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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 19.07.2007
Aktenzeichen: 1 Ss 107/07 I 50/07
Rechtsgebiete: StPO, StGB, VersG


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StPO § 354 Abs. 1
StGB § 17
StGB § 86 Abs. 1 Nr. 4
StGB § 86 a Abs. 1 Nr. 1
StGB § 86 a Abs. 2
StGB § 130 Abs. 1
StGB § 130 Abs. 3
StGB § 130 Abs. 4
StGB § 131 Abs. 1
VersG § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock - 1. Strafsenat - BESCHLUSS

1 Ss 107/07 I 50/07

In der Strafsache

gegen S.aus W., geboren am ... in L.

wegen Volksverhetzung

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichtes Rostock auf die Sprungrevision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Wismar - 15 Cs 758/06 - vom 18.01.2007 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten am 19. Juli 2007 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird gem. § 349 Abs. 4 StPO mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichtes Wismar zurückverwiesen. Gründe:

Das Amtsgericht Wismar hat den Angeklagten wegen Volksverhetzung gem. § 130 Abs.4 StGB zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen verurteilt. Im Übrigen wurde der Angeklagte vom Vorwurf des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen freigesprochen. Hintergrund der Verurteilung war, dass der geständige Angeklagte bis zum 08.08.2006 über seinen Internetversandhandel "...." u.a. T-Shirts mit dem Aufdruck "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" verkaufte.

Gegen das in seiner Anwesenheit verkündete Urteil hat der Angeklagte mit dem am 25.01.2007 bei dem Amtsgericht Wismar eingegangenen Schriftsatz seines Verteidigers "Rechtsmittel" eingelegt und das Rechtsmittel nach Urteilszustellung an den Verteidiger am 07.02.2007 mit am 07.03.2007 eingegangenem weiterem Schriftsatz des Verteidigers als Sprungrevision bezeichnet. Die Revision rügt die Verletzung materiellen Rechts. Sie macht geltend, das Amtsgericht habe zu Unrecht die Parole "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" unter den Tatbestand des § 130 Abs. 4 StGB subsumiert. Zudem habe sich der Angeklagte in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum im Sinne des § 17 StGB befunden.

II.

Die zulässige Revision hat in der Sache Erfolg. Das Urteil ist auf die Sachrüge hin aufzuheben, da die Feststellungen den Schuldspruch nicht tragen. Das Amtsgericht hat die rechtlichen Anforderungen an das Tatbestandmerkmal "Störung des öffentlichen Friedens" verkannt.

1. Eine Strafbarkeit nach § 130 Abs. 4 StGB wegen des Anbietens von T-Shirts mit dem Aufdruck "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" im Internet oder das Tragen solcher T-Shirts kann zwar unter bestimmten Umständen begründet sein; die Feststellungen des Amtsgerichts sind dazu aber nicht ausreichend. Der Tatbestand verlangt - anders als die Tatbestände des § 130 Abs. 1 und 3 StGB - eine vollendete Störung des öffentlichen Friedens; eine nur abstrakte Gefährdung des öffentlichen Friedens genügt nicht (BT-Drucksache 15/ 5051, S. 5; Lenckner/Sternberg-Lieben in : Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 130 Rdnr. 22 c). Der Gesetzgeber hat den Tatbestand bewusst als Erfolgsdelikt ausgestaltet (BT-Drucksache 15/5051 S. 5; Enders/Lange JZ 2006, 105, 107). Das bedeutet, dass eine abstrakte Gefährdung des öffentlichen Friedens den Tatbestand nicht erfüllt. Vielmehr muss eine konkrete Störung des öffentlichen Friedens vorliegen. Ob eine solche Störung des öffentlichen Friedens eingetreten ist, muss jeweils nach den Umständen des Einzelfalles beurteilt werden und empirisch festgestellt werden (Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. § 130 Rdnr. 40).

Das Amtsgericht führt lediglich aus: "Das Gericht vertritt dazu die Auffassung, dass das konkrete Tatverhalten des Angeklagten, das Anbieten und Verkauf von T-Shirts mit dem Symbol "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" ohne jeglichen Zweifel eine Störung des öffentlichen Friedens bewirkt. Die Störung des öffentlichen Friedens ist ein objektiver Zustand allgemeiner Rechtssicherheit sowie das subjektive Bewusstsein, in Ruhe und Frieden zu leben. Dieser öffentliche Frieden ist dann gestört, wenn eine allgemeine Beunruhigung der Bevölkerung eintritt. Nach Auffassung des Gerichts ist bereits mit dem Angebot im Internet der öffentliche Frieden vollendet gestört, da dieses Angebot für jeden zugänglich ist. Auch der Verkauf und die damit verbundene Wahrscheinlichkeit des Tragens dieses T-Shirts in der Öffentlichkeit vollendet nach Auffassung des Gerichts die Störung des öffentlichen Friedens."

Diese Annahme begegnet rechtlichen Bedenken und genügt den Anforderungen an die Feststellungen zu diesem Tatbestandsmerkmal nicht.

a) Das Amtsgericht hat für das Revisionsgericht in nicht nachvollziehbarer Weise eine Gefährdung des öffentlichen Friedens unterstellt, ohne diese mit Tatsachen zu belegen. Dass tatsächlich eine Störung eingetreten, d.h. eine gesellschaftliche Situation entstanden ist, in der in erhöhtem Maße mit Angriffen auf Individualrechtsgüter zu rechnen ist, bleibt eine bloße Behauptung.

b) Es ist ferner zu besorgen, dass das Amtsgericht zum einen das Tatbestandsmerkmal der Friedensstörung mit dem Tatbestandsmerkmal der öffentlichen Begehung gleichsetzt. Das Anbieten im Internet stellt eine "öffentliche" Begehung der Tat dar. Zum anderen sind keine nachvollziehbaren Feststellungen darüber getroffen, worauf der Schluss beruht, dass der öffentliche Frieden tatsächlich gestört ist. Soweit das Amtsgericht ausführt, "dieser öffentliche Frieden ist dann gestört, wenn eine allgemeine Beunruhigung der Bevölkerung eintritt", steht zu befürchten, dass es damit verkannt hat, dass § 130 Abs. 4 StGB eben kein potentielles Gefährdungs-, sondern ein Verletzungs- bzw. Erfolgsdelikt (BT-Drucksache a. a. O., Lackner/Kühl, StGB 26. Aufl. § 130 Rdnr.8 b, Tröndle/Fischer, a.a.O. § 130 Rdn. 33) ist. Dass dazu Festgestellte ist aber nur als eine abstrakte Gefährdung zu qualifizieren.

Es wäre erforderlich gewesen, dass das Amtsgericht hinreichend konkretisiert hätte, dass beispielsweise ein Umschlagen in Gewalthandlungen unmittelbar durch das Verkaufen oder Tragen der T-Shirts gedroht habe. Das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass es hinreichend wahrscheinlich sein muss, dass der öffentliche Friede "tatsächlich gestört" werden wird (BVerfG NJW 2005, 3202, 3204). Es genügt nicht wie in § 130 Absatz 1 und 3 StGB eine diesbezügliche Eignung.

c) Festgestellt werden muss, dass die Friedensstörung tatsächlich eingetreten ist. Dabei können geäußerte Empörungen in der Öffentlichkeit, insbesondere in Gegendemonstrationen, Presseberichte oder eine Vielzahl von Strafanzeigen ein Indiz für derartige Störungen sein (so Ostendorf in : NK-StGB, 2. Aufl. § 130 Rdn. 36; Lenckner/Sternberg-Lieben a.a.O.; kritisch dazu: Lackner/Kühl, a.a.O.. Rdnr. 8b; Rudolphi/Stein in : SK-StGB, 64. Lieferung 2005, § 130 Rdnr. 32, da solche Proteste auch dadurch motiviert sein können, um volksverhetzende Tendenzen bereits im Keim zu ersticken, noch bevor sie zu einer Störung des öffentlichen Friedens führen). Im Übrigen muss bei der Auslegung des Tatbestandes berücksichtigt werden, dass die Vorschrift im Zusammenhang mit der kontinuierlichen Zunahme rechtsextremistischer Versammlungen im Gepräge historischer Aufmärsche des NS-Regimes geschaffen wurde und diesem entgegenwirken sollte (BT-Drucksache 14/4832 S. 1 und 15/ 5051 S. 1). Der Gesetzgeber hoffte, dadurch rechtsextreme Aufzüge und Versammlungen, insbesondere an Gedenktagen, wirksamer unterbinden zu können (vgl. Rudolphi/Stein a.a.O. § 130 Rdnr.1a; Bertram NJW 2005,1476; Poscher NJW 2005, 1316). Das Tragen solcher Geschmacklosigkeiten oder ihr Anbieten ohne Bezug auf eine öffentliche Demonstration stand dabei nicht im Vordergrund (vgl. Enders/Lange, JZ 2006, 105 ff.).

2. Soweit das Amtsgericht ausführt "ohne jeglichen Zweifel" sei eine Friedensgefährdung eingetreten, reicht dies für die Feststellung einer konkreten Störung mithin nicht aus. Insoweit musste das Urteil aufgehoben werden. Da weitere Feststellungen noch möglich erscheinen, kam eine Freisprechung des Angeklagten durch das Revisionsgericht nach § 354 Abs. 1 StPO nicht in Betracht.

3. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Die Parole "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" ist weder ein Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation im Sinne von § 86 a Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB noch einem solchen zum Verwechseln ähnlich im Sinne von § 86 a Abs. 2 StGB. Es kann aber eine Strafbarkeit nach der Vorschrift der Verherrlichung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft (§ 130 Abs. 4 StGB) in Betracht kommen, wenn im Einzelfall nach den Umständen die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen festgestellt werden, wonach durch die Verwendung der Parole, die NS-Gewalt- und Willkürherrschaft verherrlicht und dadurch der öffentliche Frieden in einer die Würde der Opfer verletztenden Weise gestört werde. Der Straftatbestand erfasst aber nicht jede Verherrlichung nationalsozialistischer Anschauung, sondern nur solche Handlungen, welche die NS-Gewalt- und Willkürherrschaft kennzeichnenden Menschenrechtsverletzungen billigen, rechtfertigen oder verherrlichen und damit den Achtungsanspruch der Opfer angreifen ( BGH NStZ 2006, 335 = NJW 2005, 3223).

b) Der Tatbestand des § 130 Abs. 4 StGB ist geschaffen worden, um der "Zunahme rechtsextremistischer Versammlungen" mit Hilfe eines Anknüpfungstatbestandes für verwaltungsrechtliche Verbote und polizeiliche Auflösungsverfügungen zu begegnen (BT-Drucksache 15/4832 S. 1; 15/5051 S. 1). Die Gesetzesbegründung führt aus: "Dabei ist Voraussetzung (für eine Strafbarkeit), dass die Friedensstörung in einer die Würde der Opfer des Nationalsozialismus verletztenden Weise geschieht".

Diese Qualifizierung verdeutlicht, dass nur eine Handlung tatbestandsmäßig ist, die den Achtungsanspruch der Opfer der NS-Gewalt- und Willkürherrschaft angreift. Geschütztes Rechtsgut ist der öffentliche Friede (Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 130 Rdnr.; Schönke/Schröder/Lenckner, 26 Aufl. § 130 Rdnr. 22 a).

(1) Die Parole "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" stellt ein Verherrlichen dar. Dieser Begriff findet sich bereits in § 131 Abs. 1 StGB. Er erfasst das Berühmen der NS-Gewalt- und Willkürherrschaft als etwas Großartiges, Imponierendes oder Heldenhaftes. Darunter ist nicht nur die direkte Glorifizierung der Unrechtshandlung der NS-Gewalt- und Willkürherrschaft zu verstehen, sondern es reicht aus, wenn diese in einem positiven Bewertungszusammenhang dargestellt wird oder in der Schilderung der Unrechtshandlung und ihrer Verantwortungsträger entsprechende positive Wertakzente gesetzt werden. Dies kann auch bei Anpreisung einer die Gewaltherrschaft personifizierten Symbolfigur des NS-Regimes der Fall sein (vgl. Schönke/Schröder, a.a.O. S§ 130 Rdnr. 22 b; Tröndle/Fischer a.a.O. § 131 Rdnr. 9). Die pauschale Gleichsetzung der Waffen-SS mit Ruhm und Ehre erfüllt dieses Tatbestandsmerkmal, da damit eine in weiten Teilen verbrecherische Organisation abwegig bewundert und glorifiziert wird.

(2) Auch die Annahme, dass eine solche "Parole" die Würde der Opfer verletzt, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Dieses in hohem Maße unbestimmte Merkmal ( Lackner /Kühl, StGB, 26. Aufl., § 130 Rdnr. 8 b) erfordert, dass der Achtungsanspruch der Opfer der NS-Herrschaft angegriffen sein muss. Der Begriff "Würde der Opfer", der auf die Begrenzung rechtsextremer Meinungsäußerung zielt, findet sich auch in § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Versammlungsgesetzes. Soweit das Amtsgericht dazu festgestellt hat, "es ist vielmehr davon auszugehen, dass das NS-System als Ganzes die Würde aller Opfer regelmäßig verletzt. Dabei sind auch nach Auffassung des Gerichtes Ausnahmen, in denen das Verherrlichen der NS-Herrschaft die Menschenwürde der Opfer von Gewalt- und Willkürmaßnahmen nicht verletzten sollte, schwer vorstellbar", entspricht diese Auslegung der Intention des Gesetzgebers, wonach in der Regel davon auszugehen sei, dass die Tathandlung den Achtungsanspruch sowie die Menschenwürde der Opfer verletze (BT-Drucksache 15/ 5051 S. 5).

Ende der Entscheidung

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