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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 05.07.2006
Aktenzeichen: 17 Verg 7/06
Rechtsgebiete: GWB


Vorschriften:

GWB § 114 Abs. 1
§ 114 Abs. 1 GWB ermächtigt die Vergabekammer nicht, Vergabeverstöße, durch die der Antragsteller in eigenen Bieterrechten nicht betroffen ist, amtswegig aufzugreifen und auf die Rechtmäßigkeit des Verfahrens zu Lasten des Antragstellers hinzuwirken.
Oberlandesgericht Rostock Beschluss

17 Verg 7/06

verkündet am: 05.07.2006

In dem Vergabebeschwerdeverfahren

hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Rostock am 05.07.2006 beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss der 2. Vergabekammer bei dem Wirtschaftsministerium Mecklenburg-Vorpommern vom 19. April 2006 - 2 VK 1/06 - wird aufgehoben, soweit der Antragsgegner angewiesen worden ist, bei der Fortsetzung des Vergabeverfahrens Nebenangebote der Bieter nicht zu bewerten.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beigeladene mit Ausnahme der Kosten des Antragsgegners. Dieser trägt seine Kosten selbst.

Gründe:

I.

Der Antragsgegner schrieb die Baumaßnahme "Universitätsklinikum Greifswald-Neubau K 1.3 bis K 2.2, Raumlufttechnik 2, Vergabe-Nr.: 05 E 0295" europaweit im offenen Verfahren aus. Als Zuschlagskriterien waren benannt: Preis, Qualität, Ausführungsfrist, Funktionalität und Wartung.

Nebenangebote/Änderungsvorschläge waren ausdrücklich zugelassen. Gemäß Nr. 5.3. der Submission sollten diese den Konstruktionsprinzipien und den vom Auftraggeber vorgesehenen Planungsunterlagen entsprechen. Fünf der sieben Bieter legten Nebenangebote in Form von technischen Änderungsvorschlägen oder Preisnachlässen vor. Die Antragstellerin reichte insgesamt 13 Änderungsangebote ein.

Mit Schreiben vom 29. Dezember 2005 teilte der Antragsgegner nach Eröffnung der Angebote der Antragstellerin sowie weiteren Bietern mit, dass ihre Angebote wegen fehlender Eignungsnachweise gemäß § 25 Nr. 1 VOB/A ausgeschlossen seien. Die Antragstellerin und die Beigeladene rügten ihren Ausschluss. Der Rüge der Beigeladenen half der Antragsgegner ab, der Rüge der Antragstellerin nicht.

Der Antragsgegner hatte zunächst die Absicht, den Auftrag an eine Firma I... zu vergeben. Aufgrund der von ihm akzeptierten Rüge der Beigeladenen revidierte er am 06.01.2006 seine Absicht. Der Auftrag sollte nunmehr unter Berücksichtigung von Nebenangeboten der Beigeladenen erteilt werden; ausschließliches Bewertungskriterium war nach dem diesbezüglichen Vergabevermerk der Preis.

Da der Rüge der Antragstellerin nicht abgeholfen worden war, leitete sie ein Vergabenachprüfungsverfahren ein. Sie begehrte die Feststellung, dass sie nicht wegen mangelnder Eignungsunterlagen hätte ausgeschlossen werden dürfen.

Die 2. Vergabekammer bei dem Wirtschaftsministerium Mecklenburg-Vorpommern hat mit Beschluss vom 19. April 2006 - 2 VK 1/06 - die Begründetheit des Nachprüfungsantrages festgestellt und hierzu ausgeführt, das Angebot der Antragstellerin hätte nicht mit dem Argument ausgeschlossen werden dürfen, dass zum Submissionstermin Eignungsnachweise gefehlt hätten. Die Vergabekammer hat den Antragsgegner angewiesen, das Vergabeverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer fortzusetzen, wobei sie - ohne dass dieses Inhalt des Nachprüfungsantrages war - darauf hingewiesen hat, dass die von den Bietern eingereichten Nebenangebote wegen Verstoßes gegen Art. 24 VKR nicht gewertet werden dürften.

Gegen den von der Vergabekammer vorgegebenen Ausschluss der Nebenangebote richtet sich die Antragstellerin mit ihrer Vergabebeschwerde. Sie greift die Entscheidung der Vergabekammer nur diese Vorgabe betreffend an und stellt den Antrag, den Beschluss der 2. Vergabekammer bei dem Wirtschaftsministerium Mecklenburg-Vorpommern vom 19. April 2006 aufzuheben, soweit der Antragsgegner angewiesen worden ist, das Vergabeverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer fortzusetzen und dabei Nebenangebote der Antragstellerin nicht zu bewerten

sowie

den Antragsgegner anzuweisen, den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Gebot unter Berücksichtigung auch der Nebenangebote der Antragstellerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Vergabesenats zu erteilen.

Der Antragsgegner stellt keinen Antrag.

Er tritt der Argumentation der Antragstellerin bei und weist darauf hin, dass die Entscheidung der Vergabekammer auf einer unzulässigen allgemeinen Rechtmäßigkeitskontrolle beruhe.

Die Beigeladene, die nach einer erneuten Wertung des Antragsgegners nunmehr den Zuschlag auf ihr Hauptangebot erhalten soll, stellt den Antrag,

die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.

Sie verteidigt die Entscheidung der Vergabekammer, nach der die Voraussetzungen für die Berücksichtigung der Nebenangebote nicht vorgelegen hätten und behauptet die Verfristung der Beschwerde.

II.

Die Beschwerde im Vergabeverfahren ist zulässig.

Sie wendet sich gegen eine Entscheidung der Vergabekammer und ist form- und fristgerecht innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 117 Abs. 1 GWB eingelegt und begründet worden. Der Zugang der Vergabeentscheidung ist ausweislich des Empfangsbekenntnisses der Antragstellerin am 20.04.2006 bei dieser, die sofortige Beschwerde per FAX am 04.05.2006 bei dem Oberlandesgericht Rostock eingegangen.

Das Vergaberecht ist anwendbar. Der Antragsgegner ist ein öffentlicher Auftraggeber i.S.d. § 98 GWB, es handelt sich bei dem Auftrag um einen öffentlichen Auftrag i.S.d. § 99 GWB, auf den keine der Ausnahmen des § 100 Abs. 2 GWB zutreffen.

Die Antragstellerin ist beschwerdeberechtigt, § 116 ff. GWB.

Sie war im Verfahren vor der Vergabekammer antragsbefugte Bieterin § 109 GWB; § 97 Abs. 7 GWB; § 107 Abs. 2 Satz 1 GWB. Durch die Entscheidung der Vergabekammer ist sie auch formell und materiell beschwert.

Die Antragstellerin hatte beantragt, den Antragsgegner anzuweisen, den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot unter Berücksichtigung des Angebotes der Antragstellerin und unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu erteilen. Dieser Begehr ist die Vergabekammer nachgekommen. Sie hat die Antragstellerin jedoch mit ihrer Entscheidung über deren Antrag hinaus beschwert, indem sie (auch) deren Nebenangebote von der Wertung ausgeschlossen hat. Gerade dieses war nicht Begehr der Antragstellerin, da sie unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten nur bei Bewertung auch ihrer Nebenangebote eine Chance auf den Zuschlag hat; denn die Antragstellerin rangiert mit ihrem Hauptangebot an fünfter, unter Berücksichtigung aller ihrer Nebenangebote an erster Stelle.

Die Antragstellerin wendet sich allein gegen die weitere Entscheidung der Vergabekammer, nach der die Nebenangebote der Bieter wegen vermeintlicher Intransparenz der Ausschreibung nicht gewertet werden dürfen. Die Entscheidung der Vergabekammer, nach der die fehlenden Eignungsnachweise nicht zu einem Ausschluss der Antragstellerin nach § 25 Nr. 1 VOB/A hätten führen dürfen, ist nicht angefochten und daher bestandskräftig.

Die Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Die Vergabekammer war nicht befugt, den Antragsgegner anzuweisen, das Vergabeverfahren ohne Berücksichtigung der Nebenangebote fortzusetzen. Die Entscheidung der Vergabekammer ist in dem Umfang, der sich aus dieser Beschwerdeentscheidung ergibt, aufzuheben.

Der öffentliche Auftraggeber hat in seinen Verdingungsunterlagen Mindestanforderungen für Änderungsvorschläge und Nebenangebote zu formulieren, wenn eine Auftragsvergabe an das u. a. wirtschaftlichste Angebot vorgesehen ist. Erfolgt dies nicht, ist der Änderungsvorschlag bzw. das Nebenangebot nicht zu werten (EuGH, Beschluss vom 16.10.2003, Rs C-421/01, IBR 2003, 683). Denn dann ist nicht feststellbar, ob ein Nebenangebot eine technisch und qualitativ gleichwertige Leistungsvariante darstellt und die Grundsätze der Gleichbehandlung der Angebote und der Transparenz des Vergabeverfahrens gewahrt sind (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.04.2005, Verg 23/05, VergabeR 2005, 483f).

Einen derartigen Vergabeverstoß hat die Vergabekammer festgestellt.

Die an der materiell-rechtlichen Begründung der Entscheidung der Vergabekammer durch die Antragstellerin und den Antragsgegner geäußerten Zweifel brauchen an dieser Stelle nicht abschließend geklärt zu werden. Denn die Vergabekammer war nicht berechtigt, von Amts wegen diesen vermeintlichen Vergaberechtsverstoß nach § 114 Abs. 1 GWB zu prüfen; erst recht war es ihr verwehrt, bei einem festgestellten Rechtsverstoß Anordnungen zur Beseitigung dieses Vergaberechtsverstoßes zu treffen.

Gemäß § 114 GWB entscheidet die Vergabekammer, ob der Antragsteller in seinen Rechten verletzt ist und trifft die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Sie ist an die gestellten Anträge nicht gebunden, § 114 Abs. 1 GWB. Dabei mag sie im Rahmen ihrer Entscheidungsmöglichkeit im Einzelfall zu einem Einwirken von Amts wegen und über den gestellten Antrag hinaus berechtigt sein. Auch steht ihr im Einzelfall die Befugnis zu, andere als die vom Antragsteller in der Antragsschrift genannten Vergaberechtsverstöße zu ermitteln und zu prüfen. Dennoch darf die Vergabekammer von der durch § 114 Abs. 1 S. 2 GWB geschaffenen Ermächtigung nur unter zwei Einschränkungen Gebrauch machen: Zum einen muss der Nachprüfungsantrag zulässig sein, zum anderen darf die Vergabekammer die Ermächtigungsnorm des § 114 Abs. 1 S. 2 GWB nicht dazu heranziehen, ungeachtet einer Benachteiligung des Antragstellers durch den Vergabeverstoß auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einzuwirken. Insbesondere darf durch die Entscheidung der Vergabekammer keine amtswegige Verschlechterung des Antragstellers verursacht werden.

Der Vergabenachprüfungsantrag war zulässig. Er beschränkte sich jedoch auf die Überprüfung des Ausschlusses der Antragstellerin wegen fehlender Eignungsnachweise. Das Fehlen der Mindestanforderungen für Nebenangebote ist von keiner Partei vor der Einleitung oder während des Nachprüfungsverfahrens gerügt worden. Dieser Vergabeverstoß wäre danach gemäß § 107 Abs. 3 GWB präkludiert gewesen.

Der Vergabekammer sind Sachentscheidungen über Vergabeverstöße, für die eine materielle Präklusionswirkung im Sinne von § 107 Abs. 3 GWB eingetreten sind und die deswegen nicht in zulässiger Weise zum Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens gemacht werden können, grundsätzlich entzogen (OLG Naumburg, Beschluss vom 23.07.2001, AZ: 1 Verg 3/01, OLGR Naumburg 2002, 174). Dieses ergibt sich zum einen aus der dem Nachprüfungsverfahren innewohnenden Dispositionsmaxime, zum anderen wäre der Normzweck des § 107 Abs. 3 GWB andernfalls in vollem Umfang vereitelt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.06.2005, AZ: Verg 5/05; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.03.2003, AZ: Verg 49/02, OLGR Düsseldorf 2004, 23; BayObLG, Beschluss vom 24.10.2000, AZ: Verg 6/00, BauR 2001, 92f). Präkludierte Vergabeverstöße können dementsprechend grundsätzlich auch nicht Anlass für Anordnungen der Vergabekammer nach § 114 Abs. 1 Satz 2 GWB sein (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26.07.2002, Verg 22/02; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.03.2005, Verg 5/05).

Ungeachtet dessen darf die Vergabekammer im Einzelfall einen Vergaberechtsverstoß zum Anlass nehmen, unabhängig von den Anträgen des Antragstellers - mithin amtswegig - tätig werden, um die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens sicherzustellen. Zwingende Voraussetzung ist in diesem Fall jedoch, dass der Vergabeverstoß zugleich den Antragsteller betrifft und ihn in seinen Rechten verletzt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.06.2005, AZ: Verg 5/05, VergabeR 2005, 670ff), also in den ihn betreffenden Interessen schädigt. Denn die Vergabekammer hat gemäß § 114 Abs. 1 Satz 1 GWB zu prüfen, "ob der Antragsteller in seinen Rechten verletzt ist" und Maßnahmen zu treffen, die geeignet sind, "eine Rechtsverletzung zu beseitigen". Die Rechtsverletzung bezieht sich dabei nicht lediglich auf die formelle Verletzung von Normen, im Vordergrund steht vielmehr die Verschlechterung, die der Antragsteller durch eben diese Normverletzung erlitten haben muss. Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass die Vergabekammer solche Vergabeverstöße, durch die der Antragsteller in eigenen Bieterrechten nicht betroffen ist, nicht zum Anlass nehmen darf, auf das Vergabeverfahren von Amts wegen einzuwirken. Ausgehend von dem das Vergabenachprüfungsverfahren bestimmenden Grundsatz des Individualschutzes ist die Vergabekammer in diesen Fällen zu einem Eingriff in das Vergabeverfahren nur befugt, wenn die Betroffenen selbst einen Nachprüfungsantrag gestellt haben. § 114 GWB erlaubt hingegen nicht, worauf die Antragsgegnerin zurecht hinweist, eine allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.06.2005, AZ: Verg5/05, VergabeR 2005, 670ff; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.03.2003, AZ: Verg 49/02, CuR 2004, 26 ff.).

Eine Rechtsverletzung in diesem Sinne liegt hier nicht vor. Zwar hat das Transparenzgebot im Vergabeverfahren grundsätzlich bieterschützende Wirkung. Durch eine etwaige Nichtbeachtung vergaberechtlicher diesbezüglicher Bestimmungen wäre die Antragstellerin jedoch nicht in ihren subjektiven Bieterrechten nach § 97 Abs. 7 GWB verletzt. Denn der (vermeintliche) Vergabeverstoß hätte bei ihr keinen Schaden verursacht und ihre Bieterstellung nicht verschlechtert, da ihr Angebot gerade auf die Wertung der Nebenangebote ausgerichtet ist.

Vielmehr stellt erst die Entscheidung der Vergabekammer eine Verschlechterung der Bieterstellung der Antragstellerin dar.

Ausweislich des Vergabevermerks hat die Vergabestelle zudem die Nebenangebote aller Bieter berücksichtigt und gewertet, so dass auch kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vorliegt. Bei ihrer erneuten Wertung und Entscheidung über die Vergabe wird die Vergabestelle die von ihr selbst aufgestellten Zuschlagskriterien Preis, Qualität, Ausführungsfrist, Funktionalität und Wartung im Einzelnen zu gewichten und die Angebote entsprechend zu bewerten haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung der §§ 91, 100 Abs. 1 und 2 ZPO.

Der Gegenstandswert wird auf EUR 267.934,27 festgesetzt.

Die Festsetzung folgt aus § 50 Abs. 2 GKG und beträgt 5% des Hauptangebotes (EUR 5.358.685,49).

Ende der Entscheidung

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