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Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Beschluss verkündet am 01.02.2008
Aktenzeichen: 1 Ws 62/08
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 120 Abs. 1 S. 1 |
Oberlandesgericht Oldenburg 1. Strafsenat Beschluss
1 Ws 62/8
In dem Strafverfahren
wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz,
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg am 1. Februar 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Oberlandesgericht ... beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde des Angeklagten werden der Beschluss des Landgerichts Oldenburg vom 27. Dezember 2007, der Haftfortdauerbeschluss des Landgerichts Oldenburg vom 7. Mai 2007 und der Haftbefehl des Amtsgerichts Oldenburg vom 30. November 2005 (Aktz.: 28 Gs 468905) aufgehoben.
Der Angeklagte ist in dieser Sache sofort aus der Untersuchungshaft zu entlassen.
Die Kosten der Beschwerde und insoweit dem Angeklagten entstandene notwendige Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
Gründe:
Der Angeklagte ist niederländischer Staatsbürger. Er wurde am 19. Februar 2006 vorläufig festgenommen und befindet sich seither aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Oldenburg vom 30. November 2005 (Aktenzeichen 28 Gs 468905) in Untersuchungshaft.
Ihm wird in dem Haftbefehl vorgeworfen, in der Zeit von Dezember 2004 bis zum 18. Februar 2005 in Oldenburg, Amsterdam und andernorts, durch jeweils drei Straftaten als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, gemeinschaftlich mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben zu haben. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Haftbefehls verwiesen.
Unter dem 26. Juni 2006 erhob die Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten und zwei Mitangeklagte wegen der im Haftbefehl genannten Vorwürfe sowie wegen weiterer Straftaten Anklage beim Landgericht Oldenburg, wo die Anklage am 6. Juli 2006 einging. Mit Beschluss vom 11. August 2006 ließ das Landgericht die Anklage zur Hauptverhandlung zu und bestimmte den Beginn der Hauptverhandlung auf den 22. September 2006. Die Hauptverhandlung fand zwischen dem 22. September 2006 und dem 7. Mai 2007 an insgesamt 19 Sitzungstagen statt.
Der Angeklagte wurde am 7. Mai 2007 durch Urteil des Landgerichts Oldenburg wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstraße von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zugleich beschloss das Landgericht, dass der Haftbefehl des Amtsgerichts Oldenburg vom 30. November 2005 aus den Gründen seines Erlasses und des verkündeten Urteils aufrechterhalten bleibe. Das vollständig abgesetzte Urteil wurde am 19. Juni 2007 auf der Geschäftsstelle niedergelegt. Gegen das Urteil haben der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers M... vom 8. Mai 2007 beantragte der Angeklagte, den Haftbefehl aufzuheben und festzustellen, dass die Vollstreckung der Untersuchungshaft seit dem 7. Mai 2007 rechtswidrig sei. Mit Beschluss vom 21. Mai 2007 wies das Landgericht diese Anträge zurück. Einen erneuten Antrag des Angeklagten auf Aufhebung des Haftbefehls wies das Landgericht mit Beschluss vom 27. Dezember 2007 zurück. Hiergegen hat der Angeklagte Beschwerde eingelegt, der das Landgericht nicht abgeholfen hat.
Die Beschwerde des Angeklagten ist zulässig und begründet.
Allerdings ist der Angeklagte der im Haftbefehl aufgeführten Straftaten aufgrund der im Urteil des Landgerichts vom 7. Mai 2007 getroffenen Feststellungen weiterhin dringend verdächtig. Auch ist der Haftgrund der Fluchtgefahr nach der inzwischen erfolgten - nicht rechtskräftigen - Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten schon wegen des darin liegenden hohen Fluchtanreizes, dem Bindungen des Angeklagten in Deutschland nicht ausreichend entgegenwirken, ebenfalls weiterhin gegeben. Insoweit treffen die Ausführungen im Haftbefehl und im Beschluss des Senats vom 22. August 2006 (HEs 1406), auf die Bezug genommen wird, auch heute noch zu.
Gleichwohl kann der Haftbefehl keinen Bestand haben, weil das Verfahren nicht in einer Weise gefördert worden ist, die dem aus Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 GG folgenden verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot in Haftsachen genügt.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob schon die Verfahrensweise des Landgerichts bis zum Urteilserlass den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Terminierung in einer Haftsache genügt ( vgl. BVerfG StV 2006,318. Senat 1 Ws 557+558/07). Im Hinblick darauf, dass zwischen Verhandlungsbeginn am 22. September 2006 und der Verkündung des Urteils am 7. Mai 2007 lediglich an 19 Sitzungstagen verhandelt wurde, also weniger als einmal pro Woche, bestehen insoweit ganz erhebliche Bedenken.
Jedenfalls aber verstoßen die nach Erlass des Urteils entstandenen, dem Gericht anzulastenden Verfahrensverzögerungen in krasser Weise gegen das Beschleunigungsgebot in Haftsachen.
Der Verteidiger M... hatte bereits mit der Revisionsschrift vom 7. Mai 2007 um kurzfristige Übermittlung einer Abschrift des Hauptverhandlungsprotokolls gebeten. Wann das Hauptverhandlungsprotokoll fertig gestellt worden ist, ist ihm nicht zu entnehmen, weil in ihm entgegen § 271 Abs. 1 Satz 2 StPO der Tag der Fertigstellung nicht angegeben ist. Das Protokoll hätte in einer Haftsache indessen spätestens zugleich mit der vollständigen Urteilsabsetzung, also am 19. Juni 2007, fertig gestellt werden müssen, vgl. BVerfG Beschl. v. 16. März 2006, NJW 2006, 1336. Der tatsächliche Ablauf lässt vermuten, dass das Protokoll erst wesentlich später fertig gestellt wurde. Fest steht jedenfalls, dass eine Protokollabschrift dem Verteidiger M... erst am 15. Oktober 2007, also über 5 Monate nach Beendigung der Hauptverhandlung, übersandt worden ist. Darin liegt eine vermeidbare erhebliche Verfahrensverzögerung.
Solche sind zudem auch im übrigen Ablauf mehrfach festzustellen. Das Urteil ist am 19. Juni 2007 zur Geschäftsstelle gelangt. Die Urteilszustellung wurde jedoch ohne ersichtlichen Grund erst rund 5 Wochen später, nämlich am 27. Juli 2007, verfügt. Die Zustellung des Urteils ist an alle drei Verteidiger Anfang August 2007 erfolgt. Der Verteidiger M... hat mit Schriftsatz vom "29.01.2007" (richtig: 29.08.2007) erklärt, dass ihm das Urteil, jedoch nicht - wie beantragt - das Hauptverhandlungsprotokoll zugegangen sei. Sein zugleich - vermutlich in Hinblick auf § 273 Abs. 4 StPO - gestellter Antrag, ihm das Urteil nebst Hauptverhandlungsprotokoll mit allen Anlagen erneut zuzustellen, blieb unerledigt. Die dem Antrag stattgebende Verfügung des Strafkammervorsitzenden vom 7. September 2007 (" n. A.") ist nicht ausgeführt worden. Der Schriftsatz des Verteidigers M... vom 17. September 2007, mit dem dieser erneut um kurzfristige Übermittlung des Hauptverhandlungsprotokolls gebeten und im Hinblick auf die Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt hatte, blieb ebenfalls zunächst unerledigt. Erst rund 1 Monat später, am 15. Oktober 2007, verfügte der Vorsitzende die Übersendung der Akten an die Staatsanwaltschaft zur Stellungnahme und übersandte der Geschäftsstellenbeamte an Rechtsanwalt M... eine Kopie des Sonderbandes "Protokolle und Urteile". Nachdem die Akten von der Staatsanwaltschaft zurückgesandt worden waren, verfügte der Vorsitzende am 14. November 2007 die erneute Zustellung des Urteils an den Verteidiger Rechtsanwalt M..., der den Empfang am 16. November 2007 bestätigte und sodann mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2007 die Revision begründete. Die Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft Oldenburg und deren eigene Revisionsbegründung vom 9. Januar 2008 gingen am 17. Januar 2008 beim Landgericht ein. Eine Weiterleitung der Akten an das Revisionsgericht ist bis heute nicht erfolgt.
Aus dem dargelegten Verfahrensablauf ergibt sich, dass es mehrfach zu vermeidbaren, insgesamt mehrmonatigen Verfahrensverzögerungen gekommen ist, die dem Gericht anzulasten sind. Insbesondere der Umstand, dass das mehrfach angeforderte Protokoll der Hauptverhandlung, dessen Fertigstellungsdatum unklar ist, erst Mitte Oktober 2007 dem Verteidiger M... zur Verfügung gestellt wurde, ohne dass dafür ein ausreichender Grund ersichtlich ist, stellt einen eklatanten Verstoß gegen das in Haftsachen geltende Beschleunigungsgebot dar. Es ist nicht angängig, dass die Fertigstellung des Protokolls der Hauptverhandlung einen längeren Zeitraum in Anspruch nimmt, als für die Absetzung des Urteils benötigt wird, oder dass die Protokollübersendung grundlos monatelang unterbleibt. Der bloße Routinevorgang der Zustellung ist unverzüglich zu bewirken, wenn alle Voraussetzungen hierfür vorliegen (vgl. BVerfG NJW 2006, 1336, 1339). Die nicht umgehend erfolgte Übersendung des Hauptverhandlungsprotokolls - oder seine verspätete Erstellung - hat zudem den Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten und die erneute Zustellung des Urteils veranlasst, die ihrerseits weitere Verzögerungen nach sich zogen.
Die fehlerhafte Behandlung der Haftsache kann nicht zu Lasten des Angeklagten gehen. Das Gewicht des sich aus Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 GG ergebenden Freiheitsanspruchs des Untersuchungsgefangenen verstärkt sich gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse des Staates mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft (vgl. BVerfGE 53, 152 ff). Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich der Angeklagte nunmehr bereits fast zwei Jahre in Untersuchungshaft befindet und bis heute - also rund 8 Monate nach Urteilsverkündung - die Akten noch nicht einmal an das Revisionsgericht abgesandt worden sind, so dass eine Revisionsentscheidung frühestens nach weiteren Monaten möglich ist, müssen die Verstöße gegen das Beschleunigungsgebot zur Aufhebung des Haftbefehls des Amtsgerichts und der Haftfortdauerbeschlüsse des Landgerichts führen.
Die Kostenentscheidung entspricht § 467 StPO.
Ende der Entscheidung
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