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Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Urteil verkündet am 06.05.2004
Aktenzeichen: 1 U 183/02
Rechtsgebiete: ZPO, BGB
Vorschriften:
ZPO § 771 | |
BGB § 138 Abs. 1 | |
BGB § 854 | |
BGB § 929 |
Der Besitz an beweglichen Sachen begründet nicht in jedem Fall ein die Veräußerung hinderndes Recht i.S.v. § 771 Abs. 1 ZPO. Hierzu bedarf es grundsätzlich noch eines Rechts zum Besitz.
2.
Rein schuldrechtliche Ansprüche auf Verschaffung oder Belassung des Besitzes stellen ein die Veräußerung hinderndes Recht nur dar, wenn das obligatorische Recht geeignet ist, die Nichtzugehörigkeit der betreffenden Sache zum Vermögen des Schuldners zu begründen.
3.
Daran fehlt es, wenn der Schuldner die von ihm betriebene Hotelanlage einem Dritten zwar auf der Grundlage eines "Pachtvertrages" überläßt, dieser Vertrag jedoch als sog. Management-Vertrag ausgestaltet ist, bei dem zur Bewahrung erhaltener öffentlicher Zuschüsse das volle unternehmerische Risiko bei dem Schuldner verbleibt.
4.
Ein Sicherungsübereignungsvertrag mit einer Übersicherung von 500 % ist sittenwidrig und damit nichtig.
Az.: 1 U 183/02
lt. Protokoll verkündet am: 06.05.2004
Im Namen des Volkes URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock auf die mündliche Verhandlung vom 29.04.2004 durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Hillmann, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Garbe und den Richter am Amtsgericht Nübel
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten zu 4. wird das am 09.07.2002 verkündete Schlußurteil des Einzelrichters der 1. Zivilkammer des Landgerichts Schwerin - Az.: 1 O 58/02 - teilweise geändert:
Die Klage gegen die Beklagte zu 4. wird abgewiesen.
Unter Aufrechterhaltung der Kostenentscheidung des Landgerichts im übrigen werden der Klägerin von den Kosten des ersten Rechtszuges - bei Wegfall der Kostentragungspflicht der Beklagten zu 4. - jeweils 28 % der Gerichtskosten und ihrer außergerichtlichen Kosten sowie die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 4. auferlegt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich im Wege der Drittwiderspruchsklage u.a. gegen Pfändungsmaßnahmen der Beklagten gegen die Schuldnerin in Gegenstände der von dieser früher betriebenen Hotelanlage.
Ein die Veräußerung hinderndes Rechts i.S.v. § 771 Abs. 1 ZPO leitet die Klägerin aus dem mit der später insolvent gewordenen Schuldnerin unter dem 25.10.2001 geschlossenen "Pachtvertrag" her sowie aus dem Sicherungsübereignungsvertrag vom gleichen Tag, von dem die Einrichtungsgegenstände des Hotelbetriebes erfaßt sind.
Der Pachtvertrag sieht vor, daß dieser zunächst (bis zum 01.01.2005) als sog. Management-Vertrag durchgeführt wird und die Schuldnerin mit Rücksicht auf erhaltene öffentliche Zuschüsse bis dahin das volle unternehmerische Risiko trägt. Dem entsprechend verpflichtete sich die Schuldnerin, bis zum 31.12.2004 anfallende negative Betriebsergebnisse durch die Gewährung eines jährlich nachträglich zu zahlenden, der Höhe nach unbegrenzten "Pre-Opening-Zuschuss", den die Vertragparteien zunächst mit DM 750.000,00 bezifferten, zu tragen.
Zur Sicherung des Anspruchs der Klägerin auf die "Pre-Opening-Zuschüsse" übereignete die Schulderin zum 01.12.2001 der Klägerin die Einrichtungsgegenstände des Hotelbetriebes zu einem angegebenen Buchwert von ca. DM 1.100.000,00.
Am 30.01.2002 ließen die Beklagte und andere Gläubiger der Schuldnerin durch den von ihnen beauftragen Gerichtsvollzieher eine Vielzahl dieser Einrichtungsgegenstände pfänden. Die Klägerin vertritt die Auffassung, sie habe vorrangig und wirksam Sicherungseigentum hieran erlangt, aber auch der - vollzogene - Pachtvertrag mit der Schuldnerin gebe ihr - der Klägerin - ein die Veräußerung hinderndes Recht.
Dem ist das Landgericht gefolgt. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte Erfolg.
Gründe:
I.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 540 Abs.2 i.V.m. § 313 a Abs.1 S.1 ZPO abgesehen.
II.
Die - zulässige - Berufung ist begründet. Entgegen der Auffassung des Landgerichts steht der Klägerin für ihre Drittwiderspruchsklage nach § 771 Abs.1 ZPO an den von der Beklagten zu 4. gepfändeten Gegenständen kein die Veräußerung hinderndes Recht zu.
1.
Die Berufungsbegründung erfüllt entgegen der Auffassung der Klägerin die Voraussetzungen des § 520 ZPO. Sie läßt das Ziel des Rechtsmittels erkennen und führt hinreichend deutlich aus, daß und aus welchen Gründen das Landgericht ein die Veräußerung hinderndes Recht der Klägerin zu Unrecht in dem durch den Pachtvertrag vermittelten Besitz gesehen hat und daß und aus welchen Gründen die zugrunde zu legenden Tatsachen eine Nichtigkeit sowohl des Pachtvertrages als auch des Sicherungsübereignungsvertrages zur Folge haben können.
2.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts begründet der Besitz an beweglichen Sachen nicht ohne weiteres ein die Veräußerung hinderndes Recht im Sinne von § 771 Abs.1 ZPO.
a) Zwar hat das Reichsgericht in wohl ständiger Rechtsprechung (vgl. RGZ 14, 358/365; RGZ 34, 423/424 und JW 1921, 1246 f) die Auffassung vertreten, daß bereits der Besitz ein die Veräußerung hinderndes Recht sei, "sofern dieser derart ausgestaltet ist, daß er Anspruch auf Rechtsschutz gewährt." Grundlage hierfür war, wie sich aus der Begründung zu RGZ 14, 365 ergibt, eine Königlichen Verordnung vom 07.09.1879, nach der allein die Pfändung der im Gewahrsam des Schuldners befindlichen Sachen statthaft war, nicht aber auch die Pfändung von Sachen im Gewahrsam eines nicht zur Herausgabe bereiten Dritten.
Unter Bezugnahme auf die letztgenannte Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1921 vertreten Zöller/Herget, ZPO, 23.Auflage, Rdz. 14 - Besitz - sowie Baumbach-Lauterbach-Hartmann , ZPO, 61.Aufl. , Rdz. 15 - Besitz - ebenfalls, allerdings ohne eigene Begründung, diese Auffassung.
Demgegenüber erkennt die inzwischen wohl herrschende Auffassung im neueren Schrifttum dem Besitz als solchem diese Wirkung nicht zu, sondern allein dem Recht zum Besitz (vgl. K. Schmidt in: Münchener Kommentar zur ZPO, 2.Aufl., Rdz. 38 zu § 771; Rosenberg/Gaul/Schilken, ZwangsvollstreckungsR, 11.Auf- lage, § 41 Nr.6 [S.678/679]; Musielak/Lackmann, ZPO, 3.Auflage, Rdz. 24 zu § 771; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22.Aufl., Rdz. 35 zu § 771 und wohl auch Thomas/Putzo, ZPO, 25.Aufl., Rdz. 21 zu § 771).
b) Der Senat teilt die letztgenannte Auffassung. Der Besitz als solcher ist kein Recht und sagt über die Vermögenszugehörigkeit einer Sache nichts aus. Bereits aus diesem Grund kann der Besitz allein nicht die Klage aus § 771 ZPO rechtfertigen. Der Gewahrsam eines mit dem Schuldner nicht identischen Dritten ist durch §§ 809, 766 ZPO vollstreckungsrechtlich geschützt. Ein Interventionsrecht nach § 771 ZPO kann dementsprechend allein aus seinen dinglichen oder obligatorischen Rechten hergeleitet werden (so ausdrücklich Schmidt, a.a.O.; Schilken, a.a.O.).
c) Deshalb kommt es entscheidend darauf an, ob die Klägerin im Zeitpunkt der Pfändung tatsächlich Besitzerin der gepfändeten Einrichtungsgegenstände war und ihr hierfür ein obligatorisches Recht zur Seite stand.
Beides ist nicht der Fall.
aa) Zwar erlangt ein Pächter in Vollzug des Pachtvertrages in der Regel unmittelbaren Besitz an dem verpachteten Gegenstand und dessen Zubehör.
Im vorliegenden Fall kann indes nicht von einem Pachtverhältnis zwischen der Schuldnerin und der Klägerin ausgegangen werden. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut und dem Inhalt der vertraglichen Vereinbarung zwischen beiden. Nach § 3 Abs.1 des sog. Pachtvertrages vom 15.10.2001 ist dieser "bis zum 01.01.2005 als Management-Vertrag" ausgestaltet und erst für die Zeit danach als "normaler Pachtvertrag". Das gemeinsame Verständnis der Vertragsparteien ging mithin dahin, daß die Klägerin zunächst die Hotelanlage für die Schuldnerin "managen" sollte. Der Managementvertrag ist in aller Regel Dienstvertrag mit Geschäftsbesorgungscharakter (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 62.Aufl., Rdz. 23 zu § 675 m.w.N.).
Zudem spricht für eine derartige Wertung die gewählte Konstruktion der bis Ende 2004 von der Schuldnerin zu zahlenden sog. Pre-Opening-Zuschüsse (§ 4 Ziffer 3), deren prognostizierte Höhe die vereinbarten Pachtzahlungen um 126.000,00 DM und damit erheblich überstiegen. Wirtschaftlich und rechtlich sollte die Schuldnerin auch weiterhin bis Ende 2004 das "volle unternehmerische Risiko" tragen (so ausdrücklich § 3 Abs.1 und § 4 Ziffer 3 des Vertrages).
Aus dieser Konstruktion folgt, daß die Schuldnerin bis zur Pfändung am 30.01.2002 als faktische und rechtliche Geschäftsherrin/Auftraggeberin ihren - unmittelbaren - Besitz an den Einrichtungsgegenständen nicht verloren hatte. Die Klägerin ihrerseits war allenfalls untergeordnete Mitbesitzerin, nach zutreffender Auffassung sogar nur Besitzdienerin (vgl. BGH, WM 1960, 1148/1149).
Mithin kann die streitige Frage, ob die Klägerin tatsächlich den Hotelbetrieb zum 01.01.2002 "übernommen" hat, offenbleiben; selbst in einem solchen Falle käme der Klägerin nach der bestehenden vertraglichen Vereinbarung lediglich die Position einer Besitzdienerin zu.
Wenn diese vertragliche Konstruktion allein gewählt worden war, um die erhaltenen Fördermittel nicht zu gefährden, kann sich die Klägerin hierauf nicht berufen. Sie muß sich vielmehr auch gegenüber den Gläubigern der Schuldnerin hieran festhalten lassen.
bb) Hiervon abgesehen steht der Klägerin auch kein Recht zum Besitz zur Seite, welches sie der Beklagten zu 4. und den anderen Gläubigern der Schuldnerin entgegenhalten könnte.
Ein solches Recht wird der Klägerin auch durch die als Pachtvertrag bezeichneten Vereinbarung vom 15.10.2001 nicht verliehen.
Es ist anerkannt, daß auch schuldrechtliche Ansprüche unter bestimmten Voraussetzungen ein die Veräußerung hinderndes Recht im Sinne von § 771 ZPO begründen können. Dies setzt allerdings voraus, daß das obligatorische Recht geeignet ist, "die Nichtzugehörigkeit des betreffenden Gegenstandes zum Vermögen des Schuldners zu begründen" (so Schilken, a.a.O., § 41 Nr. 7 [S.679]; ähnlich K. Schmidt, a.a.O., Rdz. 39 zu § 771, und im Ergebnis auch Münzberg, a.a.O., Rdz. 38 zu § 771).
Dementsprechend berechtigen obligatorische Ansprüche, die lediglich auf Verschaffung oder - wie hier - auf Belassung von Besitz gerichtet sind, nicht zum Widerspruch nach § 771 ZPO. Denn insoweit gehört der gepfändete Gegenstand nach wie vor zum Vermögen des Schuldners.
Dieses Ergebnis ist interessengerecht. Der Gläubiger einer obligatorischen, bereits rechtskräftig festgestellten und vollstreckbaren Forderung ist schutzwürdiger als der Inhaber einer ebenfalls obligatorischen Forderung, die - wie hier - erst nach Eintritt von Rechtskraft und Vollstreckbarkeit der anderen Forderung entstanden ist.
Obligatorische Ansprüche können somit nur dann ein Widerspruchsrecht begründen, wenn sie auf Rückgabe einer überlassenen und später gepfändeten Sache gerichtet sind (Schilken, a.a.O.; K. Schmidt, a.a.O.; Münzberg, a.a.O.). Dies trifft auf den Vermieter oder Verpächter zu, wenn der Vertragsgegenstand von Gläubigern des Mieters oder Pächters gepfändet werden soll. Um einen solchen Rückgabeanspruch geht es hier jedoch nicht, sondern allenfalls um einen obligatorischen Anspruch auf Belassung des gepfändeten Gegenstandes.
3.
Auch der Sicherungsübereignungsvertrag vom 15.10.2001 verleiht der Klägerin kein die Veräußerung hinderndes Recht im Sinne von § 771 Abs.1 ZPO.
a) Zwar ist der Sicherungsnehmer grundsätzlich widerspruchsberechtigt bei einer Zwangsvollstreckung durch Gläubiger des Sicherungsgebers (vgl. Zöller/Herget, a.a.O., Rdz. 14 zu § 771 - Sicherungsübereignung - m.w.N.).
b) Indes hat die Beklagte zu 4. substantiiert die Identität der gepfändeten Gegenstände mit den sicherungsübereigneten Gegenständen bestritten. Daß sämtliche in der Liste der gepfändeten Sachen aufgeführten Gegenstände von den Anlagen zum Sicherungsübereignungsvertrag erfaßt werden, erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Dementsprechend war es Sache der Klägerin, die Identität im einzelnen darzulegen und unter Beweis zu stellen. Dies hat die Klägerin nicht getan; die Berufung auf die Anlagen zum Sicherungsübereignungsvertrag allein genügt insoweit nicht.
c) Zudem dürfte dieser Sicherungsübereignungsvertrag wegen einer sittenwidrigen Übersicherung nach § 138 Abs.1 BGB nichtig sein. Mit ihm hat die Schuldnerin Einrichtungsgegenstände im Buchwert von über 1,1 Mio DM zur Sicherung von Forderungen übereignet, die nach dem Vertrag zwar entsprechend der geschäftlichen Entwicklung in unbegrenzter Höhe entstehen konnten, nach den Vorstellungen der Vertragsparteien, so wie sie in § 4 Ziffer 3 c) zum Ausdruck kommen, indes nur in Höhe von insgesamt 750.000,00 DM zu erwarten waren. Hiervon waren die nach dem Vertragstext geschuldeten Pachtzinsen in Höhe von insgesamt 624.000,00 DM in Abzug zu bringen. Damit hat die Schuldnerin der Klägerin für eine erwartete Forderung von insgesamt ca. 126.000,00 DM Gegenstände im angenommenen Wert von 1,1 Mio. DM zur Sicherheit übereignet. Dies bedeutet eine Übersicherung von annähernd 900 %. Selbst wenn man der Klägerin nur hinsichtlich der von ihr für die Jahre 2003 und 2004 geschuldeten Pachtzinsen in Höhe von zusammen 444.000,00 DM eine Verrechnungsmöglichkeit zubilligt, errechnet sich eine zu besichernde Forderung von 206.000,00 DM (750.000,00 DM abzüglich 444.000,00 DM), was eine Übersicherung von jedenfalls ca. 500 % bedeutet. Auch dies wäre sittenwidrig (vgl. Palandt/Bassenge, a.a.O., Rdz. 23 ff zu § 930 m.w.N.).
4.
Da der Klägerin bereits aus den vorgenannten Gründen kein die Veräußerung hinderndes Recht im Sinne von § 771 Abs.1 ZPO zur Seite steht und ihre Drittwiderspruchsklage deshalb keinen Erfolg haben konnte, hatte der Senat nicht zu entscheiden, ob Pachtvertrag und Sicherungsübereignung darüber hinaus als Scheingeschäfte nach § 117 Abs.1 BGB oder aus anderen Gründen nach § 138 Abs.1 BGB nichtig sind oder möglicherweise eine strafrechtlich relevante Benachteiligung der Gläubiger der Vollstreckungsschuldnerin ihre Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit nach § 134 BGB begründen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs.1 ZPO.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat seine Grundlage in §§ 708 Nr.10, 713 ZPO.
Die Revision war nicht gemäß § 543 ZPO zuzulassen, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Ende der Entscheidung
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