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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 11.07.2005
Aktenzeichen: 1 Ss 113/05 I 53/05
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 2
StPO § 349 Abs. 4
StGB § 23 Abs. 2
StGB § 49 Abs. 1
StGB § 56 Abs. 2
StGB § 56 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgerichts Rostock 1. Strafsenat Beschluss

Geschäftszeichen 1 Ss 113/05 I 53/05

In der Strafsache

wegen versuchter Steuerhinterziehung

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichtes Rostock durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Dally sowie die Richter am Oberlandesgericht Hansen und Zeng auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 16. Dezember 2004 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Beschwerdeführers am 11. Juli 2005 gemäß § 349 Abs. 2 und Abs. 4 StPO beschlossen:

Tenor:

1. Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben. Aufrechterhalten bleibt die Einziehung der sichergestellten Zigaretten.

2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere als Berufungskammer zuständige Strafkammer des Landgerichts Neubrandenburg zurück verwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Amtsgericht Neubrandenburg hat den Angeklagten mit Urteil vom 26. August 2004 wegen versuchter Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt und die Einziehung von 5.134 Stangen Zigaretten angeordnet. Gegen dieses Urteil hatte der Angeklagte Berufung eingelegt und diese in der Berufungsverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Das Landgericht hat die Beschränkung der Berufung als wirksam angesehen und das Rechtsmittel verworfen. Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat den aus dem Tenor ersichtlichen überwiegenden Erfolg.

I.

Die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung (vgl. BGHSt 27, 70, 72; Ruß in KK 5. Aufl. § 318 Rdn. 11) führt zu dem Ergebnis, dass die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch wirksam war. Eine solche Beschränkung des Rechtsmittels ist grundsätzlich möglich, sofern die Tatsachenfeststellungen eine ausreichende Grundlage darstellen, den Schuldspruch zu tragen und zwischen den Erörterungen zur Schuld- und Straffrage keine zu enge Verbindung besteht, so dass eine getrennte Überprüfung des angefochtenen Teils möglich ist, ohne dass der nicht angefochtene Teil mit berührt wird (vgl. Meyer-Goßner StPO 48. Aufl. § 318 Rdn. 16 ff.; Ruß aaO Rdn. 7a). Dies ist hier der Fall. Soweit das Urteil nicht den an die Darstellung hinterzogener Einfuhrabgaben gestellten Anforderungen genügt (vgl. dazu noch unter II. 1. lit. b) sublit. aa)) kann der Senat angesichts der ansonsten rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum versuchten Schmuggel der 1.026.800 Stück Zigaretten sicher ausschließen, dass - vom Schuldumfang abgesehen - der Schuldspruch berührt ist.

II.

1. Der Strafausspruch hält einer rechtlichen Überprüfung nicht Stand.

a) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen bereits die Erwägungen, mit denen die Strafkammer von einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB abgesehen hat. Die Strafkammer hat in diesem Zusammenhang ausgeführt: "Die Tat stand zunächst unmittelbar vor der Vollendung. Die Entdeckung des Schmuggelgutes war letztlich auf die Kontrolle der Grenzbeamten zurückzuführen, der Angeklagte selbst hat hierzu keinen Beitrag geleistet, der eine Strafrahmenverschiebung ... rechtfertigen könnte".

Diese Formulierung ("hierzu") ist für sich genommen schon bedenklich: Hätte der Angeklagte nämlich einen Beitrag zur Entdeckung des Schmuggelgutes geleistet, so läge möglicherweise ein strafbefreiender Rücktritt (§ 24 Abs. 1 StGB) vor und eine Verurteilung wegen versuchter Steuerhinterziehung hätte nicht erfolgen können.

Unabhängig davon verlangt die rechtsfehlerfreie Anwendung des § 23 Abs. 2 StGB eine Gesamtschau, die zwar insbesondere die versuchsbezogenen Gesichtspunkte einbezieht wie Nähe zur Tatvollendung, Gefährlichkeit des Versuchs und eingesetzte kriminelle Energie, daneben aber auch die Persönlichkeit des Täters und die Tatumstände im weitesten Sinne berücksichtigt (vgl. BGHSt 16, 351, 353; 35, 347, 355; BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 1, 2, 4, 5, 8, 9, 11 und 13). Die Strafkammer hat zwar eine Würdigung vorgenommen. Diese lässt aber besorgen, dass sie nicht alle wesentlichen der zugunsten des Angeklagten sprechenden Gründe erwogen hat. Schon bei der Strafrahmenfeststellung ist das Geständnis, die bisherige Straflosigkeit und die persönliche Lage des Täters zur Zeit der Tat zu berücksichtigen (vgl. auch Schäfer, Praxis der Strafzumessung, 3. Aufl. Rdn. 544).

Da der Senat nicht auszuschließen vermag, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Anwendung des § 23 Abs. 2 StGB zu einem milderen Strafrahmen gelangt wäre, kann der Strafausspruch nicht bestehenbleiben.

b) Auch die weiteren Strafzumessungserwägungen sind nicht bedenkenfrei.

aa) Das Landgericht führt zu Lasten des Angeklagten u. a. die erhebliche Schadenshöhe von annähernd 160.000,-- Euro an. Sowohl im amtsgerichtlichen Urteil als auch im Urteil der Strafkammer ist die Annahme der Höhe der Einfuhrabgaben nicht hinreichend belegt. Bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung müssen die Urteilsgründe in der Regel nicht nur die Summe der verkürzten Steuern, sondern deren Berechnung im einzelnen ergeben. Die Anwendung steuerrechtlicher Vorschriften auf den festgestellten Sachverhalt ist ebenso Rechtsanwendung wie die daraus folgende Berechnung der verkürzten Steuern, durch die der Schuldumfang der Straftat bestimmt wird (BGHR AO § 370 Abs. 1 Berechnungsdarstellung 4, 10, 11).

Diesen Anforderungen genügt das Urteil nicht, weil der Senat auf Grund der mitgeteilten Angaben die Höhe des angenommenen Verkürzungsbetrags nicht überprüfen kann. Dass der geständige Angeklagte zur Berechnung der hinterzogenen Einfuhrabgaben sachkundig gewesen ist, ist nicht dargelegt und liegt fern. Umstände, die es ausnahmsweise rechtfertigen könnten, von einer genauen Berechnung abzusehen, sind nicht erkennbar.

bb) Mit Feststellungen gleichfalls nicht belegt sind die zu Lasten des Angeklagten angeführten Strafzumessungserwägungen des Landgerichts, der Zigarettenschmuggel sei "zweifelsfrei der organisierten Kriminalität zuzurechnen". Dass sich der konkrete Fall dem Bereich der organisierten Kriminalität zuordnen ließe, ergeben die bislang getroffenen Feststellungen nicht.

Sofern das Landgericht diese Erwägung als generalpräventiven Gesichtspunkt bei der Strafzumessung berücksichtigen wollte, begegnet auch diese Überlegung Bedenken: Grundsätzlich dürfen nur solche Umstände herangezogen werden, die außerhalb der bei Aufstellung eines bestimmten Strafrahmens vom Gesetzgeber bereits berücksichtigten allgemeinen Abschreckung liegen (BGHR § 46 Abs. 1 Generalprävention 6; BGH StV 1994, 424). Diese Voraussetzungen sind gegeben, wenn sich eine gemeinschaftsgefährliche Zunahme solcher oder ähnlicher Straftaten, wie sie zur Aburteilung stehen, feststellen lässt (BGHR StGB § 46 Abs. 1 Generalprävention 6 mit zahlr. Nachw.). Hierfür enthalten die Urteilsgründe jedoch keine Feststellungen. Der Hinweis auf die "inzwischen nahezu alltäglich vorkommenden Straftaten" genügt dem nicht; denn es bleibt gerade offen, wie hoch diese Anzahl ist sowie ob und in welchem Maße diese Delikte zugenommen haben.

2. Die Einziehungsentscheidung ist rechtsfehlerfrei und wird von den vorgenannten Erwägungen nicht berührt.

III.

Für die neue Hauptverhandlung sieht sich der Senat zu folgenden Hinweisen veranlasst:

1. Die Entscheidung, ob die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der Freiheitsstrafe gebietet (§ 56 Abs. 3 StGB) wird regelmäßig erst aktuell, wenn im Fall einer Strafe über einem Jahr bis zwei Jahren die günstige Sozialprognose (§ 56 Abs. 1 StGB) und ferner die "besonderen Umstände gemäß § 56 Abs. 2 StGB bejaht worden sind (vgl. BGH bei Mösl NStZ 1981, 426).

2. Generalpräventive Erwägungen dürfen nicht dazu führen, bestimmte Tatbestände oder Tatbestandsgruppen unter dem Gesichtspunkt der Verteidigung der Rechtsordnung von der Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung auszuschließen. Erforderlich ist vielmehr stets eine dem Einzelfall gerecht werdende Abwägung, bei der Tat und Täter umfassend zu würdigen sind (BGHSt 24, 40, 46; BGHR StGB § 56 Abs. 3 Verteidigung 5, 6 und 16; BGH NStZ 2001, 319 m. w. N.). Bei der Gesamtwürdigung ist folglich zu berücksichtigen, dass der nicht vorbestrafte, geständige Angeklagte nur wegen einer einzigen Tat verurteilt wurde. Soweit das Landgericht bislang ausgeführt hat, dass es sich nicht "um eine Gelegenheitstat" gehandelt habe und dem Urteil zu entnehmen sein könnte, der Angeklagte habe auf eine Strafaussetzung spekuliert, bedürfte dies näherer Feststellungen. Der Tatrichter wird zudem in die Gesamabwägung einzustellen haben, dass der Angeklagte zum Urteilszeitpunkt bereits acht Monate durch die erlittene Untersuchungshaft verbüßt hat. Die in der Sache erlittene Untersuchungshaft ist bei einer Entscheidung nach § 56 Abs. 3 StGB stets zu berücksichtigen (vgl. BGHR § 56 Abs. 3 Verteidigung 7; BGH NStZ 2001, 319, jeweils m. w. N.).

Ende der Entscheidung

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