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Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Urteil verkündet am 24.11.2003
Aktenzeichen: 3 U 111/03
Rechtsgebiete: InsO
Vorschriften:
InsO § 93 | |
InsO § 134 |
Oberlandesgericht Rostock IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Laut Protokoll verkündet am: 24.11.2003
In dem Rechtsstreit
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Eckert, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Jedamzik und die Richterin am Landgericht Gombac
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2003
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 06.02.2003 verkündete Urteil des Landgerichts Rostock wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern der Kläger nicht zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Streitwert der Berufung: 14.837,23 €.
Gründe:
I.
Der Kläger als Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Verwaltungsgesellschaft H. Ausbau Gewerke GmbH (nachfolgend Schuldnerin) nimmt die Beklagte auf Rückgewähr einer anfechtbar erlangten Geldzahlung in Anspruch.
Die Schuldnerin ist Verwaltungsgesellschaft und Komplementärin mehrerer Kommanditgesellschaften. Unter anderem ist sie Komplementärin der H. Ausbau Gewerke GmbH & Co. Fliesen KG (nachfolgend Fliesen KG). Diese beschäftigte Arbeitnehmer, die sie bei der Beklagten angemeldet hatte. Sie erkannte am 03.02.1999 eine Beitragsschuld in Höhe von 29.019,09 DM an. Am 11.02.1999 beantragte sie wegen Zahlungsunfähigkeit die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Das Amtsgericht Rostock ordnete am selben Tag die vorläufige Insolvenzverwaltung an. Am 26.02.1999 stellten die Gesellschafter der Schuldnerin fest, dass diese in Folge der Insolvenz der Fliesen KG ebenfalls überschuldet und das Insolvenzverfahren zu beantragen sei. Die Schuldnerin stellte den Antrag am 03.03.1999; eröffnet wurde das Insolvenzverfahren am 28.04.1999. Zur Tilgung der von der Fliesen KG zuvor anerkannten Beitragsrückstände überwies die Schuldnerin an die Beklagte am 19.03.1999 29.019,09 DM.
Mit Schreiben vom 08.12.1999 erklärte der Kläger die Anfechtung dieser Überweisung. Am 26.07.2000 beantragte er für den Rechtsstreit gegen die Beklagte Prozesskostenhilfe. Am 04.09.2001 bewilligte das Landgericht ihm Prozesskostenhilfe. Die Klageschrift ging am 14.09.2001 ein.
Zur Begründung der Klage trägt der Kläger vor, die fälligen Gesamtverbindlichkeiten der Fliesen KG hätten sich auf ca. 850.000,00 DM belaufen, davon rückständige Löhne und Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 525.000,00 DM. Dem hätte nur freie Aktiva in Höhe von 23.000,00 DM gegenübergestanden. Aufgrund dessen sei die Schuldnerin im März 1999 zahlungsfähig und überschuldet gewesen. Zur Zeit der Überweisung sei der Beklagten die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin bekannt gewesen, zumindest Umstände, die zwingend auf Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit schließen ließen. Angesichts des ihr bekannten Insolvenzeröffnungsverfahrens über das Vermögen der Fliesen KG habe sie die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin erkennen können.
Die Beklagte erhob die Einrede der Verjährung und bestritt Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin. Die gesellschaftsrechtliche Verflechtung zwischen der Schuldnerin und der Fliesen KG sei ihr nicht bekannt gewesen.
Das Landgericht verurteilte die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 14.837,23 € nebst Zinsen. Es nahm eine kongruente Deckung an und folgerte aus der Kenntnis der Beklagten von dem vorläufigen Insolvenzverfahren über das Vermögen der Fliesen KG und deren unpünktlichen Zahlungen auf Kenntnis der Umstände, die auf die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin schließen lassen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Zu deren Begründung betont sie, dass die Fliesen KG und nicht die Schuldnerin mit der Zahlung von Versicherungsbeiträgen in Rückstand geraten sei. Noch am 10.02.1999 habe die Fliesen KG sich zu Ratenzahlungen zur Abtragung der rückständigen Sozialversicherungsbeiträge bis zum 30.06.1999 bereit erklärt; eine Zahlungsunfähigkeit sei weder zu dieser Zeit noch zum Zeitpunkt der Überweisung für die Beklagte erkennbar gewesen. Die gesellschaftsrechtlichen Verflechtungen zwischen der Schuldnerin und der Fliesen KG seien nur von sekundärer Bedeutung, entscheidend sei die juristische Selbständigkeit der Gesellschaften. Von dem Insolvenzantrag der Schuldnerin habe sie, die Beklagte, erstmals durch Schriftsatz des Klägers vom 19.04.1999 erfahren. Die Kenntnisse des Klägers über die Zahlungsunfähigkeit sowohl der Fliesen KG als auch der Schuldnerin seien der Beklagten nicht zugänglich gewesen. Schließlich habe die Schuldnerin nach ihrer eigenen Erklärung selbst erst am 26.02.1999 ihre Zahlungsunfähigkeit erkannt und die Beantragung des Insolvenzverfahrens beschlossen.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt vor, die Beklagte habe aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Verbindung der Schuldnerin und der Fliesen KG die Umstände gekannt, die auf die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin schließen ließen. Zum Hintergrund der streitgegenständlichen Überweisung der Sozialversicherungsbeiträge an die Beklagte trägt der Kläger vor, dass es den Gesellschaftern der Schuldnerin darum gegangen sei, einer persönlichen Inanspruchnahme wegen unerlaubter Handlung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 a StGB zu entgehen. Zu jener Zeit habe die Fliesen KG nicht ohne Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters verfügen dürfen. Daher hätten sich ihre Gesellschafter entschlossen, die Sozialversicherungsrückstände von ihr begleichen zu lassen.
Zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung wurden die Parteien mit der Terminsladung darauf hingewiesen, dass die Anfechtung des Klägers gem. § 134 InsO durchgreifen könne. Ergänzend wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht sie zur Rückzahlung des am 19.03.1999 an sie überwiesenen Betrages verurteilt.
1.
Wegen Verjährung ist die Klage nicht abzuweisen, denn das innerhalb der Zweijahresfrist eingereichte und letztlich erfolgreiche Prozesskostenhilfegesuch hemmte die Verjährung entsprechend § 203 BGB a. F. Die unverzügliche Klageerhebung nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe unterbrach die Verjährung (dazu BGH ZIP 2003, 1674 = WM 2003, 1694). Das Prozesskostenhilfegesuch und die Klage hemmen und unterbrechen die Verjährung des Rückgewähranspruchs (§ 146 InsO) schlechthin, also auch soweit die insolvenzrechtliche Anfechtung aus Gründen durchgreift, auf die der Insolvenzverwalter die Anfechtung nicht gestützt hat.
2.
Die Überweisung der 29.019,09 DM am 19.03.1999 benachteiligte die Gläubiger der Schuldnerin, denn ohne diesen Vorgang wäre deren spätere Masse um diesen Betrag größer gewesen. Auch die Tilgung von Beitragsrückständen, die Arbeitnehmeranteile einschließt, benachteiligt die Gläubiger (BGHZ 149, 100; BGH ZIP 2003, 1666 = WM 2003, 1776 = NZI 2003, 542 ). Im übrigen geht es vorliegend nicht um Anteile der Arbeitnehmer der Schuldnerin, denn sie hatte unstreitig keine Arbeitnehmer, war folglich auch nicht die primäre Beitragsschuldnerin.
3.
Gem. § 143 InsO ist die Beklagte dem Kläger zur Rückgewähr des ihr am 19.03.1999 überwiesenen Betrages verpflichtet.
Dass die Anfechtung wegen kongruenter Deckung (§ 130 InsO) oder wegen inkongruenter Deckung (§ 131 InsO) - ob überhaupt eine Deckungsanfechtung in Betracht kommt, kann hier dahinstehen - scheitert, weil die Beklagte bei Erhalt der angefochtenen Leistung die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin oder die dafür sprechenden Umstände nicht kannte, verhilft der Berufung nicht zum Erfolg. Die Anfechtung ist nämlich gem. § 134 Abs. 1 InsO begründet. Nach dieser Vorschrift ist eine unentgeltliche Leistung des Schuldners in den letzten vier Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung anfechtbar, ohne dass es auf Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin ankommt.
a)
Die unentgeltliche Leistung i. S. d. § 134 Abs. 1 InsO ist nicht mit einer Schenkung im Sinn des § 516 BGB gleichzusetzen. Im Interesse der Gläubiger ist eine weite Auslegung geboten (BGH WM 1975, 1182; WM 1991, 331). Ausschlaggebend ist das wirtschaftliche Ergebnis der Leistung; sie ist unentgeltlich, wenn der Schuldner einen Vermögenswert aufgibt, ohne dass ihm ein entsprechender Vermögenswert zufließt (vgl. BGH WM 1978, 671; WM 1991, 331; BGHZ 141, 96 = ZIP 1999, 628 = NJW 1999, 1549), wobei die Erfüllung einer Forderung entgeltlich ist, weil die Leistung den Schuldner von seiner Schuld befreit. Auch die Tilgung einer fremden Schuld ist wegen der Erfüllungswirkung im Regelfall kein unentgeltliches Geschäft; sie ist jedoch eine unentgeltliche Leistung sowohl an den Zuwendungsempfänger als auch an den von der Verbindlichkeit befreiten Schuldner, wenn die Regressforderung des Leistenden gegen ihn wirtschaftlich wertlos ist (Kirchhof in MünchKomm, InsO, § 134, Rn. 31). Dies ist vorliegend anzunehmen, denn der aus § 110 HGB folgende Rückgriff der Schuldnerin gegen die Fliesen KG war wegen deren Insolvenz von vornherein wertlos.
Indessen bleibt zu beachten, dass die Schuldnerin, ohne primär Beitragsschuldnerin zu sein, gem. §§ 128, 161 HGB der Beklagten gegenüber haftete, sodass letztlich die streitgegenständliche Überweisung sie auch von einer eigenen Schuld befreite.
b)
Bei Einschaltung eines Dritten in den Tilgungsvorgang erweist sich die Definition der Unentgeltlich als Aufgabe eines Vermögenswertes ohne Zufluss des Gegenwertes als zu eng. Geboten ist eine wirtschaftliche Betrachtung der Folgen der Vermögensverschiebung. Im Grundsatz muss der Empfänger eine Leistung, für die er nichts aufzuwenden hatte, zur Masse zurückzugewähren (BGHZ 41, 298 [302]; BGH NJW 1992, 2421 = ZIP 1992, 1089 [1092]; BGHZ 141, 96 = NJW 1999, 1549 = ZIP 1999, 628). Hierbei ist zu bedenken, dass die Komplementärhaftung der Schuldnerin der Beklagten gegenüber gem. § 128, 161 HGB mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Fliesen KG reduziert wird, weil die Gläubiger der Forderung gegen die Gesellschaft deren persönlich haftende Gesellschafter gem. § 93 InsO nicht mehr unmittelbar in Anspruch nehmen können. Die persönliche Haftung der Gesellschafter soll im Insolvenzverfahren über das Gesellschaftsvermögen der Insolvenzmasse zugute kommen. Im Interesse der gleichmäßigen Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger verhindert deshalb § 93 InsO, dass einzelne Gesellschaftsgläubiger sich durch Inanspruchnahme der persönlich haftenden Gesellschafter Sondervorteile verschaffen (BGHZ 151, 245 = NJW 2002, 2718 = ZIP 2002, 1492; Brandes in MünchKomm, InsO, § 903 Rn. 14; Kübler/ Prütting/Lüke, InsO § 93, Rn. 16). Aus diesem Grunde war die Beklagte im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin nicht Insolvenzgläubigerin (§ 38 InsO). Ob § 93 InsO schon während des vorläufigen Verfahrens über das Vermögen der Gesellschaft eingreift, kann dahinstehen. Auch wenn dies nicht der Fall ist, war als Vorwirkung dieser Bestimmung schon während des vorläufigen Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Fliesen KG der wirtschaftliche Wert des aus §§ 128, 161 HGB folgenden unmittelbaren Anspruchs der Beklagten gegen die Schuldnerin gering, wenn nicht gar entfallen; hätte die Beklagte vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Fliesen KG versucht, die Schuldnerin in Anspruch zu nehmen, so hätte die Schuldnerin sie unschwer bis zur Verfahrenseröffnung hinhalten können, um nach Eröffnung auf § 93 InsO zu verweisen. Zudem hatte die Beklagte die Schuldnerin nicht zur Zahlung aufgefordert; aus ihrer Sicht, die nach Anordnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Fliesen KG Tilgung ihrer Beitragsrückstände nicht erwarten konnte, zahlte ein Dritter.
Auch hatte die Schuldnerin, die die Beklagten nicht zur Zahlung aufgefordert hatte, keinen Grund, an sie zu zahlen. Das Interesse ihrer Gesellschafter, der persönlichen Inanspruchnahme zu entgehen, ist kein anerkennenswerter Grund. Sie entzogen dem Vermögen der Schuldnerin den überwiesenen Betrag, ohne dass diese eine wirtschaftliche Gegenleistung erlangte. Umgekehrt hatte die Beklagte nach Anordnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Fliesen KG keine Aussicht auf Erfüllung der von dieser anerkannten Beitragsschuld. In subjektiver Sicht bezweckte die Schuldnerin mit der Überweisung nicht die Befreiung von ihrer Komplementär-Haftung, umgekehrt hatte die Beklagte die unmittelbare Inanspruchnahme der Schuldnerin, mit der sie bislang nichts zu tun hatte, nicht in Betracht gezogen.
c)
Bei zusammenfassender Würdigung des Überweisungsvorgangs und seiner wirtschaftlichen Auswirkungen erhielt die Beklagte den streitgegenständlichen Betrag, ohne dass sie eine diesen Vermögenszufluss ausgleichende Leistung schuldete oder erbrachte. Die Beitragsforderung gegen die Fliesen KG, die die Beklagte im Insolvenzverfahren über deren Vermögen nach § 38 InsO nur als Insolvenzgläubigerin geltend machen konnte, war wirtschaftlich geringwertig, wenn nicht gar wertlos, so dass deren Erlöschen keinen Wertausgleich bedeutet. Dies gilt auch für die Durchgriffsforderung gegen die Schuldnerin gem. §§ 128, 161 HGB, weil diese, wie dargelegt, keine Aussicht auf Befriedigung bot. Letztlich erhielt die Beklagte den überwiesenen Betrag ohne Gegenleistung, wie ein "Geschenk". Dass bei Beteiligung eines Dritten die Befreiung von der eigenen Verbindlichkeit des Schuldners der Unentgeltlichkeit seiner Leistung nicht entgegensteht, ist anerkannt (vgl. BHZ 101, 96 = ZIP 1999, 628 = NJW 1999, 1549).
III.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 97 Abs. 1 ZPO.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Senat lässt gem. § 543 ZPO die Revision zu, weil die entscheidungserhebliche Rechtsfrage - Zahlung der Komplementärin zur Tilgung einer Verbindlichkeit der Gesellschaft als unentgeltliche Leistung i. S. d. § 134 InsO - grundsätzliche Bedeutung hat.
Ende der Entscheidung
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