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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Beschluss verkündet am 22.07.2004
Aktenzeichen: 1 Ws 314/04
Rechtsgebiete: BRAGO, RVG, StPO


Vorschriften:

BRAGO § 100 Abs. 1
RVG § 52 Abs. 1
StPO § 464a Abs. 2 Nr. 2
Macht ein nicht am Gerichtsort ansässiger Pflichtverteidiger nach § 100 BRAGO (§ 52 RVG) Wahlverteidigergebühren geltend, so sind bereits erstattete Reisekosten jedenfalls dann nicht mindernd auf die Gebühren anzurechnen, wenn die Beauftragung des auswärtigen Verteidigers notwendig war. Davon ist bei wiederholter Verteidigung gegen den Vorwurf schwerwiegender Sexualstraftaten auszugehen.
Oberlandesgericht Oldenburg 1. Strafsenat

1 Ws 314/04

275 Js 2447/03 Staatsanwaltschaft Oldenburg

Beschluss

In der Strafsache

gegen Herrn ... ,

wegen Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Kindern,

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg am 22. Juli 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und die Richter am Oberlandesgericht ... und ... beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Freigesprochenen wird der Beschluss der Rechtspflegerin des Landgerichts Oldenburg vom 25. Februar 2004 geändert.

Die aufgrund des Urteils des Landgerichts Oldenburg vom 21. Juli 2003 von der Staatskasse dem Freigesprochenen zu erstattenden Kosten werden auf 3.062,40 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 8. August 2003 festgesetzt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Freigesprochenen fallen der Staatskasse zur Last.

Der Beschwerdewert beträgt 1.154,01 €.

Gründe:

Der frühere Angeklagte ist nach einer mehrtägigen Hauptverhandlung mit Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 21. Juli 2003 vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 4 Fällen freigesprochen worden. Seine notwendigen Auslagen sind der Staatskasse auferlegt worden.

Dem Angeklagten war Rechtsanwalt ... aus ... als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Diesem sind zur Erstattung seiner Auslagen (Reisekosten einschließlich Tage und Abwesenheitsgelder) insgesamt 1.154,01 € von der Landeskasse erstattet worden. Der Verteidiger hat ferner namens des Freigesprochenen beantragt, seine Gebühren als Wahlverteidigergebühren in Höhe von 3.062,40 € festzusetzen und zu erstatten. Dem ist das Landgericht nachgekommen, wobei es allerdings die dem Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger bereits gezahlten Auslagen von der Gebührensumme abgezogen hat. Diesen Abzug hat das Landgericht damit begründet, dass die Geschäftsreisekosten im Rahmen der Wahlverteidigung nicht erstattungsfähig seien, weil der Angeklagte einen am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalt mit seiner Verteidigung hätte beauftragen können. Durch die Inanspruchnahme eines auswärtigen Anwalts entstandene Mehrkosten seien nicht notwendig im Sinne von § 464a StPO i. V. m. § 91 Abs 2 ZPO.

Gegen diese Teilabweisung seines Kostenfestsetzungsantrages wendet sich der Freigesprochene mit der sofortigen Beschwerde.

Das Rechtsmittel ist zulässig. Es ist auch begründet und führt zu der aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Neufestsetzung der dem Freigesprochenen zu erstattenden Kosten.

Die Geltendmachung der Gebühren eines Wahlverteidigers durch den Pflichtverteidiger beruht auf § 100 BRAGO (nunmehr weitgehend inhaltsgleich: § 52 RVG). Nach dieser Vorschrift kann der Pflichtverteidiger vom Beschuldigten die Zahlung der Gebühren eines gewählten Verteidigers verlangen, soweit dem Verteidiger aus der Staatskasse keine Pflichtverteidigergebühren gezahlt wurden und dem Beschuldigten ein Erstattungsanspruch gegen die Staatskasse zusteht.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Dem Verteidiger sind aus der Staatskasse keine Pflichtverteidigergebühren gezahlt worden. Dem freigesprochenen Angeklagten steht aufgrund der Kostenentscheidung im Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 21. Juli 2003 ein Erstattungsanspruch gegen die Staatskasse zu.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts können bei der Festsetzung der Gebühren nach § 100 BRAGO die dem Verteidiger als Pflichtverteidiger erstatteten Auslagen nicht in Abzug gebracht werden.

Es ist zu erwägen, ob es für einen derartigen Abzug bereits an einer Rechtsgrundlage fehlt. Dafür spricht, dass nach dem Wortlaut von § 100 Abs. 1 BRAGO (§ 52 Abs. 1 RVG) nur gezahlte Gebühren, nicht aber Auslagen anzurechnen sind, vgl. OLG Düsseldorf, JurBüro 1986, 574. Es muss auch nicht entschieden werden, ob sich eine Anrechnung der Auslagen gleichwohl generell damit begründen lässt, dass für Reisekosten eines gewählten auswärtigen Verteidigers einem Angeklagten grundsätzlich kein Erstattungsanspruch gegen die Staatskasse zusteht. Dagegen dürfte sprechen, dass das Kosten und Gebührenrecht zwischen Auslagen und Gebühren klar unterscheidet. Über Auslagen enthält § 100 BRAGO (§ 52 RVG) keinerlei Regelung. Diese ist auch nicht erforderlich, weil der Verteidiger seine Auslagen als Pflichtverteidiger ersetzt erhält, womit es nach der gesetzlichen Regelung insoweit ersichtlich sein Bewenden haben soll, vgl. Hartmann, Kostengesetze, 33./34. Aufl., § 100 BRAGO/52 RVG Rdn. 14 m.w.Nachw..

Diese Fragen können hier aber offen bleiben. Denn im vorliegenden Fall sind die Wahlverteidigergebühren schon deshalb nicht um die gezahlten Auslagen zu kürzen, weil sich die Kosten der Inanspruchnahme des nicht am Gerichtsort ansässigen Verteidigers als notwendige Kosten im Sinne von § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO i. V. m. § 91 Abs. 2 ZPO darstellen. Denn für die Beauftragung von Rechtsanwalt ... sprachen - aus der Sicht des früheren Angeklagten und auch objektiv - so gewichtige Gründe, dass sie in den Rahmen des für seine Verteidigung Notwendigen fällt.

Entscheidend ist insoweit, dass Rechtsanwalt ... den Freigesprochenen schon früher in anderen Fällen vertreten hat, in denen dem Freigesprochenen ebenfalls Sexualstraftaten zur Last gelegt worden waren. Ein Angeklagter, dem ein schwerwiegendes Sexualdelikt vorgeworfen wird, muss sich gegenüber seinem Verteidiger in der Regel zu außerordentlich sensiblen Fragen äußern und seinen Intimbereich offenbaren. Das erfordert ein ganz besonders enges Vertrauensverhältnis. Der Verteidiger wiederum muss sich in die Psyche des Angeklagten einfühlen. Ein Verteidiger, der - wie hier Rechtsanwalt ... - den Angeklagten wegen eines solchen Vorwurfs früher schon verteidigt hat, ist deshalb zur Durchführung der Verteidigung in weiteren gleichgelagerten Verfahren in einem solchen Maße besonders geeignet, dass seine Beauftragung als notwendig im Sinne von § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO anerkannt werden muss, vgl. MeyerGoßner, StPO, 47. Aufl., § 464a, Rdn. 12.

Die Kostenentscheidung entspricht § 467 StPO.

Ende der Entscheidung

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