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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 23.04.2008
Aktenzeichen: 1 UH 3/08
Rechtsgebiete: ZPO, GVG, BGB


Vorschriften:

ZPO § 17 Abs. 1
ZPO § 29
ZPO § 29 Abs. 1
ZPO § 35
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 36 Abs. 2
ZPO § 37
ZPO § 180
ZPO § 181
ZPO § 281
ZPO § 281 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 281 Abs. 2 Satz 4
ZPO § 690 Abs. 1 Nr. 5
GVG § 119 Abs. 1 Nr. 2
BGB § 269 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock Beschluss

1 UH 3/08

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock am 23. April 2008 beschlossen:

Tenor:

Das Landgericht Stralsund wird zum zuständigen Gericht bestimmt.

Gründe:

I.

Die Klägerin macht gegen die Beklagte Rückzahlungsansprüche aus einem gekündigten Girokontovertrag geltend.

Dazu trägt sie vor, sie bzw. ihre Rechtsvorgängerin, die Sparkasse S., habe am 08.11.2001 einen Girovertrag abgeschlossen mit "Herrn W. A. und Herrn D. A. in GbR, T. Straße, S.", die dort eine Pension betrieben hätten. Aufgrund erheblicher Überziehungen, die nicht zurückgeführt worden seien, habe sie - die Klägerin - der Beklagten mit Schreiben vom 13.10.2003 die gesamte Geschäftsbeziehung gekündigt und insbesondere den Saldo auf dem Girokonto fällig gestellt.

Mit Datum vom 12.01.2007 wurde auf Antrag der Klägerin ein Mahnbescheid erlassen gegen "Firma W. A. + D. A. GbR", der allerdings nicht unter der zunächst angegebenen Adresse in S., T. Straße zugestellt werden konnte, sondern am 07.02.2007 unter der Anschrift R.straße, R.-W..

Gegen den Mahnbescheid wurde - mit einer nicht leserlichen Unterschrift versehen - Widerspruch eingelegt. Dabei wurde auf dem Vordruck die Bezeichnung des Antragsgegners "W. A. + D. A. GbR" durchgestrichen und mit dem handschriftlichen Vermerk "gibt es nicht" versehen. Außerdem ist als geänderte Anschrift "K., D.straße" angegeben.

Nach Abgabe des Verfahrens an das im Mahnbescheidsantrag gemäß § 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO bezeichnete Landgericht Stralsund begründete die Klägerin mit Schriftsatz vom 04.12.2007 dort ihren Anspruch, beantragte die Verweisung des Rechtsstreits an das (für K. zuständige) Landgericht Cottbus und kündigte den Antrag an, die Beklagten (gemeint sind wohl W. und D. A.) als Gesamtschuldner zu verurteilen. Auf entsprechende Nachfrage des Gerichts stellte die Klägerin mit Schriftsatz vom 20.12.2007 klar, dass Beklagte die "W. A. + D. A. GbR" - die Antragsgegnerin des Mahnverfahrens - sei.

Die klägerischen Schriftsätze vom 04.12. und 20.12.2007 wurden der Beklagten ausweislich der entsprechenden Urkunde am 29.12.2007 unter der Anschrift in R.-W. gemäß § 180 ZPO zugestellt mit der Gelegenheit zur Stellungnahme zunächst nur zum Verweisungsantrag. Eine Äußerung erfolgte vorerst nicht. Allerdings ging die - scheinbar ungeöffnete - Sendung am 07.10.2008 wieder beim Landgericht Stralsund ein, wobei auf dem Umschlag die Adresse durchgestrichen und daneben handschriftlich vermerkt war: "nicht bekannt". Ein Hinweis auf den Verfasser findet sich nicht. Mit am selben Tag bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 14.01.2008 (einem Montag) meldeten sich schließlich die Prozessbevollmächtigten der Beklagten zur Akte und beantragten die Verlängerung der Frist zur Stellungnahme zum Verweisungsantrag.

Bereits mit Beschluss vom 07.01.2008 hatte sich das Landgericht Stralsund für örtlich unzuständig erklärt und "den Rechtsstreit auf Antrag der Klägerin gemäß § 281 ZPO an das für den Wohnsitz der Beklagten zuständige Landgericht Cottbus" verwiesen. Dieses erklärte sich - ohne vorherige Anhörung der Parteien - mit Beschluss vom 23.01.2008 ebenfalls für örtlich unzuständig und an den Verweisungsbeschluss des Landgerichts Stralsund nicht gebunden. Gleichzeitig legte es die Sache gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dem Oberlandesgericht Rostock vor. Zur Begründung führte es aus, das Landgericht Cottbus sei offenkundig nicht zuständig, weil der Wohnsitz der Beklagten klar ersichtlich nicht in seinem Bezirk liege. Stelle man auf den Sitz der Beklagten (allein der GbR) ab, sei zuständig das Landgericht Bielefeld. Der Verweisungsbeschluss vom 07.01.2008 sei daher objektiv willkürlich.

Beide Beschlüsse wurden den Parteien jeweils bekannt gegeben. Der Senat hat den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, diese ist nicht genutzt worden.

II.

Gemäß §§ 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2, 37 ZPO war das Landgericht Stralsund zu bestimmen, das nach §§ 17 Abs. 1, 29 Abs. 1 ZPO zuständig ist. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO steht dem nicht entgegen.

1.

Das - von einem der beteiligten Gerichte zulässig von Amts wegen angerufene - Oberlandesgericht Rostock ist zur Bestimmung des zuständigen Gerichts berufen, weil sich zwei in verschiedenen Oberlandesgerichtsbezirken belegene Gerichte durch jeweils unanfechtbaren Beschluss (vom 07.01.2008 bzw. vom 23.01.2008) für örtlich unzuständig erklärt haben, wobei das zuerst mit der Sache befasste Landgericht Stralsund zum Bezirk des - diesem im Rechtszug übergeordneten, § 119 Abs. 1 Nr. 2 GVG - erkennenden Oberlandesgerichts gehört.

2.

Das Landgericht Stralsund ist aufgrund des besonderen Gerichtsstands des Erfüllungsortes nach § 29 ZPO, § 269 Abs. 1 BGB zuständig.

Zwischen den Parteien bestand - nach dem im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren insoweit maßgeblichen Vortrag der Klägerin - ein Girovertrag. Gesetzlicher Leistungsort (§§ 269 Abs. 1, 270 Abs. 1, Abs. 4 BGB) und damit Erfüllungsort, der den besonderen Gerichtsstand des § 29 ZPO begründet, ist der (Wohn-)Sitz der Beklagten bei Entstehung der behaupteten Verpflichtung (BayObLG, WM 1989, 871 [zitiert nach juris]). Bei einer dauerhaften vertraglichen Bindung wie bei einem Girovertrag verbleibt es bei der Anknüpfung an den Schuldnerwohnsitz zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses an sich und nicht zur Zeit der Entstehung der einzelnen aus diesem Schuldverhältnis erwachsenen Leistungsverpflichtungen (OLG Frankfurt, NJW 2001, 2792; Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 66. Auf., § 29 Rn. 23, Stichwort "Girovertrag"; MK/Patzina, ZPO, 3. Aufl., § 29 Rn. 55).

Da es sich bei der Beklagten um eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts handelt, die nach der Behauptung der Klägerin passiv parteifähig sein soll (vgl. dazu BGHZ 146, 341 = NJW 2001, 1056; Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., § 50 Rn. 18 m.w.N.), kommt es insoweit gemäß § 17 Abs. 1 ZPO auf ihren (damaligen) Sitz an (OLG Köln, MDR 2003, 1374; Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 17 Rn. 5). Dieser lag ausweislich der Anlage K 1 in Stralsund. Die - behauptete - spätere Sitzverlagerung nach R.-W. änderte dagegen den Leistungsort und damit den Gerichtsstand nach § 29 ZPO nicht (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl., § 269 Rn. 18 m.w.N.).

3.

Der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Stralsund vom 07.01.2008 steht dem nicht entgegen, weil dieser Beschluss ausnahmsweise nicht bindend ist.

a)

Im Interesse der Prozessökonomie und zur Vermeidung von Zuständigkeitsstreitigkeiten sind Verweisungsbeschlüsse gemäß § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO grundsätzlich unanfechtbar und gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend. Dies entzieht auch einen sachlich zu Unrecht ergangenen Verweisungsbeschluss und die diesem zugrunde liegende Entscheidung über die Zuständigkeit grundsätzlich jeder Nachprüfung (BGH, NJW 2006, 847 [Tz. 12]; OLG Brandenburg, NJW 2006, 3444 [Tz. 10]; Zöller/Greger, a.a.O., § 281 Rn. 16; MK/Prütting, a.a.O., § 281 Rn. 55, jeweils m.w.N.).

Diese Bindungswirkung ist auch im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten. Das bedeutet, dass der erste mit solcher Bindungswirkung erlassene Verweisungsbeschluss im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren fortwirkt (BayObLG, WM 2005, 2157 f.; KG, MDR 1999, 438; Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 36 Rn. 28, jeweils m.w.N.).

Nach einhelliger Ansicht in Rechtsprechung und Literatur - wobei Einzelheiten streitig sind - sind von diesem Grundsatz allerdings Ausnahmen zuzulassen. So kommt einem Verweisungsbeschluss dann keine Bindungswirkung zu, wenn er schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann, etwa weil er auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht oder weil er jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss. Dabei kann Willkür u.a. dann anzunehmen sein, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar, offenbar gesetzeswidrig oder sonst grob rechtsfehlerhaft ist (vgl. BGH, OLG Brandenburg, BayObLG, KG, jeweils a.a.O.; KG, MDR 2007, 173; OLG Rostock - 8. Zivilsenat -, OLGR 2005, 558; Zöller/Greger, a.a.O., Rn. 17; MK/Prütting, a.a.O., Rn. 56, 57, alle m.w.N.).

b)

Ein derartiger Ausnahmefall ist vorliegend - wie das Landgericht Cottbus zutreffend annimmt - gegeben, weil die Verweisung objektiv willkürlich war und zudem eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vorliegt.

aa)

Das Landgericht Stralsund hat das grundsätzliche Erfordernis der Gewährung rechtlichen Gehörs vor der Entscheidung über den Verweisungsantrag der Klägerin (vgl. Zöller/Greger, a.a.O., § 281 Rn. 12 und vor § 128 Rn. 6) nicht verkannt, weshalb der Beklagten mit Verfügung vom 27.12.2007 zunächst auch Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden ist. Die Äußerungsfrist von zwei Wochen wurde am 29.12.2007 in Lauf gesetzt (§ 221 ZPO), weil die an diesem Tag erfolgte Zustellung nach § 181 ZPO wirksam war. Der Vermerk "nicht bekannt" auf dem - anonym - zurück gesandten Umschlag stammt offensichtlich nicht vom Zusteller, die Rücksendung hat daher keinen Einfluss auf die Zustellung. Sodann hat das Landgericht allerdings bereits mit Beschluss vom 07.01.2008, also noch innerhalb der laufenden Frist über die Verweisung entschieden.

Damit liegt eine Gehörsverletzung vor, weil das Gericht den Ablauf einer von ihm gesetzten Frist abwarten muss (BVerfGE 61, 37 [41 f.]; BGH, FamRZ 1986, 789; Zöller/Greger, a.a.O., vor § 128 Rn. 6; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a.a.O., § 281 Rn. 42, jeweils m.w.N.). Dabei ist vorliegend außerdem zu berücksichtigen, dass die Beklagte mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 14.01.2008 und damit rechtzeitig (§ 222 Abs. 1, Abs. 2 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB) um Fristverlängerung nachgesucht hatte. Es kommt auch nicht darauf an, ob die Verweisung bei einer Entscheidung erst nach Fristablauf unterblieben wäre (BayObLG MDR 1980, 583; Zöller/Greger, a.a.O., § 281 Rn. 17 a; MK/Prütting, a.a.O., Rn. 57, jeweils m.w.N.).

bb)

Darüber hinaus hat das Landgericht Stralsund nicht nur seine - tatsächlich gegebene, vgl. oben 2. - eigene Zuständigkeit nach § 29 ZPO übersehen, sondern auch fehlerhaft die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Cottbus angenommen.

Letzteres ist gerade nicht "für den Wohnsitz der Beklagten" zuständig, wie das Landgericht Stralsund in seinem Beschluss vom 07.01.2008 ausführt. Beklagte soll nach der ausdrücklichen Erklärung der Klägerin die "W. A. + D. A. GbR" sein, die ihren Sitz ursprünglich in Stralsund und nunmehr in R.-W. habe. Die im Widerspruch gegen den Mahnbescheid als geändert angegebene Anschrift "K., D.straße" bezieht sich offensichtlich nicht auf die GbR. Dem handschriftlichen Vermerk "gibt es nicht" neben der aufgedruckten Bezeichnung der GbR als Antragsgegnerin kann nämlich entnommen werden, dass der Unterzeichner des Widerspruchs der Auffassung ist, die GbR sei gar nicht existent. Darauf lässt auch die Rücksendung der anspruchsbegründenden klägerischen Schriftsätze vom 04.12. und 20.12.2007 mit dem - auf dem Umschlag angebrachten - Zusatz "nicht bekannt" neben der durchgestrichenen Anschrift der Beklagten schließen. Nach dieser Ansicht kann sich dann aber auch die Anschrift der GbR nicht geändert haben. Möglicherweise soll sich die Änderung auf die Anschrift eines oder beider Gesellschafter der GbR beziehen, was aber für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit im vorliegenden Verfahren ohne Bedeutung wäre - wie im Übrigen auch die Frage, ob die GbR tatsächlich existiert oder nicht.

Schließlich spricht für den (aktuellen) Sitz der Beklagten in R.-W., dass sowohl der Mahnbescheid als auch die Verfügung des Landgerichts Stralsund vom 27.12.2007 (und der Beschluss des Landgerichts Cottbus vom 23.01.2008) dort erfolgreich zugestellt werden konnten. Auch die Rücksendung der Anspruchsbegründung wurde offensichtlich nicht vom Zustellunternehmen veranlasst.

Sonstige Anhaltspunkte, die die Zuständigkeit des Landgerichts Cottbus begründen könnten, sind nicht ersichtlich.

Angesichts dieser Gesamtumstände bestand für die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Cottbus keinerlei Rechtsgrundlage. Sie ist vielmehr offensichtlich unhaltbar und stellt sich damit, wie das Landgericht Cottbus zutreffend feststellt, als objektiv willkürlich dar. Sie kann daher keine Bindungswirkung entfalten.

4.

Dass daneben nach dem Vortrag der Klägerin auch der allgemeine Gerichtsstand der Beklagten (§§ 12, 17 Abs. 1 ZPO) in R.-W. und damit die Zuständigkeit des Landgerichts Bielefeld gegeben sein soll, ist für das vorliegende Verfahren ohne Bedeutung.

Die Klägerin hat bereits im Mahnbescheidsantrag das Landgericht Stralsund als das zuständige Gericht bezeichnet und damit das ihr - beim Vorliegen mehrerer zuständiger Gerichte - zustehende Wahlrecht nach § 35 ZPO ausgeübt. Diese Wahl ist bindend, so dass eine spätere Änderung nicht möglich ist und es bei der Zuständigkeit des Landgerichts Stralsund verbleibt (vgl. BGH, NJW 1993, 1273; NJW 2002, 3634; Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 696 Rn. 9 m.w.N.).

Es kommt daher nicht auf die vom vorlegenden Landgericht Cottbus angeschnittene Frage an, ob - für den Fall, dass keines der beiden unmittelbar am negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte örtlich zuständig wäre - die Verweisung an ein drittes Gericht oder die Aufhebung des Verweisungsbeschlusses (vgl. OLG Rostock, a.a.O.; BGH, NJW 1995, 534; Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 36 Rn. 27) in Betracht kommt.

Ende der Entscheidung

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