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Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Beschluss verkündet am 14.05.2008
Aktenzeichen: 5 W 31/08
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 487 Nr. 4 | |
ZPO § 485 Abs. 2 S. 2 |
OBERLANDESGERICHT OLDENBURG Beschluss
In der Beschwerdesache
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Landgericht ...
am 14. Mai 2008
beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 01.04.2008 abgeändert:
I. Es wird Beweis erhoben über folgende Fragen:
1. Hätte nach dem Stand der medizinischen Heilkunde Veranlassung bestanden, das in das Mittelohr verschobene rechte Paukenröhrchen der Antragstellerin operativ zu entfernen, nachdem die Verschiebung am 21.11.2005 durch den Antragsgegner bemerkt worden war?
2. Trifft es zu, dass die Entfernung des Paukenröhrchens rechts nunmehr nicht mehr möglich bzw. wegen zwingender negativer Begleitumstände und Operationsrisiken nicht mehr angeraten ist?
3. Trifft es zu, dass von dem verbleibenden Paukenröhrchen Beeinträchtigungen wie zum Bespiel Schwindel ausgehen und auch die Gefahr einer Gesichtslähmung besteht?
II. Zum Sachverständigen wird Herr Dr. med. A... bestellt.
III. Die Versendung der Akten an den Sachverständigen ist davon abhängig, dass die Antragstellerin binnen 3 Wochen einen Auslagenvorschuss von 1.500,00 EUR einzahlt.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt im selbständigen Beweisverfahren die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Feststellung eines ärztlichen Behandlungsfehlers des Antragsgegners.
Die Antragstellerin befand sich in ambulanter Behandlung bei dem Antragsgegner, einem niedergelassenen HalsNasenOhrenarzt, der ihr nach einer Mittelohrentzündung wegen eines verbliebenen Mucotympanons am 04.03.2005 im Rahmen einer Paukendrainage in beide Ohren Paukenröhrchen setzte. Bei einer Nachuntersuchung am 21.11.2005 stellte der Antragsgegner fest, dass sich das rechte Paukenröhrchen nach innen in das Mittelohr verschoben hatte. Für dessen Entfernung sah er keine Notwendigkeit.
Die Antragstellerin behauptet, der Antragsgegner hätte bereits seinerzeit das Paukenröhrchen entfernen müssen. Wegen ihrer im Laufe des Jahres 2007 aufgetretenen Schmerzen sei im Herbst 2007 die Indikation zu einer Operation gestellt worden. Diese habe jedoch nicht durchgeführt werden können, da wegen der zwischenzeitlichen Entwicklung nur noch eine gleichzeitige Entfernung der Knochensubstanz möglich und daher das Operationsrisiko zu hoch gewesen sei. Durch den Verbleib des Paukenröhrchens bestehe das Risiko von Schwindelgefühlen bei körperlicher Anstrengung sowie die Gefahr einer Gesichtslähmung. Die vorgenannten Beweisbehauptungen will die Antragstellerin durch einen Sachverständigen festgestellt wissen.
Das Landgericht hat durch den angefochtenen Beschluss den Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens abgewiesen.
II.
Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und begründet.
Der Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens ist entgegen der Auffassung des Landgerichts zulässig, insbesondere ist das rechtliche Interesse der Antragstellerin hieran gegeben.
1.) Nach ganz herrschender Meinung ist das selbständige Beweisverfahren, insbesondere die Einholung eines Sachverständigengutachtens, auf Antrag des Patienten zur Feststellung eines von ihm behaupteten Behandlungsfehlers grundsätzlich zulässig (BGH NJW 2003, 1741. OLG Düsseldorf NJW 2000, 3438. OLG Koblenz OLGR 2005, 639. Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 2. Aufl., S. 396 m. w. N.). Dabei ist der Begriff des "rechtlichen Interesses", das gemäß § 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO besteht, wenn die begehrte Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann, auch hier weit zu fassen. Diese Voraussetzung ist im Bereich von Arzthaftungsfragen grundsätzlich gegeben. Denn kommt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass kein ärztliches Fehlverhalten vorliegt, wird der Patient möglicherweise die beabsichtige Klage nicht erheben. anderenfalls besteht die Möglichkeit, dass er vom Haftpflichtversicherer des Arztes außergerichtlich klaglos gestellt wird (vgl. OLG Stuttgart, MDR 1999, 482. OLG Düsseldorf, a. a. O.. Martis/Winkhart, a. a. O., S. 397).
Das rechtliche Interesse kann dem Antragsteller nur abgesprochen werden, wenn es evident ist, dass der behauptete Anspruch keinesfalls bestehen kann (BGH NJW 2004, 3488. OLG Köln NJWRR 1996, 573, 574. OLG Düsseldorf NJWRR 2001, 1725, 1726).
Davon kann hier nicht ausgegangen werden. Soweit das Landgericht auf das Schreiben des Prof. Dr. C... vom 19.02.2007 abgestellt hat, wonach keine Beschwerden bzgl. des MittelohrFremdkörpers bestanden und "aktuell" keine weiteren Maßnahmen empfohlen wurden, mag dies zwar die Erfolgsaussicht einer künftigen Klage der Antragstellerin verringern. Es schließt aber weder den behaupteten Behandlungsfehler noch im Übrigen einen möglichen Schadensersatzanspruch der Antragstellerin aus. Der Umstand, dass auch ein anderer Arzt in einem zeitlichen Abstand von mehr als einem Jahr zunächst keinen Anlass für eine Operation gesehen hat, lässt nicht den eindeutigen Schluss zu, dass die Entfernung des Paukenröhrchens nicht bereits im November 2005 hätte empfohlen werden müssen. Zudem hat die Antragstellerin vorgetragen, dass sie in der Folgezeit durchaus unter Schmerzen gelitten habe, die zu einer Indikation zur operativen Entfernung des Paukenröhrchens geführt habe, und dass im September 2007, also nach Abfassung des o. g. ärztlichen Schreibens festgestellt worden sei, dass eine Operation nunmehr mit einem zu hohen Risiko verbunden sei.
2.) Entgegen der Auffassung des Landgerichts hat die Antragstellerin diese anspruchsbegründenden Umstände nicht gemäß § 487 Nr. 4 ZPO glaubhaft zu machen.
Da im selbständigen Beweisverfahren auf Begutachtung durch einen Sachverständigen (§ 485 Abs. 2 ZPO) der Sachvortrag des Antragstellers hinsichtlich des Hauptanspruchs, zu dessen Geltendmachung die Begutachtung dienen soll, grundsätzlich nicht auf seine Schlüssigkeit oder Erheblichkeit zu prüfen ist (BGH, a. a. O., Zöller-Herget, ZPO, 26. Aufl., § 485 Rdnr. 7 a), kann er auch nicht der Glaubhaftmachung nach § 487 Nr. 4 ZPO unterliegen (vgl. Musielak-Huber, ZPO, 5. Aufl., § 487 Rdnr. 6). Soweit die Antragstellerin behauptet, dass eine Operation wegen ihres zu hohen Risikos abgelehnt worden sei, betrifft dieser Umstand außerdem gerade eine Frage, die durch das begehrte Sachverständigengutachten erst geklärt werden soll, nämlich das Beweisthema, ob eine Operation medizinisch nicht mehr vertretbar ist. Tatsachen, die durch das selbständige Beweisverfahren festgestellt werden sollen, unterliegen jedoch erst recht nicht einer Glaubhaftmachung nach § 487 Nr. 4 ZPO (vgl. Musielak-Huber, ZPO, 5. Aufl., § 487 Rdnr. 6).
Es war daher entsprechend dem Begehren der Antragstellerin Beweis zu erheben.
Ende der Entscheidung
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