Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 17.09.2001
Aktenzeichen: Ws 931/01
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 102
StVollzG § 56 Abs. 2
StVollzG § 83 Abs. 1

Entscheidung wurde am 17.02.2002 korrigiert: Leitsatz ersetzt und eine Vorschrift entfernt
1. Das in der Hausordnung einer Vollzugsbehörde festgelegte Verbot des Sammelns von Medikamenten ist von grundlegender Bedeutung für die Sicherheit in der Anstalt, so dass dessen Nichtbeachtung als disziplinarrechtlich zu ahndender Pflichtenverstoß im Sinne des § 102 StVollzG zu werten ist.

2. § 83 Abs. 1 StVollzG gilt auch für den Gewahrsam an Medikamenten und berechtigt die Vollzugsbehörde, die vom Gefangenen in seinem Haftraum aufbewahrten Medikamente zur Habe zu nehmen und zu vernichten. Darüber hinaus lässt ein Verstoß gegen § 83 Abs. 1 StVollzG auch die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen zu.

3. Die durch § 56 Abs. 2 StVollzG begründete Pflicht des Gefangenen, die notwendigen Maßnahmen zu seinem Gesundheitsschutz zu unterstützen, schließt auch die Verpflichtung ein, bei Verdacht auf Medikamentenmissbrauch beim Arzt zum Zwecke der Belehrung über mögliche Gesundheitsgefahren zu erscheinen.


Ws 931/01

Nürnberg, den 17. Sep. 2001

In der Strafvollzugssache

wegen Disziplinarmaßnahmen;

hier: Rechtsbeschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt gem. § 116 StVollzG und Beschwerde des Strafgefangenen gegen die teilweise Ablehnung von Prozeßkostenhilfe

erläßt der Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg nach Anhörung des Generalstaatsanwaltes in Nürnberg durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluß:

Tenor:

I. Die Beschwerde des Strafgefangenen gegen den Beschluß der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Amberg vom 10.07.01 wird als unzulässig verworfen.

II. Die Beschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt Amberg gegen den Beschluß der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Amberg vom 10.07.01 wird als unzulässig verworfen, soweit sie sich gegen die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe (Ziffer 2) richtet.

III. Auf die Rechtsbeschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt Amberg wird der Beschluß der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Amberg vom 10.07.01 in Ziffern 1 und 3 aufgehoben.

IV. Der Antrag des Strafgefangenen auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.

V. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens sowie seine notwendigen Auslagen zu tragen.

VI. Der Beschwerdewert, wird auf 500 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Ist Strafgefangener in der Justizvollzugsanstalt Amberg. Anläßlich einer Haftraumkontrolle stellte ein Bediensteter der Justizvollzugsanstalt fest, daß sich der Strafgefangene im Besitz von über 200 Tabletten befand. Nach Verbringung der Tabletten ins Spital forderte der Bedienstete auf Anordnung des Anstaltsarztes den Strafgefangenen auf, sich zum Anstaltsarzt zu beben. Der Strafgefangene verweigerte dies jedoch. Daraufhin wurde er am 14.11.00 mit 5 Tagen Arrest sowie der Beschränkung des Verkehrs mit Personen außerhalb der Anstalt auf dringende Fälle während der Dauer des Arrestes belegt.

Auf "Eilantrag" des Strafgefangenen hin setzte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Amberg mit Beschluß vom 16.11.00 den Vollzug der verhängten Disziplinarmaßnahmen bis zur Hauptsacheentscheidung aus.

Mit Schreiben vom 18.11.00 beantragte der Strafgefangene, festzustellen, daß die Verhängung des Arrestes rechtswidrig war. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben des Strafgefangenen Bezug genommen.

Mit Beschluß vom 10.07.01 stellte die Strafvollstreckungskammer des Landsgerichts Amberg antragsgemäß fest, daß die Verhängung von 5 Tagen Arrest gegen den Strafgefangenen gemäß Bescheid der Justizvollzugsanstalt Amberg vom 14.11.00 rechtswidrig war (Ziffer 1). Zudem wurde dem Strafgefangenen Prozeßkostenhilfe ohne Ratenzahlung und ohne Beiordnung eines Rechtsanwaltes bewilligt (Ziffer 2) und die notwendigen Auslagen des Antragstellers der Staatskasse auferlegt (Ziffer 3).

Gegen diesen Beschluß, soweit er die Versagung der Beiordnung eines Rechtsanwaltes betrifft, legte der Strafgefangene mit Schreiben vom 23.07.01 "Rechtsbeschwerde" ein.

Mit Schriftsatz vom 01.08.01, eingegangen bei Gericht am 03.08.01 legte der Leiter der Justizvollzugsanstalt Amberg gegen den Beschluß der Strafvollstreckungskammer, zugestellt am 18.07.01, Rechtsbeschwerde ein mit dem Antrag, den o.g. Beschluß der Strafvollstreckungskammer in Ziffer 1 bis 3 aufzuheben und den Antrag des Gefangenen auf gerichtliche Entscheidung zurückzuweisen. Er hält die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung für geboten und rügt die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere der §§ 56 Abs. 1, 83 Abs. 1 StVollzG. Durch das Horten von 267 Tabletten habe der Strafgefangene gegen § 83 ABS. 1 StVollzG bzw. Nr. 20.3 der Hausordnung, wonach Arzneimittel nicht mißbraucht, gesammelt oder an andere Gefangene weitergegeben werden dürfen und nicht benötigte Arzneimittel der Anstalt zurückzugeben sind, verstoßen. Darüberhinaus sei der Strafgefangene gem. § 56 Abs. 2 StVollzG verpflichtet gewesen, beim Anstaltsarzt auf dessen Anordnung hin zu erscheinen, um über mögliche Gesundheitsgefahren und deren Abwendung belehrt werden zu können.

Auf den Inhalt des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer und der Rechtsbeschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt Amberg wird Bezug genommen.

II.

1. Die Beschwerde des Strafgefangenen gegen die Versagung der Beiordnung eines Rechtsanwaltes ist unzulässig. Die - auch teilweise - Ablehnung des Antrages auf Prozeßkostenhilfe ist unanfechtbar. Aus § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO i.V.m. § 567 Abs. 3, Abs. 4 ZPO ergibt sich der allgemeine Grundsatz, daß im Prozeßkostenhilfeverfahren kein Rechtsmittel zu einer Instanz eröffnet werden soll, die nicht als Tatsacheninstanz mit der Hauptsache befaßt werden kann (Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 8. Auflage, § 121 Rn 5).

2. Auch die Beschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt Amberg ist unzulässig, soweit sie sich gegen die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe an den Strafgefangenen richtet. Nach § 120 StVollzG i.V.m. § 127 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 ZPO steht ein Beschwerderecht lediglich der Staatskasse, nicht aber dem Antragsgegner zu.

3. Soweit sich der Leiter der Justizvollzugsanstalt Amberg gegen Ziffer 1 und 3 des Beschlusses (Feststellung der Rechtswidrigkeit der Verhängung von 5 Tagen Arrest) wendet, ist die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde zulässig, weil es geboten ist, die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen.

Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung der Strafvollstreckungskammer und zur Zurückweisung des Antrages des Strafgefangenen auf gerichtliche Entscheidung. Die Feststellung der StrafVollstreckungskammer, daß die angefochtene Maßnahme, nämlich die Verhängung von 5 Tagen Arrest rechtswidrig gewesen sei, ist nach Sachlage nicht gerechtfertigt.

Nach § 102 StVollzG kann der Anstaltsleiter gegen einen Gefangenen, der schuldhaft gegen Pflichten, die ihm durch dieses Gesetz oder aufgrund dieses Gesetzes auferlegt sind, Disziplinarmaßnahmen anordnen. Entgegen der Auffassung der Strafvollstreckungskammer kann auch ein "Verstoß gegen Vorschriften der Hausordnung, wenn er schuldhaft begangen ist, als Verletzung von Pflichten, die aufgrund dieses Gesetzes auferlegt sind", mit Disziplinarmaßnahmen geahndet werden (Schwind/Böhm, StVollzG, 3. Auflage, § 162 Rn 3; Callies/Müller-Dietz, a.a.O., § 102 Rn 6)." Nach Nummer 20.3 der Hausordnung der Justizvollzugsanstalt Amberg darf der Strafgefangene Arzneimittel nicht mißbrauchen, sammeln oder an andere Strafgefangene weitergeben. Gegen diese Verpflichtung hat der Strafgefangene verstoßen. Sinn der Regelung der Hausordnung ist es, einem Arzneimittelmißbrauch in der Anstalt entgegenzuwirken. Eine Gefahr besteht vor allem durch drogenabhängige und drogengefährdete Strafgefangene, die über fundierte Kenntnisse von Drogen und entsprechenden Ersatzstoffen verfügen. Bereits einfache Schmerzmittel können von Drogenkonsumenten gezielt mißbraucht werden, sei es durch Konsum, sei es durch Handeltreiben. Hinzu kommt, daß ein Strafgefangener, der Medikamente hortet, unter bestimmten Umständen auch dem Druck und den Repressalien süchtiger Mitgefangener ausgesetzt ist. Das Verbot des Sammelns von Medikamenten ist daher von grundlegender Bedeutung für ein geordnetes Zusammenleben und die Sicherheit in der Anstalt, so daß dessen Nichtbeachtung von der Justizvollzugsanstalt Amberg zu Recht als disziplinarrechtlich zu ahndender Pflichtenverstoß gewertet wurde.

Darüberhinaus liegt aber auch ein Verstoß gegen § 83 Abs. 1 StVollzG vor, wonach der Gefangene nur Sachen in Gewahrsam haben oder annehmen darf, die ihm von der Vollzugsbehörde oder mit ihrer Zustimmung überlassen werden. Die Vorschrift entspricht vor allem den Bedürfnissen einer Anstalt hohen Sicherheitsgrades, in der jeder Mißbrauch der persönlichen Habe im Haftraum ausgeschlossen werden muß, um das Sicherheitsrisiko zu vermindern (Schwind/Böhm, a.a.O., § 83 Rn 3). Solange ein Gefangener unter Verletzung gegen diese gesetzliche Regelung unbefugt Sachen in seinem Gewahrsam hält, verstößt er gegen die ihm in § 83 Abs. 1 StVollzG auferlegte Gewahrsamsbeschränkung. Die Vorschrift gilt auch für den Gewahrsam an Medikamenten und berechtigte daher die Vollzugsbehörde, die vom Gefangenen in seinem Haftraum aufbewahrten Medikamente zur Habe zu nehmen und zu vernichten, um einem Arzneimittelmißbrauch entgegenzuwirken (OLG Hamm, NStZ 1981, 158). Entgegen der Auffassung der Strafvollstreckungskammer läßt ein Verstoß gegen § 83 Abs. 1 StVollzG nicht lediglich Präventivmaßnahmen (Beschlagnahme der Tabletten), sondern auch Repressivmaßnahmen (Disziplinarmaßnahmen) zu, da § 83 Abs. 1 StVollzG für den Strafgefangenen Pflichten i.S.d. § 102 StVollzG begründet (vgl. Schwind/Böhm, a.a.O., § 102 Rn 5). Dabei ist zu berücksichtigen, daß allein die Gefahr einer Beschlagnahme unbefugt aufbewahrter Gegenstände dem Strafgefangenen nicht immer die Verbindlichkeit der Vorschrift verdeutlicht und zu deren Befolgung anhält. Dies kann nur die Möglichkeit der Verhängung von Disziplinarmaßnahmen gewährleistet werden.

Soweit die Strafvollstreckungskammer meint, daß § 83 StVollzG wegen der ungeklärten Herkunft der Tabletten nicht anwendbar sei, ist dies unzutreffend. Wie sich aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt, darf der Strafgefangenen nur solche Sachen in Gewahrsam haben, die ihm entweder die Vollzugsbehörde überläßt oder die er mit ihrer Zustimmung in die Anstalt einbringt. Maßgeblich ist die Zustimmung der Anstalt, in der sich der Strafgefangene aktuell befindet, da der Sicherheitsgrad der Anstalten unterschiedlich ist und die Zustimmung daher an unterschiedliche Voraussetzungen geknüpft sein kann. Demnach unterlag der Gewahrsam auch an solchen Tabletten, die der Strafgefangene aus anderen Anstalten in die Justizvollzugsanstalt Amberg mitgebracht hat, der Zustimmungspflicht der Justizvollzugsanstalt Amberg.

Auch die Weigerung des Strafgefangenen, sich zum Anstaltsarzt zu begeben, stelle einen schuldhaften Verstoß gegen die dem Strafgefangenen gem. § 82 Abs. 2 S. 1 StVollzG obliegenden Pflicht, Anordnungen der Vollzugsbediensteten zu befolgen, dar. Der Strafgefangene konnte daher wegen Nichtbefolgung der Weisung nach § 102 StVollzG mit Disziplinarmaßnahmen belegt werden. Die Feststellung eines schuldhaften Pflichtenverstoßes setzt voraus, daß die zugrundeliegende Anordnung rechtmäßig war. Dies ist zu bejahen, da die Anordnung durch § 56 Abs. 2 StVollzG gedeckt war. Die durch diese Vorschrift begründete Pflicht des Gefangenen, die notwendigen Maßnahmen zu seinem Gesundheitsschutz zu unterstützen, schließt auch die Verpflichtung ein, bei Verdacht auf Medikamentenmißbrauch beim Arzt zu erscheinen, um über mögliche Gesundheitsgefahren und deren Abwendung belehrt zu werden. Soweit die Strafvollstreckungskammer meint, daß der Strafgefangene nicht verpflichtet war, der Anordnung Folge zu leisten, da ihm der Zweck der Vorführung nicht mitgeteilt worden sei, vermag dem der Senat nicht zu folgen, da angesichts des Tablettenfunds der Anlaß der Anordnung auf der Hand lag.

Schließlich hat die Vollzugsbehörde auch nicht - wie die Strafvollstreckungskammer meint - fehlerhaft von ihrem Ermessen Gebrauch gemacht. Die von der Strafvollstreckungskammer geforderte Motivaufklärung, insbesondere der Frage, ob der Strafgefangene die Tabletten zum Zwecke des eigenen Mißbrauchs oder der Ermöglichung des Mißbrauchs durch Mitgefangene hortete, war nicht geboten, denn für die Beurteilung eines Pflichtenverstoßes gegen § 83 Abs. 1 StVollzG bzw. 20 Nr. 3 der Hausordnung ist es ohne Bedeutung, ob die Medikamente dem eigenen Mißbrauch oder der Weiterreichung an Dritte dienten. Soweit die Strafvollstreckungskammer der Auffassung ist, daß aufgrund der Persönlichkeitsstruktur des Strafgefangenen die "Möglichkeit: sinnlosen Hortens bei geminderter Schuld" in die Erwägungen hätte einbezogen werden müssen, verkennt sie, daß sich die Persönlichkeitsstörung des Verurteilten - wie sowohl der Strafvollstreckungskammer als auch dem Senat hinreichend bekannt ist - allein darin manifestiert, daß er situationsunangemessen auf vermeintlich eigenen Rechten beharre und die Gerichte mit einer Vielzahl von querulacorischen Anträgen überhäuft. Dies legt jedoch nicht zwingend die Möglichkeit eines krankhaften Hortens von Tabletten nahe. Ein Fehlgebrauch des Ermessens ist daher nicht erkennbar. Angesichts der Schwere des Pflichtenverstoßes ist die verhängte Disziplinarmaßnahme auch schuldangemessen.

Auf die Beschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt Amberg war daher der Beschluß der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Amberg vom 10.07.01 aufzuheben, mit dem sie die Rechtswidrigkeit der Anordnung des Arrestes festgestellt hat.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Strafgefangenen folgt aus § 121 Abs. 1, Abs. 4 StVollzG i.V.m. § 473 Abs. 1 StPO. Das Unterliegen der Justizvollzugsanstalt hinsichtlich der Anfechtung des Prozeßkostenhilfebeschlusses fällt insoweit nicht wesentlich ins Gewicht.

Die Beschwerdewertfestsetzung beruht auf §§ 48 a, 13 Abs. 1, Abs. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

Zurück