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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Urteil verkündet am 04.07.2007
Aktenzeichen: 5 U 106/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 531 Abs. 2
Der Einwand, der Patient hätte sich auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung für den Eingriff entschieden, kann nicht erstmals in der Berufungsinstanz erhoben werden.
OBERLANDESGERICHT OLDENBURG Im Namen des Volkes Urteil

5 U 106/06

Verkündet am 04. Juli 2007

In dem Rechtsstreit

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... auf die mündliche Verhandlung vom 20. Juni 2007 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Aurich vom 03.11.2006 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des Urteils unter Ziffer 2.) wie folgt neu gefasst wird:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen materiellen und zukünftigen immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit dieser auf die zerebrale Angiographie vom 27.11.2003 im H...Krankenhaus E... zurückzuführen ist und soweit Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind.

Die Kosten der Berufung werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

A.

Die Klägerin hatte sich bereits im Jahr 1975 einer Gehirnoperation unterziehen müssen. 12 Jahre später erlitt sie einen Schlaganfall; seitdem war sie rechtsseitig gelähmt. Im Jahre 2002 traten Gehirnblutungen in Form beiderseitiger Ponsblutungen auf. Im September 2003 verstarb eine Nichte der Klägerin infolge einer Aneurysmenruptur. Am 20.11.2003 wurde die Klägerin stationär im H...Krankenhaus, dessen Trägerin die Beklagte ist, aufgenommen. Ausweislich des Entlassungsberichts der Klinik erfolgte die Aufnahme "wegen vor dreieinhalb Wochen für einen Tag bestehender Kopfschmerzen links im Hinterhaupt sowie Scheitelbereich und in einem ambulanten CCT beschriebener Blutung rechtsparamedian im Ponsbereich". Nach Durchführung eines MRT hielten die Mitarbeiter der Beklagten die Vornahme einer zerebralen Angiographie für geboten, die am 27.11.2003 stattfand. Im Verlauf der Untersuchung stellten sich bei der Klägerin Sprechstörungen ein. Die Klägerin wurde somnolent und musste auf die Intensivstation verlegt werden. Als Ursache wurden Infarkte im Bereich des Thalamus beidseits sowie im Hirnstamm diagnostiziert. Seitdem ist das Gesichtsfeld der Klägerin stark eingeschränkt. Die Lähmungserscheinungen an der rechten Hand haben zugenommen, beim Laufen treten massive Gleichgewichtsstörungen auf, so dass die Klägerin außerstande ist, selbständig zu gehen. Zudem sind Trink, Ess, Sprach und Gedächtnisstörungen zu beklagen; die Klägerin leidet unter Inkontinenz.

Mit der Klage hat die Klägerin gegenüber der Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeldansprüche verfolgt. Sie hat behauptet, sie habe die H...Klinik aufgesucht, weil sie befürchtet habe, erblich bedingt unter einer Gefäßwandschwäche zu leiden. Dementsprechend sei es ihr darum gegangen, dass ihr Körper auf Aneurysmen untersucht werde. Im Widerspruch zu der dokumentierten Patientenaufklärung sei sie nicht über die Risiken der angiographischen Untersuchung aufgeklärt worden. Im Gegenteil habe Dr. V...auf Nachfrage ihres Ehemannes erklärt, es bestehe keine Gefahr. Er habe diese Operation inzwischen 3000 Mal durchgeführt und niemals sei etwas passiert. Hätte dieser sie auch nur ansatzweise über das Risiko in Kenntnis gesetzt, erneut einen Schlaganfall zu erleiden, hätte sie die rein prophylaktische Untersuchung keinesfalls durchführen lassen. Im Übrigen habe die Behandlung im Krankenhaus der Beklagten nicht dem ärztlichen Standard entsprochen. So würden angiographische Untersuchungen nicht mehr durchgeführt, weil es inzwischen bessere Verfahren gebe. Zudem sei der Versuch, den Katheter an der einen Seite ihres Körpers zu verlegen, erfolglos geblieben. Danach hätte ein erneuter Versuch an der anderen Seite nicht stattfinden dürfen, weil dies zu einer Überlastung des Körpers mit der Folge geführt habe, dass die Voraussetzungen für einen weiteren Schlaganfall gesetzt worden seien. Demgegenüber hat die Beklagte behauptet, die Klägerin sei ordnungsgemäß und vollständig über die Indikation, den Verlauf und die Risiken der angiographischen Untersuchung informiert worden. Dementsprechend habe Dr. V...u.a. handschriftlich als Komplikationsmöglichkeit "Schlaganfall" auf dem Aufklärungsbogen vermerkt. Soweit dieser von 3000 komplikationslosen Untersuchungen gesprochen habe, die er vorgenommen habe, habe dieser Angiographien insgesamt und nicht nur zerebrale Angiographien gemeint. Bei dem dann bei der Klägerin aufgetretenen Schlaganfall handele es sich um eine seltene, aber trotz sachgerechter Durchführung mögliche Komplikation der angiographischen Untersuchung. Von einer fehlerhaften Behandlung könne keine Rede sei. Insbesondere habe die durchgeführte Untersuchung in keiner Weise eine Überlastung des Körpers herbeigeführt ebenso wie sie nicht Ursache für einen Schlaganfall gewesen sei.

Die 4. Zivilkammer des Landgerichts Aurich hat der Klage mit Urteil vom 3.11.2006 stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 25.000,€ nebst Zinsen zu zahlen. Darüber hinaus hat das Gericht festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen materiellen und zukünftigen immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit dieser auf die ärztliche Behandlung in der Zeit vom 20.11. bis 27.11.2003 im H...Krankenhaus E... zurückzuführen ist, soweit Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind. Wegen der tatsächlichen Feststellungen und der Begründung wird auf das angefochtene Urteil (Bl. 163 ff. d.A.) Bezug genommen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Diese meint, das Landgericht habe zu Unrecht angenommen, Dr. V...habe die Risiken des diagnostischen Eingriffs im Aufklärungsgespräch mit der Klägerin verharmlost. Nach dem Vortrag der Klägerin und den Aussagen der vernommenen Zeugen seien nämlich die Äußerungen des Arztes zu seinen persönlichen Erfahrungen mit Komplikationen bei Angiographien nicht etwa gegenüber der Klägerin selbst, sondern gegenüber deren Angehörigen erfolgt, hätten also für die Entscheidung der Klägerin keine Rolle gespielt. Im Übrigen sei es ohnehin nicht zu beanstanden, wenn der behandelnde Arzt einerseits auf das grundlegende Risiko eines Schlaganfalls im Verlauf einer Angiographie hinweise, andererseits aber - um die Patientin nicht über Gebühr zu beunruhigen - deutlich mache, er selbst habe schon eine Vielzahl derartiger Untersuchungen durchgeführt, bei denen noch nie etwas passiert sei. Dabei sei nicht erheblich, um welche statistisch genaue Zahl von Fällen es sich handelt und inwieweit ganz exakt vergleichbare Untersuchungen vorgenommen worden seien. Dr. V...sei ebenfalls nicht gehalten gewesen, die Klägerin davon in Kenntnis zu setzen, dass das Risiko eines Schlaganfalls bei ihr erhöht sei. Wer in Anbetracht des Risikos eines Schlaganfalls seine Einwilligung in den Eingriff erteile, könne nicht mit der Behauptung gehört werden, bei der Angabe statistischer, für den jeweiligen Einzelfall kaum aussagekräftiger Komplikationsmöglichkeiten hätte er seine Zustimmung nicht erteilt. Abgesehen davon habe die Klägerin aber einen Entscheidungskonflikt nicht plausibel dargelegt. Angesichts der vom Sachverständigen bejahten dringenden Indikation für den Eingriff und der von der Klägerin geschilderten Vorgeschichte sei ein Entscheidungskonflikt von vornherein auszuschließen. Sie - die Beklagte - habe auch bereits in erster Instanz eine mutmaßliche Einwilligung behauptet. In ihrem Vortrag, die Klägerin sei über das Risiko eines Schlaganfalls bei Durchführung der Maßnahme aufgeklärt worden, liege in Verbindung mit dem Umstand, dass die Klägerin eingewilligt hat, implizit die Darlegung, die Aufklärung sei vollständig gewesen und die Klägerin hätte nicht nur, sondern habe tatsächlich ihr Einverständnis mit der Behandlung wirksam erklärt. Wenn dann ein Gutachter eine Risikoerhöhung postuliere, halte die Behandlungsseite offensichtlich konkludent am Einwand hypothetischer Einwilligung fest. Wenn das Landgericht dies anders gesehen hätte, hätte es dies deutlich machen müssen. Im Übrigen sei die Kausalität der Untersuchung für den Schlaganfall bislang nicht festgestellt worden. So habe sie in erster Instanz vorgetragen, dass die Untersuchung nicht zu einer Überlastung des Körpers geführt habe ebenso wie sie nicht Ursache für einen Schlaganfall gewesen sei. Dies hätte das Landgericht als Bestreiten des Ursachenzusammenhangs werten oder aber nachfragen müssen. Da die Klägerin bereits zuvor aufgrund ihrer genetischen Disposition einen Schlaganfall erlitten gehabt habe, scheide ein Anscheinsbeweis aus. Schließlich sei das vom Landgericht ausgeurteilte Schmerzensgeld überhöht. Das Landgericht habe angesichts der unstreitigen Vorschäden nicht hinreichend begründet, warum es ein Schmerzensgeld von 25.000,€ für angemessen halte.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil. Dr. V...habe durch seine Erklärungen die mit dem streitgegenständlichen Eingriff verbundenen Risiken verharmlost. Hätte dieser sie darüber in Kenntnis gesetzt, dass wegen des bereits vorher aufgetretenen Schlaganfalls ein erhöhtes Schlaganfallsrisiko mit der zerebralen Angiographie verbunden ist, hätte sie dem Eingriff niemals zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.

Der Senat hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 25.4.2007. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift vom 20.6.2007 (Bl. 222 d.A.) Bezug genommen.

B.

Die Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat zu Recht die Haftung der Beklagten für den bei der Klägerin am 27.11.2003 aufgetretenen Schlaganfall bejaht.

Die Klägerin kann von der Beklagten gemäß den §§ 280, 249, 253 BGB, §§ 823, 249, 253 BGB die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 25.000,€ nebst Zinsen verlangen. Darüber hinaus ist die Beklagte verpflichtet, der Klägerin sämtlichen materiellen und zukünftigen immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit dieser auf die zerebrale Angiographie vom 27.11.2003 im H...Krankenhaus E... zurückzuführen ist.

I.) Die Beklagte haftet unabhängig vom Vorliegen eines Behandlungsfehlers für die gesundheitlichen Folgen der zerebralen Angiographie am 27.11.2003, weil die Einwilligung der Klägerin in den Eingriff mangels hinreichender Aufklärung unwirksam gewesen ist (vgl. Müller, DRiZ 2000, S. 259, 261; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 10.A., Rdnr. 321).

1.) Die Selbstbestimmungsaufklärung schafft die Voraussetzung für die rechtfertigende Einwilligung: Der Patient muss im Großen und Ganzen zur Kenntnis erhalten, welche Krankheit vorliegt, welcher Eingriff geplant ist, wie dringlich er ist, wie er abläuft und welche Risiken und Nebenwirkungen damit verbunden sind (Gehrlein, VersR 2004, S. 1488, 1495; Steffen/Pauge, a.a.O., Rdnr. 329, 393 ff.). Diesen Anforderungen hat die Aufklärung, die der Klägerin zuteil geworden ist, nicht genügt.

a.) Die Behauptung der Klägerin, sie selbst habe keinerlei Risikoaufklärung erfahren, ist allerdings durch die Aussage des Zeugen Dr. V...widerlegt - wovon schon das Landgericht zu Recht ausgegangen ist. Dessen Aussage wird insbesondere durch die handschriftlichen Vermerke auf dem Aufklärungsbogen gestützt, wonach ausdrücklich das Schlaganfallsrisiko als Komplikationsmöglichkeit erwähnt worden ist. Ihre Behauptung, die Notizen seien in ihrer Gegenwart nicht auf dem Bogen angebracht worden, hat die Klägerin nicht beweisen können - was zu ihren Lasten geht (vgl. Steffen/Pauge, a.a.O., Rdnr. 572; Palandt-Sprau, BGB, a.a.O., § 823 Rdnr. 163). Denn der Aussage ihres Ehemannes kann aus den zutreffenden Erwägungen des Landgerichts, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, nicht gefolgt werden.

b.) Der Senat geht weiter nicht davon aus, dass der Zeuge Dr. V...das Schlaganfallsrisiko gegenüber der Klägerin bagatellisiert hat (vgl. dazu Bundesgerichtshof NJW 1999, S. 863, 864; Wussov, VersR 2002, S. 1337, 1339).

aa.) Eine Verharmlosung des Risikos müsste allerdings angenommen werden, wenn Dr. V...der Klägerin tatsächlich erklärt hat, diese Operation inzwischen 3.000 Mal durchgeführt zu haben, ohne dass etwas passiert ist. Zwar ist die Behandlungsseite nicht gehindert, im Rahmen der Aufklärung auf die konkreten Erfahrungen des Operateurs zu verweisen. Dabei darf jedoch nicht der Eindruck erweckt werden, ein Risiko sei mit dem Eingriff praktisch nicht verbunden (vgl. Oberlandesgericht Koblenz, VersR 2004, S. 1564, 1565). Hinzu kommt, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S... zwischen zerebralen und angiographischen Eingriffen in anderen Körperregionen unterschieden werden muss. Sofern der Operateur tatsächlich 3000 zerebrale Angiographien vorgenommen habe, erscheine es als überaus ungewöhnlich, wenn dabei in keinem einzigen Fall eine Komplikation aufgetreten wäre. Danach hat die Beklagte klargestellt, dass tatsächlich die Gesamtzahl aller angiographischen und ähnlicher Untersuchungen gemeint gewesen ist, wenn Dr. V...von mehreren tausend komplikationslosen Eingriffen gesprochen habe. Dies hätte Dr. V...aber deutlich machen müssen, wenn die zerebrale Angiographie in Bezug auf die Komplikationsdichte nicht mit anderen angiographischen Untersuchungen zu vergleichen ist.

bb.) Es kann hier jedoch nicht angenommen werden, dass Dr. V...tatsächlich gerade gegenüber der Klägerin das Risiko in der oben beschriebenen Form verharmlost hat.

(1) In diesem Zusammenhang ist zunächst zu berücksichtigen, dass dies nicht einmal die Klägerin selbst behauptet hat. Diese hat zwar in der Klageschrift vorgetragen, bei der Aufklärung durch Dr. V...seien ihr Ehemann und die Eheleute E... zugegen gewesen, und auf Nachfrage ihres Ehemannes habe der Arzt geäußert, bei dem Eingriff sei noch nie etwa passiert. Dieses Vorbringen hat sie jedoch bereits mit Schriftsatz vom 7.12.2005 korrigiert - worauf bereits die Beklagte hingewiesen hat. Darin hat sie dargetan, am 26.11.2003 sei im Beisein ihres Ehemannes lediglich der technische Ablauf der Operation erläutert worden, ohne dass die Risiken des Eingriffs zur Sprache gekommen seien. Ihr Ehemann habe dann einige Tage später - also nach der Operation - noch einmal Dr. V...auf die Risiken angesprochen, dabei habe dieser dann erklärt, die Operation bereits 3000 Mal komplikationsfrei vorgenommen zu haben. So haben es im Wesentlichen auch der Zeuge K... und die Eheleute E... bestätigt, wenn sie auch bekundet haben, das Gespräch mit Dr. V...habe noch vor der Angiographie stattgefunden. Danach ist aber gegenüber der Klägerin selbst das Risiko nicht bagatellisiert worden; es ist ebenfalls nicht ersichtlich, dass die Äußerung von Dr. V...gegenüber ihren Angehörigen in irgendeiner Form in die Willensbildung der Klägerin eingeflossen ist.

(2) Das Landgericht ist gleichwohl aufgrund der Aussage des Zeugen Dr. V...zu einer anderen Einschätzung gelangt. Dr. V...hat im Rahmen der Schilderung des Aufklärungsgesprächs mit der Klägerin auf Nachfrage des Landgerichts bekundet, er werde auch gesagt haben, dass das Schlaganfallsrisiko nach seiner Erfahrung kein großes Risiko darstelle, weil er solche Untersuchungen schon mehrere tausend Mal gemacht habe, ohne dass etwas passiert sei. Es möge also durchaus möglich sein, dass er gesagt habe, er habe dies schon ein paar tausend Mal gemacht. Diese Bekundung hat sich die Klägerin insoweit zueigen gemacht, als sie anschließend erklärt hat, als Ergebnis der Beweisaufnahme dürfte zweifelsfrei feststehen, dass die Risiken nicht nur ihr gegenüber, sondern auch gegenüber ihren Angehörigen heruntergespielt worden sei. Das Ergebnis der Beweisaufnahme und insbesondere die Bekundung des Zeugen Dr. V...reichen aber unter Berücksichtigung des übrigen Klägervortrages für die substantiierte Behauptung nicht aus, die verharmlosende Erklärung sei auch gegenüber der Klägerin erfolgt. Denn der Zeuge Dr. V...hat sich letztlich nicht festgelegt und im Ergebnis lediglich nicht ausgeschlossen, seine Erfahrungen mit derartigen Eingriffen der Klägerin mitgeteilt zu haben.

c.) Die Aufklärung der Klägerin ist aber deshalb nicht ordnungsgemäß gewesen, weil der aufklärende Arzt verpflichtet gewesen wäre, der Klägerin deutlich zu machen, dass das Schlaganfallsrisiko in ihrem Fall erhöht ist, weil sie bereits vor der Untersuchung unstreitig einen Schlaganfall erlitten hatte. Dass eine solche Information erfolgt ist, haben die Beklagten nicht behauptet; eine solche wäre aber erforderlich gewesen.

aa.) Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S... ist das Risiko, dass bei einer zerebralen angiographischen Untersuchung eine Komplikation auftritt, doppelt so hoch, wenn der Patient bereits zuvor einen Schlaganfall erlitten hatte, so dass das Risiko vorübergehender zerebral ischämischer Komplikationen auf 24 %, das Risiko permanenter Komplikationen, d. h. insbesondere von Schlaganfällen, auf 1 % ansteigt. An der fachlichen Kompetenz des Sachverständigen zur Beurteilung dieser Frage bestehen keine Zweifel. Dieser hat zwar deutlich gemacht, nicht selbst als verantwortlicher Arzt zerebrale Angiographien vorgenommen zu haben. Hier geht es aber auch nicht um Fehler des Arztes bei der Durchführung der Untersuchung, sondern um Risiken, die mit einer zerebralen Angiographie verbunden sind. Diese Risiken betreffen vorrangig Schädigungen des Gehirns, so dass die Beantwortung der Beweisfrage ersichtlich in den Fachbereich eines Facharztes für Neurologie und Neurochirurgie und damit in den des Sachverständigen Dr. S... fällt. Im Übrigen haben die Parteien nicht in Zweifel gezogen, dass das Risiko eines Schlaganfalls im Rahmen einer zerebralen Angiographie erhöht ist, wenn der Patient bereits zuvor einen Schlaganfall erlitten hatte.

bb.) Der Sachverständige hat weiter deutlich gemacht, dass nach seiner Einschätzung die Klägerin auf diese Risikoerhöhung hätte hingewiesen werden müssen. Diese Beurteilung hält der Senat auch aus juristischer Sicht für zutreffend. Der Senat verkennt nicht, dass der Arzt nur eine Aufklärung im Großen und Ganzen schuldet und insbesondere grundsätzlich nicht gehalten ist, die Patientin über die statistische Wahrscheinlichkeit einer möglichen Komplikation zu informieren (vgl. Oberlandesgericht Koblenz, VersR 2004, S. 1564, 1564, ferner Bundesgerichtshof NJW 2006, S. 2477, 2479). Das entbindet den Arzt aber nicht von der Verpflichtung, auf eine im konkreten Fall vorliegende signifikante Erhöhung des Risikos eines Schlaganfalls bei der geplanten zerebralen angiographischen Untersuchung hinzuweisen. Und eine solche Erhöhung muss hier angenommen werden. Zwar hat sich das Risiko einer permanenten Schädigung bei vorangegangenem Schlaganfall wie o.a. letztlich lediglich um 0,5 % auf 1 % erhöht. Doch hat es sich für die Klägerin letztlich doppelt so hoch wie für einen nicht vorgeschädigten Patienten dargestellt, und kann das Risiko nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht mehr als "sehr selten" bezeichnet werden, wie es im PERIMED-Aufklärungsbogen für das Schlaganfallsrisiko eines nicht vorgeschädigten Patienten geschehen ist. Vielmehr ist das Risiko eines Patienten, der bereits vor der angiographischen Untersuchung einen Schlaganfall erlitten hatte, mit "selten" oder gar "gelegentlich" zu bewerten. Dies hätte der Klägerin dargelegt werden müssen.

2.) Eine Haftung der Beklagten für die Folgen des mangels wirksamer Einwilligung rechtswidrigen Eingriff scheidet aus, wenn sich der Aufklärungsmangel im Ergebnis nicht ausgewirkt hat, weil der Patient sich auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung für den Eingriff entschieden hätte (Bundesgerichtshof VersR 1992, S. 960, 962; VersR 1994, S. 682, 684). Bereits der unstreitige Parteivortrag deutet hier darauf hin, dass die Voraussetzungen einer derartigen hypothetischen Einwilligung vorliegen: Denn die Klägerin hat während des gesamten Rechtsstreits nicht zur Kenntnis genommen, dass bei ihr nach den Erläuterungen des Sachverständigen Dr. S... eine eindeutige Indikation für den diagnostischen Eingriff bestanden hat, um nämlich eine kurz vorher stattgehabte atypische Blutung im Hirnstammbereich abzuklären und ggf. Hinweisen auf ein Aneurysma nachzugehen. Danach kann von einer "rein prophylaktisch" durchgeführten Angiographie keine Rede sein, wie die Klägerin in der Klageschrift ausdrücklich behauptet hat. Diese Frage kann jedoch letztlich dahingestellt bleiben, weil die Beklagte mit dem Einwand einer hypothetischen Einwilligung in den Eingriff gemäß § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen ist.

a.) Die Prüfung einer hypothetischen Einwilligung erfolgt nicht von Amts wegen (Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3.A., § 4 XII 6, S. 209). Das Gericht darf dieser Frage vielmehr erst nachgehen, wenn sich die Behandlungsseite darauf beruft (Bundesgerichtshof NJW 1994, S. 2414, 2415). Das hat die Beklagte in erster Instanz versäumt. Ihr Vortrag, sie habe die Klägerin tatsächlich ordnungsgemäß aufgeklärt und diese habe daraufhin in den Eingriff eingewilligt, reicht dazu nicht aus und musste der Klägerin keine Veranlassung geben, einen Entscheidungskonflikt plausibel darzulegen.

b.) Soweit die Beklagte die Behauptung in der Berufungsinstanz nachgeholt hat, die Klägerin hätte auch bei zutreffender Aufklärung in den Eingriff eingewilligt, ist sie damit nach § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist das Vorbringen unbeachtlich: Der Vortrag der Beklagten betrifft die Behauptung eines relevanten rechtmäßigen Alternativverhaltens (Lange/Schiemann, a.a.O.; Palandt-Heinrichs, a.a.O., Vorb § 249 Rdnr. 105) und stellt sich als neues Verteidigungsmittel im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO dar; die Beklagte hat auch nicht dargetan, warum sie den Einwand nicht bereits in erster Instanz in den Rechtsstreit eingeführt hat. Allerdings lässt der Bundesgerichtshof neuen Tatsachenvortrag in der Berufungsinstanz zu, wenn dieser unstreitig wird (BGHZ 161, 138, 142). Daraus folgert der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, dass auch eine erst in zweiter Instanz erhobene Verjährungseinrede ohne Rücksicht auf die besonderen Voraussetzungen in § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen ist, wenn sie auf der Grundlage unstreitigen Parteivorbringens zu beurteilen ist (NJWRR 2006, S. 630, 630; so auch Noethen, MDR 2006, S. 1024, 1026). Demgegenüber vertritt der X. Senat die Auffassung, die Verjährungseinrede sei auch in diesem Fall nur in der Rechtsmittelinstanz zu berücksichtigen, wenn die sonstigen Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO erfüllt seien (MDR 2006, S. 766, 767). Dieser Auffassung schließt sich der Senat an. Denn die Frage, ob das insoweit Geschehene überhaupt von Bedeutung ist, stellt sich erst, wenn das Leistungsverweigerungsrecht vom Schuldner wahrgenommen wird. Dementsprechend sind den Prozessstoff erweiternde Handlungen in der Berufungsinstanz nicht bereits deshalb zulässig, weil ihre Beurteilung aufgrund unstreitigen Tatsachenvortrags erfolgen kann, wie § 533 ZPO zeigt (vgl. Bundesgerichtshof, MDR 2006, S. 766, 767). Ein Verweis auf das Gebot einer gerechten Entscheidung (vgl. Noethen, a.a.O., S. 1027) greift im Hinblick auf die Verjährungseinrede ebenfalls nicht durch, weil es im Belieben des Schuldners steht und allein von seinem Willen abhängt, ob er sich auf die Einrede berufen will oder nicht. Nicht wesentlich anders stellt sich die Situation in Bezug auf die Behauptung der Behandlungsseite dar, die Patientin hätte sich auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung für den Eingriff entschieden. Hier kommt hinzu, dass dieser Einwand in aller Regel eine weitere Sachaufklärung in der Berufungsinstanz zur Folge hat. Denn Feststellungen darüber, wie sich ein Patient bei ausreichender Aufklärung entschieden hätte, und ob er in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, darf der Tatrichter grundsätzlich nicht ohne persönliche Anhörung des Patienten treffen. Davon kann nur abgesehen werden, wenn schon die unstreitigen äußeren Umstände eine sichere Beurteilung der hypothetischen Entscheidungssituation erlauben oder wenn der Patient bereits seiner Verpflichtung nicht genügt hat, plausibel darzulegen, weshalb er aus seiner Sicht bei Kenntnis der aufklärungspflichtigen Umstände vor einem Entscheidungskonflikt gestanden hätte, ob er die ihm empfohlene Behandlung gleichwohl ablehnen solle (Bundesgerichtshof NJW 2005, S. 1364, 1364; VersR 1990, S. 1238, 1238 f.).

3.) An der Kausalität zwischen der angiographischen Untersuchung und dem Schlaganfall, den die Klägerin erlitten hat, bestehen nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S... vor dem Senat keine Zweifel. Es handele sich bei dem Schlaganfall um ein typisches Risiko der zerebralen Angiographie, und der Schlaganfall sei hier in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Untersuchung aufgetreten. Hinzu komme, dass im Operationsbericht konkrete arteriosklerotische Veränderungen beschrieben seien. Davon ist im Übrigen die Beklagte selbst noch in der Klageerwiderung ausgegangen, wo sie dargetan hat, es habe sich bei dem eingetretenen Schlaganfall um eine seltene, aber trotz sachgerechter Durchführung mögliche Komplikation der angiographischen Untersuchung gehandelt.

4.) Der Senat hält auch das vom Landgericht ausgeurteilte Schmerzensgeld von 25.000, € trotz der unstreitigen Vorschäden der Klägerin für angemessen. Dabei ist insbesondere in Betracht zu ziehen, dass die Klägerin aufgrund des erneuten Schlaganfalls unstreitig wegen Gleichgewichtsstörungen nunmehr nicht mehr allein laufen kann, zusätzlich unter Lähmungserscheinungen der rechten Hand, unter starken Sprachstörungen und Störungen des Kurzzeitgedächtnisses sowie unter Inkontinenz leidet. Diese Gesundheitsschäden sind geeignet, die Lebensführung der Klägerin nachhaltig einzuschränken. Es ist auch nicht ersichtlich, dass andere Gerichte in vergleichbaren Fällen deutlich niedrigere Schmerzensgeldbeträge ausgeurteilt haben.

II.) Der Zinsforderung liegen §§ 291, 288 BGB zugrunde.

III.) Der Feststellungsantrag ist ebenfalls zulässig und begründet wegen zukünftiger Schäden, weil das Entstehen derartiger Schäden durchaus möglich erscheint. Schädigendes Ereignis ist die mangels ausreichender Einwilligung rechtswidrige angiographische Untersuchung der Klägerin am 27.11.2003 gewesen. Im Hinblick darauf hat sich der Senat veranlasst gesehen, die Entscheidungsformel des landgerichtlichen Urteils zu konkretisieren.

IV.) Der Senat hat gemäß § 543 ZPO die Revision zugelassen, weil bislang soweit ersichtlich eine Entscheidung des Revisionsgerichts zu der Frage nicht vorliegt, ob bei unstreitigem Sachverhalt der Einwand einer hypothetischen Einwilligung in den ärztlichen Eingriff erstmals in zweiter Instanz erhoben werden kann.

C.

Die Nebenentscheidungen stützen sich auf die §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

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