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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Urteil verkündet am 11.05.2005
Aktenzeichen: 5 U 163/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1
Sagt der Chefarzt einem Patienten verbindlich zu, ihn persönlich zu operieren, so erstreckt sich die Einwilligung des Patienten nicht auf andere Ärzte.

Soll entgegen einer solchen Zusage ein anderer Arzt die Operation übernehmen, so muss der Patient hiervon so rechtzeitig unterrichtet werden, dass er sich für eine Verschiebung der Operation entscheiden kann. Bei einer Operation, die außergewöhnliche Risiken birgt, reicht hierfür eine Unterrichtung am Vorabend nicht aus.


Oberlandesgericht Oldenburg Im Namen des Volkes Grund- und Teilurteil

5 U 163/04

Verkündet am 11. Mai 2005

In dem Rechtsstreit

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg auf die mündliche Verhandlung vom 27. April 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Aurich wird insoweit zurückgewiesen als

1. die Klageanträge zu 1) und 2) dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt werden und

2. festgestellt wird, daß der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche künftigen immateriellen und materiellen Schäden aus der ärztlich fehlerhaften Behandlung vom 04. 01. 2001 bis zum 25. 01. 2001 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um Ansprüche aus fehlerhafter ärztlicher Behandlung.

Der Kläger, der unter partiellen Verwachsungen zwischen Darm und Bauchdecke und einem Zwerchfelldurchbruch litt, wurde am 5. Januar 2001 im Kreiskrankenhaus L... von dem Stationsarzt Dr. B... unter Assistenz des Oberarztes Dr. C... operiert. Wegen postoperativer Beschwerden erfolgte am 18. Januar 2001 eine Revisionsoperation durch den Chefarzt Dr. A.... Nachdem sich der Zustand des Klägers weiter verschlechterte, wurde er in das Krankenhaus S..., H..., verlegt.

Der Kläger hat behauptet, der Chefarzt der chirurgischen Abteilung Dr. A... habe ihm zugesichert, ihn persönlich zu operieren. Von den behandelnden Ärzten sei er mangelhaft aufgeklärt worden. Die Operation vom 5. Januar 2001 sei offensichtlich von einem unerfahrenen Arzt durchgeführt worden. Beide Operationen hätten zu zahlreichen Verletzungen geführt.

Der Kläger hat beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger aus der ärztlich fehlerhaften Behandlung im Kreiskrankenhaus L... in der Zeit vom 04. 01. bis 25. 01. 2001 ein angemessenes Schmerzensgeld - dessen betragsmäßige Festsetzung in das Ermessen des Gerichts gestellt wird - nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz gemäß § 247 Abs. 1 BGB seit dem 09. 03. 2002 zu zahlen,

2. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger materiellen Schadensersatz aus der ärztlich fehlerhaften Behandlung in der Zeit vom 04. 01. bis 25. 01. 2001 in Höhe von 19.282,95 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz gemäß § 247 Abs. 1 BGB seit dem 09. 03. 2002 zu zahlen,

3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche künftigen immateriellen und materiellen Schäden aus der ärztlich fehlerhaften Behandlung vom 04. 01. 2001 bis 25. 01. 2001 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 75.000, € Schmerzensgeld nebst Zinsen und 18.105,85 € materiellen Schadensersatz nebst Zinsen verurteilt und außerdem festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche künftigen immateriellen und materiellen Schäden aus der ärztlichen Behandlung vom 04. 01. 2001 bis 25. 01. 2001 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass die Operation vom 5. Januar 2001 ohne wirksame Einwilligung des Klägers erfolgt sei. Der Zeuge Dr. A... habe bestätigt, dem Kläger die Zusage gegeben zu haben, ihn persönlich zu operieren. Trotz dieser Zusage habe ohne Notwendigkeit der Stationsarzt Dr. B... die Operation durchgeführt. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sei insbesondere der lange stationäre Klinikaufenthalt und die verbliebenen nachhaltigen Beeinträchtigungen des Klägers zu berücksichtigen. Es sei hinreichend belegt, dass der Kläger durch den Eingriff arbeitsunfähig geworden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf das Urteil des Landgerichts Aurich vom 17. September 2004 verwiesen.

Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten. Der Beklagte behauptet, der Kläger habe bereits einen Tag vor der Operation gewußt, nicht vom Chefarzt Dr. A..., sondern vom Stationsarzt Dr. B... operiert zu werden. Dies ergebe sich aus den teils gerichtlichen, teils außergerichtlichen Erklärungen des Klägers. Aus dem vom Zeugen Dr. A... geschilderten Gespräch, wonach er den Kläger erst nach seiner Urlaubsrückkehr am 8. Januar 2001 operieren könne, sei dem Kläger klar gewesen, daß eine auf den 5. Januar 2001 angesetzte Operation nur von einem Dritten vorgenommen werden könne. Somit habe sich der Kläger zumindest konkludent damit einverstanden erklärt, sich von Dr. B... operieren zu lassen. Das Landgericht könne seine Entscheidung auch nicht auf die Auffassung des Klägers stützen, die Operateure seien für den Eingriff nicht hinreichend qualifiziert gewesen. Die Feststellungen des Landgerichts zu Schmerzensgeld und materiellem Schaden entbehrten einer tragfähigen Grundlage. Feststellungen über den gesundheitlichen und beruflichen Werdegang des Klägers ohne oder mit schadensfrei verlaufener Operation lägen nicht vor. Zum Nachweis, daß der Kläger operationsbedingt arbeitsunfähig geworden sei, reiche ein älteres, aus drei Seiten bestehendes sozialmedizinisches Gutachten nicht aus.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger behauptet, er habe am 4. Januar 2005 nicht gewußt, daß Dr. A... nicht anwesend sei. Er sei davon ausgegangen, von Dr. A... operiert zu werden. Dr. A... habe ihm nur gesagt, daß er ihn Anfang Januar nach Rückkehr aus dem Urlaub operieren werde, ohne einen genauen Operationstag zu nennen. Wann Dr. A... aus dem Urlaub habe zurückkehren wollen, sei ihm nicht bekannt gewesen. Auch als Dr. B... ihm am Abend des 4. Januar 2001 eröffnete, daß er am nächsten Morgen operiert werde, sei er noch davon ausgegangen, von Dr. A... operiert zu werden. Die Aufklärung am Vorabend der Operation sei inhaltlich unzureichend und zu spät erfolgt. Hinsichtlich der Durchführung der Operation durch Dr. B... und Dr. C... liege ein Übernahmeverschulden vor. Dr. C... habe bei seiner Vernehmung am 26. April 2004 selbst erklärt, für laparoskopische Eingriffe nicht ausgebildet gewesen zu sein und sich aufgrund seines Alters auch nicht mehr in die Operationstechnik einarbeiten zu wollen.

Der Senat hat gemäß Beweisbeschluß vom 9. März 2005 Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen Dr. A..., Dr. B... und Dr. D.... Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27. April 2005 verwiesen.

II.

Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Die Sache ist zum Haftungsgrund und zum Feststellungsanspruch entscheidungsreif. Insoweit hat die Berufung des Beklagten keinen Erfolg.

1) Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß die Operation vom 5. Januar 2001 mangels wirksamer Einwilligung rechtswidrig war. Zwar hat ein Patient beim totalen Krankenhausaufnahmevertrag grundsätzlich keinen Anspruch darauf, von einem bestimmten Arzt, insbesondere vom Chefarzt persönlich, behandelt und operiert zu werden. Die Wirksamkeit seiner Einwilligung in die Operation hängt daher grundsätzlich nicht davon ab, ob er über die Person seines Operateurs aufgeklärt worden ist (OLG Celle VersR 1982, 46). Etwas anderes gilt aber, wenn dem Patienten eine konkrete Zusage gemacht worden ist. Dann berechtigt die dem Chefarzt erteilte Einwilligung nicht den Stationsarzt zum Eingriff (Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 9. Aufl. Rz. 392. Palandt-Sprau, BGB, 64. Aufl. § 823 Rz. 151 jeweils m. w. N.). So lag der Fall hier. Der Zeuge Dr. A... hat bei seiner Vernehmung vor dem Landgericht bekundet, er habe dem Kläger zugesagt, ihn persönlich zu operieren. Er habe dies auch deshalb zugesagt, da die Operation "doch relativ heikel" gewesen sei und er die Verantwortung nicht gerne auf andere habe abschieben wollen.

An dieser Beurteilung ändert sich auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens im Ergebnis nichts.

a) Der Beklagte hat seine Behauptung, dem Kläger sei spätestens einen Tag vor der Operation bekannt gewesen, dass er nicht - wie zunächst vereinbart - vom Chefarzt Dr. A..., sondern vom Stationsarzt Dr. B... operiert werde, nicht bewiesen. Der Zeuge Dr. A... hat in seiner Aussage vor dem Senat zunächst bekundet, er habe seiner Erinnerung nach dem Kläger vorgerechnet, daß er am Donnerstag aufgenommen werden solle, so daß er ihn dann am Montag operieren könne. Auf wiederholte Nachfrage hat der Zeuge dann jedoch eingeräumt, kein genaues Datum für die Operation genannt zu haben. Für ihn als Arzt sei der Ablauf wegen der nötigen Vorbereitungen allerdings klar gewesen. Er habe dem Kläger gesagt, daß er wegen der verzögerten Darmpassage mehr Zeit als ein normaler Patient benötige. Aus diesen Angaben folgt eine Kenntnis des Klägers nicht. Entgegen der Auffassung des Beklagten kann auch aus den Angaben des Zeugen vor dem Landgericht Aurich nicht auf eine Kenntnis des Klägers von der genauen Urlaubsplanung des Zeugen geschlossen werden. Der Zeuge Dr. B... hat bekundet, nicht zu wissen, wann der Kläger erfahren habe, daß er nicht von Dr. A... operiert werde. Er könne sich auch nicht daran erinnern, mit dem Kläger über die Urlaubszeiten von Dr. A... gesprochen zu haben. Die Zeugin Dr. D... hat lediglich angegeben, mit dem Kläger am Vortag der ersten Operation das Aufklärungsgespräche geführt zu haben. Ob dabei auch darüber gesprochen worden sei, wer den Kläger operieren werde, wisse sie nicht mehr. Zu den üblichen Punkten eines Aufklärungsgesprächs gehöre diese Frage jedenfalls nicht. Sie wisse auch nicht mehr, ob darüber gesprochen worden sei, daß Dr. A... sich noch im Urlaub befinde. Nach alledem kann aus den Angaben der vernommenen Zeugen nicht darauf geschlossen werden, dem Kläger sei die Änderung der Operationsplanung bekannt gewesen, so daß es auf die gegenbeweislich angebotenen Zeugen nicht mehr ankam.

b) Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der gerichtlichen und außergerichtlichen Erklärungen des Klägers. Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei den Angaben im vorprozessualen Schreiben vom 19. Februar 2002 um ein Informationsversehen des klägerischen Prozeßbevollmächtigten gehandelt hat. Selbst wenn dem Kläger - wofür sonstige Anhaltspunkte fehlen - am Vorabend der Operation plötzlich eröffnet worden wäre, dass die Operation vom Stationsarzt vorgenommen werde, ergäbe sich kein anderes Ergebnis. Soll entgegen einer dem Patienten gegebenen verbindlichen Zusage nicht der Chefarzt, sondern der Stationsarzt die Operation übernehmen, muß der Patient hiervon so rechtzeitig unterrichtet werden, daß er sich für eine Verschiebung des Eingriffs entscheiden kann (OLG München NJW 1984, 1412. Steffen/Dressler a.a.O. Rz. 392). Davon kann bei einer Unterrichtung erst am Vorabend einer Operation, die außergewöhnliche Risiken birgt und deshalb vom Chefarzt persönlich durchgeführt werden soll, nicht mehr ausgegangen werden. Dem Kläger verbliebe in einem solchen Fall weder eine ausreichende Überlegungsfrist noch könnte ihm nach den gesamten Umständen noch eine Verweigerung der Heilbehandlung zugemutet werden. Der Kläger dürfte sich vielmehr zu diesem Zeitpunkt so sehr auf die Durchführung der Operation eingestellt haben, dass ein Zurücktreten wegen der veränderten Umstände nicht mehr zu erwarten wäre. Nach alledem kann entgegen der Auffassung des Beklagten nicht auf ein konkludentes Einverständnis mit einer Operation durch den Stationsarzt Dr. B... geschlossen werden.

c) Entgegen der in der mündlichen Verhandlung vom 27. April 2005 geäußerten Ansicht des Beklagtenvertreters kann auch nicht von einem Mitverschulden des Klägers ausgegangen werden. Selbst wenn dem Kläger durch die - später relativierten - Angaben des Zeugen Dr. A... der ursprünglich vorgesehene zeitliche Verlauf seines Krankenhausaufenthalts bekannt gewesen wäre, könnte eine fehlende Reaktion auf einen früheren Operationstermin dem Kläger nicht als Mitverschulden angerechnet werden. Dem Kläger als medizinischem Laien mußte nicht zu denken geben, was offensichtlich auch die an der Operation beteiligten Ärzte nicht berücksichtigten.

2) Das Landgericht hat zu den gesundheitlichen und beruflichen Folgen des rechtswidrigen Eingriffs keinen Beweis erhoben. Dies wäre aber angesichts der erheblichen gesundheitlichen Vorbelastungen des Klägers und der wenig aussagekräftigen Unterlagen, die das Landgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, erforderlich gewesen. Die Annahme einer operationsbedingten Arbeitsunfähigkeit kann nicht auf ein dreiseitiges, wenig präzises sozialmedizinisches Gutachten vom 19. Juni 2001 gestützt werden. Die Begutachtung erfolgte nach Aktenlage und ergab lediglich, daß der Kläger "in absehbarer Zeit" seine berufliche Tätigkeit als Metallarbeiter nicht würde ausüben können. Nach dem Urteil des Landgerichts bleibt weiter unklar, welche "auch heute noch beim Kläger bestehenden Beeinträchtigungen" (LGU Seite 10) für die Bemessung des Schmerzensgeldes herangezogen wurden. Der Beklagte hat die behaupteten Beeinträchtigungen bestritten, so daß insoweit noch umfangreich Beweis zu erheben ist.

Da die Schadenshöhe zwischen den Parteien bis auf die Positionen Fahrtkosten, Medikamente und Kleiderschaden streitig und ohne weitere Abklärung der Rechtsstreit insoweit noch nicht entscheidungsreif ist, ist es - nicht zuletzt auch im Hinblick auf die von den Parteien angesprochenen Vergleichsverhandlungen - angemessen und geboten, zunächst über den Grund und die Feststellung von Zukunftsschäden zu entscheiden (§§ 304 Abs. 1, 301 ZPO). Der Feststellungsantrag ist zulässig und begründet, weil die Möglichkeit besteht, dass die auf der Operation beruhenden Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klägers noch nicht abzusehende materielle und immaterielle Schäden verursachen werden.

Ende der Entscheidung

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