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Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 12.11.2001
Aktenzeichen: 10 UF 336/00
Rechtsgebiete: Regelbetragsverordnung
Vorschriften:
Regelbetragsverordnung § 2 |
Az.: 10 UF 336/00
Beschluß
In der Familiensache
hat der 1. Familiensenat des Oberlandesgerichts Rostock durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. O, die Richterin am Oberlandesgericht S und den Richter am Oberlandesgericht B
am 12.11.2001 beschlossen:
Tenor:
Dem Berufungskläger wird für die Berufungsinstanz ratenfreie Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt M bewilligt.
Der Berufungsbeklagten wird für die Rechtsverteidigung in der Berufungsinstanz ratenfreie Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt B bewilligt.
Gründe:
I Beide Parteien beantragen, ihnen für die Berufungsinstanz Prozeßkostenhilfe zu bewilligen.
Der am 11.3.1992 geborene Kläger ist der nichteheliche Sohn des in B lebenden Beklagten. Mit dem angefochtenen Urteil ist dieser - wie vom Kläger beantragt - u. a. verurteilt worden, monatlich beginnend ab Januar 2001 100 % des Regelbetrages Ost der jeweiligen Altersstufe abzüglich des hälftigen Kindergeldes an den Kläger zu zahlen. Mit seiner Berufung begehrt der Kläger die Abänderung dieses Teiles des Urteils dahingehend, daß der Beklagte verurteilt wird, ab Januar 2001 135 % des Regelbetrages Ost der jeweiligen Altersstufe abzüglich des hälftigen Kindergeldes an den Kläger zu zahlen. Zur Begründung führt er aus, aufgrund des Inkrafttretens des "Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des Kindesunterhalts" zum 1.1.2001 habe er nunmehr Anspruch auf 135 % des Regelbetrages abzüglich des hälftigen Kindergeldes. Denn es gelte nunmehr die Vermutung, daß ein Unterhaltspflichtiger in der Lage sei, das Existenzminimum seines Kindes zu decken, das nach dem genannten Gesetz 135 % des Regelbetrages beträgt.
Er beantragt:
Der Beklagte wird verurteilt, für November und Dezember 2000 einen monatlichen Unterhaltsbetrag in Höhe von 100% des jeweiligen Regelbetrages nach § 2 Regelbetragsverordnung abzüglich des hälftigen Kindergeldes von derzeit 135 DM sowie ab Januar 2001 einen monatlichen Unterhaltsbetrag in Höhe von 135 von Hundert des jeweiligen Regelbetrages nach § 2 Regelbetragsverordnung zu bezahlen, abzüglich der hälftigen Kindergeldes von derzeit 135 DM, zahlbar jeweils monatlich im voraus bis zum 3. eines jeden Monats und zwar bis zum 29.2.2004 nach der zweiten Altersstufe und vom 1.3.2004 bis zum 10.3.2010 nach der dritten Altersstufe.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, die Berufung sei unzulässig. Denn eine Beschwer liege nicht vor, weil der Kläger erstinstanzlich hinsichtlich des angegriffenen Teils der Entscheidung voll umfänglich obsiegt habe. Eine Abänderung dieses Urteils könne er nur im Wege einer "neuen" Abänderungklage erreichen. Zudem bestehe auch materiell-rechtlich kein Anspruch. Er sei nicht in der Lage, die begehrte Rente ohne Gefährdung seines Selbstbehalts zu zahlen.
II Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand haben sowohl die Berufung als auch die Rechtsverteidigung gegen diese hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Die Berufung ist nach Ansicht des Senats zulässig.
Zwar trifft es zu, daß eine Berufung in der Regel wegen fehlender Beschwer unzulässig ist, wenn der Kläger mit seinem erstinstanzlichen Klageantrag voll obsiegt hat. Denn die Beschwer ist anhand des erstinstanzlichen Antrages und des Inhalts der angefochtenen Entscheidung zu ermitteln. Entsprechen sich der Antrag und der Inhalt der angefochtenen Entscheidung, liegt in der Regel keine Beschwer vor (vgl. BGH NJW-RR 1994, 61 re. Sp.; BGH NJW 1993, 597, 598 li. Sp.; OLG Köln FamRZ 1996, 299 re. Sp.; Münchener-Kommentar/Rimmelspacher, ZPO, 2. Aufl., vor § 511 Rn. 15; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., Einleitung zu § 511 Rn. 77; Zöller/Gummer vor § 511 Rn. 8 a). Dieses gilt nach Ansicht des Senats jedoch nicht, wenn eine Änderung der rechtlichen Verhältnisse nach Schluß der letzten mündlichen Verhandlung und nach der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils aber vor dem Ablauf der Rechtsmittelfrist eingetreten ist. In diesen Fällen ist die Partei, für die sich aus der Veränderung der Vorschriften Rechtsvorteile ergeben, aus Gründen der Prozeßökonomie auch berechtigt, ihre Rechte im Wege der Berufung geltend zu machen (vgl. KG FamRZ 90, 1122, 1123 li. Sp.; OLG Koblenz FamRZ 1988, 1072; Zöller/Vollkommer, ZPO, 22. Aufl., § 323 Rn. 34). Denn anderenfalls wäre sie gezwungen, erneut im Wege einer Unterhaltsabänderungsklage ihre weitergehenden Rechte geltend zu machen, obwohl sich die Sachlage des Prozesses nicht verändert hat. Hierdurch würde allen Verfahrensbeteiligten lediglich vermeidbarer höherer Aufwand entstehen. Dieser Auffassung stehen keine kostenrechtlichen Gesichtspunkte entgegen. Im Hinblick auf den aufgrund der erstinstanzlichen Ausurteilung unstreitig gewordenen Sachverhalt ist eine Anpassung des Urteils an die veränderten rechtlichen Verhältnisse in der Regel kostengünstiger und zeitsparender, als die Durchführung einer Abänderungsklage.
Ein Fall, in dem ausnahmsweise auch die Berufung zulässig ist, liegt hier vor. Die Änderung der Rechtslage ist erst nach dem Schluß der mündlichen Verhandlung und der Verkündung des Urteils der ersten Instanz eingetreten. Schluß der mündlichen Verhandlung ist der 11.10.2000 und Verkündungstermin der 1.11.2000 gewesen. Das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Kindererziehung und zur Änderung des Kindesunterhaltsrechts ist erst am 2. November 2000 (vgl. BGBl. I S. 1479) verabschiedet worden, mithin zu einem späteren Zeitpunkt. Es ist zudem erst zum 1.1.2001 in Kraft getreten. Der Kläger hat damit keine Möglichkeit gehabt, seinen zusätzlichen Anspruch erstinstanzlich - im Wege der Klagerweiterung oder im Wege eines Antrages auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung - geltend zu machen. Im Hinblick auf die durch die Rechtsänderung eingetretene Veränderung der Rechtslage - es gilt nunmehr der Anschein, daß der Unterhaltsschuldner in der Lage ist, das Existenzminimum des Unterhaltsgläubigers - = 135 % des Regelbetrages sicherzustellen - wäre eine Abänderungsklage zulässig, weil aufgrund der Veränderung der Rechtslage eine - im Hinblick auf die Höhe des Anspruchs (135 % des Regelbetrages statt bisher 100% des Regelbetrages) - wesentliche Veränderung eingetreten ist (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 22. Aufl., § 323 Rn. 32).
Die Berufung ist nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand auch begründet.
Ein Anspruch auf Unterhalt in Höhe von 135 % des Regelbetrages der Rostocker Tabelle abzüglich des hälftigen Kindergeldes besteht. Der Beklagte hat nicht substantiiert dargetan, daß er aufgrund seiner Ausbildung nicht in der Lage ist, an den Kläger Unterhalt in Höhe des Existenzminimums (= 135 % des Regelbetrages) zu zahlen. Der Senat folgt der Auffassung, daß ihn insoweit die Darlegungs- und Beweislast trifft (vgl. OLG München FamRZ 16/2001 S. X; Luthin FamRZ 2001, 334, 336 li. Sp.; Niepmann MDR 2001, 601, 602 re. Sp.). Mit der Rechtsänderung, daß der Mindestbedarf/Existenzminimum des minderjährigen Kindes 135 % des Regelbetrages (statt bisher 100 % des Regelbetrages) beträgt, gilt die bisherige Rechtsprechung zur Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Regelbetrages nach der RegelbetragsVO jetzt auch hinsichtlich des Existenzminimums. Auf die Ausführungen des Familiengerichts zum erforderlichen Umfang der Darlegung wird verwiesen. Aufgrund seiner Ausbildung und seiner beruflichen Kenntnisse kann nicht von vornherein festgestellt werden, daß der Beklagte nicht in der Lage ist, eine Anstellung zu finden, die es ihm ermöglicht, neben seinem Selbstbehalt von DM 1.500 bis zum 30.6.2001 bzw. DM 1.515 ab dem 1.7.2001 den Unterhalt für den Kläger von (DM 529 - DM 135 =) DM 394 bis zum 30.6.2001 bzw. (555 - DM 135 =) DM 420 ab dem 1.7.2001 zu zahlen.
Im Hinblick auf die o.g. nicht höchstrichterlich gefertigte Ansicht zur Zulässigkeit der Berufung kann dem Sachvortrag des Beklagten die hinreichende Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden. Der Senat beabsichtigt, die Revision hinsichtlich dieser Frage zuzulassen. Eine höchstrichterliche Rechtsprechung zu dem Problem, ob die Berufung trotz einer dem erstinstanzlichen Klagantrag entsprechenden Verurteilung für den Kläger zulässig ist, wenn nach der Verkündung des Urteils aber vor Ablauf der Berufungsfrist eine für ihn günstigere Rechtslage eingetreten ist (oder ob er auch in diesem Fall auf die Abänderungsklage zu verweisen ist), liegt - soweit ersichtlich - bisher nicht vor.
Ende der Entscheidung
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