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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Urteil verkündet am 29.03.2004
Aktenzeichen: 3 U 160/03
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 131
1.

Eine inkongruente Deckung liegt vor, wenn der Schuldner des Schuldners den Kaufpreis auf ein Notaranderkonto überweist und der Notar weisungsgemäß einen Teilbetrag von dem Anderkonto an den Anfechtungsgegner überweist.

2.

Eine Behörde, die die Zustimmung zu einem privatrechtlichen Rechtsgeschäft des Schuldners mit einem Dritten von der Begleichung rückständiger Abgaben abhängig macht, erzeugt eine Drucksituation, die die Anfechtung wegen inkongruenter Deckung rechtfertigen kann.


Oberlandesgericht Rostock IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 160/03

verkündet am: 29.03.2004

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Eckert, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Jedamzik und die Richterin am Oberlandesgericht Bartmann

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15.03.2004

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 25.04.2003 (Az.: 5 O 245/02) abgeändert und wie folgt gefasst:

Unter Abweisung der weitergehenden Klage wird das beklagte Land verurteilt, an den Kläger 54.913,39 € nebst Zinsen i. H. v. 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 31.03.2001 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt das beklagte Land.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Das beklagte Land darf die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht der Kläger Sicherheit in derselben Höhe stellt.

Streitwert der Berufung: 54.913,39 €

Gründe:

I.

Am 25.11.1999 beantragte das Finanzamt L. die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der LKS L. Kies und Sand GmbH (Schuldnerin). Diese stellte am 31.01.2000 einen Eigenantrag. Aufgrund beider Anträge eröffnete das Amtsgericht Schwerin am 22.06.2000 das Insolvenzverfahren (Az.: 581 IN 75/99 und 581 IN 26/00). Der Kläger als Insolvenzverwalter verlangt nach Insolvenzanfechtung von dem beklagten Land Zahlung von 107.401,26 DM (54.913,39 €).

Die Schuldnerin, die an das Bergamt Förderabgaben gemäß Bergbaugesetz zu zahlen hatte, beabsichtigte, Bergbaurechte an die Firma H. Kies Sand Recycling GmbH & Co. KG zu übertragen. Dies bedurfte der Zustimmung des Bergamtes. Mit Schreiben vom 14.12.1999 teilte es der Schuldnerin mit, dass die Zustimmung zur Übertragung der Förderungsrechte erst nach Ausgleich der Rückstände von 107.401,26 DM erfolgen könne. Am 17.01.2001 veräußerte die Schuldnerin u. a. die Kies- und Ausbeutungsrechte auf dem B. Tagebau L., Flur .. an die Firma H. Kies Sand Recycling GmbH & Co. KG. Der notarielle Vertrag (Notar Thomas B. in L., UR ../..) lautet auszugsweise wie folgt:

"§ 1 Vertragsgegenstand

Verkauft und abgetreten werden, wobei die Käuferin die Übernahme und Abtretung annimmt,

- das Know how

- die Bergabbauberechtigung bzgl. Abbaus von Kies und Kiessan- den

- Vertragsunterlagen gem. Anlagen

- Teile des Anlagevermögens

- Hauptbetriebspläne sowie Antragsunterlagen bzgl. 1. Ergänzung der Hauptbetriebspläne und für den Rahmenbetriebsplan

Verbindlichkeiten werden nicht übernommen.

§ 2 Kaufpreis, Zusammensetzung des Kaufpreises

1. Der Kaufpreis insgesamt 700.000,00 DM 16 % MWSt 112.000,00 DM 812.000,00 DM

...

4. Die Zahlung des gesamten Kaufpreises einschließlich Mehrwertsteuer hat auf das Notaranderkonto des beurkundenden Notars bei der Volksbank L. eG Konto-Nr. 102 185 000 BLZ 240 900 41 zu erfolgen. Die Erfüllung des Kaufpreiszahlungsanspruches des Käufers erfolgt durch Einzahlung des Kaufpreises auf dem Notaranderkonto.

§ 3 Kaufpreisfälligkeit

1. Der gesamte Kaufpreis ist umgehend auf das vom beurkundenden Notar eingerichtete Notaranderkonto zu Zahlung fällig.

Der Notar wird von den Vertragsparteien unwiderruflich angewiesen, aus dem Kaufpreis unmittelbar bis zum 15.03.2000 folgende Zahlungen zu leisten:

a) DM 107.401,26 an Bergamt S. gem. § 10 Ziff. 2

..."

Diesen Betrag erhielt das Bergamt von dem Notar B..

Mit Schreiben vom 21.03.2001 erklärte der Kläger die Anfechtung der Zahlung. Das beklagte Land wandte ein, ihr habe die Zahlung zugestanden. Der streitgegenständliche Betrag stamme nicht aus dem Vermögen der Schuldnerin, vielmehr sei er von dem Notaranderkonto an das Bergamt geflossen. Das Land bestritt zudem die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin sowie Kenntnis der Umstände, die darauf schließen ließen. Zum weiteren erstinstanzlichen Streitstand wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.

Das Landgericht wies die Klage ab.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er greift die Beweiswürdigung an und führt weiter aus, dass das Bergamt zur Einholung weiterer Erkundigungen bzgl. der Vermögenslage der Schuldnerin verpflichtet gewesen sei. Weiter trägt er vor, dass die Zahlung inkongruent gewesen sei, denn das Bergamt habe lediglich Anspruch auf Zahlung der Förderabgabe gehabt, indessen keinen Anspruch auf einen Teilbetrag des Veräußerungserlöses. Die Zahlungsvereinbarung sei überdies sittenwidrig, denn das Bergamt habe erkannt, dass die Schuldnerin ohne den Verkauf der Kiesgrube und des dazugehörigen Abbaurechts insolvent gewesen sei. Mit diesem Wissen habe das Bergamt die Begleichung der Förderabgabe durch Abtretung eines Anteils des Kaufpreises durchgesetzt.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des am 25.04.2003 verkündeten Urteils des Landgerichts Stralsund zu verurteilen, an ihn 54.913,39 € nebst Zinsen i. H. v. 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 30.03.2001 zu zahlen.

Das beklagte Land beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Es bringt vor, der Kläger habe den Nachweis, dass das Bergamt Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin gehabt habe, in erster Instanz nicht führen können. Ohne großen Aufwand habe es die Beantragung des Insolvenzverfahrens nicht in Erfahrung bringen können. Die Kenntnis des Finanzamtes sei dem Bergamt nicht zuzurechnen.

Eine inkongruente Deckung liege nicht vor. Die Schuldnerin habe die Teilforderung ausweislich der notariellen Urkunde gerade nicht an das Land abgetreten, es sollte daraus keinen unmittelbaren Anspruch gegen die Erwerberin erhalten. Bei der Vereinbarung handele es sich lediglich um eine Zahlungsanweisung der Verkäuferin nach Kaufpreisfälligkeit an den Notar, nämlich den streitgegenständlichen Betrag zum Ausgleich der kongruenten Forderung des Landes auf Entrichtung der Förderabgabe zu zahlen. Somit habe das Land diesen Betrag so erhalten, wie es ihn zur Zeit der Zahlung habe beanspruchen und vereinnahmen dürfen.

II.

Die Berufung ist begründet. Das beklagte Land ist gemäß § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO verpflichtet, den ihm von dem Notaranderkonto zugeflossenen Betrag zur Insolvenzmasse zurückzugewähren, denn der Kläger hat diese Zahlung wirksam als inkongruente Deckungshandlung gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO angefochten.

1. Die angefochtene Handlung nahm die Schuldnerin nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vor. Der Antrag des Finanzamtes Ludwigslust datiert vom 25.11.1999. Dieser Antrag führte auch zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Dies ergibt sich aus dem Beschluss des Amtsgerichts Schwerin vom 22.06.2000, der zwei Aktenzeichen trägt, nämlich 581 IN 75/99 und 581 IN 26/00. Somit ergibt der Beschluss zweifelsfrei, dass ein vor dem 01.01.2000 gestellter Insolvenzantrag zur Verfahrenseröffnung führte. Das beklagte Land kann demnach nicht einwenden, die Verfahrenseröffnung beruhe auf dem Eigenantrag der Schuldnerin.

2. Durch die Entrichtung der Förderabgabe in der in dem notariellen Vertrag vom 17.01.2000 niedergelegten Weise wurden die Insolvenzgläubiger benachteiligt, denn der an die Schuldnerin ausgekehrte oder auf dem Notaranderkonto zu ihren Gunsten verbliebene Kaufpreis wäre in die Insolvenzmasse gefallen.

3. Die Auszahlung des Kaufpreisanteils unmittelbar an das Bergamt war ein inkongruente Deckung i. S. d. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO.

a) Zwar hatte das Bergamt Anspruch auf diese Zahlung, der Anspruch bestand zwar auch zur Zeit der Zahlung fällig, jedoch konnte es nicht Zahlung in der Weise und auf dem Wege beanspruchen wie sie tatsächlich erfolgte, nämlich weder von dem Notar noch von der Firma H. Kiessand Recycling GmbH & Co. KG. Der übliche Zahlungsweg ist die bargeldlose Zahlung unter Einschaltung einer Bank. Dass der Schuldner der Schuldnerin den Kaufpreis auf das Notaranderkonto überwies, ist ebenfalls nicht ungewöhnlich, indessen zahlt der Notar üblicherweise nach Erfüllung der Auszahlungsvoraussetzungen den Kaufpreis an die Gläubigerin der Kaufpreisforderung aus. Dass vorliegend der gewählte Zahlungsweg hiervon erheblich abweicht, bedarf keiner weiteren Begründung. Insbesondere lässt sich nicht damit argumentieren, der Notar habe wie eine Bank lediglich als Zahlstelle fungiert, denn der Zahlungsweg wurde bewusst so gestaltet, dass ein Teil des Kaufpreises dem Vermögen der Schuldnerin ferngehalten und unmittelbar dem Bergamt zur Tilgung der rückständigen Förderabgaben zufloss. Eine solche Direktzahlung des Schuldners der Schuldnerin an deren Gläubiger ist regelmäßig besonders verdächtig, weil sie an den Zahlungsverzug der Schuldnerin und deren Zahlungsschwierigkeiten anknüpft und somit inkongruent ist (BGH ZInsO 2002, 766 [Nichtannahmebeschluss zu OLG Dresden ZIP 1999, 2161]; Kirchhof in: Münchener Kommentar zur InsO, § 131 Rz. 35; Kreft in: Heidelberger Kommentar zur InsO, 3. Aufl., § 131, Rz. 9). Das Bergamt, dem die Liquiditätsprobleme der Schuldnerin bekannt waren, veranlasste ein Verhalten der Schuldnerin, das auf die eigene Befriedigung auf Kosten der Übrigen Gläubiger hinauslief und dem Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger widersprach.

b) Die Inkongruenz der Zahlung ergibt sich zudem aus der Drucksituation. Der Kläger verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass gemäß § 22 BBergG die Zustimmung zur Übertragung der Abbaurechte an einen Dritten nur unter bestimmten Voraussetzungen, die nicht vorgelegen hätten, versagt werden dürfe. Selbst wenn das Bergamt berechtigt gewesen sein sollte, seine Zustimmung von der Begleichung der rückständigen Förderungsabgaben abhängig zu machen, folgt die Inkongruenz der Deckungshandlung daraus, dass es die Entschließungsfreiheit der Schuldnerin durch Druck beeinträchtigt hat, um sie zur Zahlung zu veranlassen. So ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine Leistung des Schuldners zur Vermeidung einer Zwangsvollstreckung inkongruent ist, auch wenn der Gläubiger Anspruch auf die Zahlung hat (vgl. BGHZ 136, 309; BGH NJW 2002, 2568 = ZIP 2002, 1159; BGH ZIP 2002, 228; BGH NJW-RR 2003, 1201 = ZIP 2003, 1304). Ebenso ist inkongruent eine Leistung zur Abwendung eines Insolvenzantrags (BGH ZIP 2004, 319 = WM 2004, 299). Zwar kündigte vorliegend das Bergamt nicht Einzel- oder Gesamtzwangsvollstreckungsmaßnahmen an, um die Schuldnerin zur Abtragung der Zahlungsrückstände zu bewegen. Indessen ist die Inkongruenz einer unter Druck erbrachten Leistung nicht auf die Androhung derartiger Maßnahmen beschränkt; auch anderer Druck, der dem in wirtschaftlicher Hinsicht gleich- oder nahekommt und die Leistungsmotivation des zur freiwilligen Leistung nicht bereiten Schuldners herstellt, lässt die Leistung inkongruent werden (Lindemann EWiR 2003, 1153, [1154])

Vorliegend waren die ständigen Zahlungsrückstände der Schuldnerin ein deutliches Anzeichen für Liquiditätsprobleme und das Bergamt hatte erkannt, dass diese nur unter Einsatz des Verkaufserlöses die Rückstände würde abtragen können. Durch Verknüpfung der Schuldentilgung mit der Zustimmung zur Übertragung der Förderungsrechte wirkte das Bergamt auf die Entschließungsfreiheit der Schuldnerin ein und erzeugte eine Drucksituation, die in ihrem Gewicht der Androhung eines Insolvenzantrags oder einer Zwangsvollstreckung gleichkommt. Unerheblich ist, dass der Insolvenzantrag schon zuvor gestellt war, denn der Antrag des Finanzamts war dem Bergamt nicht bekannt.

c) Auf Kenntnis der Benachteiligungsabsicht kommt es im Rahmen des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO ebenso wenig an wie auf Kenntnis des Eröffnungsantrags.

4. Der Zinsanspruch ist im Wesentlichen begründet, allerdings befand sich das beklagte Land erst seit dem 31.03.2001 in Verzug, denn der Kläger hatte es in seinem Schreiben vom 21.03.2001 zur Zahlung bis 30.03.2001 aufgefordert.

Der geltend gemachte Zinssatz ist gem. § 288 Abs. 2 BGB gerechtfertigt.

III.

Die Nebenentscheidungen ergehen gem. §§ 91, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Anlass, die Revision zuzulassen ist nicht gegeben. Rechtsfragen von grundlegender Bedeutung sind nicht zu entscheiden; die Auffassung des Senats steht in Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

Ende der Entscheidung

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