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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 22.08.2001
Aktenzeichen: Ws 942/01
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 454 Abs. 2
StGB § 57
StGB § 67 e
1. Eine im Rahmen der Überprüfung nach § 67e StGB erstellte gutachtliche Stellungnahme genügt in der Regel nicht den Anforderungen, die an ein gem. § 454 Abs. 2 StPO zu erholendes Gutachten zu stellen sind.

2. Zu den inhaltlichen Anforderungen an eine Begutachtung im Sinne des § 454 Abs. 2 StPO.


Ws 942/01

Nürnberg den 22. Aug. 2001

In der Strafvollstreckungssache

wegen vorsätzlichen Vollrausches;

hier: sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth gegen die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung,

erläßt der Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluß:

Tenor:

I. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth wird der Beschluß der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Ansbach vom 12. Juli 2001 in Ziffern II - VI aufgehoben.

II. Das Verfahren wird zur erneuten Entscheidung, auch hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens, an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Ansbach zurückverwiesen.

Gründe:

... wurde durch Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Nürnberg vom 3.4.1989 wegen fortgesetzten vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten verurteilt. Außerdem wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Der Entscheidung lagen 6 verschiedene Fälle des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes zugrunde, die der Verurteilte jeweils im Vollrausch aufgrund Alkoholmißbrauchs in erheblichem Umfang von April bis Juli 1988 begangen hatte.

Die Maßregel wurde im Bezirkskrankenhaus Ansbach vollzogen.

In der Folgezeit wurde der weitere Vollzug der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie des noch offenen Strafrestes zweimal zur Bewährung ausgesetzt, mußte jedoch jeweils widerrufen werden, da der Verurteilte erneut straffällig geworden war bzw. gegen eine ihm erteilte Weisung verstoßen hatte.

Seit 7.2.2000 befindet sich der Verurteilte - unterbrochen vom Zwischenvollzug einer dreimonatigen Freiheitsstrafe - zum Vollzug der Maßregel im Bezirkskrankenhaus.

Mit Beschluß vom 12.7.2001 ordnete die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Ansbach den weiteren Vollzug der Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt bis zum Ablauf der Höchstfrist am 2.8.2001 an. Darüber hinaus setzte sie die Vollstreckung des Strafrestes der durch Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 3.4.1989 verhängten Freiheitsstrafe für die Zeit ab 3.8.2001 zur Bewährung aus, setzte die Bewährungszeit auf 5 Jahre fest und erteilte dem Verurteilten verschiedene Auflagen und Weisungen.

Gegen diesen am 23.7.2001 zugestellten Beschluß, soweit der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt wurde, richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft vom 26.7.2001, eingegangen bei Gericht am selben Tag. Auf die Beschlußgründe und die Begründung der Beschwerde wird Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 454 Abs. III StPO statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde hat vorläufigen Erfolg. Der angefochtene Beschluß ist aufzuheben, soweit die Vollstreckung des Strafrestes der durch Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 3.4.1989 verhängten Freiheitsstrafe für die Zeit ab dem 3.8.2001 zur Bewährung ausgesetzt wurde, da die Strafvollstreckungskammer versäumt hat, sich durch Erholung eines Gutachtens nach § 454 Abs. 2 StPO die erforderlichen Tatsachengrundlagen für ihre Entscheidung zu verschaffen.

Nach § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB war die Strafvollstreckungskammer gehalten, vor Aussetzung der gegen den Verurteilten verhängten Restfreiheitsstrafe ein Sachverständigengutachten einzuholen. Der Verurteilung durch das Amtsgericht Nürnberg vom 3.4.1989 lag ein fortgesetzter vorsätzlicher Vollrausch zugrunde. Rauschtat war ein sexueller Mißbrauch von Kindern gemäß § 176 Abs. 1 StGB.

Die Strafvollstreckungskammer hat bei ihrer Entscheidung die schriftliche Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie Dr. D und der Dipl.-Psychologin T vom 17.5.2001 verwertet. Zudem hat sie im Anhörungstermin vom 10.7.2001 ergänzende Erklärungen des Arztes Dr. D entgegengenommen. Damit hat sie den Anforderungen, die an eine Begutachtung im Sinne des § 454 Abs. 2 StPO zu stellen sind, nicht ausreichend Rechnung getragen.

Einer Verwertbarkeit der schriftlichen Stellungnahme vom 17.5.2001 steht zwar nicht entgegen, daß sie als "Stellungnahme nach § 67 e StGB" abgegeben wurde. Entscheidend ist allein, ob der Beurteilung durch den Sachverständigen Gutachtensqualität zukommt, was nicht anhand der Form, sondern des Inhalts der vorgenommenen Bewertung zu beurteilen ist. Ein Gutachten erfordert eine umfassende und in sich nachvollziehbare Darstellung des Erkenntnis- und Wertungsprozesses des Begutachtenden. Hierzu gehört die Angabe der von ihm herangezogenen und ausgewerteten Erkenntnismittel sowie der hierdurch erlangten Informationen, soweit diese nicht aktenkundig und daher dem Gericht bekannt sind. Für ein prognostisches Gutachten ist es hierbei unerläßlich, sich mit der den Straftaten zugrunde liegenden Dynamik und den sonstigen Tatursachen, wie sie sich aus den Urteilsfeststellungen und einem vom Tatgericht ggfs. eingeholten Gutachten ergeben, auseinanderzusetzen und die Entwicklung des Täters im Hinblick auf diese Tatursachen während des Strafvollzugs darzustellen. Auf der Grundlage dieser Informationen hat das Gutachten eine Wahrscheinlichkeitsaussage über das künftige Legalverhalten des Verurteilten zu treffen. Nur ein auf diese Weise erstelltes Gutachten ermöglicht es dem Gericht, den Sachverständigen zu kontrollieren, seiner eigenen Entscheidungsverantwortung, die ihm der Sachverständige nicht abnehmen kann, gerecht zu werden und auf der Basis der Wahrscheinlichkeitsaussage die Rechtsfrage zu beantworten (KG, NStZ 99, 319, 320). Diesen inhaltlichen Anforderungen werden die Ausführungen der Sachverständigen nicht gerecht.

In ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 17.5.2001 legen sie - ersichtlich unter Fortschreibung der laufenden Berichte seit Beginn des Maßregelvollzugs - eine weitere Stabilisierung des Verurteilten in Bezug auf seine Alkoholproblematik dar. Desweiteren wird ausgeführt, daß entgegen dem Unterbringungsgutachten vom 17.10.1988 nicht die Alkoholproblematik des Verurteilten als zugrunde liegende Störung anzusehen sei, vielmehr sei die aus ihrer Sicht tieferliegende Sexualstörung (Pädophilie) therapeutisch zu bearbeiten. Diese Feststellung wird jedoch im weiteren nicht vertieft, auch nehmen die Sachverständigen keine Stellung zur Frage der weiteren Gefährlichkeit des Verurteilten. Soweit der bereichsleitende Arzt Dr. D in der mündlichen Anhörung vom 10.7.2001 - im Gegensatz zur schriftlichen Stellungnahme - eine Aussetzung der Reststrafe befürwortet, werden keine Tatsachen genannt, auf deren Grundlage diese Stellungnahme abgegeben wird, insbesondere wird der offenkundige Widerspruch zur schriftlichen Stellungnahme, wonach eine bedingte Entlassung des Untergebrachten nicht verantwortet werden könne, nicht erläutert. Damit ist die ärztliche Stellungnahme vom 17.5.2001 nicht geeignet, den Richter in den Stand zu setzen, sich die tatsächlichen Voraussetzungen für seine Entscheidung zu erarbeiten und auch die Frage zu beantworten, ob und ggfs. welche Art Straftaten von dem Verurteilten infolge seines Zustands zu erwarten sind.

Dieser Verfahrensmangel führt zur Zurückweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer. Die Anordnung eines Sachverständigengutachtens und ggfs. eine anschließende mündliche Anhörung durch den Senat als Beschwerdegericht - die zwar nicht ausgeschlossen erscheint - kommen im Regelfall nicht in Betracht. Dies hat der Senat bislang in seiner ständigen Rechtsprechung so entschieden (u.a. Beschluß vom 12.10.2000 - Ws 791/00).

Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung vorbehalten.

Ende der Entscheidung

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