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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Urteil verkündet am 07.02.2006
Aktenzeichen: 9 U 25/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1
Zur Beweislast für Fehlverhalten des Schiffsführers bei einer Schiffskollision im Wattenmeer.
Oberlandesgericht Oldenburg Im Namen des Volkes Urteil

9 U 25/05

Verkündet am 7.2.2006

In dem Rechtsstreit

hat der 9. Zivilsenat auf die mündliche Verhandlung vom 24.01.2006 durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts ... , den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Grundurteil des Landgerichts Aurich vom 19.05.2006 geändert und die Klage abgewiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt von den Beklagten (Kapitän und Reederei) Schadensersatz aus einer Schiffskollision. Am 26.07.2001 befuhr der Kläger mit seiner Segeljacht "L ... " bei auflaufend Wasser den P ... weg im Wattfahrwasser südöstlich von B ... mit östlichem Kurs. Nach dem Passieren der "Pa ... " kam es gegen 14:40 Uhr zu einer Kollision mit der "W ... ", als diese die Segeljacht des Klägers überholte. Wegen des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils.

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme der Klage dem Grunde nach in voller Höhe aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 23 SeeSchStrO, 831 BGB, 735 HGB stattgegeben.

Die Beklagten hätten an einer engen Stelle überholt und damit gegen das Überholverbot gemäß § 23 Abs. 3 Nr. 2 SeeSchStrO verstoßen. Den ihnen deshalb obliegenden Beweis, dass der Unfall nicht auf einen gefährlichen Sog der "W ... " zurückzuführen sei, hätten sie nicht erbracht. Der Sachverständige A ... sei unter Berücksichtigung aller Umstände zu dem Ergebnis gelangt, es sei nicht auszuschließen, dass durch das Fahrmanöver der "W ... " ein gefährlicher Sog für die Yacht des Klägers entstanden sei.

Über die Widerklage der Beklagten zu 2 wegen vorprozessualer Anwaltskosten hat das Landgericht noch nicht entschieden.

Gegen das Grundurteil wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung. Das Landgericht habe fehlerhaft ein Überholverbot gemäß § 23 Abs: 3 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 SeeSchStrO angenommen. Ein enges Fahrwasser ( § 2 Abs. 1 ) sei aber nicht mit einer engen Stelle (§ 23 Abs. 3 Ziff. 2 ), für die ein Überholverbot bestehe, gleichzusetzen.

Eine Engstelle im Sinne des § 23 Abs. 3 Nr. 2 SeeSchStrO, die ein Überholverbot begründen würde, habe auch nicht aufgrund der konkreten Verhältnisse bestanden. Gemäß der Umschreibung in § 25 Abs. 5 SeeSchStrO liege eine enge Stelle dann vor, wenn nicht mit Sicherheit hinreichender Raum für die gleichzeitige Durchfahrt zweier Schiffe bestehe. An der Unfallstelle - nach dem Passieren der "Pa ... " - sei die Wasserfläche breit und tief genug für die sichere Passage der beteiligten Schiffe gewesen. Die Gezeit habe zu diesem Zeitpunkt 2,60 m betragen und somit sei unter Berücksichtigung des Tiefganges der beiden Schiffe hinreichend Raum vorhanden gewesen. Zudem habe es dem Kläger oblegen, der "W ... " das Überholen zu erleichtern (§ 23 Abs. 2 a.E. SeeSchStrO i.V.m. den Regeln 9 b, 8 f und 6 KVR).

Eine Umkehr der Beweislast, wie sie der BGH für den Bereich der Rheinschifffahrt als Ausnahme angenommen habe, finde bei Seeschifffahrtsstraßen keine Anwendung.

Auch habe das Landgericht keine Feststellung zum Ursachenzusammenhang zwischen dem Überholen und dem Zusammenstoß der Fahrzeuge sowie zu einem möglichen Mitverschulden getroffen. Letzteres sei darin begründet, dass der Kläger entgegen guter Seemannschaft nicht seinen Kurs gehalten, sondern sein Schiff nach Backbord in Richtung der "W ... " gesteuert habe.

Die Beklagten beantragen,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist begründet. Eine Haftung der Beklagten besteht nicht. Ein schuldhafter Verstoß gegen die Seeschifffahrtsstraßenordnung bzw. Kollisionsverhütungsregeln als Schutzgesetze im Rahmen einer unerlaubten Handlung ist nicht bewiesen.

1. Entgegen der Feststellung des Landgericht bestand auf dem mit Prikken markierten Fahrwasser kein generelles Überholverbot gemäß §§ 23 Abs 3 Nr.2 i.V.m. 2 Abs. 1 SeeSchStrO. Nach § 23 Abs. 3 Ziff. 2 SeeSchStrO besteht ein Überholverbot an engen Stellen. Diese sind nicht gleichzusetzen mit einem "engen Fahrwasser" in Sinne des § 2 Abs. 1 SeeSchStrO, auf denen grundsätzlich überholt werden darf.

2. Aufgrund des Vortrags der Parteien und der in erster Instanz eingeholten Sachverständigengutachten steht auch nicht fest, dass die Wappen von Borkum an einer - aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse - engen Stelle überholt hat, an der gemäß § 23 Abs. 3 Nr. 1 SeeSchStrO ein Überholen verboten war.

In dem Bereich des Wattenmeeres ist eine Aussage über das Vorhandensein einer engen Stelle wegen der stark wechselnden Verhältnisse allein anhand der Seekarte nicht möglich. Die dort enthaltenen Angaben unterliegen strömungsbedingten Veränderungen. Zusätzlich besteht ein enger Zusammenhang mit dem jeweiligen Wasserstand. Wie aus der Seekarte zu entnehmen, schwanken in dem Bereich südöstlich von Borkum die Angaben des SeekartenNull (Höhenangabe bei mittlerem Niedrigwasser) zwischen 19 und 06. Da die Gezeit im Zeitpunkt der Kollision eine Wasserhöhe von 2,60 m erreicht hatte, betrug die Wassertiefe - bezogen auf die vorstehenden Angaben zwischen 0,70 m (+1,9 m -2,60 m) und 3,20 m.( 0,60 m - 2,60 m). Zum Zeitpunkt der Kollision lag die Wassertiefe am Ausgang des Wattfahrwassers - nach den Pa ... (Nähe Kollisionspunkt) - laut den Angaben in der Seekarte zwischen 1,50 m und 2,80 m. Bei einem Tiefgang der "W ... " von 1,10 m und der "L ... " von 1,40 m war demnach ausreichend Wasser vorhanden.

Auch die Positionsangabe erlaubt keinen gesicherten Rückschluss auf das Vorliegen einer engen Stelle. Der Kläger hatte nach dem Zusammenstoß die "Mann über Bordtaste" seines GPS gedrückt und als Position 53°35,6' N / 6° 47,8' E gespeichert. Diese Position, in der Seekarte (Bl. 122) mit der Position "A" gekennzeichnet, liegt in unmittelbarer Nähe eines bei Niedrigwasser trockenfallenden Bereichs. In Übereinstimmung dazu hatte die Ehefrau des Klägers als Zeugin ausgesagt, ihr Ehemann sei so weit nach Steuerbord gefahren, dass es zu einer Grundberührung gekommen sei. Allerdings handelt es sich bei dieser Angabe aber nicht um die exakte Position des Kollisionsortes. Tatsächlich hat sich der Zusammenstoß weiter östlich in breiterem und tieferem Gewässer ereignet. Nach der Kollision hatte der Kläger - was seine als Zeugin in erster Instanz vernommene Ehefrau unwidersprochen geschildert hatte - ausgekuppelt und ihr das Ruder übergeben. Er selbst hat zunächst versucht, über Funk die "W ... " anzurufen. Erst nach mehreren vergeblichen Versuchen der Kontaktaufnahme hat er dann die Mann-über-Bord-Taste seines GPS gedrückt. In der Zeit zwischen der Kollision und dem Sichern der Position wurde die Yacht durch den entgegenstehenden Strom nach Westen versetzt. Den entsprechenden Vortrag der Beklagten, die sich dabei auf die Ausführungen des von ihnen eingeschalteten Privatgutachters Eb ... stützten, hat der gerichtliche Sachverständige A ... in seinem Ergänzungsgutachten vom 14.12.2004 bestätigt. Allerdings sieht er, im Ergebnis zutreffend, mangels hinreichender Tatsachengrundlage keine Möglichkeit, den strömungsbedingten Versatz, der nach den Angaben der Beklagten zwischen 100 bis 150 m betrug, zu beziffern. Da andererseits nach dem insoweit übereinstimmenden Vortrag aller Prozessbeteiligten das Wattfahrwasser östlich der genannten Position immer breiter und tiefer wurde, ist die Positionsangabe zum Nachweis für eine enge Stelle nicht geeignet.

Der Kläger kann sich insoweit auch nicht auf eine Umkehr der Beweislast stützen. Denn auch im Kollisionsprozess gilt der Grundsatz, dass jede Partei die tatbestandlichen Voraussetzungen der von ihr in Anspruch genommenen Norm zu beweisen hat. Die Umkehr der Beweislast, die der Bundesgerichtshof für den Bereich der Binnenschifffahrt angenommen hat (vgl. BGH II ZR 208/58 in VersR 1960, 594 ff), greift nicht. Eine Übertragung auf den Geltungsbereich der Seeschifffahrtsstraßenordnung hat der BGH in seinem Urteil vom 27.04.1987 (II ZR 175/86 in LM SeeschiffahrtsStrO Nr. 8) ausdrücklich offen gelassen. Angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelungen besteht hierfür kein Raum. Denn in Art 2. I IÜZ (Internationales Übereinkommen zur einheitlichen Feststellung einzelner Regeln über den Zusammenstoß von Schiffen) bzw. § 734 HGB ist klar und eindeutig niedergelegt, dass bei Ungewissheit über die Ursachen eines Schadens kein Anspruch besteht. In diesen Vorschriften hat der Gesetzgeber auch hinsichtlich der Darlegungs und Beweislast eine eindeutige Festlegung getroffen, die durch eine Beweislastumkehr unterlaufen würde.

Zudem wird der Vorausfahrende durch die sonstigen Regelungen in der SeeSchStrO / KVR hinreichend geschützt. Nach § 23 Abs. 2 SeeSchStrO i.V.m. § 9 e) i) KVR ist vor dem Überholen eine Verständigung zwischen den beiden Fahrzeugen vorgeschrieben. Erst nach dem entsprechenden Einverständnis des Vorausfahrenden darf der Überholvorgang durchgeführt werden. Auch zwischen dem Kläger und der "W ..." hat eine solche Verständigung stattgefunden. Die W ... hatte ihre Absicht, das Schiff des Klägers überholen zu wollen, durch ein - wenn auch falsches - akustisches Signal angekündigt. Der Kläger hatte dies gleichwohl auch als Ankündigung eines Überholvorganges verstanden, ist seinerseits nach Steuerbord gefahren und hat damit der "W ... " Raum zum Überholen gegeben. Darin liegt eine - konkludente - Zustimmung gemäß § 23 Abs. 4 SeeSchStrO.

3. Der Kläger kann sich zur Begründung seines Anspruchs auch nicht auf die Regeln des Anscheinsbeweises stützen. Denn ein typischer Geschehensablauf, der den zwingenden Rückschluss erlaubt, dass im Wattenfahrwasser eine Kollision beim Überholvorgang stets darauf beruht, dass dies an einer engen Stelle oder mit zu geringem Abstand erfolgte, besteht nicht. Vielmehr kann die Kollision auch dadurch bedingt gewesen sein, dass der Überholte während des Überholvorganges seine seemännischen Pflichten - z.B. Kurshalten - verletzt hat und deshalb mit dem überholenden Fahrzeug kollidiert ist.

4. Aufgrund der in erster Instanz eingeholten Gutachten ist auch nicht erwiesen, dass bei dem Überholen - bedingt durch einen zu geringen Seitenabstand - unter Verstoß gegen § 23 Abs. 2 SeeSchStrO ein Sog entstanden ist, durch den das Schiff des Klägers an die "W ... " herangezogen wurde. Die Sachverständigen haben übereinstimmend ausgeführt, dass mangels hinreichend gesicherter Anknüpfungstatsachen eine eindeutige Aussage hierzu nicht möglich ist. Der Privatgutachter der Beklagten Eb ... hat eine Sogwirkung bei einem Seitenabstand von 6 - 7 m als eher gering bezeichnet. Allerdings lasse sich eine exakte Berechnung von Sog und Squat wegen der fehlenden Angaben (Verengungskoeffizient des Wattfahrwassers; Blockkoeffizienten der beteiligten Fahrzeuge ) nicht durchführen.

Demgegenüber ist der gerichtliche Sachverständige A ... , entsprechend der an ihn gerichteten Beweisfrage, zu dem Ergebnis gekommen, dass aufgrund der Größenverhältnisse die "L ... " durch die "W ... " erheblich gestört wurde und nicht ausgeschlossen werden könne, dass ein gefährlicher Sog entstanden sei. Darin ist die positive Feststellung, aufgrund der konkreten Umstände sei ein gefährlicher Sog entstanden, nicht enthalten. Der Kläger hat den ihm obliegenden Beweis nicht geführt. Da keine verlässlichen Angaben zur Breite des Fahrwassers, den Strömungs und Windverhältnissen, den Kursen und den Geschwindigkeiten vorliegen, sind durch eine weitere Beweisaufnahme auch keine neuen Feststellungen zu erwarten.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten. Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.

Ende der Entscheidung

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