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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Beschluss verkündet am 24.07.2002
Aktenzeichen: 6 U 25/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO n.F. § 516 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 516 Abs. 3 Satz 1
ZPO § 516 Abs. 3
ZPO § 91 ff
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 524 Abs. 4
Der Berufungskläger hat nach Rücknahme seiner Berufung die Kosten einer Anschlussberufung auch dann zu tragen, wenn der Anschließende zuvor eine unzulässige selbständige Berufung eingelegt hatte.
Oberlandesgericht Oldenburg Beschluß

In dem Rechtsstreit

Tenor:

1. Die Beklagten sind der eingelegten Berufung verlustig.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagten als Gesamtschuldner zu tragen.

3. Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 31.326,69 € festgesetzt (Berufung 6.354,58 € und Anschlußberufung 24.972,11 €).

Gründe:

Den Beklagten waren gemäß § 516 Abs. 1 Satz 1 ZPO n.F. die gesamten Kosten des Berufungsverfahrens, d.h. einschließlich der Anschlußberufung, aufzuerlegen, nachdem sie ihr Rechtsmittel zurückgenommen haben.

Beide Parteien haben zunächst selbständig Berufung eingelegt. Die Klägerin hat die Berufungsbegründungsfrist für ihre Berufung nicht eingehalten und diese deshalb als (unselbständige) Anschlußberufung weitergeführt. Die Beklagten haben ihre Berufung noch vor der mündlichen Verhandlung zurückgenommen. Die Klägerin beantragt, die vollen Kosten der Berufungsinstanz den Beklagten aufzuerlegen, während diese eine verhältnismäßige Teilung der Kosten begehren.

In Rechtsprechung und Literatur werden hierzu, wenn auch überwiegend noch zur alten Fassung der ZPO, unterschiedliche Auffassung vertreten. Nach herrschender Ansicht waren die Kosten anteilig zu quoteln, weil die Partei, die erst eine unzulässige Berufung und dann unselbständige Anschlußberufung eingelegt habe, auch dafür einstehen müsse, daß sie zunächst eine selbständige Berufung eingelegt habe (vgl. OLG Frankfurt, NJW-RR 1987, 1087; OLG Stuttgart, OLGR 2000, 58, 60; Zöller-Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 524 Rdn. 43 m.w.N.). Nach der in erster Linie vom OLG München vertretene Gegenansicht hat die Partei, die ihre Berufung zurückgenommen hat, die gesamten Kosten der Berufungsinstanz zu tragen, weil sie durch die Rücknahme ihrer Berufung der Anschlußberufung den Boden entzogen habe (OLG München, NJW-RR 1996, 1280).

Der Senat schließt sich der Auffassung des OLG München an. Nach § 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO (§ 515 Abs. 3 Satz 1 ZPO a.F.) hat die Zurücknahme der Berufung die Verpflichtung zur Folge, die durch das Rechtsmittel entstandenen Kosten zu tragen. Diese Kostenfolge umfaßt nach einer Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 4, 229) auch die Kosten einer unselbständigen Anschlußberufung, wenn diese durch die Zurücknahme der Berufung hinfällig wird. Denn die Anschlußberufung ist ihrem Wesen nach kein Rechtsmittel, so daß eine (evtl. auch nur entsprechende) Anwendung des § 516 Abs. 3 ZPO, der §§ 91 ff ZPO oder des § 97 Abs. 1 ZPO nicht in Betracht kommt; zumal die Anschlußberufung auch nicht "ohne Erfolg" im Sinne des § 97 Abs. 1 ZPO eingelegt war (BGHZ 4, 229, 235). Wenn kostenrechtlich der Unterliegende grundsätzlich die Kosten zu tragen hat (§§ 91, 92, 97 ZPO), so ist dabei vorausgesetzt, daß er in der Durchführung seiner Prozeßhandlung frei war, was bei der Rücknahme der eingelegten Berufung für den Kläger der (unselbständigen) Anschlußberufung nach § 524 Abs. 4 ZPO (§ 522 Abs. 1 ZPO a.F.) gerade nicht der Fall ist (BGHZ 4, 229, 236). Eine Einschränkung dieser Kostenfolge hat der Bundesgerichtshof allerdings zugelassen, wenn die unselbständige Anschlußberufung ihrerseits (formal) unzulässig war oder der Anschließende in die Rücknahme der Berufung (nach altem Recht nach Beginn der mündlichen Verhandlung notwendig) eingewilligt hatte, weil hier der Anschließende selbst daran mitgewirkt hatte, seine Anschlußberufung zu Fall zu bringen (BGHZ 4, 229, 241 f). Hiermit ist die vorliegende Fallgestaltung, daß der Anschließende zunächst eine unzulässiges Berufung eingelegt und sich erst danach der Berufung der Gegenseite angeschlossen hat, entgegen der herrschenden Auffassung nicht zu vergleichen. Nach § 524 Abs. 4 ZPO verliert die Anschließung ihre Wirkung mit Zurücknahme der Berufung unabhängig davon, daß der Anschließende ursprünglich selbständig Berufung eingelegt hatte. Da seine Einwilligung in die Rücknahme der Berufung (nunmehr unabhängig vom Beginn der mündlichen Verhandlung) nicht notwendig ist, hat er es nicht in der Hand, seine Anschlußberufung einer sachlichen Prüfung zuzuführen, während dagegen der Berufungskläger durch die Rücknahme seines Rechtsmittels eine sachliche Entscheidung über die Anschlußberufung verhindern kann und dies ggfs. damit auch bezweckt. Die kostenrechtlichen Vorschriften der ZPO lassen es deshalb (auch in entsprechender Anwendung) nicht zu, dem Anschließenden nach Rücknahme der Berufung (auch nur anteilig) Kosten der Berufungsinstanz aufzuerlegen (vgl. BGHZ 4, 229, 235).

Entgegen der vom OLG Stuttgart (OLGR 2000, 58, 60) vertretenen Ansicht kommt es auch nicht in Betracht, dem Anschließenden zumindest den Teil der Kosten aufzuerlegen, die seine ursprünglich unzulässige selbständige Berufung ausgelöst hat. Zum einen ist nicht ersichtlich, daß dadurch überhaupt zusätzliche Kosten angefallen sind. Zum anderen handelt es sich nicht um zwei voneinander zu trennende Rechtsmittel. Denn die ursprünglich unzulässige selbständige Berufung ist nach früherem Recht in eine unselbständige Anschlußberufung umgedeutet worden (vgl. Zöller-Gummer, ZPO, 22. Aufl., § 521 Rdn. 8 m.w.N.). Es liegt also nach wie vor nur ein Rechtsmittel des Anschließenden vor. Eine gesonderte Kostenauferlegung im Hinblick auf die zunächst selbständig eingelegte unzulässige Berufung ist deshalb - soweit ersichtlich - bislang auch nicht erfolgt. Daran hat sich nach Auffassung des Senats durch die Neufassung der ZPO nichts geändert. Die Anschlußberufung ist zwar nur noch innerhalb eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründung zulässig (§ 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO) und muß mit der Anschlußschrift sofort begründet werden (§ 524 Abs. 3 ZPO). Es ist aber auch nach neuem Recht möglich, eine verspätete Berufungsbegründungschrift, die die Unzulässigkeit der Berufung zur Folge hat, in eine (unselbständige) Anschlußberufung umzudeuten, wenn dies der Anschließende nicht - wie hier - ohnehin schon ausdrücklich getan hat. Auch nach neuem Recht handelt es sich bei der zunächst selbständig eingelegten Berufung und der Anschlußberufung nicht um zwei verschiedene, auch im Hinblick auf die Kostenfolge evtl. zu trennende, sondern um ein einheitliches Rechtsmittel. Es ist auch unter Billigkeitsgesichtpunkten gerechtfertigt, dem Berufungskläger nach der Rücknahme seines Rechtsmittels die gesamten Kosten der Berufungsinstanz aufzuerlegen, weil die unselbständige Anschlußberufung in ihrem prozessualen Schicksal von dem prozessualen Schicksal der Berufung völlig abhängig ist und der Berufungskläger durch die in seinem freien Belieben stehende prozessuale Verfügung über sein Rechtsmittel zugleich frei über das prozessuale Schicksal der Anschlußberufung bestimmt und damit deren materiell-rechtliche Überprüfung verhindern kann.



Ende der Entscheidung

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