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Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 30.10.2004
Aktenzeichen: 10 WF 76/04
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, BSHG
Vorschriften:
ZPO §§ 114 f. | |
ZPO § 115 | |
ZPO § 115 Abs. 2 Satz 1 | |
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 2 | |
BGB § 253 Abs. 2 | |
BGB § 1626 Abs. 3 | |
BGB § 1626 Abs. 3 S. 2 | |
BGB § 1685 Abs. 1 | |
BGB § 1755 Abs. 2 | |
BGB § 1770 Abs. 1 S. 1 | |
BGB § 1772 | |
BGB § 1772 Abs. 1 | |
BSHG § 77 Abs. 2 | |
BSHG § 88 |
Az.: 10 WF 76/04
Beschluß
In der Familiensache
hat der 1. Familiensenat des Oberlandesgerichts Rostock durch
den Richter am Oberlandesgericht den Richter am Oberlandesgericht die Richterin am Oberlandesgericht
am 30.10.2004 beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird dem Antragsteller unter Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Rostock - Familiengericht - vom 26.02.2004, Gz.: 13 F 374/03, fur das Umgangsrechtsverfahren Prozeßkostenhilfe gewährt.
Gründe:
Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige Beschwerde ist begründet. Das Bestehen des begehrten Umgangsrechts kann nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Der Antragsteller ist auch bedürftig iSv. §§ 114 f. ZPO.
1.
Dem Antragsteller steht zwar kein Umgangrecht nach § 1685 Abs. 1 BGB zu, wohl aber möglicherweise ein solches nach § 1626 Abs. 3 S. 2 BGB. a) Ein Umgangsrecht gemäß § 1685 Abs. 1 BGB steht dem Antragsteller nicht zu. Sollte ein solches jemals bestanden haben, so wäre es jedenfalls mit der am 07.10.1999 durch das Amtsgericht Rostock - Vormundschaftsgericht - ausgesprochenen Adoption der Antragsgegnerin durch den Ehemann ihrer Mutter (Gz.: 81 XVI 7/99) erloschen. Zwar bleiben gemäß § 1770 Abs. 1 S. 1 BGB bei einer Erwachsenenadoption generell die verwandtschaftlichen Verhältnisse zu den Verwandten des Anzunehmenden erhalten. Etwas anderes gilt aber, wenn das Gericht gemäß § 1772 BGB ausspricht, daß sich die Wirkungen der Annahme nach den Vorschriften über die Annahme eines Minderjährigen richten. Dies ist in Nr. 4 des Adoptionsbeschlusses vom 07.10.1999 geschehen. Damit ist gemäß § 1772 Abs. 1 i.V.m. § 1755 Abs. 2 BGB das Verwandtschaftverhältnis zwischen dem Antragsteller und seiner Enkeltochter - der Tochter der Antragsgegnerin - mit allen dazugehörigen Rechten und Pflichten - zu denen auch das Umgangsrecht gehört (MüKo/Maurer, 4. Aufl. 2002, § 1755 BGB Rn. 6) - erloschen.
b) Das Bestehen eines Umgangsrechts nach § 1626 Abs. 3 S. 2 BGB kann nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Die genannte Vorschrift setzt voraus, daß zwischen dem Kind und der Umgang begehrenden Person Bindungen bestehen, deren Aufrechterhaltung für die Entwicklung des Kindes förderlich ist. Im Lichte des Art. 8 Abs. 1 EMRK und des Art. 6 Abs. 1 GG ist § 1626 Abs. 3 BGB dahin auszulegen, daß unter einer "Bindung" auch die leibliche Abstammung zu verstehen ist. Die Aufrechterhaltung dieser Bindungen ist für die Entwicklung des Kindes förderlich, wenn nicht außergewöhnliche Umstände dagegensprechen (vgl. EGMR v. 26.02.2004, 74969/01 - Görgülü/Deutschland-, FamRZ 2004, 1456, 1459 zu Nr. 48). Solche außergewöhnlichen Umstände sind im vorliegenden Fall aus der Akte nicht ersichtlich.
Im vorliegenden Fall besteht zwischen den Parteien eine natürliche (biologische) Verwandtschaft. Die Aufnahme persönlicher Beziehungen zwischen ihnen hat die Antragsgegnerin aber verhindert; Kontakte zwischen dem Antragsteller und seiner Enkeltochter fanden nicht statt. Was die Antragsgegnerin bewogen hat, ihrer eigenen Tochter von vornherein jeglichen Kontakt mit ihrem leiblichen Großvater zu verwehren, läßt sich der Akte nicht entnehmen. Dem Senat liegen auch keinerlei Informationen darüber vor, warum die Antragsgegnerin selbst seinerzeit jeglichen Kontakt mit dem Antragsteller ablehnte. Der Inhalt der Akte läßt nicht erkennen, daß die Rechte des Antragstellers und die wohlverstandenen Interessen seiner Enkeltochter angemessen geprüft und berücksichtigt wurden. Angesichts der Stärkung der Rechte des leiblichen Vaters durch die Rechtsprechung des BVerfG (Urteil vom 09.04.2003, 1 BvR 1493/96 u.a., NJW 2003,2151) und des EGMR (Entsch. v. 26.05.1994, 16/1993/411/490, FamRZ 1995, 110 = NJW 1995, 2153; v. 13.07.2000, 25735/94, NJW 2001, 2315; v. 11.10.2001, 31871/96 - Sommerfeld/Deutschland -, FamRZ 2002,381; v. 08.07.2003, 31871/96 [Große Kammer] - Sommerfeld/Deutschland -, FamRZ 2004, 337 = FPR 2004, 344; v. 26.02.2004, 74969/01 - Görgülü/Deutschland -FamRZ 2004, 1456) kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß es dem Wohle des Kindes entspricht, die Beziehungen zu seinen leiblichen Verwandten völlig abzuschneiden. Es geht ja nicht um die elterliche Sorge - die steht völlig unstreitig allein der Antragsgegnerin zu -, sondern nur darum, daß dem Kind der Kontakt zu seinem leiblichen Großvater erhalten bleibt. Nach dem Tode des Adoptivgroßvaters könnte die Beziehung zum leiblichen Großvater eine besondere Bedeutung erlangen. Die spätere Information des Kindes über seine leibliche Abstammung allein reicht nicht ohne weiteres aus, um das Recht des Kindes und seiner natürlichen Verwandten auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens i.S.v. Art. 8 Abs. 1 EMRK zu wahren. Durch den bloßen Hinweis auf § 1685 Abs. 1 BGB ist das Familiengericht dieser Sachlage nicht gerecht geworden.
2.
Der Antragsteller ist bedürftig i.S.v. §§ 114, 115 ZPO; es ist ihm gemäß § 115 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht zumutbar, die von der Bundesrepublik Deutschland gezahlte Entschädigung für das vorliegende Verfahren einzusetzen.
Ob Schmerzensgelder im Rahmen des § 115 ZPO als Vermögen zu berücksichtigen sind, ist streitig. Teilweise wird die Meinung vertreten, Schmerzensgeld sei analog § 77 Abs. 2 BSHG nicht einzusetzen (Zöller/Philippi, ZPO, 24. Aufl. 2004, § 115, Rn. 59 m.N.; i.E. ebenso OLG Koblenz NJW-RR 1999, 1228). Andere verweisen demgegenüber darauf, daß in § 88 BSHG eine dem § 77 Abs. 2 BSHG entsprechende Ausnahmevorschrift fehle (OLG Zweibrücken FamRZ 1998, 758); Schmerzensgeld sei jedenfalls dann anrechenbar, wenn die Prozeßkosten nur einen Teil desselben ausmachen (OLG Jena, OLGR Jena 2000, 105 = MDR 2000, 852; OLG Zweibrücken, 1. ZS, OLGR Zweibrücken 1998, 255 = JurBüro 1998, 478).
Der Senat folgt im Ergebnis der zuerst genannten Ansicht. Zwar überzeugt die Analogie zu § 77 Abs. 2 BSHG nicht; diese Vorschrift verweist in ihrer jetzigen Fassung auf § 253 Abs. 2 BGB, welcher nur Schadensersatz wegen Verletzungen des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung umfaßt. Diese abschließende Aufzählung ist einer Analogie nicht fähig.
Das Ergebnis folgt aber aus der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes. Diesem Zweck des Schmerzensgeldes würde es widersprechen, wenn der Antragsteller das Geld für die Bezahlung von Verfahrenskosten verwenden müßte.
Dem Antragsteller war nach alledem die beantragte Prozeßkostenhilfe zu gewähren.
Eine Kostenentscheidung ist gemäß § 127 Abs. 4 ZPO nicht veranlaßt.
Ende der Entscheidung
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