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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Beschluss verkündet am 27.11.2003
Aktenzeichen: 3 WF 143/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 127 Abs. 2
Die Verwendung von Einkommensteilen des Unterhaltspflichtigen für den Erwerb sogenannter "VW-Zeitwertpapiere" zur Ermöglichung späterer Altersteilzeit ist nicht als Altersvorsorge (wie z. B. Riesterrente, VW-Beteiligungsrente II), sondern als sonstige Vermögensbildung anzusehen und deshalb zumindest bei der Berechnung des nachehelichen Unterhalts nicht einkommensmindernd zu berücksichtigen.
Oberlandesgericht Oldenburg Beschluss

Geschäftsnummer: 3 WF 143/03

In der Familiensache

hat der 3. Zivilsenat - 2. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Oldenburg am 27. November 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... sowie die Richter am Oberlandesgericht ... und ... beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Emden vom 20. August 2003 unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen dahingehend geändert, dass Prozesskostenhilfe bewilligt wird, soweit Elementarunterhalt in Höhe von 783, Euro sowie Vorsorgeunterhalt in beantragter Höhe von 66,84 Euro beansprucht wird.

Gründe:

Die Antragsgegnerin wendet sich gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Emden vom 20. August 2003, durch welchen die beantragte Prozesskostenhilfe für ihren im Scheidungsverbundverfahren gestellten Antrag auf Zahlung nachehelichen Elementar, Rentenvorsorge und Krankenvorsorgeunterhalts nur eingeschränkt bewilligt, im Übrigen jedoch versagt wurde.

Sie macht im Rahmen ihrer Beschwerde geltend, dass die Zahlungen des bei der ...AG beschäftigten Antragstellers auf ein sog. "Zeitwertpapier" nicht zu ihren Lasten einkommensmindernd berücksichtigt werden könnten, wie es der Berechnungsweise des angefochtenen Beschlusses entspricht. Dieser hatte die Nichtberücksichtigung der dergestalt eingesetzten Beträge damit begründet, dass die entsprechenden Beträge (im Jahre 2002 insgesamt 9.133,94 Euro) nicht als geldwerte Einkommensbestandteile für Unterhaltszwecke zur Verfügung stünden und der Antragsgegnerin im Übrigen bei Eintritt des Versorgungsfalles durch entsprechend höhere Einkünfte des Antragstellers zugute kämen.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde ist gemäß § 127 Abs. 2 ZPO zulässig und teilweise auch begründet.

Die Antragsgegnerin macht zutreffend geltend, dass die vollständige Außerachtlassung der Zahlungen des Antragstellers auf das Zeitwertpapier der ...AG für sie eine unterhaltsrechtlich nicht hinnehmbare Belastung darstellt.

Die Ansparungen des Antragstellers für das Zeitwertpapier stellen keine Altersvorsorgemaßnahme dar. Sie ermöglichen diesem vielmehr primär die flexible Gestaltung seiner Lebensarbeitszeit und werden von dem Senat daher als Maßnahme der Vermögensbildung eingeordnet.

Nach der ab 1. Januar 1998 gültigen, zwischen dem Vorstand und dem Gesamtbetriebsrat der ... AG als Ergänzung des "Tarifvertrages über Altersteilzeit" geschlossenen Betriebsvereinbarung sind die Zeit-Werte

"ein Beitrag zur Beschäftigungssicherung, um die in der Altersteilzeit zu erbringende Arbeitsleistung zu verkürzen. Sie dienen der Gestaltung der Lebensarbeitszeit. ... . Nur für den Fall, dass Zeit-Werte wegen des Erreichens der Altersgrenze, zu der eine Rente wegen Alters beansprucht werden kann, wegen der Beendigung der Beschäftigung aufgrund verminderter Erwerbsfähigkeit oder wegen des Todes des/der Beschäftigten nicht mehr für Zeiten der Freistellung von der Arbeitsleistung verwendet werden können, wird von Beginn an eine Verwendung der Zeit-Werte im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung (Beteiligungsrente II) vereinbart; .... ."

Bei einem Verbleib in dem ...Konzern kann der Antragsteller die Zeit-Wertpapiere somit zur individuellen Gestaltung der Altersteilzeit verwenden, wobei die zu erbringende Arbeitsleistung um die angesammelten Zeit-Werte reduziert werden. Dabei kann die bezahlte Freistellung umso eher beginnen, je höher das Zeit-Wertguthaben angespart wurde. Wünscht der Antragsteller keine Altersteilzeit, so kann das Zeit-Wertguthaben auch für einen früheren Ausstieg aus dem Berufsleben ab dem 55. Lebensjahr verwendet werden. Je nach Höhe des angesparten Guthabens reduziert sich dabei die noch verbleibende Arbeitszeit (vgl. hierzu insgesamt die Broschüre "Das ... Zeit-Wertpapier", ...AG, ... 2002).

Während der ...Konzern seinen Mitarbeitern somit die Ansparung von Zeitwerten zur Gestaltung der Lebensarbeitszeit ermöglicht, bietet er diesen zugleich mit der sog. "Beteiligungsrente II" explizit ein Altersvorsorgemodell mit der ausdrücklichen Zielrichtung an, die bei der gesetzlichen Rentenversicherung entstandene "Versorgungslücke im Alter zu reduzieren bzw. die nach der Altersteilzeit zu erwartenden individuellen Rentenminderungen auszugleichen (vgl. Ziff. I der ab 1. April 2003 gültigen "Betriebsvereinbarung zur Beteiligungsrente II").

Der Antragsteller hat sich für Ansparungen auf Zeit-Werte entschieden, was der Senat nach dem Vorstehenden als besondere Form der Vermögensbildung bewertet, deren Schwerpunkt nicht im Bereich der Altersvorsorge angesiedelt ist.

Einkommensbestandteile, die - wie die Ansparungen des Antragstellers auf Zeit-Werte - während der Zeit des ehelichen Zusammenlebens der Vermögensbildung dienten, können im Rahmen der Bedarfsbestimmung jedoch nur dann außer Ansatz bleiben, wenn die Parteien in solchermaßen gehobenen Einkommensverhältnissen lebten, die eine derartige Außerachtlassung gestatten.

Dies ergibt sich aus der Erwägung, dass die Vermögensbildung den Unterhalt nicht unangemessen beeinträchtigen darf. Der Unterhaltsberechtigte braucht sich daher eine das verfügbare Einkommen unangemessen einschränkende Vermögensbildung nicht entgegenhalten lassen, weil mit dem Wegfall der Ehegemeinschaft auch die Grundlage für eine derartige Einschränkung entfallen ist. Der Unterhaltsverpflichtete darf mithin grundsätzlich nicht zu Lasten des Berechtigten Vermögen bilden (vgl. BGH FamRZ 1992, 1045, 1048; 1987, 36, 39; 1984, 358, 360 f. sowie Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 8. Auflg., Rdnr. 62 m.w.N.; Gerhardt in Gerhardt/v. Heintschel-Heinegg/Klein, Handbuch des Fachanwalts Familienrecht, 4. Auflg., Kap. 6 Rdnr. 91).

In Anbetracht der konkreten Einkommensverhältnisse der Parteien sind die erheblichen Ansparungen des Antragstellers auf Zeit-Werte (2000: 6.709,66 Euro / 2001: 11.632,12 Euro / 2002: 9.133,94 Euro) nicht hinnehmbar, so dass diese bei der Bestimmung des Unterhaltsbedarfs der Antragsgegnerin im Rahmen des nachehelichen Unterhalts nicht einkommensmindernd zu berücksichtigen sind. Dabei braucht vorliegend nicht entschieden werden, ob diese Betrachtungsweise uneingeschränkt auch auf den Trennungsunterhalt übertragen werden kann, bei dem für eine Übergangszeit die Abzugsfähigkeit von in der Vergangenheit erbrachten Ansparungen hingenommen werden mag.

Das von dem Amtsgericht angenommene monatliche Nettoeinkommen des Antragstellers in Höhe von 2.055, Euro ist daher um die Zahlungen auf das Zeit-Wertpapier in Höhe von jährlich 9.134, Euro (gemäß Verdienstbescheinigung für Dezember 2002) aufzustocken, wobei die wegen der hierdurch bedingten Erhöhung seiner Bruttoeinkünfte ansteigendene Belastung durch Steuern und Sozialabgaben gegenzurechnen ist. Hierbei errechnet der Senat einen monatlichen Nettoverdienst in Höhe von rund 2.444,50 Euro, der um die allgemeine Unkostenpauschale auf 2.320, Euro zu bereinigen ist. Eine etwaige Steuererstattung kann nicht berücksichtigt werden, da deren Höhe unbekannt ist.

Auf der Seite der Antragsgegnerin ist von fiktiven Einkünften aus einer möglichen Halbtagstätigkeit in Höhe von 425, Euro auszugehen. Als Folge der Zurechnung fiktiven Unterhalts ist der erforderliche Krankenversicherungsschutz als gedeckt anzusehen, da sie unter diesen Voraussetzungen gesetzlich krankenversichert wäre (vgl. Kalthoener/Büttner/Niepmann, a.a.O., Rdnr. 343; Gerhardt a.a.O., Rdnr. 319). Einen gesonderten Krankenvorsorgeunterhalt schuldet der Antragsteller daher nicht.

Das fiktive Bruttoeinkommen und auf dessen Basis der geschuldete Vorsorgeunterhalt errechnet sich vor diesem Hintergrund wie folgt:

2.320 - 425 = 1.895 x 3/7 = 812 + 17 % (gem. Bremer Tabelle vom 1. Januar 2003 = 138) = 950 x 19,5 %.

Der von der Antragsgegnerin in Höhe von 66,84 Euro beanspruchte Vorsorgeunterhalt ist daher gerechtfertigt.

Der Elementarunterhalt beläuft sich nach bislang gestellten Anträgen auf:

1.895 - 67 = 1.828 x 3/7 = 783, Euro

Ende der Entscheidung

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