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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Urteil verkündet am 04.03.2005
Aktenzeichen: 1 Ss 20/05 I 20/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 41
StPO § 344
StPO § 345
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock 1. Strafsenat IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 Ss 20/05 I 20/05

In der Strafsache

wegen Diebstahls

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Rostock in der Revisionshauptverhandlung vom 04.03.2005, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Dr. D. als Vorsitzender,

Richter am Oberlandesgericht H. Richterin am Amtsgericht M. als beisitzende Richter,

Staatsanwältin als Vertreterin der Generalstaatsanwaltschaft,

Rechtsanwalt als Verteidiger,

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

auf die Revision der Staatsanwaltschaft Stralsund gegen das Urteil der 25. Kammer (Kleine Strafkammer) des Landgerichts Stralsund vom 21.10.2004 - 25 Ns 59/04 -

für Recht erkannt:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Berufungskammer zuständige Kleine Strafkammer des Landgerichts Stralsund zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Angeklagte wurde mit Urteil des Amtsgerichts Greifswald - Schöffengericht - vom 26.03.2004 - 33 Ls 1319/03 - wegen Diebstahls unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Landgerichts Stralsund vom 14.01.2003 - III KLs 1/00 - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Gegen das vorbezeichnete Urteil haben die Staatsanwaltschaft Stralsund und der Angeklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt.

Mit Urteil vom 21.10.2004 - 25 Ns 59/04 - hat die 25. Kammer (Kleine Strafkammer) des Landgerichts Stralsund das Urteil des Amtsgerichts Greifswald vom 26.03.2004 aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen.

Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Stralsund mit bei dem Landgericht am 25.10.2004 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage Revision eingelegt. Nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe gemäß § 41 StPO am 23.11.2004 hat die Staatsanwaltschaft die Revision mit am 16.12.2004 beim Landgericht Stralsund eingegangenem Schriftsatz vom 13.12.2004 begründet und mit Anträgen versehen. Mit der näher ausgeführten Rüge der Verletzung materiellen Rechts wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen den Freispruch des Angeklagten. Angegriffen werde die zum Freispruch führende Beweiswürdigung der Kammer.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft Stralsund ist statthaft (§ 333 StPO), frist- und formgerecht eingelegt (§ 341 Abs. 1 StPO) und gemäß §§ 344, 345 StPO ordnungsgemäß begründet worden, also zulässig.

Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz, da die Entscheidung rechtlicher Überprüfung nicht standhält. Der durch das Urteil - wohl aus tatsächlichen Gründen - vorgenommene Freispruch war auf die erhobene Sachrüge hin aufzuheben, denn sowohl die Feststellungen, als auch die Beweiswürdigung im Urteil sind lückenhaft und tragen den Freispruch nicht. Auch hat das Landgericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt.

1. Die in prozessordnungsgemäßer Weise gewonnene Überzeugung des Tatrichters ist für das Revisionsgericht bindend und seine Entscheidung daher grundsätzlich hinzunehmen. Die revisionsrechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung beschränkt sich daher darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder die Anforderungen an eine Verurteilung überspannt worden sind, also die Beweiswürdigung des Tatrichters nicht ausreichend nachvollzogen werden kann (vgl. Senatsurteil vom 24.11.2003 - 1 Ss 181/02 I 129/02; BGH NStZ-RR 2000, 171; BGH StV 2001, 440; BGH wistra, 2003, 259).

Bei Freisprüchen aus tatsächlichen Gründen müssen die Urteilsgründe den Anklagevorwurf und die als erwiesen angesehenen Tatsachen mitteilen und ausführen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen nicht erwiesen sind. Auf dieser Grundlage ist der Sachverhalt unter allen für die Entscheidung über die angeklagte Tat vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten erschöpfend zu würdigen. Dem Revisionsgericht muss die Prüfung ermöglicht werden, ob der Freispruch auf einer erschöpfenden, bedenkenfreien Tatsachengrundlage und aufgrund rechtlich einwandfreier Erwägungen des Tatrichters erfolgt ist (vgl. Senatsurteil vom 24.11.2003 a.a.O.; BGH NStZ-RR 1997, 374; KK-Engelhardt, StPO, 5. Aufl., § 267, RdNr. 41 m.w.N.). Auch müssen die Urteilsgründe in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise erkennen lassen, ob der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überzeugungsbildung einbezogen hat (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 23; BGH NStZ-RR 2002, 338 m.w.N.). Die Feststellung von Tatsachen verlangt keine absolute, von niemandem anzweifelbare Gewissheit. Es genügt vielmehr, dass ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit besteht, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht lautwerden können. Außer Betracht zu bleiben haben solche Zweifel, die eines realen Anknüpfungspunktes entbehren und sich lediglich auf die Annahme einer bloß gedanklichen, abstrakt-theoretischen Möglichkeit gründen (BGH NStZ-RR 1999, 332, 333 m.w.N.). Die bloße gedankliche Möglichkeit, dass der Tathergang auch anders gewesen sein könnte, kann die Verurteilung nicht hindern (BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984, 212 Nr. 25 m.w.N.). Die Würdigung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, wenn die Beweiserwägungen insgesamt besorgen lassen, dass überspannte Anforderungen an die zu einer Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung gestellt hat (vgl. BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 25, 22, Beweiswürdigung 5).

2. Das Landgericht hat folgende Festgestellungen getroffen:

"Der ... Angeklagte ... wurde u.a. wie folgt bestraft:

Das Amtsgericht Stralsund verurteilte ihn mit Urteil vom 18.03.1993 wegen gemeinschaftlichen schweren Diebstahls in zwei Fällen, davon einmal in Tateinheit mit vorsätzlichen Fahren ohne Fahrerlaubnis, Urkundenfälschung, vorsätzlichen Fahren ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen zu einem Jahr Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Das Landgericht Stralsund verurteilte ihn mit Urteil vom 26.01.1995 wegen schwerer räuberischer Erpressung, Diebstahl im besonders schweren Fall in zwei Fällen, versuchten Diebstahls im besonders schweren Fall und Unterschlagung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten. Die Strafe aus dem Urteil vom 18.03.1993 wurde mit einbezogen. Der Strafrest wurde zur Bewährung ausgesetzt, diese Strafaussetzung wurde widerrufen.

Das Amtsgericht Stralsund verurteilte den Angeklagten durch Urteil vom 17.03.1998 wegen versuchten Diebstahls im besonders schweren Fall zu einem Jahr Freiheitsstrafe.

Zuletzt wurde er durch Urteil des Landgerichts Stralsund vom 14.01.2003 (Gesch.-Nr. III Kls 1/00) wegen schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 9 Monaten verurteilt,deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Tatzeit war der 19.06.1992. ...

In der Nacht vom 22. auf den 23.11.2001 drangen mindestens zwei Personen in Trassenheide in das dort in der Strandstraße 38 gelegene Ladengeschäft mit angeschlossener Postagentur ... ein. Durch die beiden Personen wurde dabei das Zylinderschloss in der Personaleingangstür herausgebrochen. Ein in einem Nebenraum befindlicher Tresor wurde aus der Verankerung gerissen und sodann in den Verkaufsraum gebracht. Dort wurde der Unterboden des Tresors aufgeflext und - vermutlich mit einer Brechstange - der Tresor aufgehebelt. Der Tresor war mit einem Sicherheitssystem versehen, welches einen rötlichen Farbstoff freisetzte. Dieser Farbstoff lagerte sich in der Umgebung des Tresors ab und hat vermutlich auch das aus dem Tresor entwendete Bargeld in einem Gesamtbetrag von über 40.000 DM sowie knapp 2.000,- € eingefärbt. Weiter wurden Briefmarken in einem Wert von über 20.000,- DM sowie Telefonkarten und Sparbücher entwendet. Der Einbruch wurde am Morgen des 23.11. von der Zeugin Ising festgestellt, als diese das Geschäft betrat. Die anschließenden Ermittlungen vor Ort wurden vom Zeugen W. und dessen Kollegen, dem Kriminalbeamten G. vorgenommen. In der Nähe des Tresors wurden zwei Zigarettenkippen sichergestellt. Ferner wurden drei Schuhspuren festgestellt, von denen eine später vom Landeskriminalamt in die dortige Schuhspurendatei aufgenommen wurde. Außerdem wurde eine Brechstange vorgefunden. Später wurden in der Spielbank in Heringsdorf, in einem Spielsalon in Greifswald sowie in Hamburg eingefärbte Geldscheine gefunden. An den dort vorgefundenen Geldscheinen und der Brechstange wurden keinerlei verwertbare Fingerabdruckspuren gefunden. Die gefundenen Schuhspuren führten ebenfalls zu keinen verwertbaren Hinweisen. An den beiden Zigarettenkippen wurde zelluläres Material mit einer DNA-Merkmalskombination gefunden, welche dem Angeklagten zugeordnet wird. Die entsprechende Kombination kommt unter 18 Milliarden Menschen nur einmal vor."

3. Das Landgericht hat eine sichere Überzeugung von der Tatbeteiligung des Angeklagten - von dem nicht mitgeteilt wird, ob und wie er sich zur Sache eingelassen hat - nicht gewinnen können. Es geht zwar davon aus, "daß sich zwei Zigarettenkippen am Tatort befunden haben, an denen sich dem Angeklagten zuzuordnendes DNA-Material gefunden hat, und daß die Zigarettenkippen zwischen dem 22.11., 18.00 Uhr, und dem Morgen des 23.11 am Tatort abgelegt bzw. zu Boden geworfen resp. fallengelassen wurden". Weiter ist es davon überzeugt, "daß der Angeklagte irgendwann zuvor die Zigaretten, von denen später nur noch Kippen übrig waren, im Mund oder in anderer Weise mit ihnen Kontakt gehabt hat." Der Umstand, dass sich ein Gegenstand mit auf eine bestimmte Person deutenden Spuren an einem bestimmten Ort befindet, lasse jedoch nicht einzig den Schluss zu, dass auch diese Person sich an diesem Ort aufgehalten habe. So könnten auch die Täter die Kippen an den Tatort gebracht haben, um bewusst von sich abzulenken und die Spur auf den Angeklagten zu lenken oder Verwirrung zu stiften. Es bestehe ferner die Möglichkeit, "daß der Angeklagte sich in der Nacht vom 22. auf den 23.11.2001 ebenfalls in Trassenheide aufgehalten hat und nach der Beendigung des Einbruchs - möglicherweise aufgrund professioneller Neugier - am Tatort vorbeikommend dort umgesehen und geraucht" habe. Zigarettenkippen seien - anders als ein Buch mit einem Exlibris oder ein Ausweis - Abfall, der dem Zugriff einer unbestimmten Zahl anderer Personen ausgesetzt sei. Weder der Umstand, dass der Angeklagte nichts entlastendes dazu vorgebracht habe, wo er sich zum Tatzeitpunkt aufgehalten habe, noch dass er einschlägig wegen Eigentums- und Vermögensdelikten vorbestraft sei, führe zu der Überzeugung, dass er am Tatort und an einem Diebstahl beteiligt gewesen sei.

4. Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass die Entscheidung nicht auf einer erschöpfenden, bedenkenfreien Tatsachengrundlage und aufgrund rechtlich einwandfreier Erwägungen erfolgt ist.

Es fehlen wesentliche Feststellungen, die für eine umfassende Würdigung des Sachverhalts von entscheidender Bedeutung sein und die Entscheidungsbildung - in die eine oder andere Richtung - beeinflussen könnten.

Das Landgericht hat nicht nur versäumt mitzuteilen, ob der Freispruch aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen erfolgt ist und ob - und gegebenenfalls wie - sich der Angeklagte selbst zum Tatvorwurf eingelassen hat. Ferner fehlen auch nähere Feststellungen zu den einschlägigen Vorstrafen des Angeklagten, aus denen sich möglicherweise Anhaltspunkte für die sonst vom Angeklagten entwickelte Vorgehensweise bei Eigentumsdelikten hätten ergeben können. Weiter fehlen im Urteil auch nachvollziehbare Feststellungen zu den örtlichen Gegebenheiten und der genauen Lage der zwei Zigarettenkippen im Verhältnis zum Tatobjekt, dem Tresor. Dem Urteil ist nicht zu entnehmen, ob die Spurenträger in unmittelbarer Nähe des Tresors oder weiter weg lagen, ob sie mit dem Sicherheitsfarbstoff überzogen oder frei von Farbe waren und ob sie Farbanhaftungen hätten aufweisen müssen, wenn sie vor Auslösen des Sicherheitssystems an den Tatort gelangt wären.

Im Übrigen lassen die Beweiserwägungen besorgen, dass das Landgericht überspannte Anforderungen an die zur Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung gestellt hat.

Nach den Feststellungen kommt allein der Angeklagte als Verursacher der DNA-Spuren am Tatort in Betracht. Spuren, die eindeutig anderen Tätern zuzuordnen wären, sind nicht erwähnt. Dass unbekannte Täter zwei Zigarettenkippen des Angeklagten eingesammelt und direkt am Tatort in der Nähe des aufgeflexten Tresors abgelegt haben oder dass der nicht in Trassenheide wohnhafte Angeklagte zufällig am verlassenen Tatort vorbeigekommen sein und dort zwei Zigaretten geraucht haben könnte, ist nicht nachvollziehbar und mit der Lebenserfahrung mangels gegenteiliger realer Anhaltspunkte unvereinbar. Wenn jemand den Verdacht auf den unbeteiligten Angeklagten hätte lenken wollen, hätte es wesentlich näher gelegen, diesem schneller zuzuordnende Spuren am Tatort zu hinterlassen. Wenn der - offenbar einschlägig erfahrene - Angeklagte den Tatort in der Tatnacht zufällig aufgesucht hätte, hätte nichts ferner gelegen, als direkt neben dem aufgebrochenen Tresor zwei Zigaretten zu rauchen, um so Gefahr zu laufen, am Tatort angetroffen zu werden. Um seine "professionelle Neugier" zu befriedigen, dürfte zudem ein Zeitraum ausreichend sein, der eine Zigarettenlänge nicht übersteigt.

Die Sache bedarf nach alledem erneuter Verhandlung und Entscheidung.

Ende der Entscheidung

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