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Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 01.04.2005
Aktenzeichen: 2 Ss (OWi) 389/04 I 246/04
Rechtsgebiete: OWiG, StPO
Vorschriften:
OWiG § 46 | |
OWiG § 66 Abs. 1 Nr. 3 | |
OWiG § 79 Abs. 3 Satz 1 | |
OWiG § 79 Abs. 6 | |
StPO § 264 | |
StPO § 349 Abs. 4 | |
StPO § 353 | |
StPO § 354 Abs. 2 |
Oberlandesgericht Rostock - Senat für Bußgeldsachen - BESCHLUSS
Geschäftsnummer 2 Ss (OWi) 389/04 I 246/04
In der Bußgeldsache
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
hat der Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Rostock durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. D. sowie die Richter am Oberlandesgericht Hansen und Z. auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Schwerin vom 5. Oktober 2004 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Beschwerdeführers am 1. April 2005 gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG in Verbindung mit § 349 Abs. 4 StPO
beschlossen:
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Schwerin zurück verwiesen.
Gründe:
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen "fahrlässiger Mißachtung des Rotlichts der Lichtzeichenanlage, das Rotlicht zeigte mehr als eine Sekunde rot, oder fahrlässiger Überschreitung der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um mindestens 31 km/h zu einer Geldbuße von 125,00" (gemeint ist ersichtlich: Euro) verurteilt. Daneben hat es ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet. Mit seiner hiergegen gerichteten zulässigen Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und sachlichen Rechts.
I.
Ein zu beachtendes Verfahrenshindernis besteht nicht. Insbesondere ist der Bußgeldbescheid ausreichende Verfahrensgrundlage sowohl für den ausgeurteilten Rotlichtverstoß als auch - entgegen der dem Rechtsbeschwerdevorbringen zu entnehmenden Ansicht - für die alternativ ausgeurteilte Geschwindigkeitsüberschreitung, weil der den Rotlichtverstoß oder die Geschwindigkeitsüberschreitung darstellende historische Vorgang im Sinne von § 264 StPO i. V. m. § 46 OWiG in einer den zu stellenden Anforderungen noch genügenden Weise geschildert ist; Verjährung ist nicht eingetreten.
1. Dem Verfahren liegt der Bußgeldbescheid der Bußgeldstelle der Landeshauptstadt Schwerin vom 27. Juli 2004 zugrunde. Der Betroffene wird beschuldigt, am 29. April 2004 um 7.28 Uhr als Führer des Pkw in Schwerin, Lichtzeichenanlage Lübecker Straße/Grevesmühlener Straße das Rotlicht der Lichtzeichenanlage mißachtet zu haben, wobei die Rotlichtphase bereits länger als eine Sekunde andauerte.
2. Das Rechtsbeschwerdegericht hat - von Amts wegen - zu prüfen, ob die allgemeinen Prozessvoraussetzungen gegeben sind; dazu gehört insbesondere auch die Feststellung, dass die abgeurteilte Tat - entsprechend der Forderung des § 264 StPO (i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG) - mit der in der Anklage oder einem ihr gleichstehenden Verfahrensvorgang bezeichneten und verfolgten Tat identisch ist (vgl. nur OLG Koblenz VRS 63, 140, 141; Kurz in KK-OWiG 2. Aufl. § 66 Rdn. 51 ff.; Göhler OWiG 13. Aufl. § 66 Rdn. 39; Bohnert OWiG § 19 Rdn. 21 ff., 24, jeweils m. w. N.). Ausgangspunkt ist dabei der gegen den Betroffenen ergangene Bußgeldbescheid, da dieser die Grundlage des gerichtlichen Verfahrens in Bußgeldsachen bildet. Er hat nach dem Einspruch des Betroffenen die Bedeutung einer Beschuldigung, die den Gegenstand des Verfahrens in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht abgrenzt (vgl. §§ 66 Abs. 1, 71 Abs. 1 OWiG) und erfüllt damit die gleiche Aufgabe wie die Anklageschrift oder der Strafbefehl (vgl. BayObLG VRS 38, 365; 47, 297 f.; OLG Koblenz aaO; Kurz in KK-OWiG aaO § 65 Rdn. 9; Göhler aaO Vor § 65 Rdn. 8; Bohnert aaO § 65 Rdn. 16, jeweils m. w. N.). Nicht zuletzt gebietet es die Gewährleistungspflicht für ein rechtsstaatliches Verfahren, dass der Betroffene sich schon durch den Bußgeldbescheid ein Bild von der Tragfähigkeit der gegen ihn erhobenen Vorwürfe machen können soll, damit er prüfen kann, ob er Einspruch einlegen soll und wie er seine Verteidigung in der Hauptverhandlung vorbereiten kann (so bereits BayObLG VRS 38, 365 m. w. N.).
Allerdings hängt der Umfang der Tatkonkretisierung von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. auch BayObLG aaO; OLG Köln VRS 37, 379 f.; OLG Schleswig DAR 1970, 23 f.; Göhler aaO § 66 Rdn. 39, 45 f.). Wegen des Zwecks des Bußgeldverfahrens, Ordnungswidrigkeitenverstöße zügig und effizient zu ahnden, ist hingegen in einem Bußgeldbescheid grundsätzlich keine so eingehende Konkretisierung erforderlich, wie in einer Anklageschrift oder in einem Strafbefehl (vgl. - mit Nachweisen - Kurz in KK-OWiG aaO § 66 Rdn. 10).
3. Gemessen daran bildet der Bußgeldbescheid für die ausgeurteilte alternative Tatbegehung eine noch ausreichende Verfahrensgrundlage
a) Bezogen auf den Rotlichtverstoß sind der Betroffene, das von ihm geführte Fahrzeug, der Tattag, die Tatzeit (vgl. dazu auch OLG Braunschweig VRS 87, 143 ff.) und der Tatort genau bezeichnet. Die Gefahr einer Verwechselung mit einem von dem Betroffenen zum angegebenen Zeitpunkt etwa begangenen gleichartigen Verstoß (vgl. zu diesem Gesichtspunkt OLG Düsseldorf VRS 63, 140) besteht nicht.
b) Auch die - alternativ ausgeurteilte - Geschwindigkeitsüberschreitung wird - noch ausreichend - vom Bußgeldbescheid erfasst. Ob der den Erfordernissen des § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG genügende Bescheid als Grundlage für die Verurteilung des Betroffenen dienen kann, ist nicht eine Frage der Konkretisierung des tatsächlichen Vorwurfes, sondern eine solche der Tatidentität (vgl. auch BayObLG NZV 1997, 489, 490; BayObLGSt 1994, 135, 138, jeweils m. Nachw.). Rotlichtverstoß und die - "im Wege der Wahlfeststellung" ausgeurteilte - Geschwindigkeitsüberschreitung bilden hier einen historischen Vorgang im Sinne des § 264 StPO.
aa) Der Begriff der Tat im gerichtlichen Verfahren in Bußgeldsachen deckt sich mit dem für das Strafverfahren maßgeblichen Tatbegriff des Art. 103 Abs. 3 GG (vgl. BayObLG JR 2002, 523 f. m. Anm. Seitz). Er bezeichnet ein konkretes Geschehen, das einen einheitlichen geschichtlichen Vorgang bildet und Merkmale enthält, die es von denkbaren anderen ähnlichen oder gleichartigen Vorkommnissen unterscheidet (BGHSt 22, 375, 385) und umfasst das gesamte Verhalten des Täters, soweit dieses nach der natürlichen Auffassung des Lebens eine Einheit bildet (BGHSt 23, 141, 145; 35, 60, 62 ff.; 45, 211, 212 f.; Kurz in KK-OWiG aaO § 66 Rdn. 51 ff.; Göhler aaO § 66 Rdn. 39; Bohnert aaO § 19 Rdn. 21 ff., jew. m. N.).
Die Handlungen müssen dabei nach dem Ereignisablauf zeitlich, räumlich und innerlich so miteinander verknüpft sein, dass sich ihre getrennte Würdigung und Ahndung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorganges darstellen würde (vgl. auch BGHSt 41, 385, 388). Insoweit sind der zeitliche Ablauf der einzelnen Handlungen und der zeitliche Abstand zwischen ihnen wesentliche Kriterien für die Beurteilung, ob ein einheitliches Tatgeschehen vorliegt. Bei Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr ist demgemäß davon auszugehen, dass mit dem Ende eines bestimmten Verkehrsgeschehens, das durch ein anderes abgelöst wird, in der Regel das die Tat bildende geschichtliche Ereignis abgeschlossen ist (BayObLG NZV 1997, 489, 490; OLG Köln NZV 1989, 401).
bb) Allerdings ist in der Rechtsprechung und Literatur umstritten, wie bei der Fallgruppe der alternativen Handlungsabläufe - wie hier - der Tatbegriff im Sinne des § 264 StPO zu bestimmen ist (vgl. zum Diskussionsstand etwa Otto JR 1988, 27 ff.; Wolter NStZ 1988, 456 ff.; Roxin JZ 1988, 260 ff.); insbesondere steht im Streit, ob eine lediglich faktische Betrachtungsweise, die entscheidend auf die tatobjektsbezogene enge Verknüpfung des Sachverhaltes (vgl. etwa RGSt 8, 135, 139 ff.; BGH bei Dallinger MDR 1954, 17) abstellt, ausreichend ist, oder ob - zusätzlich - normative Kriterien, etwa die Zielrichtung des Handelns (vgl. auch BGHSt 35, 60, 64) erforderlich sind. Indes ist der Streit regelmäßig nur in den Fällen von Bedeutung, in denen die (alternativen) Geschehnisse zeitlich (weit) auseinander liegen; eines näheren Eingehens bedarf es deshalb im konkreten Fall nicht.
cc) Die Kriterien, die an die prozessuale Tat im Sinne des § 264 StPO (i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG) gestellt werden, sind hier noch ausreichend erfüllt. Zur Annahme eines derartigen einheitlichen Lebensvorgangs reicht es jedoch regelmäßig nicht aus, dass mehrere Verkehrsverstöße auf ein und derselben Fahrt begangen worden sind (vgl. nur BayObLGSt 1994, 135, 137; OLG Düsseldorf VRS 75, 360, 361; OLG Hamm DAR 1974, 22 f.). Von besonderer Bedeutung ist vielmehr, ob die Einzelverstöße räumlich und insbesondere zeitlich eng aufeinander folgen (vgl. etwa BayObLG JR 2002, 523 f.; BayObLGSt 1995, 91, 93 f.; OLG Düsseldorf NZV 1996, 503, 504 f.; OLG Köln NZV 1989, 401; OLG Stuttgart NZV 1997, 243 f., jeweils m. w. N.).
Der hier (alternativ) ausgeurteilten Geschwindigkeitsüberschreitung liegt ein Vorfall am selben Tag zeitlich unmittelbar vor dem Überqueren der Kreuzung zugrunde. Auch der Tatort ist noch ausreichend bezeichnet: Der Konkretisierung "Kreuzung Lübecker Straße/Grevesmühlener Straße" ist zu entnehmen, dass sich der Betroffene dieser Kreuzung von der Lübecker Straße aus genähert hat. Bei der gebotenen natürlichen Betrachtungsweise wird mit der im Bußgeldbescheid erwähnten Tat damit auch vollständig diejenige erfasst, wegen derer der Betroffene alternativ verurteilt worden ist (vgl. auch die Sachverhalte, die den Entscheidungen des BayObLG [BayObLGSt 1994, 135 ff.], des OLG Stuttgart [NZV 1997, 243 f.] und des OLG Zweibrücken [NJW 1966, 1828 f.] zugrunde lagen). Dafür spricht schließlich hier auch, dass - aufgrund der dem Urteil möglicherweise zu entnehmenden Feststellungen (vgl dazu auch unter II. 2. a) dd)) - die (jeweils) alternative Tat einer "qualifizierten" Ordnungswidrigkeit in Tateinheit mit der "nicht qualifizierten" Ordnungswidrigkeit stünde.
Da insoweit die Tat im prozessualem Sinn im Bußgeldbescheid noch ausreichend konkretisiert ist, liegt die für die alternative Verurteilung des Betroffenen wegen Geschwindigkeitsüberschreitung zwingende Verfahrensvoraussetzung einer ausreichenden Verfahrensgrundlage vor. Damit scheidet auch der Einwand des Beschwerdeführers aus, die Geschwindigkeitsüberschreitung sei im Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits verjährt gewesen, da die vorliegenden Unterbrechungenshandlungen die Tat im prozessualem Sinne erfassen (vgl. Göhler aaO § 33 Rdn. 56b).
II.
Die Rechtsbeschwerde hat mit der Sachrüge im vollem Umfang Erfolg; auf die Verfahrensrüge kommt es nicht an.
1. Nach den amtsrichterlichen Feststellungen befuhr der Betroffene am 29. April 2004 gegen 7.28 Uhr mit einem Pkw die Lübecker Straße in Schwerin. An diesem Tag führte der Verkehrsüberwachungsdienst Laser-Geschwindigkeitskontrollen im Bereich Lübecker Straße, Kreuzung Grevesmühlener Straße durch. Wegen "augenscheinlich überhöhter Geschwindigkeit" fiel das Fahrzeug einem vor Ort mit der Geschwindigkeitsmesskontrolle befasstem Polizeibeamten auf; indes war eine konkrete Messung "wegen der Verkehrsdichte" nicht möglich. Die zwei vor Ort anwesenden Polizeibeamten erkannten sowohl den Betroffenen als Fahrer des Fahrzeuges als auch den von ihm geführten Pkw. Denn die Personalien des Betroffenen hatten sie anlässlich einer zwei Tage vor dem Vorfall vorgenommenen Geschwindigkeitsmessung aufgenommen. "Als der Betroffene etwa auf Höhe des Messgerätes, ca. 30 m vor der Haltelinie der Lichtzeichenanlage mindestens aber 23 m davor vorbeifuhr, zeigte die Ampel Rotlicht".
Der Betroffene überschritt sodann "entweder unbewusst" die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um mindestens 31 km/h oder "mißachtete unbewusst" das Rotlicht der Lichtzeichenanlage bei mehr als einer Sekunde Rotlicht.
2. Das Urteil hält in mehrfacher Hinsicht der sachlich-rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Die Voraussetzungen einer wahlweisen Verurteilung liegen - ebenfalls in mehrfacher Hinsicht - nicht vor.
aa) Auch im Ordnungswidrigkeitenrecht ist grundsätzlich eine alternativer Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage (vgl. zur ungenauen Begriffsbildung "Wahlfeststellung" nur Rogall in KK-OWiG aaO Vor § 1 Rdn. 23 m. w. N.) zulässig (vgl. etwa Rebmann/Roth/Herrmann OWiG 3. Aufl., Stand: 8. Erg.Lfg. August 2004, Vor § 1 Rdn. 54; Rogall in KK-OWiG aaO Rdn. 21, 31 ff.; Göhler aaO Vor § 1 Rdn. 38; Bohnert aaO § 3 Rdn. 21 f.; Hentschel, Straßenverkehrsrecht 38. Aufl. § 24 StVG Rdn. 76, jeweils m. w. N.), wenngleich insoweit "bußgeldrechtliche Entscheidungen ... eher spärlich gesät" sind (Rogall in KK-OWiG aaO Rdn. 42). Steht mit Sicherheit fest, dass der Täter durch eine bestimmte Handlung oder durch Unterlassen eine Ordnungswidrigkeit begangen hat, so dass ein anderer nicht mit einer Geldbuße bedrohter Geschehensablauf mit Sicherheit ausscheidet, steht indes nicht fest, durch welche Handlung oder Unterlassung die Ordnungswidrigkeit(en) begangen wurden, oder welche von mehreren Begehungsweisen einen Bußgeldtatbestand verwirklicht hat, ist es ob dieser unklaren Beweislagen aufgrund der Forderung nach Einzelfallgerechtigkeit geboten, die Tat - unter bestimmten weiteren Voraussetzungen - bußgeldrechtlich zu ahnden (vgl. Rebmann/Roth/Herrmann aaO; Rogall in KK-OWiG aaO Rdn. 22). Damit werden unzutreffende Ergebnisse verhindert, die bei doppelter Anwendung des Zweifelssatzes entstehen könnten.
bb) Eine alternative Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage ist hier schon deshalb fehlerhaft erfolgt, weil die erforderliche Sachaufklärung (vgl. Rogall in KK-OWiG aaO Rdn. 32 f. m. Nachw.) der jeweils alternativ vom Amtsgericht in Betracht gezogenen Taten nicht ausreichend vorgenommen worden ist. Mit dem Instrumentarium alternativer Verurteilung wird der Tatrichter nicht von der - für ihn nach wie vor bestehenden - Notwendigkeit mangelfreier Überzeugungsbildung (§ 261 StPO) entbunden; das tatrichterlich gebotene Erfordernis der Sachaufklärung, das regelmäßig auch für das Bußgeldverfahren gilt, wird nicht relativiert (Rogall in KK-OWiG aaO Rdn. 32). Soweit vereinzelt in der Rechtsprechung (vgl. OLG Zweibrücken NJW 1966, 1828 f.) und in der Literatur (vgl. Rebmann/Roth/Herrmann aaO Rdn. 55) im Ordnungswidrigkeitenrecht ein geringerer Maßstab angelegt wird, findet sich dazu im Gesetz keine Stütze (zutreffend: Rogall in KK-OWiG aaO); indes braucht der Senat auf diese Frage nicht näher einzugehen, denn das Urteil wird selbst diesen geringeren Maßstäben nicht gerecht: Weder die Feststellungen zum Rotlichtverstoß (dazu unter (1)) noch die Feststellungen zur Geschwindigkeitsüberschreitung (dazu unter (2)) sind rechtsfehlerfrei; sie beruhen auf einer nicht tragfähigen Beweisgrundlage.
(1) Das Amtsgericht hat zum "Rotlichtverstoß" ausgeführt, dass der Betroffene mit dem von ihm geführten Pkw "mindestens" 23 m von der Lichtzeichenanlage entfernt war, als diese "rot" zeigte. Abhängig von der Geschwindigkeit des Fahrzeuges könne der "Rotlichtverstoß" qualifiziert gewesen sein oder nicht. Bereits der Ausgangspunkt dieser Überlegungen, der Betroffene sei mit dem Pkw mindestens 23 m von der Haltelinie entfernt gewesen, ist nicht ausreichend belegt.
Das Amtsgericht hat nicht ordnungsgemäß (§ 267 Abs. 1 Satz 3 StPO, vgl. auch Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 27. Aufl. Rdn. 247 ff., 253 f.) auf eine - für seine Berechnung und Begründung in Bezug genommene - Skizze verwiesen; diese Skizze ist damit nicht Urteilsbestandteil (geworden). Dem Rechtsbeschwerdegericht ist bereits deshalb die Nachprüfung der Argumentation des Tatrichters verwehrt.
Weiterhin fehlt es an einer eingehenderen Begründung, warum das Amtsgericht von einem "Sicherheitsabschlag" von 7 m ausgegangen ist. Angesichts der Besonderheiten des Falles, insbesondere der nachträglichen, aus der Erinnerung der Polizeibeamten vorgenommenen Messung der Strecke zwischen dem Standpunkt des Lasermessgerätes, auf dessen Höhe sich der Betroffene mit seinem Fahrzeug wohl befunden haben soll, und der Haltelinie der Lichtzeichenanlage, versteht sich der "Sicherheitsabschlag" in dieser Größenordnung nicht von selbst. Hinzu kommt hier außerdem, dass das Gericht wegen Einzelheiten zur Schätzung der Zeugen wiederum auf die - unwirksam in Bezug genommene - Skizze verweist.
Auch im übrigen werden die Anforderungen, die die Rechtsprechung an die Überzeugungsbildung bei einem qualifizierten "Rotlichtverstoß" aufgrund Schätzung durch Polizeibeamte aufgestellt hat (vgl. aus der jüngeren Rspr. nur: BayObLG NStZ-RR 2002, 345 f.; OLG Düsseldorf DAR 2003, 85 f.; DAR 2003, 234; OLG Hamm NZV 1998, 169; KG NZV 2002, 50; NZV 2001, 441; OLG Köln VRS 106, 214 ff.) nicht erfüllt. Ausgangspunkt der tatrichterlichen Überzeugungsbildung ist im Wesentlichen (nur) die Schätzung der Polizeibeamten zum Standpunkt des aufgestellten Lasermessgerätes in Bezug zur Haltelinie der Lichtzeichenanlage. Bereits zum genauen Standpunkt des "mit überhöhter Geschwindigkeit" vorbeifahrenden Betroffenen verhält sich das Urteil nur vage ("etwa auf Höhe des Messgerätes"). Ob die den Vorgang beobachtenden Polizeibeamten selbst eine Schätzung der Dauer des Rotlichtverstoßes - gegebenenfalls mit welchem Ergebnis - vorgenommen haben, teilt das Urteil ebenfalls nicht mit; hinzu kommt hier, dass die Polizeibeamten nicht gezielt zur Rotlichtüberwachung eingesetzt waren und - nach den tatrichterlichen Feststellungen - zur Vorfallszeit eine - allerdings vom Amtsgericht nicht näher ausgeführte - "Verkehrsdichte" herrschte.
Die mit zahlreichen Fehlermöglichkeiten behafteten Schätzungen, zu denen sich das Gericht allenfalls ansatzweise verhält, sind regelmäßig zu ungenau, als dass hieran die erschwerte Sanktion der erhöhten Geldbuße und insbesondere des Fahrverbots geknüpft werden können. Erst wenn ausreichend sichere Feststellungen dazu getroffen werden können, in welcher Entfernung sich das Fahrzeug des Betroffenen vor der Lichtzeichenanlage befand, als die Ampel auf Rotlicht umschaltete und mit welcher Geschwindigkeit der Betroffene fuhr, wäre eine Berechnung der Rotlichtdauer bei Überfahren der Rotlichtzeichenanlage möglich (vgl. auch OLG Celle NZV 1994, 40). Für die Feststellung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes genügt die "bloße gefühlsmäßige" Schätzung eines den Rotlichtverstoß zufällig beobachtenden Polizeibeamten alleine nicht, um zuverlässig entscheiden zu können, ob nur ein einfacher oder ein qualifizierter Rotlichtverstoß vorliegt (vgl. auch - neben den bereits benannten Entscheidungen - BayObLG NZV 1995, 497 f.; OLG Düsseldorf NZV 1995, 197; KG NZV 1995, 240). Schätzungen von Zeugen ist zwar ein Beweiswert nicht von vornherein abzusprechen; sie sind jedoch mit einer besonderen Unsicherheit belastet, der bei der Beweiswürdigung in hinreichendem Maße Rechnung getragen werden muss.
(2) Die vorgenannten Fehler setzen sich bei den Feststellungen zur "qualifizierten" Geschwindigkeitsüberschreitung fort: Das Amtsgericht kommt (lediglich) aufgrund "Rückrechnung" zu einer (qualifizierten) Geschwindigkeitsüberschreitung; das Ergebnis dieser "Rückrechnung" gewinnt es aufgrund der - wie aufgezeigt: nicht ausreichenden - Annahme "korrekter" Schätzung durch die Zeugen (zur Darlegung im Urteil bei mittels Schätzung festgestellter Geschwindigkeitsüberschreitung vgl. etwa BayObLG DAR 2001, 37; OLG Hamm NZV 1998, 169; weitere Nachweise bei Hentschel aaO § 3 StVO Rdn. 63). Auch fehlt es an einer näheren Darlegung zu der sich hier aufdrängenden Frage, warum trotz "Verkehrsdichte" eine "augenscheinlich überhöhte Geschwindigkeit" möglich gewesen ist.
cc) Eine alternative Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage hält hier zudem deshalb rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil die im Urteil erforderlichen (vgl. OLG Hamburg NJW 1955, 920, 921; Rogall in KK-OWiG aaO Rdn. 32) Feststellungen fehlen, warum eine eindeutige Aufklärung eines (qualifizierten) "Rotlichtverstoßes" trotz Ausschöpfung der vorhandenen Beweismöglichkeiten nicht getroffen werden konnte (vgl. auch KG VRS 35, 390, 391; Rebmann/Roth/Herrmann aaO Rdn. 55). Der angefochtenen Entscheidung ist nicht zu entnehmen, welche Gründe es für einen solchen Feststellungsmangel gibt. Insbesondere lassen sich die Gründe nicht aus den Erwägungen des Amtsgerichtes zur Weg-Zeit-Berechnung herleiten.
dd) Schließlich ist nicht zu erkennen, ob sich der Tatrichter bewusst darüber gewesen ist, dass die alternative Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage nur möglich ist, wenn die festgestellten Handlungen im Verhältnis exklusiver Alternativität stehen (vgl. Rogall in KK-OWiG aaO Rdn. 34): Liegt eine Alternative vor, muss die andere Alternative ausgeschlossen sein und umgekehrt (vgl. auch BGHSt 12, 386, 389; Rogall in KK-OWiG aaO m. w. N.; in diesem Sinne auch OLG Hamm VRS 53, 136 f.). Angesichts der bislang getroffenen Feststellungen liegt es indes nicht fern, dass beide - möglicherweise auch "nicht qualifizierte" - Verkehrsverstöße tateinheitlich begangen worden sind.
b) Aus den vorgenannten Gründen konnte das Urteil keinen Bestand haben. Es kommt daher nicht darauf an, dass das Urteil auch deswegen der Aufhebung unterliegt, weil das Amtsgericht nicht mitteilt, ob und gegebenenfalls wie sich der Betroffene eingelassen hat. Die Feststellungen des Urteils sind insoweit ebenfalls lückenhaft. Zwar sind in Bußgeldsachen an die schriftlichen Urteilsgründe keine zu hohen Anforderungen zu stellen (vgl. Senge in KK-OWiG aaO § 71 Rdn. 106). Jedoch müssen die Urteilsgründe im Regelfall erkennen lassen, ob und wie sich der Betroffene eingelassen hat, ob der Richter der Einlassung folgt oder ob und inwieweit er die Einlassung für widerlegt ansieht (Senge in KK-OWiG aaO Rdn. 107). Das Fehlen einer zumindest gestrafften Darstellung des Einlassung in den Urteilsgründen begründet auch im Bußgeldverfahren regelmäßig einen sachlich-rechtlichen Mangel des Urteils (std. Rspr., vgl. etwa Senatsbeschluss vom 8. Dezember 2004 - 2 Ss (OWi) 323/04 I 251/04 -; Senge in KK-OWiG aaO Rdn. 107 m. w. N.).
c) Das angefochtene Urteil war folglich gemäß §§ 353, 354 Abs. 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1, Abs. 6 OWiG mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zurückzugeben, da nach Ansicht des Senats noch weitere Feststellungen über die dem Betroffenen vorgeworfene Tat getroffen werden können.
Ende der Entscheidung
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