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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 03.12.2007
Aktenzeichen: 10 UF 136/07
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, FGG


Vorschriften:

ZPO § 189
ZPO § 301
ZPO § 318
ZPO § 329
ZPO § 517
ZPO § 520
ZPO § 538 Abs. 2 Nr. 1
ZPO § 538 Abs. 2 Nr. 7
ZPO § 621 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 621 Abs. 1 Nr. 2
ZPO § 621 a
ZPO § 621 e Abs. 1
ZPO § 621 e Abs. 3
ZPO § 623 Abs. 1
ZPO § 623 Abs. 2
ZPO § 623 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 623 Abs. 3
ZPO § 623 Abs. 3 Satz 2
ZPO § 627
ZPO § 629 a Abs. 2
ZPO § 629 d
BGB § 1696
FGG § 16 Abs. 1
Die Beschwerde gegen einen noch nicht wirksam gewordenen Beschluss zum Umgangs- und Sorgerecht ist zulässig, wenn dieser den Rechtsschein einer bereits wirksamen Entscheidung erweckt.
Az.: 10 UF 136/07

Beschluss

In der Familiensache

hat der 1. Familiensenat des Oberlandesgerichts Rostock am 3.12.2007 beschlossen:

Tenor:

Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass

- die Entscheidung des Familiengerichts vom 3.9.2007 zur elterlichen Sorge und zum Umgang derzeit nicht wirksam ist;

- nach derzeitiger Ansicht des Senats der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an das Familiengericht zurückzuverweisen ist.

Gründe:

I.

Die Parteien betreiben ein Scheidungsverfahren. Eine Entscheidung über den Scheidungsantrag ist noch nicht getroffen worden.

In der Sitzung des Familiengerichts am 3.9.2007 haben sie eine umfangreiche Vereinbarung zum Sorge- und Umgangsrecht für ihre beiden gemeinsamen minderjährigen Kinder getroffen. Das Familiengericht hat sich diese Vereinbarung mit in der genannten Sitzung verkündetem Beschluss zu eigen gemacht. Das Sitzungsprotokoll ist formlos am 27.9.2007 übersandt worden.

Mit am 12.10.2007 beim Oberlandesgericht als Faxschreiben eingegangenem Schriftsatz hat der Antragsteller gegen den genannten Beschluss Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, er sei bei Abschluss der Vereinbarung, die sich das Gericht zu eigen gemacht habe, davon ausgegangen, die Antragsgegnerin werde weiterhin mit dem Kind, für das ihr die elterliche Sorge übertragen worden ist, örtlich nahe seiner Wohnung leben. Tatsächlich sei sie kurz nach dem 3.9.2007 mit diesem nach Stettin in Polen verzogen. Durch die größere räumliche Entfernung sei das Wohl des Kindes, für das sie die elterliche Sorge habe als auch die des Kindes, das bei ihm lebe, gefährdet. Aufgrund der veränderten Situation sei das Sorgerecht für beide Kinder auf ihn zu übertragen.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig.

Zwar ist der vom Familiengericht in der Sitzung am 3.9.2007 verkündete Beschluss zum Sorge- und Umgangsrecht noch nicht wirksam. Gemäß § 629 d ZPO werden Entscheidungen in Folgesachen nicht vor Rechtskraft des Scheidungsausspruchs wirksam. Die Ehe der Parteien ist bisher noch nicht geschieden worden.

Eine bereits jetzt wirksame Entscheidung zum Sorge- und Umgangsrecht liegt auch nicht gemäß § 627 ZPO oder nach § 623 Abs. 2 oder 3 ZPO vor. Das Familiengericht hat nicht gemäß § 627 ZPO vorweg eine von dem Antrag der Ehegatten abweichende Entscheidung zur elterlichen Sorge getroffen. Vielmehr hat es diese entsprechend dem Willen der Parteien geregelt.

Ein Antrag gemäß § 623 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf Abtrennung und selbständige Weiterführung der Folgesachen Sorge- und Umgangsrecht liegt nicht vor.

Die Voraussetzungen für eine Abtrennung nach § 623 Abs. 3 ZPO sind nicht ersichtlich. Weder hat das Gericht die Abtrennung der Folgesache elterliche Sorge gemäß § 623 Abs. 3 Satz 2 ZPO angeordnet, noch ist die elterliche Sorge auf die Antragsgegnerin übertragen worden, weil eine Gefährdung des Kindeswohls vorgelegen hat.

Dennoch ist die Beschwerde bereits vor dem Wirksamwerden des Beschlusses vom 3.9.2007 zulässig. Denn der Beschluss des Familiengerichts erweckt den Schein, bereits jetzt wirksam das Umgangs- und Sorgerecht zu regeln.

Das Gericht hat beabsichtigt, bereits aktuell eine Regelung zu treffen. Denn mit Beschluss vom 12.10.2007 hat es einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung dahingehend, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind J, für das die Antragsgegnerin die elterliche Sorge inne hat, auf den Antragsteller übertragen wird, mit der Begründung zurückgewiesen, die Voraussetzungen für die Abänderung der gerichtlichen Entscheidung vom 3.9.2007 lägen nicht vor. Hierfür bedürfe es triftige, das Wohl des Kindes nachhaltig berührende Gründe im Sinne des § 1696 BGB.

Das Familiengericht kann den Beschluss nicht mehr abändern. Gemäß § 318 ZPO ist es an seine Entscheidung gebunden (vgl. auch Zöller/Philippi, ZPO, 26. Aufl., § 621 Rn. 26).

Beschlüsse zum Sorge- und Umgangsrecht sind außerhalb des Scheidungsverbunds gemäß § 621 a ZPO i. V. m. § 16 Abs. 1 FGG mit ihrer Bekanntmachung - hier gemäß §§ 621 a, 329 ZPO der Verkündung im Termin am 3.9.2007 (vgl. Zöller/Philippi, ZPO, 26. Aufl., § 621 a Rn. 22) - wirksam.

Wie noch nicht existent gewordene Scheinurteile können auch Beschlüsse, die den Schein erwecken, aktuelle Rechtsverhältnisse zu regeln, mit "normalen" Rechtsmitteln angegriffen werden. Denn es besteht ein schutzwürdiges Interesse der betroffenen Partei, den genannten Schein zu beseitigen (Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 26. Aufl., vor § 511 Rn. 26; Gummer/Heßler, a.a.O., § 517 Rn. 2).

Der Zulässigkeit der Beschwerde steht nicht entgegen, dass eine Vereinbarung der Parteien Grundlage des angefochtenen Beschlusses gewesen ist.

Eine Zustimmung zu einer Sorge- und Umgangsrechtsentscheidung ist widerruflich - ggf. im Wege der Beschwerde (vgl. Johannsen/Jaeger, Eherecht, 4. Aufl., § 1671 Rn. 26; MünchKomm/Finger, BGB, 4. Aufl., § 1671 Rn. 63; Palandt/Diederichsen, BGB, 66. Aufl., § 1671 Rn. 14; Schwab, FamRZ 1998, 461). Im Hinblick darauf, dass der Antragsteller seinen Widerruf auf Gründe stützt, die das Kindeswohl betreffen, kann dahinstehen, ob es des Vortrages derartiger Gründe bedarf (zum Meinungsstand: vgl. Jaeger, a.a.O.; Finger, a.a.O., die beide die Ansicht vertreten, die Zustimmung sei frei und ohne Begründung widerruflich, a. A.: Oelkers, Sorge- und Umgangsrecht, § 1 Rn. 193 sowie in Gerhardt/Oelkers, FA-FamR, 5. Aufl., Kap. 4 Rn. 165).

Die Beschwerde ist gemäß §§ 629 a Abs. 2, 621 Abs. 1 Nr. 1 und 2, 621 e Abs. 1 und 3, 318, 517, 520 ZPO rechtzeitig eingelegt und begründet worden.

Die Begründungsfrist ist eingehalten worden. Zwar ist den Parteien nach Aktenlage der im Protokoll der Sitzung vom 3.9.2007 enthaltene Beschluss zum Sorge- und Umgangsrecht nur formlos übersandt worden. Dieser Mangel ist jedoch gemäß § 189 ZPO geheilt. Nach dem Vortrag des Antragstellers ist der Beschluss am 1.10.2007 bei seiner Prozessbevoll-mächtigten eingegangen. Das Rechtsmittel nebst Begründung ist am 12.10.2007 - mithin innerhalb der gesetzlichen Fristen - beim Oberlandesgericht eingegangen.

Die Beschwerde des Antragstellers ist begründet. Der Beschluss des Familiengerichts zum Sorge- und Umgangsrecht vom 3.9.2007 ist verfahrensfehlerhaft zu stande gekommen. Gemäß § 623 Abs. 1 ZPO ist eine Entscheidung über Folgesachen gleichzeitig und zusammen mit der Scheidungssache zu verhandeln und - sofern dem Scheidungsantrag stattgegeben wird - zu entscheiden. Gegen diese gesetzliche Regelung hat das Familiengericht verstoßen.

Die angegriffene Entscheidung ist gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 1 und 7 ZPO i. V. m. § 301 ZPO aufzuheben. Das Verfahren ist an das Gericht des 1. Rechtszuges zurückzuverweisen (vgl. OLG Brandenburg, FamRZ 2004, 384, 386 re. Sp.).

Ende der Entscheidung

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