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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 05.04.2002
Aktenzeichen: Ws 307/02
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 56 f Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Dem Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung steht nicht entgegen, dass ein Gericht bei einer erneuten Verurteilung auch eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet hat.
Ws 307/02

Nürnberg, den 05. April 2002

In dem Strafverfahren

wegen gefährlicher Körperverletzung;

hier: sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Zurückweisung des Antrags auf Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung,

erläßt der Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluß:

Tenor:

I. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Regensburg wird der Beschluß der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Amberg vom 20.02.2002 aufgehoben.

II. Die dem Verurteilten mit Urteil des Amtsgerichts Cham vom 9.02.1999 bewilligte Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe von sechs Monaten zur Bewährung wird widerrufen.

III. Der Verurteilte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe:

I.

... wurde mit seit 17.02.1999 rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Cham vom 09.02.1999 - 10 Ds 129 Js 20928/98 - wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Vollstreckung der Strafe und der Maßregel wurde zur Bewährung ausgesetzt, die Bewährungszeit auf drei Jahre festgesetzt und ihm Weisungen erteilt.

Mit seit 12.12.2001 rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Cham vom 04.12.2001 - 2 Ls 112 Js 8124/01 - ist wegen zweier tateinheitlicher Fälle der Bedrohung, tateinheitlich mit Beleidigung, tatmehrheitlich mit 11 Fällen der Vorsätzlichen Körperverletzung, einmal tateinheitlich mit zwei tateinheitlichen Beleidigungen sowie einmal tateinheitlich mit Beleidigung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung sowie versuchter gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren zwei Monaten verurteilt und ferner seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden. Vor der Maßregel ist ein Jahr Freiheitsstrafe zu vollziehen. Der Verurteilte befindet sich in dieser Sache seit 13.12.2001 in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt.

Mit Beschluß vom 20.02.2002 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Amberg die Bewährungszeit nach der Strafaussetzung zur Bewährung gemäß dem Urteil des Amtsgerichts Cham vom 09.02.1999 um ein Jahr sechs Monate, also auf insgesamt viereinhalb Jahre, verlängert und den Antrag der Staatsanwaltschaft Regensburg auf Widerruf der Strafaussetzung zurückgewiesen.

Gegen diesen am 26.02.2002 zugestellten Beschluß hat die Staatsanwaltschaft Regensburg mit dem beim Landgericht Amberg am 28.02.2002 eingegangenen Schreiben vom 27.02.2002 sofortige Beschwerde eingelegt, weil der Verurteilte in der Bewährungszeit mehrfach einschlägig straffällig wurde und dadurch gezeigt hat, daß er die in ihn gesetzten Erwartungen nicht zu erfüllen bereit ist. Allein der Umstand, daß erneut die Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt nach Vorwegvollzug von einem Jahr der nunmehr verhängten Freiheitsstrafe angeordnet wurde, stehe dem beantragten Widerruf nicht entgegen.

Die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Nürnberg beantragt, auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Regensburg den Beschluß vom 20.02.2002 aufzuheben und die dem Verurteilten mit Urteil des Amtsgerichts Cham vom 19.02.1999 bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung zu widerrufen.

Hierzu wurde der Verurteilte angehört.

II.

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist zulässig (§§ 453 Abs. 2 S. 2; 306; 311 StPO; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Auflage, § 453, Rn. 13 m.w.N.) und begründet.

Nach § 56 f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB widerruft das Gericht die Strafaussetzung zur Bewährung, wenn der Verurteilte in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, daß die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat.

Vorliegend hat der Verurteilte in laufender Bewährungszeit, nämlich in der Zeit vom 31.03. bis 01.05.2001 die o.g. Straftaten begangen, weshalb er mit seit 12.12.2001 rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Cham vom 04.12.2001 - 2 Ls 112 Js 8124/01 - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren zwei Monaten verurteilt worden ist. Er hat dadurch gezeigt, daß sich die Erwartung des Amtsgerichts im Urteil vom 09.02.1999, er werde sich schon die Strafaussetzung zur Bewährung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne weitere Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen, nicht erfüllt hat. Die im Laufe der Bewährungszeit begangenen, teilweise einschlägigen Straftaten zeigen, daß der Verurteilte seine kriminelle Lebensführung nicht geändert hat und die positive Prognose somit nicht aufrechterhalten bleiben kann. Entgegen der Meinung der Strafvollstreckungskammer kann etwas anderes auch nicht daraus abgeleitet werden, daß das Amtsgericht Cham im Urteil vom 04.12.2001 neben der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren zwei Monaten auch die Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt angeordnet hat. Zwar ist Anwendungsvoraussetzung des § 64 StGB nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 16.03.1994 (StV 1994, 594), daß eine hinreichend konkrete Aussicht eines Behandlungserfolges besteht. Das besondere Gewicht des mit der Anordnung der Maßregel des § 64 StGB verbundenen Grundrechteingriffs erschließt sich nicht allein aus der Tatsache des mit ihr verbundenen Freiheitsentzugs, sondern auch daraus, daß der Verurteilte - nicht selten gegen seinen Willen - einer auf die Behebung nicht zuletzt psychischer Fehlhaltungen gerichteten medizinischen Behandlung unterworfen wird, deren Erfolg zudem nicht als gewiß gelten kann (Bundesverfassungsgericht a.a.O.). Nur aus der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt kann noch nicht entnommen werden, daß der erkennende Richter hinreichende Anhaltspunkte dafür hatte, daß sich der Behandlungserfolg einstellen wird und der Verurteilte danach keine alkoholbedingten oder im Zusammenhang mit Alkohol stehenden Straftaten mehr begehen wird. Bereits aus diesem Grund kann allein aus der Unterbringungsanordnung des Amtsgerichts nicht der Schluß gezogen werden, daß jetzt - im Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerrufsantrag - die Sozialprognose nach der Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt günstig ist. Einschlägige Rückfallstraftaten Drogen- oder Alkoholabhängiger müssen einer günstigen Prognose nur dann nicht zwingend entgegenstehen, wenn neue tatsächliche Umstände vorliegen, die geeignet sind, die Möglichkeit der Wiedereingliederung im Einzelfall günstig zu beeinflussen (OLG Hamm, StV 2001, 413, 414; OLG Düsseldorf, StV 1998, 215). Im konkreten Fall kommt noch hinzu, daß der Verurteilte entsprechend der Weisung im Beschluß des Amtsgerichts Cham vom 19.02.1999 die freiwillig zugesagte Alkoholtherapie in der Fachklinik Furth im Wald abgeschlossen hat und trotzdem erneut im Jahr 2001 in erheblich alhoholisiertem Zustand die oben genannten Straftaten verübt hat. Ferner hat das Amtsgericht Cham in dem Urteil vom 04.12.2001 ausgeführt, daß dem Verurteilten die Selbsteinsicht für eine erneute Therapie momentan weitgehend fehle, aber zu erwarten ist, daß die Anordnung des Vorwegvollzugs von einem Jahr Freiheitsstrafe den subjektiven Leidensdruck des Verurteilten dahingehend soweit erhöht, daß eine Mitarbeit an einer Therapie und damit eine reelle Chance der Besserung zu erwarten ist. Aus diesen Umständen ergibt sich zweifelsfrei, daß derzeit die Sozialprognose äußerst ungünstig ist und kann die Verbüßung der Freiheitsstrafe von sechs Monaten zusätzlich dazu beitragen, daß der Verurteilte an der dringend notwendigen Alkoholtherapie mitwirkt. Ihm muß nämlich klar werden, daß er im Falle eines erneuten strafrechtlich relevanten Fehlverhaltens in alkoholisiertem Zustand mit einer immer einschneidenderen Beschränkung seiner persönlichen Freiheit rechnen muß.

Kosten: § 465 StPO.

Ende der Entscheidung

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