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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Beschluss verkündet am 02.05.2006
Aktenzeichen: 5 W 48/06
Rechtsgebiete: VBVG


Vorschriften:

VBVG § 5 Abs. 3
Die Unterbringung eines Betreuten in einer Pflegefamilie kann Heimaufenthalt im Sinne von § 5 Abs. 3 VBVG sein.
Oberlandesgericht Oldenburg Beschluss

5 W 48/06

In der Betreuungsangelegenheit der

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ...und den Richter am Oberlandesgericht ...

am 2. Mai 2006

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1.) gegen den Beschluss des Landgerichts Aurich vom 30.11.2005 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligte zu 1.) hat die den übrigen Beteiligten entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

Geschäftswert: 264,€

Gründe:

A.

Die Betroffene ist in einer Pflegefamilie untergebracht. Das Amtsgericht Aurich hat mit Beschluss vom 19.10.2005 (Bl. 242 d.A.) die Vergütung der Beteiligten zu 1.) für den Zeitraum 1.7. - 30.9.2005 auf 330,€ festgesetzt und diese ermächtigt, den festgesetzten Betrag aus dem Vermögen der Betroffenen zu entnehmen. Dabei ist das Amtsgericht davon ausgegangen, die Betroffene sei in einem Heim im Sinne von § 5 Abs. 3 VBVG untergebracht. Die gegen dieses Entscheidung gerichtete sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1.) hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts Aurich mit Beschluss vom 30.11.2005 zurückgewiesen (Bl. 256 d.A.). Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Tatbestandsmerkmale des § 5 Abs. 3 VBVG seien im vorliegenden Fall erfüllt. So lebe die Betroffene im Haushalt einer aus Mutter und Tochter bestehenden Pflegefamilie, mit der sie nicht verwandt sei, und in der ihr ein Zimmer, ausgestattet mit eigenen Möbeln, jedoch ohne Küche und sanitäre Anlagen, überlassen sei. Neben ihr habe die Betreuerin zwei weitere von ihr Betreute so in dieser Pflegefamilie untergebracht. Die Betreute erhalte nach Angaben der Beschwerdeführerin tatsächliche Betreuung, z.B. Mithilfe bei der Reinigung ihres Zimmers, ihrer Wäsche, der täglichen Körperpflege, soweit sie dazu nicht in der Lage sei, sowie Frühstück, Mittagessen und Abendessen gegen ein pauschales - für alle Leistungen - Entgelt von derzeit 920,€ / Monat. Die vorliegende Art der Unterbringung in einer Pflegefamilie sei auch in ihrem Bestand von Wechsel und Zahl der Bewohner unabhängig, denn die Beschwerdeführerin trage vor, ihre Betreuten könnten selbst bestimmen, mit wem sie zusammen wohnen möchten. Falls es zu Beschwerden komme, die sie für berechtigt halte, nehme sie einen Austausch zwischen den Pflegefamilien vor. Auch erfolge eine Probeunterbringung, damit Fehlunterbringungen möglichst vermieden würden. Aus diesem Vortrag folge, dass die Pflegefamilien unabhängig von Wechsel und Zahl der Bewohner diese Pflegeeinrichtung betrieben, so dass ein Heim im Sinne des VBVG vorliege. Hiergegen wendet sich die Beteiligte zu 1.) mit der vom Landgericht in der angefochtenen Entscheidung zugelassenen sofortigen weiteren Beschwerde. Diese meint, gegen die Einordnung der Pflegefamilie als Heim spreche, dass die Auswahl der Bewohner nicht allein der Pflegefamilie obliege. Zudem beinhalte die Wohnform in der Pflegefamilie zwar einen individuelleren Umgang mit der Betreuten. Dem stehe jedoch der Nachteil gegenüber, dass die Betreuten in der Pflegefamilie nicht durch professionelle Kräfte mit entsprechender Berufsausbildung versorgt würden. Diese bedeute für sie - die Beteiligte zu 1.) - einen höheren Kontrollaufwand. So müsse sie u.a. die in Betracht kommenden Pflegefamilien zuvor überprüfen, ein Genogramm erstellen, um Fehlbelegungen zu vermeiden, das Taschengeld zuteilen und abrechnen, den Tagesablauf der Betreuten erarbeiten, die Notwendigkeit von Arztbesuchen abschätzen, Arztbesuche kontrollieren, die Verabreichung von Medikamenten überprüfen sowie Probleme in der Pflegefamilie bzw. Konflikte zwischen den Pflegepersonen und den Betreuten erkennen und einer Lösung zuführen.

B.

Die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1.) ist gemäß den §§ 69 e Abs. 1, 56 g Abs. 5 S. 2, 27, 29 FGG aufgrund der Zulassung durch das Landgericht statthaft. Die Beteiligte zu 1.) hat das Rechtsmittel auch form- und fristgerecht zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Landgerichts Aurich (§§ 29 Abs. 4, 21 Abs. 2 FGG) angebracht.

I.) Amts und Landgericht sind allerdings Verfahrensfehler unterlaufen. Denn diese haben nicht nur versäumt, die Betroffene gemäß den §§ 69 e, 56 Abs. 4 S. 1 FGG vor der Festsetzung anzuhören, sondern haben diese darüber hinaus überhaupt nicht an dem Verfahren beteiligt, so dass der absolute Beschwerdegrund der §§ 27 Abs. 1 S. 2 FGG, § 547 Nr. 4 ZPO gegeben ist. Diese Verfahrensfehler zwingen jedoch nicht zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Denn der Senat hat der Betroffenen im Verfahren der weiteren Beschwerde einen Verfahrenspfleger zur Seite gestellt und ihre Anhörung nachgeholt. Der Verfahrenspfleger hat die Verfahrensführung durch das Landgericht ausweislich des Schriftsatzes vom 6.4.2006 stillschweigend genehmigt. Da der Senat lediglich Rechtsfragen zu klären hat, also eine weitere Tatsachenfeststellung entbehrlich ist, konnte der Senat von einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht zur weiteren Tatsachenfeststellung absehen (vgl. dazu BayObLG FamRZ 2004, S. 1231, 1232).

II.) Das Landgericht hat zu Recht in der angefochtenen Entscheidung die Auffassung vertreten, die Pflegefamilie unterfalle dem vergütungsrechtlichen Heimbegriff.

Heime im Sinne des VBVG sind gemäß § 5 Abs. 3 VBVG Einrichtungen, die dem Zweck dienen, Volljährige aufzunehmen, ihnen Wohnraum zu überlassen sowie tatsächliche Betreuung und Verpflegung zur Verfügung zu stellen oder vorzuhalten, und die in ihrem Bestand von Wechsel und Zahl der Bewohner unabhängig sind und entgeltlich betrieben werden. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Senat verweist insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts. Ergänzend bleibt anzumerken:

1.) Der Annahme, die Pflegefamilie stelle ein Heim im Sinne von § 5 Abs. 3 VBVG dar, steht nicht entgegen, dass lediglich wenige Personen in dem Wohnhaus der Pflegefamilie - hier insgesamt zwei Betreute - versorgt werden. Denn die Einordnung als Heim hängt nicht von der Zahl der aufgenommenen Personen ab; diese ist weder nach oben noch nach unten begrenzt. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Absicht besteht, einen Personenwechsel jederzeit zuzulassen (Jurgeleit-Maier, Betreuungsrecht, § 5 VBVG Rdnr. 32; Fröschle, Betreuungsrecht, Rdnr. 293; Kunz/Butz/Wiedemann, Heimgesetz, 10.A., § 1 Rdnr. 2 Ziff. 5). Diese Voraussetzung ist hier gegeben. Vor der Aufnahme in die Pflegefamilie wird von der Beteiligten zu 1.) zwar geprüft, ob die Betreute sich in die Pflegefamilie integrieren lässt und zu ihr passt. Doch ist die Aufnahme der jeweiligen Pflegeperson nicht an bestimmte Bedingungen oder gar eine besondere persönliche Verbundenheit zwischen Betreuter und Pflegeperson geknüpft: Kommt es zu berechtigten Beschwerden oder wünschen die Betreuten den Wechsel in eine andere Pflegefamilie, so nimmt die Beteiligte zu 1.) einen Austausch zwischen den verschiedenen Pflegefamilien vor.

2.) Ein Heim im Sinne der vergütungsrechtlichen Vorschriften muss weiter dem Zweck dienen, Volljährige aufzunehmen, diesen Wohnraum zu überlassen sowie tatsächliche Betreuung und Verpflegung zur Verfügung zu stellen. Aufnahme bedeutet, dass eine gewisse Intensität der Eingliederung des Bewohners in den Organismus Heim besteht, die regelmäßig bei Einrichtungen des betreuten Wohnens nicht gegeben ist (Deinert, FamRZ 2005, S. 954, 955; Dodegge/Roth-Dodegge, Betreuungsrecht, F Rdnr. 179). Es soll also eine Versorgungsgarantie in dem Sinne übernommen werden, dass für alle Angelegenheiten der Daseinsvorsorge gesorgt wird, und zwar auch dann, wenn sich der Gesundheitszustand oder Hilfebedarf verändern (Deinert, a.a.O., S. 956). Allgemeine Betreuungsleistungen im Sinne eines Grundservices (Hausnotruf, Hausmeisterdienste, Vermittlung weitergehender Dienstleistungen) genügen hingegen nicht (Deinert, a.a.O., S. 956; Dodegge/Roth-Dodegge, a.a.O., F Rdnr. 181; Fröschle, a.a.O., Rdnr. 295). Es kann nicht zweifelhaft sein, dass diese Voraussetzung hier ebenfalls erfüllt ist. Denn die Betreuung und Versorgung, die die Betreuten in den Pflegefamilien erhalten, werden dem jeweiligen Zustand des Betreuten angepasst. So helfen die Betreuten zwar im Haushalt der Pflegefamilie mit, halten ihr Zimmer in Ordnung und nehmen die eigene Körperhygiene wahr. Bei Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes werden diese Verrichtungen jedoch von der Pflegeperson übernommen. Der Umfang dieser Betreuungs- und Versorgungsleistungen spiegelt sich auch in dem von der Betroffenen gezahlten monatlichen Entgelt von 920,€ wieder, das weit über den Mietzins für das Zimmer hinausgeht, das der Betreuten in der Wohnung der Pflegefamilie zur alleinigen Nutzung zur Verfügung steht. Im Übrigen hat schon das Landgericht deutlich gemacht, dass die Betroffene in der Wohnung der Pflegefamilie weder eine eigene Kochgelegenheit unterhält noch einen eigenen Haushalt führt: Vielmehr ist die Betroffene in der Haushalt der Pflegefamilie integriert.

3.) Die Annahme, die Betreute sei in einem Heim gemäß § 5 Abs. 3 VBVG untergebracht, mag weiter zweifelhaft erscheinen, wenn die Bewohner selbst bestimmen können, wer künftig mit ihnen zusammenwohnt (Deinert, a.a.O., S. 956). So verhält es sich hier aber nicht. Wie schon oben ausgeführt, berücksichtigt die Beteiligte zu 1.) zwar Wünsche und Beschwerden der Betreuten bei der Prüfung der Frage, in welcher der verschiedenen Pflegefamilien die Betreute aufgenommen werden kann. Darüber gehen die Einflussmöglichkeiten der Betreuten jedoch nicht hinaus; diese bleiben deutlich hinter einer freien Auswahl ihrer Mitbewohner zurück.

4.) Keine maßgebliche Bedeutung ist weiter dem Umstand beizumessen, ob die Pflegefamilie der Heimaufsicht tatsächlich untersteht bzw. unterliegen müsste. Denn anders als beim Heimgesetz kommt es im Rahmen des VBVG nicht auf den Charakter der jeweiligen Einrichtung, sondern darauf an, ob der Betreute heimmäßig untergebracht ist. Heimgesetz und VBVG liegen nämlich unterschiedliche Gesetzeszwecke zugrunde: Während das Heimgesetz bezweckt, die Rechtsstellung und den Schutz von Heimbewohnern zu verbessern, geht es im Rahmen des VBVG um die Vergütung des Berufsbetreuers nach seinem gesetzlich typisierten Arbeitsaufwand (vgl. Oberlandesgericht München, Beschluss vom 13.4.2006, Az. 33 Wx 042/06, S. 5; Deinert, a.a.O., S. 958; Lipp/Ohrt, BtPrax 2005, S. 209, 213; a.A. - aber ohne Begründung - Dodegge/Roth-Dodegge, a.a.O., F Rdnr. 185), der - so die Annahme des Gesetzgebers - bei einem nicht in einem Heim wohnenden Betreuten signifikant höher ist als bei einem Heimbewohner (BT-Drucks. 15/2494 S. 32).

5.) Der Grundgedanke des § 5 Abs. 3 VBVG zugrunde liegende Grundgedanke lässt im vorliegenden Fall ebenfalls keine andere Beurteilung geboten erscheinen.

Der Stundensatz bei Heimbewohnern ist deshalb niedriger, weil der Betreuer im Alltag nicht organisieren, sondern lediglich kontrollieren muss - was in aller Regel mit geringerem Aufwand möglich ist (Fröschle, a.a.O., Rdnr. 298). Auch unter Berücksichtigung dieses Grundgedankens erscheint es nicht gerechtfertigt, die Versorgung der Betroffenen in der Pflegefamilie nicht als Heimaufnahme anzusehen und der Betreuung in der eigenen Wohnung gleichzustellen.

a.) Der Aufwand bei der Auswahl der Pflegefamilie mag etwas höher sein als bei der eines Heimes, das der Heimaufsicht untersteht. Da dieser Aufwand jedoch nur zu Beginn der Betreuung anfällt und das VBVG ohnehin für die ersten Monate einer Betreuung einen erhöhten pauschalierten Zeitaufwand des Betreuers vorsieht, rechtfertigt dieser erhöhte Zeitaufwand die Annahme nicht, die Aufnahme in der Pflegefamilie nicht als Heimaufnahme anzusehen.

b.) Die weiter von der Beteiligten zu 1.) erwähnten Taschengeldausteilungen und -abrechnungen nach Maßgabe des Gesundheitszustandes der Betroffenen fielen auch an, wenn die Betroffene in einem Heim untergebracht wäre, das der Heimaufsicht untersteht.

c.) Da die Betroffene schon nach dem Vortrag der Beteiligten in den Haushalt der Pflegefamilie weitgehend integriert ist, ist nicht ersichtlich, dass ein erheblicher zusätzlicher Zeitaufwand für die Betreuerin damit verbunden ist, einen Tagesablauf mit der Betroffenen zu erarbeiten und Gruppendynamik zu erläutern.

d.) Was die Hinzuziehung ärztlicher Hilfe, die Verabreichung von Medikamenten und die Sicherstellung des Kontaktes der Betroffenen zu ihrer Ursprungsfamilie anbelangt, handelt es sich letztlich um Kontrollaufgaben. Bei der Einschätzung des damit verbundenen Zeitaufwands ist einerseits zwar in Betracht zu ziehen, dass die Betreuung und Versorgung in der Pflegefamilie nicht durch speziell ausgebildete Pflegekräfte geschieht. Dieser Nachteil wird jedoch durch den Umstand ausgeglichen, dass die Betroffene in der Pflegefamilie eine wesentlich intensivere und individuellere Betreuung und Versorgung erfährt. Auch ohne spezielle Ausbildung wird die Pflegeperson schon nach kurzer Zeit in der Lage sein, die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Arztes selbst zu erkennen und für eine ordnungsgemäße Verabreichung erforderlicher Medikamente Sorge zu tragen.

e.) Ähnliches gilt für die Überprüfung der hygienischen Gegebenheiten, das Erkennen von Konflikten innerhalb der Pflegefamilie bzw. zwischen Pflegefamilie und Betreuter sowie ihre Lösung. Da die Beteiligte zu 1.) nach ihrem Vortrag sehr sorgfältig die entsprechende Pflegefamilie aussucht und dementsprechend ein Austausch der Pflegefamilie bisher nur sehr selten durchgeführt werden musste, sind auch diese Kontrolltätigkeiten nicht geeignet, die Unterbringung in der Pflegefamilie nicht als Heimaufnahme gemäß § 5 Abs. 3 VBVG zu werten.

C.

Die Nebenentscheidungen stützen sich auf die §§ 131 Abs. 1, 131 Abs. 2, 30 KostO, § 13 a Abs. 1 S. 2 FGG.

Ende der Entscheidung

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