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Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 23.03.2004
Aktenzeichen: Ws 242/04
Rechtsgebiete: BayStrUBG


Vorschriften:

BayStrUBG Art. 1
1. Für eine Unterbringung nach Art. 1 BayStrUBG i.V.m. dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10.02.2004 - Az.: 2 BvR 834/02 - müssen nachträglich Tatsachen eingetreten sein, die selbst in hohem Maß die Gefährlichkeit des Täters manifestieren. Die bloße Feststellung fortdauernder Gefährlichkeit genügt nicht.

2. Die Therapieverweigerung allein genügt als neue Tatsache nicht.


Ws 242/04

Nürnberg, den 23.03.2004

In der Unterbringungssache nach dem BayStrUBG

wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern u.a.;

hier: sofortige Beschwerde der JVA ... gegen den ablehnenden Beschluß der Strafvollstreckungskammer,

erläßt der Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluß:

Tenor:

I. Die sofortige Beschwerde der Justizvollzugsanstalt ... vom 18.02.2004 gegen den Beschluß der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing vom 12.02.2004 wird als unbegründet verworfen.

II. Die notwendigen Auslagen des Strafgefangenen im Beschwerdeverfahren hat die Staatskasse zu tragen.

Gründe:

I.

... verbüßt in der Justizvollzugsanstalt ... eine Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Jahren 6 Monaten wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern und zugleich des sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen in 6 Fällen (Urteil des Landgerichts Augsburg vom 22.09.1995). Das Strafende ist auf den 13.08.2004 vorgemerkt.

Mit Beschluß vom 12.02.2004 hat die Strafvollstreckungskammer den Antrag der Justizvollzugsanstalt ... auf Unterbringung nach dem Bayerischen Gesetz zur Unterbringung von besonders rückfallgefährdeten hochgefährlichen Straftätern vom 14.10.2003 zurückgewiesen und der Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die dem Betroffenen dabei entstandenen notwendigen Auslagen auferlegt.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die sofortige Beschwerde der Justizvollzugsanstalt ... vom 18.02.2004, eingegangen am 19.02.2004.

Auf die Begründung des angefochtenen Beschlusses und das Vorbringen in der Beschwerdeschrift wird Bezug genommen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig (Artikel 3 Abs. 2 und 4 BayStrUEG, § 311 Abs. 2 StPO). Sie ist jedoch unbegründet.

Die Strafvollstreckungskammer hat mit Recht das Vorliegen der Voraussetzungen des Artikel 1 BayStrUBG verneint.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 10.02.2004 das BayStrUBG für verfassungswidrig erklärt und zugleich ausgesprochen, daß das Gesetz nach Maßgabe der Urteilsgründe bis zum 30.09.2004 anwendbar bleibt.

Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte breite Prognosebasis war schon nach dem bisherigen Rechtsverständnis notwendig. Schon bisher war für eine Unterbringung aufgrund des BayStrUBG (von der Verfassungswidrikgeit aufgrund der fehlenden Gesetzgebungskompetenz abgesehen) eine umfassende Prüfung der Täterpersönlichkeit und der begangenen Taten notwendig.

Die nachträgliche Anordnung einer Unterbringung, obwohl die Anordnung im Urteil unterblieben war, hat jedoch schon bisher vorausgesetzt und setzt auch nach der Fortgeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts voraus, daß nach der Verurteilung Tatsachen eingetreten sind, die selbst in hohem Maß die Gefährlichkeit des Täters manifestieren (vgl. den Beschluß des Senats vom 23.04.2003 - Ws 288/03 -). Die bloße Feststellung fortdauernder Gefährlichkeit auch im Rahmen einer Gesamtbeurteilung genügt nicht; der Fall liegt anders als bei der nachträglichen Ermöglichung einer Dauer der Sicherungsverwahrung über die Grenze von 10 Jahren hinaus, weil in diesen anderen Fällen die Gefährlichkeit im Ausgangsurteil nach dem vorangegangenen gesetzmäßigen Verfahren festgestellt wurde und der Verurteilte von Anfang an mit dieser Bewertung und der Anordnung der Maßregel konfrontiert wurde. Der Fall liegt auch anders als in den Fällen vorbehaltener Sicherungsverwahrung, in denen der Verurteilte von vornherein weiß, daß er noch mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung rechnen muß.

Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht auch ausgeführt, daß die im Gesetz angeführten Beispiele für neue Tatsachen Einzelpunkte sind, die nur in Verbindung mit früheren Taten und weiteren gewichtigeren Anhaltspunkten aus dem Vollzug als Indizien zur Begründung der Gefährlichkeit herangezogen werden können. Auch zusammen mit einer noch so großen Gefährlichkeit, die sich bereits aus der Tat und dem Vorleben sowie der vom Urteilszeitpunkt bekannten Persönlichkeit des Strafgefangenen ergibt, reicht die Verweigerung der Therapie nicht aus, um eine Unterbringung zu rechtfertigen.

Im übrigen kann im vorliegenden Fall von einer beharrlichen Weigerung im Sinne des Gesetzes nicht gesprochen werden. Eine solche beharrliche Weigerung setzt zum einen voraus, daß dem Verurteilten nach einer Gesamtwürdigung seiner Persönlichkeit und seiner Taten eine bestimmte für ihn geeignete Therapieform angeboten wird, zum anderen, daß er daraufhin die Therapie beharrlich verweigert. Die Justizvollzugsanstalt schreibt im Antrag vom 14.10.2003, daß der Strafgefangene bei der Erstellung des Vollzugsplans im August 1996 keinerlei Interesse an therapeutischen Angeboten des Strafvollzugs gezeigt habe. Vom Angebot einer bestimmten Therapieform kann hier nicht gesprochen werden. Im August 2000 wurde ihm ein Fragebogen hinsichtlich Therapiemöglichkeiten ausgehändigt, den er nicht zurückgab. Es ist nicht ersichtlich, daß hier eine bestimmte Therapieform angeboten wurde, die aufgrund der gebotenen Prüfung ermittelt wurde. Im August 2002 sprach der Psychologe mit dem Gefangenen, wobei sich dieser als unschuldig bezeichnete, riet dem Gefangenen zur Bewerbung in einer sozialtherapeutischen Anstalt für Sexualstraftäter und gab ihm ein entsprechendes Bewerbungsblatt. Es ist nicht ersichtlich, daß dann nachgefragt worden wäre, und sich hier eine beharrliche Weigerung ergeben hätte. Als im Januar 2003 zwei Sozialpädagogen erneut mit dem Inhaftierten sprachen, wollte er sich für sämtliche sozialtherapeutische Abteilungen in Bayern bewerben. Allerdings unterschritt der verbleibende Strafrest nunmehr die Mindesttherapiedauer.

Das Leugnen der Tat ist nicht heranzuziehen. In allen Fällen, in denen eine Gefährlichkeit des Gefangenen feststeht und für sie Rechtsfolgen angeordnet sind, hat es sich der Gefangene selbst zuzuschreiben, wenn er durch Leugnen der Tat eine Therapie aussichtlos erscheinen läßt. Soll jedoch die Gefährlichkeit mit der Verweigerung einer Therapie erst begründet werden, dann darf das bloße Leugnen der Tat nicht als Verweigerung behandelt werden.

Da abgesehen von der geschilderten Leugnung der Tat durch den Strafgefangenen und seinem geschilderten Verhalten bezüglich einer Therapie keine nachträglich eingetretenen Tatsachen ersichtlich sind, die die besondere Gefährlichkeit des Täters erneut manifestiert hätten, kommt eine Unterbringung gemäß Artikel 1 Abs. 1 BayStrUBG nicht in Frage.

Damit ermöglicht es das BayStrUBG nicht, die Allgemeinheit oder den Einzelnen vor dem Strafgefangenen ... zu schützen (vgl. zu seiner Persönlichkeit Urteil S. 146 bis 149). Der Strafgefangene wird jedoch beachten müssen, daß er aufgrund der aus dem Urteil zu ersehenden bei ihm gegebenen Persönlichkeits- und Sexualproblematik in hohem Maß rückfallgefährdet ist, wenn er diese Problematik weiterhin negiert.

Kosten und Auslagen werden nicht erhoben (Artikel 7 Abs. 1 BayStrUBG).

Der Staatskasse sind die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen (Artikel 3 Abs. 2 StrUBG i.V.m. § 473 Abs. 2 S. 1 StPO).

Ende der Entscheidung

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