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Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Urteil verkündet am 21.02.2005
Aktenzeichen: Ss 29/05 (I 11)
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 261 | |
StPO § 267 |
Oberlandesgericht Oldenburg 1. Strafsenat Im Namen des Volkes Urteil
Ss 29/05 (I 11)
In dem Strafverfahren
wegen Verdachts des sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg in der Sitzung vom 21. Februar 2005, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht ... als Vorsitzender,
Richter am Oberlandesgericht ... und ... als beisitzende Richter,
Staatsanwalt ... als Beamter der Generalstaatsanwaltschaft,
Rechtsanwalt Wellhausen als Verteidiger,
Referendar ... in Untervollmacht für Rechtsanwältin ... als Vertreterin der Nebenklägerin
Justizangestellte ... als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil der 14. kleinen Strafkammer des Landgerichts Oldenburg vom 8. Oktober 2004 wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten der Revision und die durch diese entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse; die Nebenklägerin hat ihre Auslagen selbst zu tragen.
Gründe:
Das Amtsgericht Oldenburg hatte den Angeklagten mit Urteil vom 13. August 2003 wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Hiergegen haben die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte Berufung eingelegt. Mit Urteil vom 8. Oktober 2004 hat das Landgericht die Berufung der Staatsanwaltschaft als unbegründet verworfen und auf die Berufung des Angeklagten diesen freigesprochen, weil nicht festgestellt werden konnte, dass der Angeklagte die Tat begangen hatte.
Die gegen dieses Urteil gerichtete zulässige Revision der Staatsanwaltschaft, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird, ist unbegründet. Das Urteil ist nicht rechtsfehlerhaft. Die Urteilsgründe tragen den Freispruch.
Insbesondere ist entgegen der Ansicht der Revisionsführerin die Beweiswürdigung der Strafkammer nicht zu beanstanden. Diese obliegt allein dem Tatgericht und kann vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden, ob ihm dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, oder wenn das Gericht bei der Würdigung der Beweise gegen Denkgesetze verstoßen oder Offenkundiges oder allgemeines Erfahrungswissen missachtet hat. All dies ist hier nicht der Fall.
Entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft ist auch der Zweifelsgrundsatz ("in dubio pro reo") von der Strafkammer nicht zu Unrecht angewandt worden. Das wäre bei einem aus tatsächlichen Gründen freisprechenden Urteil der Fall, wenn das Gericht ausweislich der Urteilsgründe keine Zweifel an der Begehung der Straftat durch den Angeklagten hatte. Ob das Gericht bei der Würdigung einzelner Beweise zahlreiche Gesichtspunkte darstellt, die deutlich gegen den Angeklagten sprechen und isoliert vom Gericht auch so bewertet werden, ist dabei für sich genommen nicht bedeutsam. Entscheidend ist nach § 261 StPO allein die aufgrund einer Gesamtwürdigung der Beweisaufnahme aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung abschließend geschöpfte Überzeugung des Gerichts.
Vorliegend hat die Strafkammer trotz zahlreicher ausführlich dargestellter Gesichtspunkte, die gegen den Angeklagten sprechen, ausweislich der Urteilsgründe letztlich so starke Zweifel an dessen Täterschaft gehabt, dass es ihn freigesprochen hat. Das kommt in den Feststellungen der Strafkammer (UA S. 4 oben) und in der abschließenden Bewertung (UA S. 16 a.E.) unmissverständlich zum Ausdruck.
Allerdings ist anerkannt, dass die Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung nicht überspannt werden dürfen. Es müssen deshalb solche Zweifel außer Betracht bleiben, die keine realen Anknüpfungspunkte haben oder nur auf gedanklichen, abstrakt theoretischen Möglichkeiten beruhen, vgl. BGH NStZ 1999, 153; BGH NStE Nr. 25 und 64 zu § 261 StPO.
Auch dies ist hier aber nicht der Fall. Die Zweifel der Strafkammer gründen sich im wesentlichen auf einen Widerspruch der gerichtlichen Aussage der Hauptbelastungszeugin zu ihren früheren Angaben über den Ort des sexuellen Missbrauchs (UA S. 11), sowie darauf, dass die Zeugin unmittelbar nach der angeklagten Tat sich nicht vom Tatort entfernte, was möglich gewesen wäre, sondern sich vom Angeklagten zu einem Bekannten fahren ließ und während einer Fahrunterbrechung mit dem Angeklagten freiwillig ein Glas Sekt trank (UA S. 14) und wenige Tage später aus eigenem Entschluss mit diesem auf dem Jahrmarkt im Riesenrad fuhr (UA S. 12). Dies sind keine theoretischen, sondern reale Bezugspunkte, die geeignet sind, die Glaubhaftigkeit der Aussage der Belastungszeugin in Frage stellen. Mag es auch nicht zwingend sein, deswegen den Beweiswert der Zeugenaussage für insgesamt erschüttert zu halten, so ist dies doch möglich und stellt deshalb eine zulässige - vom Revisionsgericht hinzunehmende - Überzeugungsbildung des Tatrichters dar.
Die Kostenentscheidung entspricht § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO; wegen der Erfolglosigkeit des von der Staatsanwaltschaft zuungunsten des Angeklagten eingelegten Rechtsmittels hat die Nebenklägerin ihre Auslagen selbst zu tragen, vgl. Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl. § 473 Rdn. 12.
Das angefochtene Urteil gibt Anlass zu folgender Anmerkung:
In den Urteilsgründen werden die den Angeklagten belastenden Gesichtspunkte besonders ausführlich dargestellt, während die Zweifel an seiner Täterschaft begründenden Umstände recht knapp und teilweise mit relativierenden Zusätzen mitgeteilt werden. Auch enthält das Urteil Wendungen wie "Die Kammer hat in ihrer Gesamtheit gemeint, dass die Einlassung des Angeklagten nicht zu widerlegen sei" (UA S. 5), "eine derartige Hypothese, von der die Kammer letztlich nicht lassen konnte" (UA S. 9), "dieser naheliegenden Überlegung war die Kammer in ihrer Gesamtheit indes nicht zugänglich" (UA S. 12). Diese Fassung der Urteilsgründe könnte dafür sprechen, dass der Strafkammervorsitzende von den Schöffen überstimmt wurde. Wenn das der Fall gewesen sein sollte, wäre dem Berufsrichter indes eine besondere Verantwortung bei der Absetzung der Urteilsgründe zugekommen, weil die Laienrichter hieran nicht mehr beteiligt sind und auf die Formulierung keinen Einfluss nehmen können. Ein überstimmter Berufsrichter hat in den Urteilsgründen die Mehrheitsmeinung des Spruchkörpers nicht nur im Ergebnis mitzuteilen, sondern auch in angemessener Gewichtung darzustellen. Relativierender und distanzierender Anmerkungen hat er sich strikt zu enthalten. Die Überzeugungsbildung der Laienrichter ist vom Berufsrichter uneingeschränkt zu respektieren. Er darf ihnen nicht durch die Formulierung der Urteilsgründe gewissermaßen "in den Rücken fallen". Keinesfalls wäre es angängig, durch eine bestimmte Fassung der Urteilsgründe einer Urteilsaufhebung im Revisionsrechtszug den Weg bereiten zu wollen.
Ende der Entscheidung
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