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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Urteil verkündet am 07.03.2005
Aktenzeichen: 3 U 121/04
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 142
1. Die kongruente, weil vertragsgemäße Fortführung der Kontokorrentabsprache wird nicht deshalb inkongruent, weil innerhalb des kritischen Zeitraums vor Beantragung des Insolvenzverfahrens die Gutschriften im Endergebnis höher sind als die Belastungen.

2. Die Rückführung des Kredits ist ein anfechtungsfreies Bargeschäft gem. § 142 InsO, wenn die Bank bei Offenhalten der Kreditlinie ihre Pflichten aus dem Kontokorrentvertrag vertragsgemäß erfüllt, Gutschriften und Belastungen in gleicher Weise bucht.


Oberlandesgericht Rostock IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 121/04

Laut Protokoll verkündet am: 07.03.2005

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 21.02.2005

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 23.04.2004 verkündete Urteil des Landgerichts Rostock (Az.: 10 O 517/03) wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe stellt.

Streitwert der Berufung: 25.398,35 €

Gründe:

I.

Der Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögens des V."D. D." nimmt nach Insolvenzanfechtung die Beklagte auf Rückzahlung von 25.398,35 € in Anspruch.

Am 25.12.2002, dem Beginn des dem Insolvenzantrag vorangehenden Monats, war das Konto des Schuldners bei der Beklagten mit 25.398,35 € im Soll. In der Folgezeit wurden regelmäßig Zahlungseingänge, vor allem Lohnkostenzuschüsse des Arbeitsamts, insgesamt 113.463,91 € gutgeschrieben, davon allein in der der Zeit vom 09. bis 15.01.2003 93.898,04 €. Außer der Abbuchung von Kontoführungskosten mit einem Gesamtbetrag von 204,11 € wurde das Konto wie folgt belastet:

 03.01.2003 757.27 €
09.01.2003 457,60 €
15.01.2003 82.769,25 €
16.01.2003 124,80 €
 124,80 €
20.01.2003 70,00 €.

Die Abbuchung vom 15.01.2003 war ein Datenträgeraustauschauftrag, der 28 Einzelüberweisungen zusammenfasste. Nach dieser Belastung war das Konto mit 13.272,32 € im Soll. Danach reduzierte sich der Debetsaldo stetig; am 21.01.2003 war ein Guthaben von 131,27 € erreicht. Mit Schreiben vom 23.01.2003 kündigte die Beklagte den Kontokorrentkredit. Am 24.01.2003 beantragte der Schuldner die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen. Das Guthaben auf dem Konto zahlte die Beklagte an den Kläger aus.

Der Kläger hat die Rückführung des Debetsaldos in dem letzten Monat vor Beantragung des Insolvenzverfahrens angefochten. Das Landgericht wies seine Klage ab. Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Zu deren Begründung trägt er vor, es liege eine inkongruente Deckung vor, weil die Beklagte den Debetsaldo auf dem Girokonto durch Verrechnung mit eingehenden Gutschriften zurückgeführt habe, ohne den Kontokorrentkredit zuvor gekündigt zu haben. In dem Monat vor Beantragung des Insolvenzverfahrens habe die Beklagte nur sechs Belastungsbuchungen zugelassen bzw. vorgenommen.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 25.398,35 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.07.2003 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Verteidigung des angefochtenen Urteils trägt sie vor, die Rückführung des Überziehungskredits sei kongruent, weil sie alle Verfügungen des Schuldners vertragsgemäß ausgeführt habe.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

1. Die Rückführung des Debetsaldos im letzten Monat vor Beantragung des Insolvenzverfahrens bis zur Kündigung des Kontokorrentkredits ist nicht wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung gem. § 133 Abs. 1 InsO, aber auch nicht als inkongruente Deckung gem. § 131 InsO anfechtbar. Zu Recht und in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urt. vom 07.03.2002 - IX ZR 223/01, BGHZ 150, 122 = NJW 2002, 1722 = ZIP 2002, 812) sieht das Landgericht die Kontobewegungen nicht als inkongruent an.

In seinem Urteil vom 07.03.2002 geht der BGH davon aus, dass die Rückführung des ungekündigten Kredits in der kritischen Zeit vor Beantragung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich auch dann inkongruent ist, wenn sie durch Saldierung im Kontokorrent erfolgt (vgl. den 3. Leitsatz). Dies gilt indessen nicht, wenn die Bank die Kontokorrentkreditabsprache einhält und den Giroverkehr wie zuvor fortsetzt. Dann handelt sie vertragsgemäß, also kongruent (so auch das frühere Urteil vom 25.02.1999, NJW 1999, 3264 = ZIP 1999, 665 = MDR 1999, 818, sowie das spätere vom 01.10.2002 - IX ZR 360/99, NJW 2003, 360 = ZIP 2002, 2118 ). Dies setzt voraus, dass die Bank dem Kunden die Kreditlinie belässt und ihn weiter in bisherigem Maß verfügen lässt, so dass ihm die Möglichkeit bleibt, über Eingänge nach seinem Ermessen wieder zu verfügen. Die kongruente, weil vertragsgemäße Fortführung der Kontokorrentabsprache wird nicht deshalb inkongruent, weil innerhalb des kritischen Zeitraums vor Beantragung des Insolvenzverfahrens die Gutschriften im Endergebnis höher sind als die Belastungen (so auch Kreft in HK, InsO, 3. Aufl., § 142 Rn. 19; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 12. Aufl., § 130 Rn. 14).

Im Schrifttum wird das BGH-Urteil vom 07.03.2002 unterschiedlich interpretiert. Breutigam (BK, InsO, § 131 Rn. 1.1.2.1, Nr. 15 - 17), Graf/Wunsch in Runkel, AHB Insolvenzrecht, § 9 Rn. 136 verstehen es in dem Sinn, dass die Rückführung des ungekündigten Kredits in Höhe des Betrages, um den die verrechneten Gutschriften im Anfechtungszeitraum die zugelassenen Auszahlungen überschreiten, inkongruent sei. Bruckhoff (NJW 2002, 3304) entnimmt dem Urteil ebenfalls, dass die Rückführung des debitorischen Kontos in der kritischen Zeit inkongruent sei, schränkt dies indessen dahingehend ein, dass das Verrechnen im Kontokorrent ohne gleichzeitiges Zulassen von Auszahlungen inkongruent sei. Ringstmeier/Rigol (EWiR 2002, 685) und Rigol/Homann (ZIP 2003, 15) verstehen das Urteil vom 07.03.2002 in dem Sinn, dass die vertragsgemäße Rückführung des Kontos kongruent sei, können allerdings den Übergang von der inkongruenten zur kongruenten Deckung nicht nachvollziehen.

Nach Auffassung des Senats hat der BGH etwaige Unklarheiten in seinem Urteil vom 07.03.2002 in einem weiteren Urteil zur Rückführung des Debetsaldos in der kritischen Zeit vor Beantragung des Insolvenzverfahrens (vom 17.06.2004 - IX ZR 2/01, ZIP 2004, 1464 = MDR 2004, 1381 = NZI 2004, 491), das allerdings zu § 10 GesO ergangen ist, ausgeräumt. Dort stellt er klar: "Aufgrund der Giroabrede ist das Kreditinstitut berechtigt und verpflichtet, für den Kunden bestimmte Geldeingänge entgegenzunehmen und gutzuschreiben. Umgekehrt ist das Kreditinstitut verpflichtet, Überweisungsaufträge des Kunden zu Lasten seines Girokontos auszuführen, sofern es eine ausreichende Deckung aufweist oder eine Kreditlinie nicht ausgeschöpft ist. Indem das Kreditinstitut die Absprache mit dem Kunden einhält und den Giroverkehr fortsetzt, handelt es vertragsgemäß, also kongruent. Verrechnungen werden erst dann inkongruent, wenn das Kreditinstitut Verfügungen des Kunden nicht mehr in der vereinbarten Weise zulässt und dadurch im Ergebnis die Darlehensforderungen vor deren Fälligkeit durch die saldierten Gutschriften zurückgeführt werden."

Vorliegend handelte die Beklagte bis zur Kündigung des Kontokorrentkredits am 23.01.2003 vertragsgemäß; sie ließ sogar Belastungsbuchungen zu, die das ausgeglichene Konto wieder ins Soll brachten. Auch die Kündigung des Kredits war nicht vertragswidrig. Jede Gutschrift, die den Debetsaldo reduzierte, war eine kongruente Deckung. Die Differenz zwischen Zahlungseingängen und Belastungen beruht darauf, dass der Schuldner keine weiteren Belastungsbuchungen veranlasste, obwohl er dies hätte tun können. Die kongruente Fortführung der Kontokorrentabsprache wird nicht nachträglich dadurch inkongruent, dass die Beklagte am 23.01.2003 den Kreditvertrag kündigte; hierzu war sie berechtigt.

Wäre der Auffassung des Klägers folgend jede Rückführung der Kreditlinie in der kritischen Zeit vor Beantragung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Bankkunden inkongruent, so kann sich der Senat keine Konstellation vorstellen, in der die Bank den ungekündigten Kredit kongruent und anfechtungsfrei zurückführen kann.

2. Eine Anfechtung wegen kongruenter Deckung gem. § 130 InsO kommt nicht in Betracht. Dass die Beklagte die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners kannte, ist nicht ersichtlich. Zudem ist die Rückführung des Kredits ein anfechtungsfreies Bargeschäft gem. § 142 InsO, wenn die Bank bei Offenhalten der Kreditlinie ihre Pflichten aus dem Kontokorrentvertrag vertragsgemäß erfüllt, Gutschriften und Belastungen in gleicher Weise bucht (BGHZ 150, 122 = NJW 2002, 1722 = ZIP 2002, 812). Diese Voraussetzungen, insbesondere zeitige Nähe zwischen Gutschriften und Sollbuchungen - nicht mehr als zwei Wochen (Kreft a.a.O) - sind vorliegend gegeben. Auch der Zweck des Bargeschäfts spricht für diese Sicht: Trotz angespannter wirtschaftlichen Situation soll der Schuldner noch Rechtsgeschäfte abwickeln können, die die Gläubiger nicht unmittelbar benachteiligen. Wäre jede Buchung von der späteren Insolvenzanfechtung bedroht, so wäre keine Bank bereit, den Schuldner in kritischer Zeit bei nicht voll ausgeschöpfter Kreditlinie über sein Konto verfügen zu lassen, sondern würde den Kreditvertrag kündigen; den wirtschaftlichen Niedergang des Schuldners würde dies beschleunigen.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs.1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Anlass zur Zulassung der Revision besteht nicht. Nach Auffassung des Senats ist die entscheidungserhebliche Streitfrage durch das Urteil des BGH vom 17.06.2004 geklärt. Sollte der Senat dieses Urteil missverstanden haben, so wird der BGH zur Wahrung der Rechtseinheit der Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers stattgeben.

Ende der Entscheidung

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