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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Urteil verkündet am 30.01.2008
Aktenzeichen: 5 U 92/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1
BGB § 847
1. Maßnahmen sind nur dann in den Krankenunterlagen zu dokumentieren, wenn dies erforderlich ist, um Ärzte und Pflegepersonal über den Verlauf der Krankheit und die bisherige Behandlung im Hinblick auf künftige medizinische Entscheidungen ausreichend zu informieren.

2. Ein Operationsbericht muss eine stichwortartige Beschreibung der jeweiligen Eingriffe und Angaben über die hierbei angewandte Technik enthalten. Nicht erforderlich ist hingegen die Wiedergabe von medizinischen Selbstverständlichkeiten wie z.B. einer spannungsfreien Verknotung der Anastomosennähte bei einer Prostatektomie.


OBERLANDESGERICHT OLDENBURG Im Namen des Volkes Urteil

5 U 92/06

Verkündet am 30. Januar 2008

In dem Rechtsstreit

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., die Richterin am Landgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ...auf die mündliche Verhandlung vom 16. Januar 2008 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 13.09.2006 abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bliebt nachgelassen, die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Gründe:

A.

Nachdem bei dem Kläger ein Prostatakarzinom diagnostiziert worden war, unterzog er sich im K... O..., dessen Träger die Beklagte zu 1.) ist, einer radikalen Prostatektomie sowie einer pelvinen Lymphadenektomie beidseitig. Der Beklagte zu 2.) nahm den Eingriff am 15.12.1998 vor. Postoperativ zeigte sich im Cystogramm ein Extravasat im Anastomosenbereich, so dass der Dauerkatheter zunächst nicht entfernt wurde. Am 15.1.1999 wurde der Kläger aus dem Krankenhaus entlassen. Anschließend fand eine Heilbehandlung in der Klinik W... , B..., statt. Auch nach deren Abschluss lag bei dem Kläger eine Harninkontinenz vor.

Mit der Klage hat der Kläger begehrt, festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, ihm sämtlichen materiellen und immateriellen Schaden aus der Operation vom 15.12.1998 zu ersetzen, materielle Ersatzansprüche nur, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind bzw. übergehen werden. Der Kläger hat den Beklagten vorgeworfen, der Beklagte zu 2.) habe über wenig Erfahrung mit Prostatektomien verfügt. Die von ihm iatrogen verursachte Sphinkterdehiszenz sei bei Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt vermeidbar gewesen. Gleiches gelte für Undichtigkeiten, wodurch Urin in den Bauchraum gelangt sei und brennende Schmerzen im Bauchraum verursacht habe. Zudem habe der Beklagte zu 2.) den Penis von innen zu kurz angenäht, so dass ihm Geschlechtsverkehr nicht mehr möglich sei. Schließlich habe der Beklagte zu 2.) bei dem Eingriff die den Schließmuskel am After versorgenden Nerven geschädigt, so dass er unter partieller Stuhlinkontinenz leide. Die Beklagten haben behauptet, bei dem Beklagten zu 2.) habe es sich um einen erfahrenen Oberarzt gehandelt, der bei dem Eingriff die erforderliche medizinische Sorgfalt habe walten lassen. Insbesondere habe dieser die Anastomosedichtigkeit hinreichend überprüft, was er in dem Operationsbericht mit der Formulierung "End-zu-End Anastomose" zum Ausdruck gebracht habe. Soweit Gesundheitsbeeinträchtigungen beim Kläger aufgetreten seien, sei dies schicksalhaft bedingt: Inkontinenz und Impotenz stellten typische Risiken des streitgegenständlichen Eingriffs dar. Die Beklagten haben überdies die vom Kläger dargelegten Gesundheitsbeeinträchtigungen mit Nichtwissen bestritten und die Ursächlichkeit zwischen den angeblichen Behandlungsfehlern und den Gesundheitsschäden des Klägers in Abrede genommen.

Die 2. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück hat nach Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Prof. A..., D..., der Feststellungsklage mit Urteil vom 13.9.2006 insoweit stattgegeben, als es die Schäden des Klägers wegen der verbliebenen Harninkontinenz betrifft. Im Übrigen hat das Gericht die Klage abgewiesen. Wegen der tatsächlichen Feststellungen und der Begründung wird auf das angefochtene Urteil (Bd. I, Bl. 131 ff. d.A.) Bezug genommen.

Hiergegen wenden sich die Beklagten mit der Berufung. Diese meinen, das Landgericht habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass die ärztliche Dokumentation nicht Beweiszwecke erfüllen soll. Vielmehr sei maßgeblich, was speziell aus ärztlicher Sicht erforderlich erscheine, also der Diagnose und der Therapie in künftiger Hinsicht diene. Zudem reiche eine schlagwortartige Beschreibung aus. Danach sei es entgegen den Ausführungen des Sachverständigen nicht geboten gewesen, zusätzliche Details in den Operationsbericht aufzunehmen, etwa was die Knotung und die Dichtigkeitsprüfung bei der Verbindung von Harnröhrenstumpf und Blase betreffe. Sei nämlich die Verletzung des Schließmuskels erst einmal herbeigeführt, sei für die weitere Therapie letztlich ohne Belang, ob die vom Sachverständigen vermissten Angaben im Operationsbericht niedergelegt seien oder nicht. Überdies deuteten die Erläuterungen des Sachverständigen Prof. A... darauf hin, dass dieser seine speziellen Anforderungen an die Dokumentationspflicht zugrunde gelegt habe, die auf subjektiven Umständen beruhten: Dieser sei als Universitätsprofessor tätig, die streitgegenständliche Erkrankung eines Prostatakarzinoms falle in seinen Forschungsbereich. Im Übrigen habe der Sachverständige ausdrücklich auch erklärt, für eine routinemäßige Darstellung möchten die Angaben im Operationsbericht in Ordnung sein. Dementsprechend habe Prof. H..., M..., an dem streitgegenständlichen Operationsbericht nichts auszusetzen gehabt. Im Hinblick darauf erscheine die Einholung eines weiteren Gutachtens als notwendig. Was schließlich die Ausführungen des Landgerichts zur Qualifikation des Operateurs betreffe, könne nicht zweifelhaft sein, dass der Beklagte zu 2.) Facharztstandard gewährleistet habe. Einer weitergehenden Qualifikation habe es entgegen den Darlegungen von Prof. A... nicht bedurft. Maßgeblich könne allein sein, ob der erfahrene Facharzt den Kläger richtig behandelt habe. Schließlich habe das Landgericht nicht nur zu Unrecht eine Parteivernehmung abgelehnt, sondern auch die plausiblen Äußerungen der Beklagten zu 2.) im Rahmen seiner Anhörung nicht gewürdigt.

Die Beklagten beantragen,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil. Prof. A... habe deutlich gemacht, dass in dem Operationsbericht Informationen fehlten, die für die Bewertung des postoperativen Verlaufs und die dann bestehenden Folgeschäden des Eingriffs von erheblicher Bedeutung seien. Der Sachverständige habe nicht etwa Behandlungsfehler des Beklagten zu 2.) verneint, sondern sich aufgrund des unvollständigen Operationsberichtes außerstande gesehen, dazu eine hinreichend sichere Einschätzung abzugeben. Im Übrigen habe Prof. A... in Zweifel gezogen, ob der Beklagte zu 2.) über eine hinreichende Erfahrung für die streitgegenständliche Operation verfügt habe, so dass eine ausführlichere Dokumentation zu fordern sei. Dem Beklagten zu 2.) sei es auch nicht gelungen, im Rahmen seiner Anhörung Dokumentationslücken zu schließen, sondern dieser habe durch seine Erklärungen den Eindruck fehlerhaften Vorgehens bekräftigt. Im Rahmen der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens habe Prof. A... denn auch deutlich gemacht, dass die Röntgendiagnostik sowie der postoperative massive Abgang von Urin über die Drainage darauf hindeuteten, dass hier bei der Verbindung zwischen Harnröhre und Blasenstumpf eine größere Ursache gesetzt worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.

Der Senat hat ergänzend Beweis erhoben aufgrund der Beschlüsse vom 13.6.2007 und 27.6.2007. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dr. W... vom 18.9.2007 (Bd. II, Bl. 73 d.A.) sowie auf die Niederschriften vom 13.6.2007 (Bd. II, Bl. 33 d.A.) und vom 16.01.2008 (Bd. II, Bl. 96 d.A.) Bezug genommen.

B.

Die Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Die Beklagten haften nicht für die Folgen des operativen Eingriffs vom 15.12.1998 im Krankenhaus der Beklagten zu 1.).

Dem Kläger steht gegen die Beklagten ein Anspruch auf Ersatz des ihm entstandenen immateriellen und materiellen Schadens weder wegen unerlaubter Handlung (§§ 823, 847 a.F., 249 BGB) noch wegen schuldhafter Vertragsverletzung i.V.m. Art. 229 § 8 EGBGB zu.

Das Landgericht hat die Haftung der Beklagten für die beim Kläger aufgetretene Harninkontinenz maßgeblich damit begründet, dass der Operationsbericht, den der Beklagte zu 2.) angefertigt habe, letztlich unbrauchbar sei. Dies lasse es ausnahmsweise nicht nur gerechtfertigt erscheinen, von einem Behandlungsfehler des Beklagten zu 2.) auszugehen. Vielmehr obliege unter den gegebenen Umständen den Beklagten auch der Nachweis, dass die Komplikation nicht Folge einer vorwerfbar fehlerhaften Prostatektomie sei - zumal nach den Ausführungen des Sachverständigen Anhaltspunkte für die Annahme bestünden, dass dem Beklagten zu 2.) bei dem operativen Eingriff Fehler unterlaufen seien, die letztlich zu der Harninkontinenz geführt hätten. Diesen Erwägungen vermag der Senat nicht zu folgen.

I.) Es lässt sich im vorliegenden Fall nicht mit er erforderlichen Sicherheit feststellen, dass dem Beklagten zu 2.) bei dem operativen Eingriff am 15.12.1998 ein Behandlungsfehler unterlaufen ist.

1.) Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. A... liegen zwar Anhaltspunkte dafür vor, dass bei der Operation "eine größere Ursache für die Harninkontinenz des Klägers gesetzt worden sein kann": Darauf deuteten die Auswertung der Röntgenbilder sowie der unstreitige Umstand hin, dass nach der OP massiv Urin über die Drainage abgegangen sei. Gleichwohl hat sich der Sachverständige letztlich außerstande gesehen, anhand der vorliegenden Krankenunterlagen einen Behandlungsfehler zu bejahen, weil dazu die Ausführungen im Operationsbericht nicht hinreichend ergiebig seien.

2.) In Übereinstimmung damit hat auch der vom Senat eingeschaltete Sachverständige Dr. W... noch einmal deutlich gemacht, dass zwar die über die Drainage abgeleitete Urinmenge ungewöhnlich gewesen sei. Dies lasse aber nicht den Schluss zu, dass der Beklagte zu 2.) bei der Operation einen Fehler gemacht habe. Als Ursache dafür, dass soviel Urin über die Drainage abgeflossen sei, kämen nämlich auch Komplikationen in Betracht, die dem Beklagten zu 2.) nicht zur Last gelegt werden könnten, wie z.B. ein Blasenkrampf oder ein versehentliches Ziehen des noch benommenen Patienten am Katheter.

3.) Danach hat der Kläger den ihm obliegenden Beweis eines Behandlungsfehlers nicht geführt (vgl. dazu nur Palandt/Sprau, BGB, 67.A., § 823 Rdnr. 161). Entgegen der Annahme des Landgerichts greifen hier zugunsten des Klägers keine Beweiserleichterungen wegen Dokumentationsversäumnissen ein.

a.) Beweiserleichterungen wegen einer mangelhaften Dokumentation setzen zunächst voraus, dass die Behandlungsseite eine ärztlich gebotene Dokumentation versäumt hat (Müller, DRiZ 2000, S. 259, 268. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 5.A., Kap. B, Rdnr. 247. Frahm/Nixdorf, Arzthaftungsrecht, 3.A., Rdnr. 125. Hausch, VersR 2006, S. 612, 616). Dies hängt davon ab, ob die Dokumentation aus medizinischer Sicht erforderlich gewesen ist. Die Dokumentationspflicht dient nämlich der Sicherstellung wesentlicher medizinischer Daten und Fakten für den Behandlungsverlauf. Dagegen bezweckt diese nicht die Sicherung von Beweisen für einen späteren Haftungsprozess: Eine Dokumentation, die aus medizinischer Sicht nicht erforderlich ist, ist auch aus Rechtsgründen nicht geboten (Bundesgerichtshof VersR 1999, S. 1282, 1283. Müller, a.a.O.. Hausch, a.a.O.). Danach ist also eine Maßnahme nur dann in den Krankenunterlagen zu vermerken, wenn dies erforderlich ist, um Ärzte und Pflegepersonal über den Verlauf der Krankheit und die bisherige Behandlung für ihre künftigen Entscheidungen ausreichend zu informieren (Frahm/Nixdorf, a.a.O., Rdnr. 126). Es kommt maßgeblich auf den therapeutischen Nutzen der Aufzeichnung, nicht hingegen auf die Nachvollziehbarkeit der von dem Arzt vorgenommenen Handlungen an (Hausch, a.a.O. S. 618).

b.) Über den Verlauf einer Operation müssen demgemäß die wesentlichen, für eine spätere ärztliche Beurteilung voraussichtlich unerlässlichen Fakten wiedergegeben werden. Zu berichten ist daher regelmäßig über den Operationssitus, die angewandte Technik mit stichwortartiger Beschreibung der jeweiligen tatsächlichen Eingriffe (Schmid, NJW 1987, S. 681, 686. Bundesgerichtshof VersR 1984, S. 386, 387). Dagegen ist der Arzt nicht gehalten, detailgetreu an jeder Stelle festzuhalten, dass er sämtliche in Betracht kommenden Fehler und Versäumnisse vermieden hat. In der Regel ergibt sich schon aus dem Schweigen des Berichts zu den üblichen, jedoch medizinisch unwesentlichen Zwischenschritten, dass diese unter Beachtung der erforderlichen Sorgfalt durchgeführt worden sind (Oberlandesgericht Koblenz, MedR 2007, S. 305, 307). Danach genügt der vom Beklagten zu 2.) angefertigte Operationsbericht den inhaltlich an ihn zu stellenden Anforderungen.

aa.) Der Sachverständige Dr. W... hat in seinem schriftlichen Gutachten keinen Zweifel gelassen, dass der Bericht des Beklagten zu 2.) über die Operation vom 15.12.1998 vom Umfang her üblich sei und den Operationsverlauf gut nachvollziehen lasse. Diese Einschätzung hat Dr. W... anlässlich der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens noch einmal bekräftigt. Insbesondere habe der Operateur deutlich beschrieben, dass er die maßgeblichen Strukturen wie Harnröhre und Blasenhals freigelegt bzw. dargestellt habe, bevor er sie durchtrennt habe, so dass davon ausgegangen werden könne, dieser habe die Schnitte an der richtiger Stelle angesetzt.

bb.) Den Ausführungen des Sachverständigen Dr. W... schließt sich der Senat an. Dieser hat seine Beurteilung plausibel begründet. Seine Einschätzung wird von dem von den Beklagten eingeschalteten Privatgutachter Prof. H..., M..., geteilt. Soweit der vom Landgericht hinzugezogene Sachverständige Prof. A... demgegenüber den Operationsbericht als nicht ausreichend gerügt hat, folgt der Senat dieser Auffassung nicht. Denn Prof. A... hat sich bei der Beuteilung des Operationsberichts offenbar weniger von medizinischen Notwendigkeiten als von beweisrechtlichen Erfordernissen leiten lassen.

aaa.) Prof. A... hat nicht beanstandet, dass der Operationsbericht den Ablauf der Operation und die dabei gewählte Methode nicht hinreichend beschreibt. Vielmehr hat er kritisiert, dass der Operationsbericht nicht - wie es normalerweise gehandhabt werde - jedes Detail wiedergebe und er anhand des Operationsberichtes nicht beurteilen könne, worauf die Inkontinenz des Klägers letztlich beruhe. Damit hat sich der Sachverständige zunächst in Widerspruch zu seinen Ausführungen an anderer Stelle gesetzt, wonach nämlich der vorliegende Operationsbericht für eine routinemäßige Darstellung in Ordnung sein möge. Zudem hat der Sachverständige aber die Anforderungen, die an einen Operationsbericht zu stellen sind, überspannt. So mag ein jedes Detail wiedergebender Operationsbericht in einer Universitätsklinik einer ärztlichen Übung entsprechen. Im Allgemeinen ist der Arzt jedoch - wie schon oben ausgeführt - nicht gehalten, jede Einzelheit seines Handelns durch Dokumentation beweismäßig festzuhalten. Erforderliche Routinemaßnahmen, wozu regelmäßig die Überprüfungen bestimmter Sachverhalte gehören, muss er nicht im OP-Bericht niederlegen (vgl. Schmid, a.a.O.. Bundesgerichtshof VersR 1984, S. 386, 387) Vielmehr reicht es aus, die wichtigsten Daten und Maßnahmen niederzulegen, so dass für den Nachbehandler das Vorgeschehen ausreichend an Klarheit gewinnt (Frahm/Nixdorf, a.a.O. Rdnr. 126).

bbb.) Darüber hinaus ist es dem Sachverständigen Prof. A... nicht gelungen, nachvollziehbar darzulegen, welche konkreten Angaben er in dem Operationsbericht vermisst bzw. warum er deren Mitteilung aus medizinischen Gründen für notwendig hält.

(1) Soweit Prof. A... die Beschreibung vermisst hat, an welcher Stelle die Knoten der Anastomosennaht platziert worden sind, hat dieser nicht näher ausgeführt, warum die Lokalisation im OP-Bericht hätte erwähnt werden müssen. Dr. W... hat dazu dargelegt, dass es in Bezug auf die später eingetretene Harninkontinenz nicht maßgeblich darauf ankomme, wo die Knoten vorgenommen worden sind, sondern wie tief die Nähte gereicht haben und ob bei diesen Nähten Muskulatur gefasst und möglicherweise zerstört worden ist. Er hat hinzugefügt, dass für die Beurteilung, welche Störung vorliegt, der Operationsbericht unerheblich sei. Es gebe nämlich objektive Untersuchungsverfahren, mit deren Hilfe die Ursache für eine Harninkontinenz eindeutig ermittelt werden könnte.

(2) Ähnliches gilt in Bezug auf die Frage, ob eine Dichtigkeitsprüfung der Verbindung Harnröhre - Blase erfolgt und wie diese geschehen ist. Nach den Ausführungen von Dr. W... ist eine solche Dichtigkeitsprüfung nur in sehr eingeschränktem Umfang aussagekräftig, weil häufig unmittelbar nach einer Prostatektomie Undichtigkeiten im Bereich der Anastomosenähte aufträten. Diese Bewertung hat der Sachverständige Dr. W... nachvollziehbar mit der Erwägung begründet, dass es bei der damals vorherrschenden Nahttechnik mit 4 Nähten zu mehreren Millimeter großen Lücken gekommen sei, was natürlich einen Urinaustritt ermögliche. Im Übrigen gebe es immer wieder Fälle, bei denen während der Operation eine Dichtigkeit erreicht werde, anschließend jedoch noch über Wochen Urin über die Drainage abgeleitet werde. Im Hinblick darauf sei weder zwingend geboten, eine Dichtigkeitsprüfung durchzuführen, noch diese im Operationsbericht zu erwähnen.

(3) Die Rüge von Prof. A..., dass im Operationsbericht die spannungsfreie Verknotung der Anastomosenähte keine Erwähnung gefunden habe, läuft darauf hinaus, vom Operateur auch die Angabe von Selbstverständlichkeiten und die Versicherung zu erwarten, bei der Verknotung keinen Fehler gemacht zu haben. Der Sachverständige Dr. W... hat dazu nämlich ausgeführt, die Knoten müssten in der Weise gesetzt werden, dass das Nahtmaterial nicht straff ist, um zu vermeiden, dass umliegendes Gewebe zerschnitten wird. Er hat in diesem Zusammenhang von einer absoluten Selbstverständlichkeit gesprochen - was auch einem medizinischen Laien einleuchtet.

(4) Nichts anderes gilt in Bezug auf das von Prof. A... beklagte Versäumnis, aus dem Operationsbericht lasse sich nicht entnehmen, wie weit der Blasenhals war, so dass er nicht nachvollziehen könne, ob der Blasenhals zum Harnröhrenstumpf gepasst habe. Dieser Rüge hat Dr. W... zu Recht entgegengehalten, im OP-Bericht habe der Beklagte zu 2.) ausdrücklich vermerkt, den Blasenhals verkleinert zu haben, was impliziere, dass er der Harnröhre angepasst worden sei. Auch insoweit hat Dr. W... von einer Banalität gesprochen, die allgemeingültigen operativen Standards entspreche und keinesfalls verpflichtend zu erwähnen sei.

II.) Unabhängig davon hat der Kläger den Beweis nicht zu führen vermocht, dass zwischen Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden (Harninkontinenz) ein Ursachenzusammenhang besteht - was zu seinen Lasten geht (vgl. Palandt/Sprau, a.a.O, § 823 Rdnr. 161). Auf den für eine Haftung der Beklagten erforderlichen Kausalzusammenhang kann auch nicht ohne weiteres aufgrund von Dokumentationsversäumnissen geschlossen werden, wie das Landgericht offenbar angenommen hat.

1.) Der Bundesgerichtshof hat allerdings zunächst die Auffassung vertreten, dass im Falle einer offensichtlich unzulänglichen Dokumentation eine Beweislastumkehr nicht nach einer starren Regel angenommen werden dürfe. Beweiserleichterungen, die bis zur Umkehr der Beweislast reichen können, seien immer dann und insoweit geboten, als nach tatrichterlichem Ermessen dem Patienten die volle Beweislast für einen Arztfehler angesichts der vom Arzt verschuldeten Aufklärungshindernisse billigerweise nicht mehr zugemutet werden könne (BGHZ 72, S. 132, 139). Die beweisrechtlichen Folgen von Dokumentationsmängeln hat der Bundesgerichtshof in späteren Entscheidungen jedoch eingeschränkt (dazu Hausch, a.a.O, S. 612 ff.. Geiß/Greiner, a.a.O., Kap. B Rdnr. 247 ff.). So hat er deutlich gemacht, dass eine unvollständige oder auch nur lückenhafte Dokumentation keine eigenständige Anspruchsgrundlage bildet. Dokumentationsmängel erleichterten vielmehr zunächst lediglich den Nachweis eines Behandlungsfehlers, indem die Vermutung begründet sei, dass eine nicht dokumentierte Maßnahme vom Arzt auch nicht getroffen worden ist. Zu einer Beweislastumkehr hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs könne es - so der Bundesgerichtshof - nur kommen, wenn die Dokumentationslücke einen groben Behandlungsfehler indiziere, der als solcher die Grundlage für Beweiserleichterungen bilde, oder der Arzt bei der Behandlung gegen seine Pflicht verstoßen hat, medizinisch zweifelsfrei gebotene Befunde zu erheben und zu sichern (Bundesgerichtshof NJW 1989, S. 80, 80. VersR 1999, S. 1282, 1283). Dieser Rechtsprechung schließt sich der Senat an. Danach reicht es zur Annahme einer Beweislastumkehr in Bezug auf den Ursachenzusammenhang nicht aus, wenn sich anhand von Lücken in dem Operationsbericht nicht beurteilen lässt, welche konkrete Ursache für den Zustand des Patienten verantwortlich ist (vgl. Bundesgerichtshof VersR 1989, S. 80, 80 f.. dazu Hausch, a.a.O, S. 614). Zu Beweiserleichterungen für den Bereich der Kausalität können Dokumentationsversäumnisse vielmehr nur in Kombination mit anderen Beweisregeln führen, also mit denjenigen aus grobem Behandlungsfehler oder Verstößen gegen Befunderhebungspflichten (Frahm/Nixdorf, a.a.O., Rdnr. 133. Hausch, a.a.O. S. 614. Müller, a.a.O. S. 268). Danach scheiden hier Beweiserleichterungen, die sich auf den Ursachenzusammenhang beziehen, aus.

a.) Wie schon oben ausgeführt, kommt der Lokalisation der Nähte keine entscheidende Bedeutung bei, so dass keine Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen, dem Beklagten zu 2.) sei bei der Setzung der Anastomosenähte ein grober Fehler unterlaufen, also ein Fehler, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (vgl. Bundesgerichtshof VersR 2001, S. 1115, 1115. VersR 2001, S. 1116, 1117).

b.) Nichts anderes gilt in Bezug auf die Dichtigkeitsprüfung, die nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. W... wegen ihrer sehr eingeschränkten Aussagekraft nicht einmal obligatorisch ist. Selbst wenn man aber in dem Unterlassen einer Dichtigkeitsprüfung einen einfachen Befunderhebungsfehler sehen wollte, so setzten weitergehende Beweiserleichterungen voraus, dass sich bei Durchführung der Prüfung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiges Ergebnis gezeigt hätte (Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 10.A., Rdnr. 554, 554 b). Davon kann hier nicht ausgegangen werden, da nach den Erläuterungen von Dr. W... völlig offen geblieben ist, welches Ergebnis eine Dichtigkeitsprüfung gezeigt hätte. Insbesondere kann aus dem Umstand, dass nach der Operation Urin in erheblichem Ausmaß über die Drainage abgeflossen ist, nicht geschlossen werden, die Anastomosenähte seien bereits von Anfang an undicht gewesen. Vielmehr ist es ebenso möglich, dass die Nähte erst nach Abschluss der Operation gerissen sind, etwa weil ein Blasenkrampf aufgetreten ist oder aber der Patient selbst versehentlich am Katheter gezogen hat (s.o.).

2.) Weitergehende Beweiserleichterungen wegen Dokumentationsmängeln können hier auch nicht etwa daraus hergeleitet werden, dass der Beklagte zu 2.) nach den Ausführungen der Sachverständigen Prof. A... und Dr. W... über wenig Erfahrung mit Prostatektomien verfügt hat und es sich dabei um eine schwierige Operation handelt. Ein solcher Fall kann nämlich nicht mit einer sog. Anfängeroperation verglichen werden (vgl. dazu Bundesgerichtshof VersR 1985, S. 782, 784. Steffen/Pauge, a.a.O., Rdnr. 257, 260). Denn geschuldet haben die Beklagten die Einhaltung des Facharztstandards, wozu erforderlich ist, dass der Arzt die Behandlung theoretisch wie praktisch so beherrscht, wie dies bei einem Facharzt erwartet werden kann (Steffen/Pauge, a.a.O., Rdnr. 137). Davon kann hier im Hinblick auf den Beklagten zu 2.) ausgegangen werden, der nach der schriftlichen Zeugenaussage von Prof. van Ahlen bereits seit 14 Jahren als Oberarzt im K... der Beklagten zu 1.) tätig gewesen ist und zuvor immerhin ca. 20 radikale Prostatektomien vorgenommen hatte. Dementsprechend hat es der Sachverständige Dr. W... auch abgelehnt, aus der geringen Erfahrung des Beklagten zu 2.) auf seine mangelnde Qualifikation zu schließen.

C.

Die Nebenentscheidungen stützen sich auf die §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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