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Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Urteil verkündet am 23.10.2003
Aktenzeichen: 1 U 182/01
Rechtsgebiete: BGB, GG, WaffG


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 839 Abs. 1
GG Art. 34
WaffG § Abs. 2
1.

Ein verjährter Anspruch bildet, wenn mit der Erhebung der Verjährungseinrede zu rechnen ist, kein Aktivvermögen, kraft dessen die Parteifähigkeit des Gläubigers als fortbestehend fingiert werden könnte.

2.

Veranstalter und damit verkehrssicherungspflichtig ist, wer die Veranstaltung organisiert und durchführt. Überlässt eine Kommune einem Verein die Organisation und Durchführung, wird sie nicht dadurch verkehrssicherungspflichtig, dass sie sich als Veranstalter bezeichnet, tatsächlich aber nur die sogenannte Schirmherrschaft übernimmt.

3.

Eine Behörde trifft ohne Hinzutreten besonderer Umstände nicht die Amtspflicht, die Einhaltung einer von ihr erteilten Auflage zu überprüfen. Ihr Verwaltungsermessen verdichtet sich nur dann zur Kontrollpflicht, wenn ein Verstoß gegen die Auflage erhebliche Gefahren birgt oder aufgrund der Lebenserfahrung, der Erfahrungen mit der beauflagten Person oder aufgrund sonstiger Anhaltspunkte mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.


Az.: 1 U 182/01

Lt. Protokoll verkündet am: 23.10.2003

Im Namen des Volkes URTEIL

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock auf die mündliche Verhandlung vom 09.10.2003 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Hillmann, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Jäschke und den Richter am Amtsgericht Bellmann

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Stralsund vom 02.10.2001 - Az.: 5 O 513/99 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO a.F. abgesehen.

Entscheidungsgründe:

A. Die Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Ohne Erfolg macht der Kläger aus dem Unfallereignis vom 20.07.1996 weiterhin gegen die Beklagten zu 2. und 3. einen Schmerzensgeldanspruch in Höhe von mindestens DM 30.000,- geltend. Ebenso vergeblich begehrt er die Feststellung ihrer Verpflichtung zum Ersatz seines künftigen materiellen und immateriellen Schadens.

I. Die Klage gegen den Zweitbeklagten ist unzulässig geworden. Der eingetragene Verein hat seine Parteifähigkeit verloren. Er ist liquidiert und im Register gelöscht worden.

1. Aktivvermögen, kraft dessen seine Parteifähigkeit als fortbestehend fingiert werden könnte (vgl. Senatsurteil vom 28.06.2001 - 1 U 203/99), hat er nach eigener Behauptung nicht. Solches behauptet nur die Beklagte zu 3. Für das hier in Rede stehende Prozeßrechtsverhältnis zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 2. ist das unbeachtlich. In diesem Verhältnis entscheidet nur das Vorbringen dieser beiden Parteien. Sie aber haben das Vorhandensein von Vereinsvermögen nicht behauptet. Der Kläger hat vielmehr klargestellt, eine entsprechende Behauptung nicht aufzustellen (GA 391). Wenngleich der Mangel der Parteifähigkeit von Amts wegen zu berücksichtigen ist (§ 56 ZPO), bedarf die Fiktion ihres Fortbestehens der Behauptung des Klägers, daß die aufgelöste und im Register gelöschte juristische Person noch über verteilungsfähiges Vermögen verfügt (vgl. BGH, MDR 1995, 529; 1991, 766).

2. Selbst diese Behauptung des Klägers genügte im Streitfall nicht. Der einzige in Betracht kommende Vermögensgegenstand ist der grundsätzlich für den verletzten Kläger pfändbare (vgl. Stöber, in: Zöller, ZPO, 23. Aufl., § 829 Rn. 33, Stichwort "Haftpflichtversicherung") und im Wege der Nachtragsliquidation prozessual auch durchsetzbare (Heinrichs, in: Palandt, BGB, 62. Aufl., § 52 Rn. 4 und § 29 Rn. 4 f.) Deckungsanspruch des Zweitbeklagten gegen seine Haftpflichtversicherung. Dieser ist indes wertlos, weil verjährt. Der dem Versicherungsnehmer einer Haftpflichtversicherung zustehende Anspruch auf Rechtsschutz und Befreiung von der Verbindlichkeit gegenüber dem Geschädigten wird schon vor seiner Umwandlung in einen Zahlungsanspruch fällig, sobald der geschädigte Dritte Ansprüche geltend macht. Die zweijährige Verjährungsfrist des § 12 Abs. 1 Satz 1 VVG beginnt deshalb mit Ablauf des Jahres, in dem der Dritte Ansprüche geltend macht (BGH, NJW 2003, 2376; OLG Hamm, VersR 1984, 256; OLG Düsseldorf, VersR 1981, 1072). Das tat der Kläger im Jahr 1999 (vgl. S. 6 der Klageschrift [GA 6] und Schreiben der AXA Colonia vom 25.06.1999 [GA 12] und vom 26.10.1999 [GA 13]). Die Verjährungsfrist endete somit am 31.12.2001. Daß sich der Haftpflichtversicherer hierauf gegenüber einem ggf. noch zu bestellenden Nachtragsliquidator des beklagten Vereins berufen würde, steht für den Senat außer Frage. Die A. Colonia verneint einen Haftungsfall schon dem Grunde nach (vgl. Schreiben vom 26.10.1999).

II. Die gegen die beklagte Hansestadt gerichtete Klage ist unbegründet.

1. Sie läßt sich auf die Verletzung einer Verkehrsicherungspflicht (§ 823 Abs. 1 BGB) nicht stützen. Der Drittbeklagten oblag keine Verkehrssicherungspflicht im Hinblick auf die Durchführung des zum Unfall führenden Musketenspektakels. Verkehrssicherungspflichtig ist derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft.

a. Indem die beklagte Hansestadt öffentliche Flächen zur Durchführung der Wallensteintage zur Verfügung stellte, traf sie lediglich die Wegesicherungspflicht (vgl. Bergmann/Schumacher, Die Kommunalhaftung, 3. Aufl., Rn. 510). Diese betrifft jedoch nicht die im Streitfall verwirklichte Gefahr.

b. Der Unfall beruht auf einem sorgfaltswidrigen Umgang des Erstbeklagten mit der auf den Kläger gerichteten Muskete. Dafür hat grundsätzlich der Veranstalter einzustehen. Das aber war nicht die Beklagte zu 3., sondern der Zweitbeklagte.

aa. Diese Tatsache hat der Kläger zunächst selbst vorgetragen (GA 4), später - unter Hinweis auf den zwischen der Zweit- und Drittbeklagten geschlossenen Vertrag (GA 38-42) - in Abrede genommen (GA 68) -, dann aber doch wieder eingeräumt (GA 112).

bb. Im übrigen ergibt sich die fehlende Veranstaltereigenschaft der beklagten Stadt aus den Umständen.

Veranstalter ist derjenige, der die Veranstaltung organisiert und durchführt (vgl. LG Rostock, NJW-RR 2003, 522 [523]; OLG Celle, OLGR 1999, 357; OLG Jena, MDR 1997, 1030; Bergmann/Schumacher, a.a.O., Rn. 511 f.). Dies war nach dem erwähnten Vertrag ausdrücklich dem Zweitbeklagten vorbehalten (§ 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 2 Abs. 1). Die beklagte Stadt übernahm lediglich die organisatorische Zuständigkeit für den ohnehin in ihrer kommunalen Verantwortung liegenden Verkehr (§ 5) und die versammlungsrechtliche Verantwortung (§ 5 Abs. 3). Daran ändert nichts, daß sie sich nach außen als "Veranstalter" gerierte (§ 1 Abs. 1 Satz 1, § 2 Abs. 3). Dahinter verbarg sich tatsächlich nicht mehr als die sogenannte Schirmherrschaft. Das war für den Besucherkreis auch ersichtlich. Die Werbung hatte klarzustellen, daß die die Person des eigentlichen Veranstalters kennzeichnende "Durchführung" der von der Stadt "veranstalteten" Wallensteintage dem beklagten Verein oblag (§ 2 Abs. 3). Wer sich weder an der Organistation noch an der Durchführung einer Veranstaltung beteiligt, kann ein Veranstalter - mag er sich auch unter Offenlegung der tatsächlichen Verhältnisse so bezeichnen - im haftungsrechtlichen Sinne jedenfalls nicht sein.

2. Die gegen die Drittbeklagte gerichtete Klage rechtfertigt sich auch nicht aus dem Institut der Amtshaftung (§ 839 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 34 GG).

a. Die beklagte Stadt traf keine Pflicht, die Erfüllung der von ihr in den an den beklagten Verein ergangenen Erlaubnisbescheiden vom 09.07.1996 (GA 43) und 18.07.1996 (GA 200) erteilten Auflagen (insbesondere: Benutzung des Forketts; Einhaltung eines Feuerungswinkels von 10 bis 20 %; Absperrung eines Sicherheitsbereichs) zu Beginn der Wallensteintage und sodann täglich ein- oder zweimal (GA 313) zu überprüfen.

aa. Das hier einschlägige Spezialgesetz verlangte dies von ihr nicht (§ 9 Abs. 2 WaffG).

bb. Ebenso wenig geboten ihre ordnungsbehördlichen Befugnisse eine Überwachung ihrer Auflagen.

(1) Im Verwaltungsrecht gilt das Opportunitätsprinzip. Das Nichteinschreiten begründet deshalb in der Regel keine Amtshaftungsansprüche (Erichsen/Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Aufl., S. 593 Rn. 16).

(2) Anderes gilt nur dann, wenn gewichtige und eines ordnungsbehördlichen Schutzes bedürftige Individualinteressen auf dem Spiel stehen, zu deren Schutz die Ermächtigung der Ordnungsbehörde zu dienen bestimmt ist. Eine sich hieraus ergebende Handlungspflicht zum Schutz eines bedrohten Individualinteresses ist Amtspflicht im Sinne des § 839 Abs. 1 BGB (BGH, NJW 1979, 1354 [1355 f.]). Der Bürger hat einen Anspruch darauf, daß die Polizei aufgrund der polizeilichen Generalklausel einschreitet, wenn eine erhebliche Gefährdung für wesentliche Rechtsgüter des einzelnen besteht (Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl., S. 619 Rn. 22).

(3) Aus diesem Grundsatz kann der Kläger für sich keinen Anspruch herleiten. Zwar steht außer Frage, daß die behördlichen Auflagen der beklagten Stadt der Sicherheit jedes einzelnen Besuchers der Veranstaltung und auch ihrer Akteure dienten. Das Gefährdungspotential der vom Beklagten zu 1. verwendeten Muskete geht aus dem Unfallereignis vom 20.07.1996 deutlich hervor. Gleichwohl mußte die beklagte Stadt die Erfüllung ihrer eigenen Auflagen nicht überwachen. Hierzu bestand für sie kein konkreter Anlaß. Anzeichen für eine Unzuverlässigkeit des Erst- oder der Zweitbeklagten gab es für sie nicht. Die vorangegangenen Wallensteintage verliefen ohne von ihnen zu verantwortende Unfälle. Sonstige Beanstandungen in der Vergangenheit zeigt das Vorbringen des Klägers nicht auf. Unter diesen Umständen verdichtete sich das ordnungsrechtliche Kontrollrecht der Drittbeklagten zu keiner Handlungspflicht.

(a) Zwar bedarf es hierzu nicht in jedem Falle einer bereits eingetretenen oder unmittelbar bevorstehenden Gefahr. Auch ohne eine solche kann das Maß an Gefährlichkeit zum Einschreiten zwingen. Das hat der Bundesgerichtshof etwa für die dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen obliegende Bankenaufsicht (BGH, NJW 1979, 1354) oder für den Betrieb einer das benachbarte Wasserschutzgebiet bedrohenden Deponie (BGHR BGB § 839 Abs 1 S 1 Dritter 44) anerkannt.

(b) Die von der Muskete des Erstbeklagten ausgehende Gefahr ist damit nicht zu vergleichen. Sie bestand nicht mit einer nach den Umständen nicht ganz fernliegenden Wahrscheinlichkeit für einen von ihren Wirkungen besonders betroffenen Personenkreis (vgl. BGH, NJW 1979, 1354: Verlust der Altersersparnisse) und war auch nicht für einen einzelnen in besonderem Maße dauerhaft latent vorhanden (vgl. BGH, BGHR BGB § 839 Abs. 1 S 1 Dritter: Eigentümer eines Wasserwerks). Vielmehr stellt sie sich ähnlich der üblichen Gefährdung eines Jahrmarktbesuchers dar, der dieser durch den zeitlich beschränkten Betrieb der Markt-, insbesondere der Schieß- und Fahrgeschäfte ausgesetzt ist. Für deren Sicherheit ist zunächst - etwas anderes besagt auch nicht das vom Kläger herangezogene Urteil des OLG Jena vom 05.08.1997 (VersR 1998, 990) - ausschließlich der Standinhaber verantwortlich. Ordnungsrechtlich einschreiten muß die Gemeinde erst dann, wenn für sie Gefahren für Dritte erkennbar werden. Ergibt sich die Gefährdung Dritter gerade aus der Nichterfüllung einer behördlichen Auflage zum Erlaubnisbescheid, entscheidet über eine Verdichtung des Verwaltungsermessens zur Überwachungspflicht im wesentlichen die Wahrscheinlichkeit, mit der die Nichtbefolgung der Nebenbestimmungen und der Eintritt eines Schadens objektiv zu erwarten sind. So hat das OLG Oldenburg mit gutem Grund eine Kommune zur Verantwortung gezogen, die trotz bekannter Gefahr für angrenzende Häuser im Wege einer Ausnahmegenehmigung den Schwerlastkraftverkehr zuließ und hierbei sorglos darauf vertraute, daß die zugleich angeordnete Schrittgeschwindigkeit von allen Verkehrsteilnehmern, auch den Fahrern der Baustellenfahrzeuge, eingehalten werden würde (vgl. MDR 1988, 672). Anders als dort mußte die hier beklagte Stadt nicht mit einer Mißachtung ihrer Auflagen rechnen. Dafür sprachen keine Lebenswahrscheinlichkeit, auch keine nachteiligen Erfahrungen mit dem Erst- oder dem Zweitbeklagten, und erst recht keine konkreten Anhalts- punkte bei und nach Erlaubniserteilung. Unter solchen Voraussetzungen ist es weder geboten noch der Ordnungsverwaltung zumutbar, die Beachtung ihrer eigenen Nebenbestimmungen in Zweifel zu ziehen und aus diesem Grunde von Amts wegen zu überprüfen.

b. Die beklagte Stadt haftet auch nicht wegen des unstreitigen Umstandes, daß der Erstbeklagte nicht haftpflichtversichert war.

aa. Zwar ergab sich aus dessen Antrag, daß für ihn lediglich eine private Unfallversicherung bestand, die das Risiko eines Unfalls mit Drittschaden nicht abdeckte.

bb. Die Drittbeklagte durfte gleichwohl von einem ausreichenden Haftpflichtschutz zugunsten der Veranstaltungsteilnehmer ausgehen. Sie hatte sich vom beklagten Verein eine Haftpflichtversicherung nachweisen lassen. Von dieser durfte sie annehmen, sie werde auch für ein Fehlverhalten des Erstbeklagten eintreten. Zwar bestand die Versicherung nur für Mitglieder des Vereins ("versichert: Verein mit 20 Mitgliedern"). Hierzu gehörte der Beklagte zu 1. nicht. Das aber war der beklagten Stadt nicht bekannt. Daß für sie nach den Umständen die fehlende Vereinszugehörigkeit des Erstbeklagten zu erkennen gewesen wäre, zeigt das Vorbringen des Klägers nicht auf. Vielmehr hat der Kläger eingeräumt, daß seitens des Zweitbeklagten bei der beklagten Stadt der Eindruck erweckt worden ist, die - vom Erstbeklagten angeführte - Historientruppe "Freie Kanoniere" sei eine (rechtlich unselbständige) Untergruppe des Vereins (GA 111/112). Unter diesen Umständen mußte die beklagte Stadt gegenüber dem Erstbeklagten nicht auf Abschluß einer eigenen Haftpflichtversicherung bestehen.

B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat seine Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision war nicht gemäß § 543 ZPO n.F. (§ 26 Nr. 7 EGZPO) zuzulassen, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

Ende der Entscheidung

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