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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 18.09.2002
Aktenzeichen: Ws 867/02
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 222
Es liegt kein strafloser fahrlässiger Beitrag zu einem Selbstmord vor, sondern erfüllt die Tatbestandsvoraussetzungen einer fahrlässigen Tötung, wenn der Täter eine von ihm fahrlässig für ungeladene Pistole auf das Verlangen des anderen auf ihn richtet, abdrückt und ihn tötet.
Ws 867/02

Nürnberg den 18. Sep. 2002

In dem Strafverfahren

wegen fahrlässiger Tötung;

hier: sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth gegen die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens,

erläßt der Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluß:

Tenor:

I. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluß der 13. Strafkammer des Landgerichts vom 17.6.2002 aufgehoben.

II. Die Anklage der Staatsanwaltschaft vom 5.4.2002 wird zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren zur Verhandlung vor einer anderen Strafkammer des Landgerichts eröffnet.

Gründe:

I.

Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft zur Strafkammer vom 5.4.2002 legt der Angeschuldigten zur Last, ihren Ehemann am 9.5.2001 dadurch fahrlässig getötet zu haben, daß sie ihm eine Pistole an die Schläfe setzte und abdrückte; sie habe fahrlässig gehandelt, da sie die im Lauf befindliche Patrone aus Unachtsamkeit übersehen habe.

Ihr Ehemann habe sie bei einer Aussprache über die von ihr beabsichtigte Scheidung gefragt, ob sie sich vorstellen könne, ihn zu erschießen. Dann habe er sie aufgefordert, eine unter einem Kissen verborgene Pistole zu nehmen und auf ihn zu schießen. Mit Hilfe ihres Ehemanns habe sie sich davon überzeugt, daß keine Patrone im Magazin gewesen sei; erneut habe er von ihr gefordert, auf seine Stirn oder Schläfe zu zielen; schließlich habe sie es getan und abgedrückt.

Mit Beschluß vom 17.6.2002 hat die 13. Strafkammer des die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt, die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeschuldigten der Staatskasse auferlegt und ausgesprochen, daß die Angeschuldigte für die erlittene Polizei- und Untersuchungshaft aus der Staatskasse zu entschädigen sei.

Nach dem Ergebnis der Ermittlungen sei davon auszugehen, daß sich der Ehemann habe selbst töten wollen und seine Ehefrau dabei als Werkzeug benutzt habe. Das Verhalten der Angeschuldigten stelle sich damit als - unbewußte - Förderung einer von ihrem Ehemann eigenverantwortlich gewollten und verwirklichten Selbstgefährdung dar. Wer eine solche Selbstgefährdung vorsätzlich oder fahrlässig veranlasse, ermögliche oder fördere, mache sich nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts strafbar. Die Kammer verweist hierzu auf die Entscheidungen BGHSt 32, 262, BGH in NStZ 85, 25 und BGH in NStZ 86, 266.

Im übrigen habe die Angeschuldigte auch gar nicht fahrlässig gehandelt. Ihr Ehemann habe ihr versichert, die Waffe sei nicht geladen, und dies durch Herausnahme des Magazins zusätzlich demonstriert. Zudem habe sie sich selbst überzeugt, daß das Magazin leer gewesen sei (vgl. Aussage vom 10.4.2001: Über die Pistole kenne ich gar nichts. Mein Mann hat gesagt, die Pistole ist nicht geladen. Ich habe mich überzeugt, daß da keine Patronen drin waren; habe ich mit Fingern hin und her gestochert); das Maß der erforderlichen Sorgfalt richte sich nach den persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten des Täters.

Gegen diesen der Staatsanwaltschaft am 24.6.2002 zugestellten Beschluß richtet sich ihre sofortige Beschwerde vom 28.6.2002.

Der Verteidiger hat im Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 8.7.2002 Stellung genommen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 210 Abs. 2, 311 Abs. 2 StPO) und begründet.

Der vorliegende Sachverhalt ist rechtlich anders zu bewerten als der Sachverhalt in den von der Kammer zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs.

Diese Entscheidungen gehen von folgender Überlegung aus: Wenn jemand seinen eigenen Tod herbeiführen will und der andere vorsätzlich, aber mit bloßem Gehilfenvorsatz, mitwirkt, bleibt der Gehilfe straflos; denn Selbstmord ist nicht strafbar, also auch nicht die Beihilfe zu ihm.

Wenn nun selbst die vorsätzliche Mitwirkung beim Selbstmord straflos ist, muß es die fahrlässige Ermöglichung des Selbstmordes erst Recht sein.

Dieses Argument ist aber nur durchschlagend, wenn ein gleichartiges äußeres Handeln jeweils mit oder ohne Vorsatz des Handelnden miteinander verglichen wird und das Handeln bei Vorsatz nur Beihilfe zum Selbstmord ist.

In allen drei zitierten und in weiteren vom BGH entschiedenen Fällen, in denen das Argument eine Rolle spielt, wird der letzte Schritt von dem getan, der zu sterben wünscht, oder das Risiko für sich oder sein Leben eingeht; in keinem der zitierten Fälle überläßt diese Person den letzten der für den tödlichen Ausgang maßgeblichen Handlungsschritte dem anderen.

1. Im Fall BGHSt 32, 262 (Urteil vom 14.2.1984). besaß der spätere Verstorbene Heroin und bot dem Angeklagten an, es gemeinsam zu konsumieren. Er sagte, er sei als Drogenkonsument bekannt und bekäme "nirgends mehr" eine Spritze. Der Angeklagte kaufte Einwegspritzen. Jeder der beiden verabreichte sich selbst eine Spritze; der andere verstarb, der Angeklagte überlebte.

Der Bundesgerichtshof verneinte die Strafbarkeit. Der Angeklagte hatte durch die Beschaffung der Spritze und die Beteiligung am gemeinschaftlichen Heroingenuß mitgewirkt; dagegen kann dem Urteil nicht entnommen werden, daß er die tödlich wirkende Spritze dem anderen injizierte, sondern jeder von ihnen spritzte sich das Rauschgift selbst.

2. Im Fall BGH NStZ 85, 25 (Urteil vom 7.8.1984) bereitete der Angeklagte einen Tee aus Stechapfelblättern und bot ihn den anderen anwesenden Personen zum Trinken an und trank auch selbst. Der Teilnehmer, der dann im nahegelegenen Bodensee im flachen Wasser ertrank, hatte entgegen der Warnung des Angeklagten zwei Tassen und zusätzlich den im Topf verbliebenen Satz getrunken, ohne daß ihn der Angeklagte hatte hindern können.

3. Im Fall BGH NStZ 86, 266 (Urteil vom 27.11.1985) verleitete der Angeklagte eine junge Frau, die nur geringe Erfahrung mit Alkohol hatte, dazu, in kurzer Zeit eine halbe Flasche Schnaps auszutrinken, wobei er so tat, als ziehe er jeweils mit ihrem Trinken gleich. Er veranlagte sie zu trinken, und sie selbst, trank. Sie verlor das Bewußtsein, und da er keine Hilfe holte, starb sie.

In diesem Fall war er zu bestrafen (wegen Körperverletzung mit Todesfolge), weil er erkannte, daß das Opfer die Tragweite seines Handelns nicht überblickte.

4. Im Fall BGHSt 24, 342 (Urteil vom 16.5.1972) hatte ein Polizeibeamter seine Dienstpistole geladen auf das Armaturenbrett seines Fahrzeugs gelegt, obwohl er wußte, daß die Frau, mit der er die Fahrt unternahm, schon mehrere Selbstmordversuche unternommen hatte und oft plötzlich bedrückt und schwermütig wurde. Sie besuchten eine Gaststätte und konsumierten erhebliche Mengen alkoholischer Getränke. Später nahm sie bei einer Fahrtunterbrechung unbemerkt die Waffe und erschoß sich. Eine fahrlässige Tötung wurde verneint.

Wenn es dagegen der Mitwirkende war, der - auf das ausdrückliche Verlangen des anderen hin handelnd - das zum Tod des anderen führende Geschehen tatsächlich beherrscht hat, dann hat er nicht Beihilfe zum Selbstmord geleistet, sondern den strafbaren Tatbestand des § 216 StGB der Tötung auf Verlangen erfüllt (vgl. BGHSt 19, 135, Urteil vom 14.8.1963). "Im Einzelfall ist dafür entscheidend die Art und Weise, wie der Tote über sein Schicksal verfügt hat. Gab er sich in die Hand des anderen, weil er duldend von ihm den Tod entgegen nehmen wollte, dann hatte dieser die Tatherrschaft. Behielt er dagegen bis zuletzt die freie Entscheidung über sein Schicksal, dann tötete er sich selbst, wenn auch mit fremder Hilfe."

In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall ging es um eine Verabredung eines Mannes und eines jungen Mädchens, gemeinsam Selbstmord zu begehen, wobei der Angeklagte Auspuffgase in den Pkw leitete, in den er und das spätere Opfer sich setzten; sie verriegelte auf ihrer Seite die Tür.

Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs sollte der Angeklagte das gesamte Geschehen bis zuletzt in der Hand haben und die auf den beiderseitigen Tod hinzielende Ausführungshandlung bis zum Eintritt der eigenen Bewußtlosigkeit fortsetzen; seine Rolle sei die eines Täters nach § 216 StGB gewesen.

Entsprechende Ausführungen finden sich auch im Urteil vom 22.10.1965 (BGH bei Dallinger MDR 1966, 382).

Im vorliegenden Fall lag die entscheidende Ausführungshandlung ebenfalls nicht beim später Getöteten, sondern bei der Angeschuldigten; ihr Mann wollte von ihr getötet werden, und sobald sie abdrückte, hatte er keine Möglichkeit mehr, seine Entscheidung zu ändern. Es liegt auf der Hand, daß es sich, wenn die Angeschuldigte von der Patrone im Lauf gewußt hätte, um eine Tötung auf Verlangen und nicht um eine bloße Beihilfe zum Selbstmord gehandelt hätte.

Damit hat das Argument, wenn schon das bewußte Mitwirken straflos wäre, müsse auch eine fahrlässige Mitwirkung straflos sein, hier keine unmittelbare Geltung.

Der Gesichtspunkt, daß die den Schuß auslösende Ehefrau über die Patrone im Lauf in Unkenntnis war, verstärkt zwar das Gewicht der Rolle des Ehemanns im hohen Maß gegenüber einem vorsätzlichen Handeln der Ehefrau. Eine bewußte Beherrschung des Tötungsgeschehens fehlt. Aber es bleibt dabei, daß ihr Ehemann die irreversible Handlung ihr überließ, da saß und darauf wartete, daß sie auch wirklich seinem Wunsch entsprechend abdrückte. Die Beschuldigte wußte auch, daß ihr die Rolle des Schützen zugedacht war; sie hätte sich deshalb ebenfalls sagen müssen, daß es, wenn sie sich irrte und die Waffe doch geladen war, nur noch auf sie ankam und sie den irreversiblen Handlungsschritt vornahm. In einem solchen Fall kann die Übertragung des für die oben geschilderten Fälle geltenden Grundsatzes nicht überzeugen. Vielmehr ist die fahrlässige Verursachung des Todes des anderen hier als strafbare fahrlässige Tötung zu werten (§ 222 StGB).

Es besteht auch eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, daß die Beschuldigte fahrlässig gehandelt hat. Nach den Akten wußte sie, daß sie selbst keine weitere Erfahrung mit Schußwaffen hatte (Vernehmung vom 10.4.2001, Blatt 8: "Über die Pistolen kenne ich gar nichts"). Das Verhalten ihres Mannes war erkennbar in hohem Maß mehrdeutig. Ihr Mann hatte früher schon öfter über die Gefühle erzählt, die man beim Russischen Roulette habe, wo man gerade nicht weiß, ob eine Patrone in der Waffe ist oder nicht. Entscheidend aber ist, daß sie nach dem Verhalten ihres Mannes kurz vor der Tat mit der Möglichkeit hätte rechnen müssen, daß die Waffe in Wirklichkeit doch geladen ist. Seine Äußerungen und Anspielungen hatten ständig gewechselt: "Könntest Du Dir vorstellen, daß Du mich erschießt?" "Du hast das große Glück, das jetzt zu tun." Dann später: "Hab keine Angst, da gibt es keine Patronen." Sie ließ die Pistole fallen, und er sagte: "Wieso hast du die Pistole fallen lassen, es hätte sich ein Schuß lösen können?" oder bei der richterlichen Vernehmung: Der Ehemann habe gesagt: "Wieso wirfst du die Pistole, es hätte sich ein Schuß in Richtung meines Fußes lösen können." Das Vorzeigen des Magazins konnte bei solchen wechselnden Äußerungen ein geschicktes Täuschungsmanöver sein, und das war es auch.

Unter solchen Umständen war es in hohem Maß fahrlässig, etwas zu tun, was auch mit Schußwaffen vertraute Personen in keinem Fall machen sollten, nämlich auf einen anderen eine ungeladene Waffe abzudrücken, auch wenn sie sie für ungeladen halten.

Damit ist der hinreichende Tatverdacht zu bejahen, die Anklage zur Hauptverhandlung zuzulassen und das Hauptverfahren zu eröffnen (§§ 203, 204 StPO). Die Zuweisung an eine andere Kammer beruht auf § 210 Abs. 3 Satz 1 StPO. Von den Richtern der 13. Strafkammer kann angesichts ihrer - sorgfältig begründeten Festlegung nicht nur in - der Bewertung der grundsätzlichen Frage der Strafbarkeit fahrlässiger Verursachung, sondern auch in der Bewertung des Verhaltens als nicht fahrlässig nicht erwartet werden, daß sie sich die Bewertung durch den Senat innerlich voll zu eigen machen (Kleinknecht/Meyer-Goßner, 45. Auflage, § 210 StPO Rn. 10).

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlaßt, weil keine das Verfahren abschließende Entscheidung ergangen ist.

Ende der Entscheidung

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