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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Beschluss verkündet am 13.05.2004
Aktenzeichen: 1 Ws 167/04
Rechtsgebiete: NUBG


Vorschriften:

NUBG § 1 Abs. 1
NUBG § 3 Abs. 6
Eine Unterbringung nach Vollverbüßung der Freiheitsstrafe gemäß § 1 des Niedersächsischen Gesetzes über die Unterbringung besonders gefährlicher Personen zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit (NUBG) vom 30. Oktober 2003 kann - unbeschadet einer Verfassungswidrigkeit dieser Norm - jedenfalls nicht auf Umstände gestützt werden, die zur Zeit der Verurteilung bestanden und schon vom Tatrichter gewürdigt wurden.
Oberlandesgericht Oldenburg

Beschluss

1. Strafsenat

1 Ws 167/04

In dem Verfahren auf einstweilige Unterbringung nach dem Niedersächsischen Gesetz über die Unterbringung besonders gefährlicher Personen zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit (NUBG)

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg am 13.Mai 2004 durch die Richter am Oberlandesgericht ... , ... und ... beschlossen:

Tenor:

1. Dem Untergebrachten wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Beschwerdefrist gewährt.

2. Auf die sofortige Beschwerde des Untergebrachten wird der Beschluss des Landgerichts Osnabrück, Strafvollstreckungskammer bei dem Amtsgericht Lingen, vom 9. März 2004, durch den die einstweilige Unterbringung nach § 3 Abs. 6 Satz 1 NUBG angeordnet worden ist, aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem Beschwerdeführer insoweit entstandenen notwendige Auslagen trägt die Landeskasse.

Gründe:

Der Beschwerdeführer war mit Urteil des Landgerichts Hannover vom 30. Dezember 1996 wegen sexueller Nötigung, gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Nötigung unter Einbeziehung der Strafen aus dem Urteil des Landgerichts Hannover vom 7.12.1994 - unter Auflösung der dort gebildeten Gasamtfreiheitsstrafe - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Jahren verurteilt worden, die aus Einzelstrafen von 4 Jahren, 5 Jahren 6 Monaten und 4 Jahren 6 Monaten gebildet worden war. Eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB, welche die Staatsanwaltschaft erstrebt hatte, ist in dem Urteil erwogen worden, jedoch mit eingehender Begründung abgelehnt worden, weil die - sachverständig beratene - Strafkammer nicht festzustellen vermochte, dass der Betroffene infolge eines Hangs zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich sei, da wegen des Abstreitens der Taten und der Blockadehaltung des Angeklagten keine hinreichend sichere Aussage zu dessen innerer Tatmotivation und zur Bedeutung einer sexuellen Störung möglich sei.

Am 12. März 2004 hatte der Betroffene die 10jährige Freiheitsstrafe vollständig verbüßt.

Zuvor, nämlich mit Beschluss vom 9. März 2004, hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück bei dem Amtsgericht Lingen auf Antrag der Justizvollzugsanstalt ... die einstweilige Unterbringung des Betroffenen nach § 3 Abs. 6 Satz 1 NUBG bis zur Dauer von 3 Monaten angeordnet. Die Strafvollstreckungskammer hat sich dabei auf eine Gesamtwürdigung der Taten und des Verhaltens des Betroffenen im Strafvollzug sowie auf das Sachverständigengutachten von Dr. X... vom 25. Juni 2003 gestützt, der eine erhöhte Gefahr weiterer einschlägiger Straftaten des Verurteilten und ein im Vergleich zur Täterbezugsgruppe überdurchschnittliches spezielles Risiko festgestellt habe. Da deshalb von der Fortdauer der Gefährlichkeit des Betroffenen im Sinne von § 1 Abs. 1 NUBG auszugehen sei, werde nach Durchführung des Verfahrens gemäß § 4 NUBG eine Unterbringung angeordnet werden, weshalb zunächst eine einstweilige Unterbringung nach § 3 Abs. 6 NUBG erforderlich sei.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Betroffene mit seiner sofortigen Beschwerde ,die der Senat mit Beschluss vom 5.4.2004 wegen Verfristung als unzulässig verworfen hat ( 1Ws 167/04).

Dem Betroffenen war in Hinblick auf die versäumte Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da er ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. Der Betroffene hat glaubhaft gemacht, dass er das Schreiben vom 15.3.2004 am 16.3. oder 17.3.2004 in der JVA ... zur Post gegeben hat. Der Gefangene durfte die eingeräumte Frist bis zum Äußersten ausnutzen und davon ausgehen, dass seine einen Tag vor Fristablauf abgegebene Erklärung rechtzeitig bei Gericht eingehen werde.

Die zulässige Beschwerde ist in der Sache begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

Das Landgericht hat zu Unrecht die Voraussetzungen einer einstweiligen Unterbringung nach § 3 Abs. 6 NUBG bejaht. Diese Vorschrift gestattet eine einstweilige Unterbringung jedenfalls dann nicht, wenn eine endgültige Unterbringung nach § 1 Abs. 1 NUBG nicht zu erwarten ist. Denn dann ist eine einstweilige Unterbringung jedenfalls nicht im Sinne von § 3 Abs. 6 NUBG "erforderlich". So liegt es aber hier.

Eine Unterbringung nach § 1 Abs. 1 NUBG kommt nicht in Betracht. Es sind nach der Verurteilung keine Tatsachen eingetreten, die die Annahme rechtfertigten, dass von dem Betroffenen eine Gefahr im Sinne der genannten Vorschrift ausgeht. Die Umstände, auf die sich der angefochtene Beschluss stützt, sind keine nach der Verurteilung eingetretenen Tatsachen. Sowohl die potentielle Gefährlichkeit des Betroffenen, als auch das Abstreiten seiner Straftaten und seine Blockade bzw. Verweigerungshaltung lagen schon bei seiner Aburteilung durch das Landgericht Hannover vor. Eine neue sachverständige Begutachtung, die schon seit dem Zeitpunkt der Verurteilung unverändert fortbestehende Umstände zugrundelegt, ist als solche keine nach der Verurteilung eingetretene Tatsache im Sinne von § 1 Abs. 1 NUBG. Das gilt erst recht, wenn die in Rede stehenden Umstände - wie hier - bereits vom Tatrichter gesehen und eingehend gewürdigt wurden. Andernfalls würde in rechtsstaatlich nicht hinnehmbarer Weise im Verfahren nach dem NUBG eine Art von nachträglicher "Zweitverurteilung" aufgrund von Tatsachen erfolgen, die schon in der zur Bestrafung des Betroffenen führenden Hauptverhandlung gerichtlich gewürdigt wurden.

Der angefochtene Beschluss war daher schon aufgrund des aufgezeigten Verstoßes gegen die Vorschriften des NUBG aufzuheben. Auf die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes, die wegen fehlender Gesetzgebungszuständigkeit des Landes Niedersachsen zweifelhaft sein dürfte (vgl. BverfG, Urteil vom 10.2.2004), kommt es nicht an. Deshalb muss auch nicht entschieden werden, ob wegen der vom Bundesverfassungsgericht mehrheitlich bejahten befristeten Geltung verfassungswidrig zu Stande gekommener Gesetze anderer Bundesländer mit ähnlichem Regelungsinhalt von einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht abgesehen werden kann ( so OLG Celle 1Ws 50/04). Ebenfalls kann offen bleiben, ob auch im Verfahren auf einstweilige Anordnung der Unterbringung nach § 3 Abs.6 Satz 1 NUBG wegen der Reichweite des Eingriffes unter Berücksichtigung des Art.2 Abs.1 GG eine vorherige mündliche Anhörung des Gefangenen in einer öffentlichen Verhandlung erforderlich ist ( so LG Braunschweig, Nds.Rpfl. 2004, 79).

Für den weiteren Ablauf weist der Senat daraufhin, dass der Gefährlichkeit des Betroffenen insbesondere durch eine besonders engmaschig ausgestaltete Führungsaufsicht entgegengewirkt werden sollte. Auf die Stellungnahme der JVA ... vom 16.12.2003 und die nunmehr erklärte Bereitschaft des Betroffenen bezüglich des betreuten Wohnens wird verwiesen.

Die Kostenentscheidungen folgen aus §§ 473 Abs.7, 467 StPO.



Ende der Entscheidung

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