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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Urteil verkündet am 23.10.2003
Aktenzeichen: 1 U 98/02
Rechtsgebiete: BGB, GG, BBG


Vorschriften:

BGB § 254 Abs. 1
BGB § 839 Abs. 1
GG Art. 34
BBG § 5 Abs. 4
Die trotz fehlender gesetzlicher Voraussetzungen erfolgende Ernennung eines Beamten auf Zeit ist mit den Wirren der Wendezeit nicht zu entschuldigen.
Az.: 1 U 98/02

Lt. Protokoll verkündet am: 23.10.2003

Im Namen des Volkes URTEIL

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock auf die mündliche Verhandlung vom 09.10.2003 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Hillmann, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Garbe und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Jäschke

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung seines weitergehenden Rechtsmittels das Urteil der Hilfszivilkammer 4a des Landgerichts Stralsund vom 03.04.2000 - Az.: 4a O 474/97 - teilweise geändert und wie folgt gefaßt:

Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den hälftigen Schaden zu ersetzen, der ihm seit dem 01.12.1994 dadurch entstanden ist und künftig entstehen wird, daß er nicht am 18.08.1991 in das Beamtenverhältnis auf Zeit berufen worden und nicht bis zum Zugang der Zurruhesetzungsverfügung des Amtes A. S. vom 18.02.1993 im Status eines Beamtem auf Zeit beschäftigt gewesen ist.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

(Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO a.F. abgesehen).

Entscheidungsgründe: A.

Die Berufung des Klägers ist zulässig und zum Teil auch begründet.

I. Die beklagte Gemeinde ist dem Kläger aus § 839 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 34 GG in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zum Schadensersatz verpflichtet. Ihre Haftung rechtfertigt sich aus der Verletzung einer ihr obliegenden Amtspflicht.

1. Es gehört zu den Fürsorgepflichten der zuständigen Beamten des Dienstherrn, daß sie bei der Bearbeitung einer Beamtenernennung die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften beachten (BGH, ZfB 1953, 92 [93]). Der stellvertretende Bürgermeister G. und der Gemeindevertretervorsteher N. haben das nicht getan. Sie haben den Kläger am 03.10.1990 in das Beamtenverhältnis auf Zeit berufen. Das war im Land Mecklenburg-Vorpommern aus den im Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 31.05.1995 - Az.: 3 A 377/93 - (GA 77-84) genannten (GA 81/82) und zwischen den Parteien nicht streitigen Gründen rechtlich (noch) nicht möglich und deshalb unwirksam.

2. Die beiden Gemeindevertreter trifft der Vorwurf einfacher Fahrlässigkeit.

a. Sie hätten bei gehöriger Prüfung erkennen können und müssen, daß eine Ernennung des Klägers zum Beamten auf Zeit nach dem übergangsweise geltenden Bundesrecht nicht möglich war. Daß § 5 Abs. 4 BBG ("Gesetzliche Vorschriften, nach denen Personen auf eine bestimmte Zeitdauer in das Beamtenverhältnis berufen werden können, bleiben unberührt"), hierfür keine Grundlage bot, sondern vielmehr eine gesetzliche - in Mecklenburg-Vorpommern erst mit § 4 Abs. 3 des Ersten Beamtenrechtsregelungsgesetzes vom 18.07.1991 geschaffene - Vorschrift voraussetzte, konnte keinem Zweifel unterliegen. Von einer "Komplexität" der Bestimmung (S. 7 des angefochtenen Urteils) kann nicht die Rede sein. Ihre objektiv unrichtige Anwendung läßt - anders als bei einer neuen, rechtlich schwierigen, unklaren und höchstrichterlich noch nicht geklärten Gesetzesvorschrift (BGH, VersR 1963, 782) - das Verschulden nicht entfallen. Im übrigen hat sich die beklagte Gemeinde auch im zweiten Rechtszug auf kein Fehlverständnis des § 5 Abs. 4 BBG berufen. Vielmehr ist davon auszugehen, daß die Gemeindevertreter G. und N. die Vorschrift überhaupt nicht kannten.

b. Diese Unkenntnis kann nicht mit den Wirren der Wendezeit entschuldigt werden. Zwar konnten von der beklagten Gemeinde im Zeitpunkt der Wiedervereinigung noch keine spezifischen Kenntnisse des gesamten bundesdeutschen Rechts erwartet werden. Als Dienstherr (§ 2 Abs. 2 LBG M-V) mußte sie aber in dem ihr unbekannten Personalrecht besondere Sorgfalt walten lassen und ggf. die Hilfe Dritter in Anspruch nehmen. Die Frage, ob eine zeitweise Verbeamtung des Klägers rechtlich zulässig ist, hätte sie beispielsweise an das Innenministerium richten können. Dazu hatte sie auch nach eigenem Vorbringen Anlaß. Danach sah sie sich außerstande, "die Tragweite und Komplexität des Bundesbeamtengesetzes zu durchschauen und zu erkennen, daß es an einer Ermächtigungsgrundlage zur Ernennung einer Person in das Beamtenverhältnis auf Zeit mangelte" (GA 151). Nicht erst konkrete Zweifel, sondern die bloße Unkenntnis der rechtlichen Grundlagen für das Verwaltungshandeln gaben der Gemeinde ausreichend Grund, sich über die Möglichkeit einer Verbeamtung auf Zeit zu vergewissern. Dafür hatte sie auch genügend Zeit. Zwischen Ausschreibung (01.06.1990) und Ernennung (03.10.1990) lagen vier Monate.

II. Den Kläger trifft ein Mitverschulden (§ 254 Abs. 1 BGB).

1. Zwar läßt sich dieses nicht damit begründen, daß der Kläger gemeinsam mit seinem Sohn die Ernennungsurkunde entworfen hat. Damit übernahm er nicht die Gewähr für die Zulässigkeit seiner Ernennung. Diese obliegt allein dem Dienstherrn.

2. Allerdings war der Kläger aufgrund des mit dem damaligen Staatssekretär des Bundesinnenminsteriums, W., vor dem 03.10.1990 geführten Telefonats gehalten, die Frage seines Beamtenstatus zu klären oder klären zu lassen. Denn dieses Gespräch hatte er gerade deshalb geführt, um "Rechtssicherheit" zu haben (GA 93). Mit der Auskunft des Innenstaatssekretärs war das nicht erreicht. Denn dieser wies auf die Geltung des Bundesbeamtengesetzes sowie auf die Verpflichtung der Länder hin, schnellstmöglich Landesbeamtengesetze zu erlassen. Die entscheidende Frage, ob derzeit eine Verbeamtung auf Zeit möglich sei, blieb damit ungeklärt. Der Kläger, der wissen wollte, "wie es mit seiner Beamtenstellung denn nun sei", hat sie offensichtlich gar nicht erst gestellt. Angesichts der von ihm als Beamten des gehobenen Verwaltungsdienstes erkannten rechtlichen Unsicherheit widersprach dies dem eigenen Interesse.

III. Die beidseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile der Parteien haben gleiches Gewicht. Beide Seiten haben eine Prüfung der rechtlichen Grundlage für eine Verbeamtung auf Zeit unterlassen, zu der die beklagte Gemeinde als Dienstherr verpflichtet und der Kläger aufgrund besonderer Umstände gehalten war.

IV. Dies führt zu einer hälftigen Teilung desjenigen Schadens, der dem Kläger seit dem 01.12.1994 (Einstellung der Bezüge) dadurch entstanden ist und künftig entstehen wird, daß er nicht am 18.08.1991 in das Beamtenverhältnis auf Zeit berufen worden und in diesem Status bis zu seiner Zurruhesetzung beschäftigt gewesen ist. Der Wortlaut des im Verhandlungstermin neu gefaßten Berufungsantrages bedurfte im Feststellungsausspruch einer entsprechenden Konkretisierung.

1. Der geänderte Feststellungsantrag des Klägers könnte weiterhin als das Begehren verstanden werden, ihn so zu stellen wie er stehen würde, wenn die Beamtenernennung vom 03.10.1990 wirksam gewesen wäre. Das aber war auch bei pflichtgemäßem Handeln der beklagten Gemeinde aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Bei der Amtspflichtverletzung beantwortet sich der ersatzfähige Schaden nach der Frage, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten der Beamten genommen hätten und wie die Vermögenslage des Verletzten wäre, wenn der Beamte die Amtspflichtverletzung nicht begangen, sondern pflichtgemäß gehandelt hätte (BGH, BGHR BGB § 852 Abs. 1 "Kenntnis 21"). Mithin kommt es darauf an, wie sich der Kläger entschieden hätte, wenn er pflichtgemäß über die rechtlichen Gegebenheiten aufgeklärt worden wäre.

a. Nach den Umständen ist davon auszugehen, daß in diesem Fall der Kläger - obwohl ihm nach unstreitigem Vorbringen am Beamtenstatus gelegen war - nicht als Amtmann in H. verblieben wäre, sondern das Bürgermeisteramt im Seebad B. - zunächst im Angestelltenverhältnis - angenommen hätte. Dafür sprechen die nachfolgenden Erwägungen, denen der Kläger in der Berufungsverhandlung nicht entgegengetreten ist.

aa. Zum einen hätte die Gemeinde ihm bei pflichtgemäßer Aufklärung mitgeteilt, daß nach dem Einigungsvertrag alle neuen Bundesländer zum Erlaß eines Beamtengesetzes bis zum 31.12.1991 verpflichtet waren. Es war keine Spekulation, daß dann - wie andere Bundesländer - auch das Land Mecklenburg-Vorpommern die hauptamtlichen Bürgermeister in den Status eines Wahlbeamten auf Zeit versetzen würde, was mit dem Ersten Beamtenrechtsregelungsgesetz vom 18.07.1991 dann auch tatsächlich erfolgt ist (§ 4 Abs. 3).

bb. Mit der Option, aufgrund des noch zu erlassenden Gesetzes zeitnah zum Beamten auf Zeit ernannt und künftig nach A 13 statt nach A 11 besoldet zu werden, war es für den Kläger durchaus überlegenswert, das Amt des Bürgermeisters zunächst im Angestelltenverhältnis zu versehen.

cc. Es kommt hinzu, daß sich der Kläger eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür ausrechnete, nach der ersten Wahlperiode wiedergewählt zu werden und bis zu seiner Pensionierung Bürgermeister zu bleiben (GA 93). Dann aber rechnete sich das Amt in B. in einem solchen Maße, daß der Kläger seine Zurückhaltung gegenüber einer (vorübergehenden) Beschäftigung im Angestelltenverhältnis durchaus hätte aufgeben können und dies voraussichtlich auch getan hätte.

b. Einen hiervon abweichenden Kausalverlauf - etwa das Verbleiben im Dienst der Gemeinde H. - zeigt das Vorbringen des Klägers letztlich nicht auf. Zwar wirken sich die Beweiserleichterungen, die für die haftungsausfüllende Kausalität gelten (§ 287 ZPO), auch auf die Darlegungslast aus (BGH, BGHR BGB § 852 Abs. 1 "Kenntnis 21"). Das befreit den Verletzten aber nicht davon, Tatsachen vorzutragen, die den Eintritt eines bestimmten Schadensverlaufs als überwiegend (BGH, a.a.O.) oder gar als an Sicherheit grenzend wahrscheinlich (BGH, MDR 1984, 205) erscheinen lassen. Dies kann für die Entscheidung des Klägers, bei pflichtgemäßer Aufklärung der beklagten Gemeinde Amtmann in H. geblieben zu sein, nicht angenommen werden.

c. Ist somit davon auszugehen, daß der Kläger das Bürgermeisteramt zunächst im Angestelltenverhältnis ausgeübt hätte, verbleibt die Frage nach dem weiteren Verlauf der Dinge.

Mit hinreichender Wahrscheinlichkeit (§ 287 ZPO) wäre der Kläger, wenn er nicht schon zuvor pflichtwidrig unwirksam ernannt worden wäre, nach Inkrafttreten des Ersten Beamtenrechtsregelungsgesetzes vom 18.07.1991 gemäß § 4 Abs. 3 zum Beamten auf Zeit ernannt worden. Das Gesetz eröffnete insoweit kein Ermessen. Der Senat schätzt den angemessenen Zeitraum, binnen dessen der Kläger zum Zeitbeamten hätte ernannt werden können und müssen, auf einen Monat. An dem somit maßgeblichen Stichtag (18.08.1991) standen Versuche seiner Abwahl einer beamtenrechtlichen Ernennung noch nicht entgegen. Der erste - unwirksame - Abwahlversuch erfolgte am 30.01.1992 (GA 78).

d. Die weiteren Dinge wären nicht anders verlaufen als tatsächlich geschehen: Der Kläger wäre am 27.11.1992 abgewählt und - als wirksam ernannter Beamter auf Zeit - mit Verfügung vom 18.02.1993 (GA 7 a) in den Ruhestand versetzt worden. Über den Ablauf der Wahlperiode hinaus hätte er bis einschließlich November 1994 genau diejenigen Bezüge (§ 4 Abs. 1 BBG) und Ruhegehälter (§ 14 BeamtVG) erhalten, die ihm tatsächlich gewährt worden sind. Auch an der Beihilfeberechtigung der Kläger hätte sich bis zur Einstellung der Bezüge (ab Dezember 1994) nichts zu seinen Gunsten geändert.

2. Der ersatzfähige Schaden beschränkt sich deshalb auf die Hälfte (III.) derjenigen Vermögenseinbußen, die der Kläger seit dem 01.12.1994 erleidet, weil ihm in der Zeit vom 18.08.1991 bis zu seiner vorzeitigen Zurruhesetzung (Zugang der Verfügung vom 18.02.1993) der Beamtenstatus fehlte. Als solchen Schaden hat der Kläger die gegenüber dem Ruhegehalt (§§ 14, 6 Abs. 1 BeamtVG) geringere Sozialversicherungsrente und die fehlende Beihilfeberechtigung im Krankheitsfall dargetan. Dies genügt für eine Feststellung nach § 256 ZPO.

B.

I. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

II. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat seine Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

III. Die Revision war nicht gemäß § 543 ZPO n.F. (§ 26 Nr. 7 EGZPO) zuzulassen, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat (vgl. hierzu: BGHZ 152, 182 = BGHReport 2002, 1107 = NJW 2003, 65 = ZIP 2002, 2148) und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

Ende der Entscheidung

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