Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Beschluss verkündet am 11.09.2008
Aktenzeichen: Ss 309/08 (I 157)
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 318 S. 1
StGB § 142
StGB § 222
StGB § 315c
StGB § 316
Ist der Angeklagte aufgrund einer Alkoholfahrt wegen Straßenverkehrsgefährdung in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung sowie wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit Trunkenheit im Verkehr verurteilt worden, so kann er seine Berufung wirksam dahin beschränken, dass der Schuldspruch des zweiten Tatkomplexes nicht angefochten wird.
Oberlandesgericht Oldenburg 1. Strafsenat Beschluss

Ss 309/08 (I 157)

In dem Strafverfahren

wegen fahrlässiger Tötung u. a,

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgericht Oldenburg in der Sitzung vom 11. September 2008, durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Oberlandesgericht ... nach § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 5. kleinen Strafkammer des Landgerichts Osnabrück vom 29. April 2008 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Osnabrück zurückverwiesen, die auch über die Kosten der Revision zu entscheiden hat.

Gründe:

Der Angeklagte war vom Amtsgericht Papenburg mit Urteil vom 13. Dezember 2007 wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung und wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt worden, weil er am 19. Juni 2007 in Papenburg - infolge Alkoholgenusses fahruntüchtig - einen PKW geführt, das Rotlicht einer Verkehrsampel missachtet, dabei eine Fahrradfahrerin angefahren und tödlich verletzt hatte und sich sodann mit dem von ihm gesteuerten PKW, dessen Frontscheibe bei dem Zusammenstoß zerstört worden war, ohne Anhalten sogleich vom Unfallort entfernt und den PKW hinter einem Haus verborgen hatte. Das Amtsgericht hatte dem Angeklagten ferner die Fahrerlaubnis entzogen und eine 18-monatige Sperre für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis festgesetzt.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Berufung eingelegt. In der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Osnabrück hat er den Schuldspruch des unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr anerkannt und mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft sein Rechtsmittel demgemäß ausdrücklich beschränkt. Eigene Tatfeststellungen zu dem Hergang nach dem Zusammenstoß hat das Landgericht daraufhin nicht getroffen, sondern insoweit auf die Feststellungen des Amtsgerichts Bezug genommen. Die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht mit der Maßgabe verworfen, dass die Dauer der Fahrerlaubnissperre auf 14 Monate herabgesetzt werde.

Mit seiner hiergegen eingelegten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung des sachlichen Rechts. Er ist der Ansicht, die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung werde von den Urteilsfeststellungen nicht getragen, weil ein Sorgfaltspflichtverstoß nicht festgestellt worden sei. Auch sei die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft.

Die Revision ist zulässig und begründet. Das angefochtene Urteil ist nicht frei von erheblichen Rechtsfehlern.

Allerdings hat es das Landgericht - entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft - nicht rechtsfehlerhaft unterlassen, zu den abgeurteilten Straftaten, die der Angeklagte zeitlich nach dem Unfall beging, eigene Feststellungen zu treffen. Denn der Angeklagte hat gemäß § 318 Satz 1 StPO seine Berufung hinsichtlich dieser Taten auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Diese Beschränkung war, was der Senat von Amts wegen zu prüfen hat (vgl. BayObLG NStZ RR 1998, 55), wirksam.

Ein Rechtsfolgenausspruch ist isoliert anfechtbar, wenn die Schuldfeststellungen eine ausreichende Grundlage für die Strafzumessung bilden. Das ist hier in Bezug auf die Verkehrsunfallflucht und die Trunkenheitsfahrt des Angeklagten der Fall. Eine Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung ergibt sich auch nicht daraus, dass das gesamte angeklagte Verhalten des Angeklagten einen einheitlichen Lebenssachverhalt und damit eine prozessuale Tat im Sinne von § 264 Abs. 1 StPO darstellt, vgl. BGHSt 21, 256 (258).

Allerdings wäre die Berufungsbeschränkung unwirksam, wenn das Rechtsmittel hinsichtlich einzelner sachlichrechtlich in Tateinheit stehender Straftatbestände beschränkt worden wäre, vgl. BGH a. a. O.. Das ist hier aber nicht der Fall. Denn die beiden durch den Unfall voneinander getrennten Komplexe der Straßenverkehrsgefährdung / fahrlässigen Tötung einerseits und der Verkehrsunfallflucht / Trunkenheitsfahrt andererseits stehen zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit. Dass der Angeklagte nach dem Unfall seine Fahrt ohne Unterbrechung fortsetzte, steht dem nicht entgegen. Denn auch in einem solchen Fall ist regelmäßig nicht von Tateinheit der vor und nach dem Unfall begangenen Delikte auszugehen, weil die Weiterfahrt nach einem vom Fahrer bemerkten Unfall auf einem neuen Willensentschluss beruht, vgl. BGHSt 25, 72 (75). Das gilt auch im hier zu entscheidenden Fall, zumal das unmittelbar anschließende Verbergen des beschädigten PKW zeigt, dass der Angeklagte die Fahrt mit der neu gefassten Absicht fortsetzte, sich den Konsequenzen des Unfalls zu entziehen. Die Strafkammer hat mithin das Konkurrenzverhältnis der beiden Tatkomplexe zutreffend beurteilt, so dass sich unter diesem Gesichtspunkt keine Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung ergibt. Aus der von der Generalstaatsanwaltschaft für ihre abweichende Ansicht herangezogenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs in BGHSt 25, 72 (74) ergibt sich insoweit nichts anderes.

Auch soweit der Bundesgerichtshof dort ausführt, ein Rechtsmittel könne nicht auf die Verurteilung wegen der nach dem Unfall begangenen Verkehrsunfallflucht beschränkt werden, folgt daraus keine Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung im vorliegenden Verfahren. Denn hier ist die Überprüfung des Berufungsgerichts nicht auf die Unfallflucht, sondern auf die erstinstanzlichen Verurteilungen wegen der vor dem Unfall begangenen Straftaten beschränkt worden. Die Erwägungen des Bundesgerichtshofs sind auf den vorliegenden Fall auch nicht entsprechend anzuwenden. Ihnen liegt zu Grunde, dass bei Zulassung einer Beschränkung der Berufung auf die Verkehrsunfallflucht im Falle der späteren Verneinung einer solchen Strafbarkeit durch das Berufungsgericht auch die weitere Trunkenheitsfahrt nicht mehr geahndet werden kann, weil diese dann von der vorangegangenen Straßenverkehrsgefährdung mit umfasst wird. Eine solche Ahndungslücke ist in der vorliegenden Fallkonstellation aber nicht zu besorgen. Denn hier wird die Ahndung der Fahrtfortsetzung durch die Beschränkung der Berufung gerade nicht gefährdet.

Auch aus anderen Gründen besteht zwischen den beiden Tatkomplexen kein innerer Zusammenhang, der die Berufungsbeschränkung unwirksam sein ließe. Das Berufungsgericht konnte das Geschehen vor dem Unfall in vollem Umfang strafrechtlich würdigen, ohne hieran durch den - bei wirksamer Berufungsbeschränkung - feststehenden Schuldspruch für die nachfolgenden Taten gehindert zu sein oder hierzu in Widerspruch zu geraten. Selbst ein vollständiges Entfallen der Vorwürfe der fahrlässigen Tötung und der Straßenverkehrsgefährdung, zu dem es in dem beschränkten Berufungsverfahren hätte kommen können, hätte den rechtskräftig gewordenen Schuldspruch wegen der Verkehrsunfallflucht und der damit in Tateinheit stehenden Trunkenheitsfahrt inhaltlich nicht berührt. Eine Diskrepanz hätte allenfalls in dem gedachten Fall auftreten können, dass vom Berufungsgericht die Fahrereigenschaft des Angeklagten vor dem Unfall nicht festgestellt werden würde. Denn dann wäre der Angeklagte kein Unfallbeteiligter gewesen und könnte sich nicht wegen einer Verkehrsunfallflucht strafbar gemacht haben. Diese theoretische Möglichkeit hat hier indessen keine praktische Relevanz, weil der Angeklagte durch sein zugleich mit der Berufungsbeschränkung ausdrücklich erklärtes Anerkennen des Schuldspruchs der Fahrerflucht seine Unfallbeteiligung außer Zweifel gestellt hat.

Auch hinsichtlich der Rechtsfolgenentscheidungen war das Berufungsgericht nicht durch die Berufungsbeschränkung in seiner Entscheidungsfreiheit eingeschränkt. Für den von ihm umfassend nach Schuld und Strafe zu beurteilenden ersten Tatkomplex steht dies außer Frage. Dasselbe trifft aber auch auf den zweiten Tatkomplex zu, weil die Berufungsbeschränkung insoweit nur den Schuldspruch, nicht aber den Strafausspruch betrifft. Bei Festsetzung der Rechtsfolgen für den zweiten Tatkomplex konnte das Berufungsgericht deshalb insbesondere auch das von ihm festgestellte vorangegangene Geschehen, namentlich Art, Schwere und Verursachung des Unfalls, mitberücksichtigen.

Das auf die Sachrüge überprüfte Urteil ist indessen nicht frei von Rechtsfehlern.

Die Feststellungen des Landgerichts zum Geschehen vor dem Unfall sind teilweise widersprüchlich. Auf Seite 4 des Urteils hat die Strafkammer festgestellt, dass die Lichtzeichenanlage für den Angeklagten rotes Licht zeigte, als er sich ihr näherte. Auf Seite 10 des Urteils wird demgegenüber ausgeführt, dass die zum Unfallzeitpunkt geschaltete Ampelphase nicht festgestellt werden konnte. Auf diesem Widerspruch kann die Verurteilung wegen des ersten Tatkomplexes beruhen. Denn nach den von der Strafkammer mitgeteilten (UA S. 9) und von ihr für zutreffend erachteten Sachverständigengutachten konnte der Angeklagte den Unfall nur vermeiden, wenn die Ampel für ihn Rotlicht gezeigt und er darauf reagiert hätte.

Das Urteil enthält auch keine sonstigen Feststellungen, die den Vorwurf der fahrlässigen Tötung stützen könnten. Zwar hat das Landgericht einen Sorgfaltspflichtverstoß des Angeklagten in dem ungebremsten Zufahren auf die Fußgängerfurt gesehen. Es fehlen aber Ausführungen dazu, warum der Angeklagte nicht ungebremst hätte weiterfahren dürfen, wenn für ihn die Lichtzeichenanlage kein Rotlicht zeigte, wie dies jedenfalls nach Seite 10 des Urteils möglicherweise der Fall war. Zwar wäre auch dann eine Sorgfaltspflichtverletzung möglich, etwa weil der Angeklagte hätte bemerken müssen, dass die Radfahrerin sich ungeachtet des Signals der Lichtzeichenanlage anschickte oder schon dabei war, die Straße zu überqueren. Insoweit enthält das Urteil aber keine ausreichenden Feststellungen. Soweit das Landgericht pauschal auf das Nichtreagieren des Angeklagten auf die die Straße überquerende Radfahrerin abgestellt hat, fehlen Feststellungen dazu, wann der Angeklagte dies bemerken konnte und musste und wie er darauf so hätte reagieren können, dass es nicht zu dem Unfall gekommen wäre. Dies festzustellen war insbesondere deshalb unentbehrlich, weil der Sachverständige zu dem Ergebnis gekommen ist, der Unfall sei nur dann zu vermeiden gewesen, wenn die Ampelanlage für den Angeklagten rotes Licht gezeigt hätte (Seite 9 Mitte des Urteils).

Der aufgezeigte Mangel des Urteils führt zu seiner Aufhebung und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Osnabrück. Die Aufhebung hatte sich auch auf die Strafzumessung für den 2. Tatkomplex zu erstrecken, weil das Strafmaß für die Verkehrsunfallflucht auch von den Feststellungen zu dem Unfallhergang berührt wird.

Ende der Entscheidung

Zurück