürger, reicht hierfür deshalb nicht aus, weil der Antrag vom 14.08.2003 auf gerichtliche Entscheidung und der Stellungnahme des Strafgefangenen vom 07.09.2003 im Schriftbild erheblich von dem Entwurf der Rechtsbeschwerde vom 14.10.2003 abweicht. Da er diese Schreiben jedoch unterschrieben hat und sich beim Rechtspfleger des Amtsgerichts auch in deutscher Sprache ausdrücken konnte, steht damit fest, daß er deutsch lesen und sprechen kann. Erst nach der entsprechenden Sachaufklärung ist eine Entscheidung der Strafvollstreckungskammer darüber möglich, ob die Voraussetzungen des §§ 31 Abs. 1 Nr. 6 StVollzG gegeben sind. Dabei wird die Strafvollstreckungskammer auch zu berücksichtigen haben, daß der den familiären Kontakt betreffende Briefverkehr Art. 6 Abs. 1 GG berührt (vgl. Beschluß des BVerfG vom 07.10.2003 - 2 BvR 2118/01 m.w.N.). Eine davon zu unterscheidende Frage ist, ob ein nach § 31 Abs. 1 Nr. 6 StVollzG nicht anzuhaltender Brief in einer Fremdsprache im Einzelfall eine Übersetzung erforderlich macht und in welchem Umfang die anfallenden Übersetzungskosten vom Staat zu tragen sind (vgl. BVerfG a.a.O. bezüglich der Dolmetscherkosten für die Briefkontrolle eines fremdsprachigen Angeklagten in Untersuchungshaft). Etwas anderes kann auch nicht aus der Entscheidung des Senats (ZfStrVo 1987, 186), die eine völlig andere Problematik betraf, und aus dem Beschluß des Senats vom 05.09.2002 - Ws 1064/02 entnommen werden. In letzterer Entscheidung hat der Senat die Umstände genannt, aus denen die Einzelfallentscheidung der Strafvollstreckungskammer keinen Anlaß zu Bedenken und für die Aufstellung von Leitsätzen für die Auslegung des § 31 Abs. 1 Nr. 6 StVollzG gegeben hat.

Die Sache ist deshalb an die Strafvollstreckungskammer zur Aufklärung des Sachverhalts und zur erneuten Entscheidung, auch hinsichtlich der Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zurückzuverweisen. Soweit die Anhalteverfügung vom 07.08.2003 auch auf die Gefährdung des Vollzugeszieles und der Ordnung der Anstalt (§ 31 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG) gestützt worden war, hat sich hierauf die Justizvollzugsanstalt in ihrer Stellungnahme vom 28.08.2003 nicht berufen und die Strafvollstreckungskammer auch diesen Anhaltegrund nicht behandelt, bzw. berücksichtigt.

Beschwerdewert: §§ 48 a; 13 GKG.

Ende der Entscheidung

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