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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Urteil verkündet am 12.10.2006
Aktenzeichen: 8 U 344/05
Rechtsgebiete: BGB, OWiG


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 2
OWiG § 130
Zahlt ein Arbeitgeber nicht alle geschuldeten Sozialverrechungsbeiträge, so ist von einer stillschweigenden Bestimmung dahin auszugehen, dass zunächst auf die fälligen Arbeitnehmeranteile geleistet werden soll.
OBERLANDESGERICHT OLDENBURG Im Namen des Volkes Urteil

8 U 344/05

Verkündet am 12. Oktober 2006

In dem Rechtsstreit

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg auf die mündliche Verhandlung vom 28. September 2006 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht .. sowie der Richter am Oberlandesgericht .. und ..

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 21. 11. 2005 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leisten.

Der Wert der Beschwer übersteigt 20.000,- €.

Gründe:

I.

Die Beklagten und deren Vater waren alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer des Familienunternehmens V... GmbH (= Fa. V... GmbH),

Die Klägerin hat vorgetragen,

die Fa. V... GmbH sei ihr die für deren Arbeitnehmer fälligen Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die Monate August 2001 - Januar 2002 in Höhe von insgesamt 176.261,22 € schuldig geblieben. Die hierin enthaltenen Arbeitnehmerbeiträge würden insgesamt 88.130,61 € betragen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagten zu verurteilen, ihr als Gesamtschuldner 88.130,61 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.10.04 zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte zu 1) hat behauptet:

Er habe in der Phase einer sich abzeichnenden schweren Krise der Fa. V... in Absprache mit der Klägerin sämtliche wirtschaftlichen Möglichkeiten mobilisiert, um das Familienunternehmen vor dem Konkurs zu retten. Es seien mit der Klägerin und anderen Gläubigern Regelungen über Vollstreckungsschutz, Stundungstermine und Zahlungsabreden getroffen worden. Er, der Beklagte zu 1), habe dazu sein vollständiges persönliches Vermögen eingebracht.

Der Beklagte zu 2) hat vorgetragen:

Ihm sei im Rahmen einer internen Zuständigkeitsregelung der mehrgliedrig organisierten Geschäftsleitung ausschließlich die Funktion eines technischen Betriebsleiters im Bereich des Betriebszweiges "Dachtechnik" mit den Aufgaben der Auftragsplanung und -abwicklung zugewiesen gewesen. Er habe bis zur Insolvenzeröffnung nur diesen Aufgabenbereich gehabt und sei deshalb weder geschäftsplanmäßig noch faktisch mit Personal und Sozialversicherungsangelegenheiten oder mit der steuerlichen und finanziellen Abwicklung der Geschäftstätigkeit der GmbH befasst gewesen. Er habe keine Kenntnis davon gehabt, dass die Sozialversicherungsbeiträge nicht vollständig an die Klägerin abgeführt worden seien. Ebenso wenig habe er Anhaltspunkte dafür gehabt, dass dies nicht der Fall gewesen sei. Die Liquiditätsprobleme seien allein im Geschäftsbereich "Gussasphalttechnik" eingetreten.

Der Einzelrichter der 9. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück hat mit seinem am 21.11.2005 verkündeten Urteil der Klage stattgegeben. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Entscheidungsgründe des Urteils Bezug genommen.

Mit ihren zulässigen Berufungen verfolgen die Beklagten ihren Antrag auf Klagabweisung weiter. Sie machen jeweils geltend, dass das angefochtene Urteil auf einer Rechtsverletzung und einer unrichtigen Tatsachenfeststellung beruhen würden.

Der Beklagte zu 1) trägt vor:

Das Ergebnis der zwischen der Klägerin und der Fa. V... GmbH geführten Verhandlungen sei gewesen, dass bestimmte Beträge seitens der Firma V... hätten gezahlt werden sollen. Dies sei geschehen. Auch wenn seitens der Klägerin keine schriftliche Bestätigung erfolgt sei, habe diese gewusst, dass die geleisteten Zahlungen in der fraglichen Zeit so weit wie möglich auf die monatlichen Beiträge zu zahlen seien, und wenn dies nicht möglich sei, vorrangig auf die Arbeitnehmeranteile. Die Klägerin habe gewusst, dass eine Insolvenz unvermeidbar sei, falls kein Schuldenerlass erfolge. Für die Klägerin sei es darum gegangen, dass jedenfalls in Zukunft die A...-Beiträge gezahlt würden. Er, der Beklagte zu 1), habe von vornherein gesagt, dass er dies nicht zusichern könne, dass er jedoch bemüht sein werde, die laufenden Beitragszahlungen weitgehend zu erfüllen. Es habe von Anfang an festgestanden, dass die Firma V... nicht sämtliche Beiträge an die A... werde leisten können. Im übrigen werde die Einrede der Verjährung erhoben.

Der Beklagte zu 2) macht geltend:

Ihm sei vom Landgericht zu Unrecht unterstellt worden, dass er Kenntnis von einer "Krisensituation" gehabt und fahrlässig Überwachungspflichten als Geschäftsführer verletzt habe. Werde eine Krisensituation unterstellt, würde diese nicht zwingend zur Annahme führen, dass Sozialversicherungsbeiträge nicht mehr bezahlt und nicht mehr abgeführt worden seien.

Die Beklagten beantragen jeweils,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufungen zurückzuweisen.

Sie wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und macht sich den Inhalt der angefochtenen Entscheidung zu eigen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Mitarbeiter der Klägerin, des Vollstreckungsbeamten R... sowie des Sozialversicherungsfachangestellten S..., als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 28.09.2006 Bezug genommen.

II.

Die zulässigen Berufungen der Beklagten führen in der Sache zum Erfolg.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz von 88.130,61 € wegen vorenthaltener Arbeitnehmerbeiträge zur Gesamtsozialversicherung aus § 823 Abs. 2 BBGB. Die Beklagten haben nicht gegen ein den Schutz der Klägerin bezweckendes Gesetz verstoßen, und zwar auch nicht - wie es sich im Verlauf des Berufungsrechtszuges herausgestellt hat - gegen § 266 a Abs. 1 StGB.

Es wird schon nicht erkennbar, dass der objektive Tatbestand des § 266 a Abs. 1 StGB erfüllt ist. Die hierfür erforderliche Voraussetzung, dass die Fa. V... GmbH für die Monate August 2001 bis Januar 2002 die Beiträge ihrer Arbeitnehmer zur Sozialversicherung der Klägerin vorenthalten hätte, ist nicht erfüllt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass die Fa. V... GmbH in der hier maßgeblichen Zeit jeweils zum 15. des Folgemonats, d. h. zum 15.09.2001, 15.10.2001, 15.11.2001, 15.12.2001, 15.01.2002 und 15.02.2002 Beiträge zur Sozialversicherung von mehr als 88.130,61 € an die Klägerin abgeführt hatte. Dies ergibt sich aus den Aussagen der vom Senat vernommenen Zeugen R... und S..., die glaubhaft bekundet haben, dass die Rückstandsaufstellung der Klägerin als Anlage zu deren Schriftsatz vom 18.07.2006 (vgl. Bd. II Bl. 328 ff.) zutreffend sei und dass es sich bei den zwischen dem 18.09.2001 und dem 19.02.2002 dokumentierten Zahlungen der Fa. V... GmbH von mehr als 88.130,61 um Eurobeträge handele.

Die Klägerin war nicht berechtigt, diese Beiträge zur Sozialversicherung nicht auf die im Zeitraum von August 2001 bis Januar 2002 fällig werdenden Arbeitnehmeranteile anzurechnen, sondern auf die rückständigen Gesamtsozialversicherungsbeiträge. Nach § 2 Satz 1 der seinerzeit geltenden Verordnung über die Zahlung, Weiterleitung, Abrechnung und Abstimmung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags (Beitragszahlungsverordnung) in der Fassung vom 28.07.1997 (BGBl. I S. 1928) kann der Arbeitgeber bei der Zahlung bestimmen, welche Schuld getilgt werden soll. Hinsichtlich der Beiträge kann der Arbeitgeber bestimmen, dass vorrangig die Arbeitnehmeranteile getilgt werden sollen. Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, dass die Fa. V... GmbH keine Bestimmung getroffen habe und sie deshalb die Tilgung so vorgenommen habe, wie es in § 2 Satz 2 Beitragszahlungsverordnung vorgesehen sei.

Wie sich in Literatur und Rechtsprechung überzeugend dargestellt findet, wird dem Schuldner ein Bestimmungsrecht eingeräumt, das auch bei Nichtausübung nach seinem mutmaßlichen Willen und seiner Interessenlage zu beurteilen ist, also auch dann, wenn er es bei der Zahlung unterlässt, die Art und Weise der von ihm gewollten Verrechnung ausdrücklich oder (nach den Umständen schlüssig) stillschweigend mitzuteilen. Es ist im allgemeinen offensichtlich, dass er sich nicht (wegen Verrechnung einer Zahlung z.B. mit rückständigen Arbeitgeberbeiträgen) einer Bestrafung aussetzen möchte, wenn er sie durch Anrechnung seiner Leistung auf gerade fällig werdende Arbeitnehmerbeiträge abwenden kann (vgl. BGH, VersR 1982, 958, 959 mit weit. Nachw.; BayObLG, JR 1988, 477 ff.; Gribbohm in: LK zum StGB, 11. Aufl., § 266 a, Rndnr. 62 mit weit. Nachw.; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, StGB, 27. Aufl., § 266 a, Rndnr. 10 a; Palandt/ Grüneberg, BGB, 65. Aufl., § 366 Rndnr. 10).

Wie die Zeugen R... und S... übereinstimmend ausgesagt haben, seien die Beklagten ihrer Erinnerung nach nicht auf die Problematik der Teilzahlung hingewiesen worden. Diese war den Zeugen selbst nicht bewusst. Weder die Zeugen noch die Beklagten haben sich nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung Gedanken darüber gemacht, ob speziell Arbeitnehmeranteile vorenthalten würden oder nicht. Der Zeuge R... hat insoweit bekundet, dass die Klägerin bei Mahnungen nicht zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteilen unterscheide. Die Fa. V... GmbH befand sich zur fraglichen Zeit in einer wirtschaftlichen Krise, wobei die Geschäftsführer alles daran setzten, ihren unabweisbaren Verpflichtungen vollumfänglich nachzukommen. Dieses Bestreben war auch von der Klägerin zu unterstützen, wobei die Beklagten Gläubigerverbindlichkeiten nur dann erfüllen durften, wenn die Arbeitnehmerbeiträge vorrangig abgeführt waren. Dies aber bedeutet, dass die Klägerin Zahlungen nicht auf Rückstände verrechnen durfte, ohne die Beklagten persönlich darauf aufmerksam zu machen, dass sie dadurch möglicherweise den Straftatbestand des § 266 a Abs. 1 StGB erfüllen würden. Für die Verwirklichung dieses Tatbestandes reichte es mithin nicht aus, wenn der Vollstreckungsbeamte R... - wie er dem Senat glaubhaft bekundet hat - Pfändungsaufträge, die Rückstände betrafen, der Buchhalterin der V... GmbH kommentarlos vorlegte. Die Klägerin kann nicht nachträglich eine Tatbestandsverwirklichung herbeiführen, indem sie mit Schreiben vom 14.09. 04 an die Beklagten mehr als zwei Jahre nach Abschluss des Vorganges die eingezogenen Beiträge in bestimmter Weise verrechnet, um jene sodann wegen Verstoßes gegen ein Strafgesetz auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen. Zwecks Vermeidung strafbarer Sachverhalte hatte die Klägerin die laufenden Zahlungseingänge zwischen dem 18.09.2001 und dem 19.02.2002 sogleich vorrangig auf die Arbeitnehmeranteile anzurechnen. Daher haben die Beklagten im zur Entscheidung stehenden Zeitraum August 2001 bis Januar 2002 die Zahlung von Arbeitnehmeranteilen schon objektiv nicht vorenthalten.

Unabhängig davon wird vorliegend nicht deutlich, dass die Beklagten zum Zeitpunkt der Zahlungen den subjektiven Tatbestand des § 266 a Abs. 1 StGB erfüllten, - also vorsätzlich handelten. Dem Vorbringen der Klägerin lässt sich nicht entnehmen, dass die Beklagten über ihr Bestimmungsrecht gemäß § 2 Satz 1 der Beitragszahlungsverordnung informiert waren und sie trotzdem eine Tilgung der laufenden Arbeitnehmeranteile nicht wünschten. Es ist vielmehr von einem vernünftigen Tilgungswillen des Beitragsschuldners auszugehen, der sich nicht strafbar machen möchte und deshalb von den ihm zur Seite stehenden gesetzlichen Möglichkeiten Gebrauch machen möchte, - vorliegend also zunächst die laufenden Arbeitnehmeranteile tilgen will (Gribbohm in: LK zum StGB, 11. Aufl., a.a.O.).

War aber ein im Sinne des § 266 a Abs. 1 StGB tatbestandsmäßiges Handeln der Beklagten unter keinem rechtlichen Gesichtpunkt festzustellen, so scheidet auch eine Haftung der Beklagten über § 823 Abs. 2 BGB in Verb. mit § 130 OWiG wegen eines Organisations- und Aufsichtsverschuldens aus, weil die Arbeitnehmeranteile - wie dargelegt - ausreichend abgeführt wurden.

Nach alledem war auf die Berufung der Beklagten die Klage abzuweisen.

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 710 ZPO.

Ende der Entscheidung

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